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Coronamüde? Wie die Berichterstattung über Covid-19 neue Akzente setzen könnte

Martina King und Yvonne Wübben sind beide Ärztin und Literaturwissenschaftlerin und schauen in dieser Doppelrolle auf die Corona-Kommunikation der vergangenen Monate. Dabei plädieren sie für eine differenziertere Diskussion von Krankheitsbildern und Langzeitfolgen und erklären, wie das zu mehr Akzeptanz der Corona-Maßnahmen führen kann.

Ein großer Teil der öffentlichen Berichterstattung über Covid-19 konzentriert sich bis heute auf epidemiologische und virologische Aspekte der Erkrankung. In Zeitungen, Blogs, sozialen Medien, in Radio- und Fernsehberichten wird über die Verbreitung, über unterschiedliche Ansteckungswege, eine möglichst effektive Viruskontrolle sowie über die Letalität1 oder prädisponierende Risikofaktoren diskutiert. Die epidemiologischen Erkenntnisse sind ohne Frage zentral für ein adäquates Krankheitsverständnis. Sie bilden zudem eine fundamentale Grundlage für gesundheitspolitische Entscheidungen und für die Entwicklung angemessener Strategien zur Eindämmung der Pandemie.

Durch die epidemiologisch-virologische Perspektive wird jedoch ein ganz bestimmtes Bild von Covid-19 gezeichnet. Der Blick richtet sich meist auf das akute Krankheitsgeschehen, den Verlauf (Inkubationszeit, Ausbruch, Letalitätspunkt) und das bedrohliche Lungenversagen. Berichte über Patienten, die künstlich beatmet werden müssen und auf Intensivstationen um ihr Leben kämpfen, haben die Berichterstattung flankiert und die Sichtweise untermauert, dass es sich bei Covid-19 vor allem um eine akute Erkrankung der Lunge handelt.

Covid-19 ist mehr als eine Lungenkrankheit

Neuere Studien – zum Beispiel die in der renommierten medizinischen Fachzeitschrift The Lanclet erschienene Gemeinschaftsstudie aus der Universitätsklinik Zürich – zeigen dagegen ein ganz anderes Bild. Aus ihnen geht hervor, dass neben der Lunge auch anderen Organe wie das Herz betroffen sein können und dass Patienten, die die akute Krankheit gut überstanden haben oder vorher nur geringe Krankheitsanzeichen aufwiesen, häufig unter schwerwiegenden Komplikationen und Langzeitsymptomen zu leiden haben. Die klinische Erfahrung der letzten Monate und erste Studien legen nahe, dass es sich bei der Viruserkrankung um eine Erkrankung vieler Organe handelt, die neue, eventuell sogar chronische Krankheitsbilder nach sich ziehen könnte. Für diverse Spätfolgen, die sich in Nieren, Lungen oder Haut zeigen, sind unter anderem Veränderungen in der Innenhaut kleiner Gefäße verantwortlich; sie werden in der Fachsprache Endothelitis genannt. Es ist nicht auszuschließen, dass ihre Folgen dauerhaft bestehen bleiben und die Lebensqualität, möglicherweise sogar die Lebenserwartung der betroffenen Patienten beeinflussen können.

„Warum also halten viele Menschen Covid-19 immer noch für eine vorwiegend akute Lungenerkrankung?“ Martina King und Yvonne Wübben
Warum also halten viele Menschen Covid-19 immer noch für eine vorwiegend akute Lungenerkrankung? Warum richtet sich der Blick bis heute überwiegend auf die Sterblichkeit und das Ausbreitungsgeschehen? Das hängt offenbar auch mit der Berichterstattung zusammen. Im März waren epidemiologische Zahlen und virologische Erklärungen wichtig, um die Verbreitungsmuster zu verstehen. Doch die Corona-Berichterstattung ist auch sechs Monate später noch stark „zahlenlastig“ und beherrscht von Statistiken, Mortalitätsraten oder Inzidenzen, also der Häufigkeit von Krankheitsfällen. Die sind freilich notwendig; sie bleiben aber oft seltsam abstrakt und scheinen eine gewisse Corona-Müdigkeit nach sich zu ziehen. Womöglich gibt es sogar einen Zusammenhang zwischen dem nach wie vor epidemiologischen Schwerpunkt der Berichterstattung und der mitunter mangelnden Bereitschaft, die Schutzmaßnahmen – unter anderem das Tragen der Masken – als unumgängliche gesundheitserhaltende Maßnahmen zu akzeptieren.

Die Rolle der Medien bei der Akzeptanz der Schutzmaßnahmen

Um dieser sinkenden Akzeptanz der Schutzmaßnahmen entgegenzuwirken, wäre es aktuell wichtig, dass sich die Berichterstattung auf alle Aspekte der Krankheit richtet. Den Medien käme dabei erneut die Aufgabe zu, schwierige, fachliche Inhalte allgemeinverständlich zu vermitteln, ohne ihre Komplexität zu reduzieren und auf falsche Vereinfachungen zurückzugreifen.

