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Wissenschaftsjournalismus und das digitale Zeitalter

KI, Datenanalyse, Communityarbeit – Technologien bieten viel Potenzial für Recherche und Formate im Wissenschaftsjournalismus. Gleichzeitig braucht er dringend neue Geschäftsmodelle und Kompetenzen. Ein Gespräch mit Christoph Uhlhaas von acatech und Jens Radü vom Spiegel über die Zukunft der Zunft.

Herr Uhlhaas, Sie legen gerade einen starken Fokus auf das Thema Wissenschafts- und Technikjournalismus im digitalen Zeitalter. Warum sehen Sie hier so einen großen Diskussionsbedarf?

Christoph Uhlhaas: Digitale Medien bringen neue Möglichkeiten, stellen aber auch Geschäftsmodelle im Journalismus in Frage. Geht man davon aus, dass journalistische Außenbeobachtung für eine offene Wissenschaftskommunikation unabdingbar ist, dann stellt sich dabei die Frage: Wie kann ein Wissenschafts- und Technikjournalismus im digitalen Zeitalter aussehen? Wir geht er gestärkt aus der digitalen Transformation hervor? Wie können wissenschaftliche Institutionen, privater Förderer oder auch die Politik dabei unterstützen?

Christoph Uhlhaas leitet die Kommunikation von acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften. Vor seiner Laufbahn bei der Akademie schrieb er als Wissenschaftsjournalist für Gehirn & Geist, Spektrum.de, Spiegel Online und andere. Foto: privat
Christoph Uhlhaas leitet die Kommunikation (Medien & Politik) von acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften. In der #FactoryWisskom des BMBF ist er Sprecher der AG Wissenschaftsjournalismus und organisiert gemeinsam mit der Wissenschafts-Pressekonferenz die internationale Reihe „Science Journalism in the Digital Age“. Vor seiner Laufbahn bei acatech arbeitete er freier Wissenschaftsjournalist. Foto: privat

Dazu läuft aktuell eine Diskussion in der #FactoryWisskomm des BMBF. Für die internationale Perspektive organisieren die Wissenschafts-Pressekonferenz (WPK) und acatech eine digitale Konferenzreihe, damit wir Ideen von außen bekommen. Die Situation ist da ja ganz unterschiedlich. Während es in Deutschland einen relativ starken Wissenschaftsjournalismus und öffentlich-rechtlichen Rundfunk gibt, gibt es in manchen Ländern ein stärkeres Mäzenatentum durch private Förderer, in anderen aber auch bereits staatliche Stellen, die Journalismus unterstützen. Wir haben spannende Ansätze gefunden, die uns auch in der hiesigen Diskussion weiterbringen können.

Herr Radü, wo steht aus Ihrer Sicht der Wissenschaftsjournalismus gerade?

Jens Radü: Eine Beobachtung ist ganz aktuell, dass bei der Bevölkerung die Glaubwürdigkeit der und das Vertrauen in die Medien gestiegen ist – im Vergleich zu den Vorjahren. Das zeigt die Mainzer Langzeitstudie Medienvertrauen sehr deutlich und das hat natürlich viel mit Corona zu tun. Hier kommt die Synchronisationsfunktion des Journalismus zum Tragen: Wissenschaftsjournalist*innen greifen Themen auf, die relevant für die Gesellschaft sind, bringen die Debatte dazu auf einen Nenner und strukturieren sie. Das ist erst einmal eine gute Nachricht.

Sie schätzen die Situation des Wissenschaftsjournalismus also gar nicht so düster ein?