Ein prominentes Beispiel für einen derart gelungenen Wissenstransfer ist der zu Recht preisgekrönte NDR-Podcast mit dem Virologen Christian Drosten. Er begann zu einer Zeit, als Virologie und Epidemiologie über wenig gesicherte Daten verfügten. Die spärliche Datenlage machte es damals notwendig, Analogien zu ziehen – etwa zum Sars-1-Virus. So gelang es Drosten aufgrund seiner Erfahrungen mit anderen Corona-Viren ein differenziertes Bild der Pandemie, der Infektionswege und Pathomechanismen2 zu vermitteln. Er hat dabei legitimerweise immer wieder Vermutungen ausgesprochen, Modellüberlegungen angestellt und mögliche Entwicklungen skizziert. Obwohl seine Überlegungen nicht immer auf einer sicheren Datenbasis fußen konnten, waren sie gut durchdacht, fein abgewogen und am Ende so zutreffend, wie es eben ohne gesicherte Studienlage möglich ist.

„Wir bräuchten Kliniker verschiedenster Fächer, die uns ein differenziertes klinisches Bild der Erkrankung vermitteln.“ Martina King und Yvonne Wübben
Wir bräuchten Kliniker verschiedenster Fächer, das heißt Pneumologen, Kardiologen, Nephrologen, Neurologen und Gastroenterologen, die uns ein differenziertes klinisches Bild der Erkrankung vermitteln. Denn Covid-19 ist – daran gibt es heute keine Zweifel mehr – eine Multisystemerkrankung. Doch über diese Krankheit Covid-19 wissen wir viel weniger als über das Virus. Von uns unverstanden und oft unerkannt, taucht sie in allen Altersgruppen auf und ruft bei Erwachsenen mit scheinbar milden Akutverläufen zum Teil gravierende Organschäden hervor, wie jüngst eine kardiologische Studie der Universität Frankfurt nahelegte.

Solche Organschäden sind offensichtlich neben der direkten Viruswirkung auf autoimmune Mechanismen zurückzuführen, etwa auf Gefäßprozesse und Veränderungen im Gerinnungssystem. Zwar berichten verschiedene Medien immer wieder über Einzelfälle von Corona-Patientinnen und -Patienten, denen im Treppenhaus die Luft ausgeht, die nicht mehr arbeiten können und nicht ins Leben zurückfinden. Doch im Vergleich zu den zahlreichen virologischen und epidemiologischen Informationen, den Kausalerklärungen, Debatten und Expertenrunden verblassen die Fallberichte über die kurzatmigen, erschöpften, wesensveränderten Corona-Rekonvaleszenten: Sie illustrieren die Erkrankung mit Bildern und Geschichten, aber erklären sie nicht.

Mehr Tiefe und mehr Diversität in der Berichterstattung

„Wie kann man also den Wissenstransfer, der im Fall der Virologie so gut funktioniert hat und immer noch funktioniert, auf klinische Disziplinen übertragen?“ Martina King und Yvonne Wübben
Was ihnen oft fehlt, sind Informationen zum pathophysiologischen und organpathologischen3 Hintergrund. Denn die Pathophysiologie der Krankheit ist keineswegs so unverstanden, wie es gelegentlich behauptet wird. Freilich können Kliniker noch nicht über Studien zu Langzeitverläufen einer Krankheit verfügen, die erst seit neun Monaten existiert; und sie können auch keine definitiven Aussagen über Langzeitschäden nach milden Akutverläufen machen. Sie können aber deren relativ komplexe Pathomechanismen wie die Entzündung kleiner und größerer Gefäße sowie die Gerinnsel, die in vielen Organsystemen entstehen, verstehen, einordnen und daraus prognostische Schlüsse ziehen. Sie können hier ebenso mit Analogien argumentieren wie Christian Drosten, der zwischen Sars1 und Sars2 Parallelen zog.

Wie kann man also den Wissenstransfer, der im Fall der Virologie so gut funktioniert hat und immer noch funktioniert, auf klinische Disziplinen und die Pathophysiologie der neuen Krankheit Covid-19 übertragen? Zum einen müssten Kliniker gezielt angesprochen werden. Zum anderen müsste ihnen ein, über Einzelberichte hinaus reichendes, Forum zur Verfügung gestellt werden, in dem sie – etwa in Form eines Podcast – die Krankheit und ihre vielen Aspekte im Detail und im großen Zusammenhang erklären. Wenn über Covid-19 als neue Krankheit vieler Organsysteme verständlich berichtet wird, wenn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Klinikerinnen und Kliniker mit Hilfe von Analogien, Illustrationen und Prognosen ein nachvollziehbares und zusammenhängendes Bild der Krankheit zeichnen, würde sich vielleicht auch die Bereitschaft, andere und sich selbst vor der Erkrankung zu schützen, bei einigen Maskenmüden wieder verändern.

Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.