Jens Radü ist Chef vom Dienst Multimedia beim Spiegel. Der studierte Journalist und Politikwissenschaftler hat zum Thema „New Digital Storytelling“ promoviert und ist Mitglied der Jury des Journalistenpreises PUNKT von acatech. Foto:
Jens Radü ist Chef vom Dienst Multimedia beim Spiegel. Der studierte Journalist und Politikwissenschaftler hat zum Thema „New Digital Storytelling“ promoviert und ist Mitglied der Jury des Journalistenpreises PUNKT von acatech. Foto: Reporterforum

Radü: Im letzten Jahr eher nicht, weil Wissenschaftsjournalist*innen während der Pandemie so präsent waren wie lange nicht mehr. Wenn man sich aber die Medienlandschaft insgesamt anschaut, Titel, die eingestellt, Sendungen, die zusammengelegt, Redaktionen, die geschlossen werden, dann gibt es hier natürlich ein strukturelles Problem. Besonders für freie Wissenschaftsjournalist*innen, die unabhängig Projekte umsetzen, ist das problematisch. Sonst wären womöglich Initiativen wie die RiffReporter gar nicht auf die Idee gekommen, für ihre Arbeit alternative Finanzierungsmodelle zu suchen. Wenn man der gegenwärtigen Refinanzierungskrise also etwas Positives abgewinnen will, dann, dass sie zu vielen Innovationen in dem Bereich geführt hat. Etabliert sind diese aber noch nicht.

Wo sehen Sie die Rolle der institutionellen Wissenschaftskommunikation in dem ganzen Prozess?

„Die Rolle des kritischen Journalismus berührt das allerdings eher tangential und macht diesem nicht weniger Arbeit.“ Jens Radü
Radü: Mit der zunehmenden Komplexität in den Wissenschaften gibt es natürlich auch einen gesteigerten Bedarf an kompetenter Wissenschaftskommunikation, um die Inhalte entsprechend zu erklären und zugänglich zu machen. Da ist es sicher begrüßenswert, dass es eine Aufwertung und Professionalisierung des Arbeitsbereichs gibt. Für den Wissenschaftsjournalismus ist das hilfreich, weil es die Suche nach Sparringspartner*innen, Informationen und Ansprechpersonen erleichtert. Die Rolle des kritischen Journalismus berührt das allerdings eher tangential und macht diesem nicht weniger Arbeit. Die Gatekeeper- und Gatewatcher-Funktion wird dadurch sogar noch wichtiger, also die Auswahl dessen, was medial aufgegriffen wird, vermeldens- und diskutierenswert ist.

Mit dem Journalistenpreis PUNKT ist acatech bereits als Förderinstitution für den Wissenschaftsjournalismus aktiv. Sehen Sie noch mehr Bedarf?

„Ein Anliegen ist deshalb, Wege und Partner zu finden, um Qualitätsjournalismus über Wissenschaft und Technik substanzieller zu unterstützen.“ Christoph Uhlhaas
Uhlhaas: Tatsächlich läuft gerade wieder eine aktuelle Ausschreibung des Journalistenpreises PUNKT, mit dem wir Multimediaprojekte und Fotoarbeiten prämieren wollen. Bei den Auswahlprozessen der letzten Jahre haben wir aber immer wieder festgestellt, dass wir eine hohe Anzahl, Bandbreite und auch Qualität an Bewerbungen haben. Wissenschafts- und Technikjournalismus ist vielfältig, lebendig und innovativ. Auf der anderen Seite merken wir aber auch, dass ein Preisgeld – wir vergeben jeweils 5.000 Euro – ein Tropfen auf den heißen Stein ist. Der Preis fördert und würdigt journalistische Leistungen ja erst, wenn sie vollbracht sind. Ein Anliegen ist deshalb, Wege und Partner zu finden, um Qualitätsjournalismus über Wissenschaft und Technik substanzieller zu unterstützen.

Sehen Sie das aus journalistischer Sicht ähnlich?

Radü: Gerade für freie Journalist*innen im Multimediabereich schaffen solche Stipendien viele Möglichkeiten. Sie können damit frei und unabhängig an einem Thema arbeiten. Das Mäzenatentum von verschiedenen Stellen kann helfen, guten und unabhängigen Journalismus zu machen. Und das ist entscheidend: Gerade im Wissenschaftsjournalismus kommen wir in Deutschland aus einer langen Tradition des Knall-Peng-Journalismus. Man freute sich, wenn es im Labor mal knallte und rauchte und beschrieb das dann voll Staunen. Das ging dann über in den dolmetschenden Journalismus, der auch beschreibt, was das eigentlich für die Gesellschaft bedeutet. Inzwischen sind aber auch Wissenschaftsjournalist*innen eher in einer autonomen Beobachtungsposition – der einordnende und kritisch Blick von außen.

„Einen standardmäßig investigativen Journalismus, wie es ihn für den Politikbereich schon lange gibt, hat der Wissenschaftsjournalismus aber noch nicht verinnerlicht.“ Jens Radü
Einen standardmäßig investigativen Journalismus, wie es ihn für den Politikbereich schon lange gibt, hat der Wissenschaftsjournalismus aber noch nicht verinnerlicht. Natürlich haben viele Redaktionen – auch wir beim Spiegel – das Ziel, Missstände oder Skandale aufzudecken, auch in Laboren und Instituten. In der Wissenschaft ist das aber sehr viel schwerer zu erreichen. Die Themen sind sehr komplex und es braucht oft viel sehr spezielle Fachkompetenz, um etwa Messdaten kompetent zu beurteilen. Für mich ist darum die Frage spannend, ob man Wissenschaftsjournalist*innen durch Ausbildung, Ausstattung mit Ressourcen oder Kooperationen mit wissenschaftlichen Institutionen in die Lage versetzen kann, investigativen Wissenschaftsjournalismus zu betreiben. Dafür können Stipendienprogramme ein guter Ansatzpunkt sein.

Kann das nicht auch durch die Medienhäuser selbst finanziert werden, wie es im Bereich Politik- oder Wirtschaftsjournalismus bereits passiert?

Mit dem Journalistenpreis PUNKT zeichnet acatech hervorragenden Technikjournalismus aus. In diesem Jahr in den Kategorien Multimedia und Foto. Darüber hinaus hat die Akademie ein Fotostipendium zum Thema „Technik und Nachhaltigkeit“ ausgeschrieben. Grafik: acatech

Radü: Natürlich gibt es viele sehr gut ausgestattete Wissenschaftsredaktion in Deutschland, auch beim Spiegel. Aber ich glaube, das reicht nicht, um das gesamte Wissenschaftsfeld Deutschlands zu bearbeiten. Dafür braucht es ein starkes Netz an Wissenschaftsjournalist*innen, die auch losgelöst von Kanälen und Medien arbeiten. Gerade in der Wissenschaft kann man Themen aus einer einzelnen Perspektive, vielleicht auch aus einem einzelnen Land heraus, gar nicht komplett erfassen. Das ist die Stärke großer Rechercheverbünde: Die großen Enthüllungen der letzten Jahre im Bereich Wirtschaft, aber auch Sport und anderen Themenfeldern, konnten oft nur durch internationale Kooperation erreicht werden.

Das heißt, der Wissenschaftsjournalismus muss sich vor allem besser vernetzen?

Uhlhaas: Zum einen das, aber man kann die Entwicklung auch noch in eine andere Richtung weiterdenken: Zum Beispiel sollte der Qualitätsjournalismus über Wissenschaft und Technik auch auf lokaler und regionaler Ebene gestärkt werden. Lokalmedien sind für viele Menschen wichtig und Orientierung gebend. Gerade beim Thema Corona haben wir immer wieder gesehen, wie wichtig es ist, dass auch dort kompetente Wissenschaftsjournalist*innen einbezogen werden.

„Dafür braucht es wiederum neue Kompetenzen, deren Aufbau Zeit und Geld kostet.“ Christoph Uhlhaas
Durch die Arbeit bei acatech liegt mir aber noch ein weiteres Thema am Herzen: Technologien, allen voran digitale, verändern eben auch die Art und Weise, wie wir miteinander kommunizieren und wie Journalist*innen arbeiten. Sie bringen neue Herausforderungen – neben der Frage nach dem Geschäftsmodell des Journalismus wäre noch das Phänomen der Echokammern zu nenne. Sie bringen aber auch neue Möglichkeiten für den Journalismus. Es gibt ja erfolgreiche Ansätze von Journalist*innen, die Soziale Medien für sich nutzen und neue Zielgruppen erreichen. Die News-WG ist hier ein gutes Beispiel, das wir auch schon mal prämiert haben. Hier reicht es nicht, gut zu recherchieren, sondern auch die Geschichten multimedial umzusetzen und gleichzeitig Communitybuilding zu betreiben, dialogischer zu werden. Ebenso werden neue Recherchemethoden möglich, Datenjournalismus und KI-gestützte Analysen. Dafür braucht es wiederum neue Kompetenzen, deren Aufbau Zeit und Geld kostet. In der #FactoryWisskomm entstehen aktuell auch spannende Ideen, wie Wissenschaft und Journalismus hier zusammenarbeiten können.

Das sind viele Wünsche für die Zukunft des Wissenschaftsjournalismus. Herr Radü, wo sind Sie da von Verlagsseite schon dran?

„Ein Traum wäre darum, dass wir uns in der gesamten deutschen Medienlandschaft von der Idee des Wissenschaftsjournalismus als Orchidee ein für alle Mal lösen.“ Jens Radü
Radü: Gerade im Bereich des Communitybuilding hat sich in letzter Zeit natürlich sehr viel getan, vor allem im Zuge von Corona. Unsere Social-Media-Kanäle haben großen Zulauf erfahren, weil es einen wahnsinnig großen Informationsbedarf und viele Nachfragen gab. Vorneweg natürlich unsere Wissenschaftsberichterstattung. Ein Traum wäre darum, dass wir uns in der gesamten deutschen Medienlandschaft von der Idee des Wissenschaftsjournalismus als Orchidee ein für alle Mal lösen. Ihn einreihen in die tägliche gesamtredaktionelle Arbeit. Genauso kritisch, genauso gut ausgestattet, genauso ernst genommen wie alle anderen Bereiche des Journalismus auch. Da ist in vielen Redaktionen auch schon viel passiert, aber im Regionalen und Lokalen zum Beispiel wenn überhaupt nur in Einzelfällen.

Bei der #FactoryWisskomm hat sich eine der Arbeitsgruppen dem Thema Wissenschaftsjournalismus gewidmet. Was versprechen Sie sich von diesem Prozess?

„Dabei geht es weniger um einzelne Formate, sondern vielmehr um grundlegende Arbeitsansätze und auch Kooperationen zwischen Journalismus und Wissenschaft.“ Christoph Uhlhaas
Uhlhaas: Ich bin selbst in dieser Arbeitsgruppe, die einen großen Pool konkreter Ideen und Ansätzen entwickelt hat, die viele Anknüpfungspunkte für Wissenschaft, Politik, private Förderer und Journalismus anbieten. Und tatsächlich finden erste Ideen schon Unterstützung und werden realisiert: Im Bereich Innovationsförderung im Journalismus und bei den datengestützten Recherchen. Dabei geht es weniger um einzelne Formate, sondern vielmehr um grundlegende Arbeitsansätze und auch Kooperationen zwischen Journalismus und Wissenschaft. Gute Ideen liegen auf dem Tisch, erste sind in der Realisierung und aus der internationalen Konferenzreihe „Science Journalism in the Digital Age“ werden wir noch gute Impulse mitnehmen.

An Bedeutung gewonnen haben während der Diskussion in der #FactoryWisskomm die Themen Kompetenzentwicklung und Nachwuchsförderung. Von der Nutzung KI-gestützter Recherchemethoden über die Entwicklung neuer digitaler Geschäftsmodelle bis hin zu neuen wissenschaftlichen und wissenschaftsjournalistischen Laufbahnen reicht das Spektrum. Es können sich sehr spannende Berufsbilder ergeben – für Journalist*innen aber auch für Postdocs, die in den Journalismus wechseln wollen. Diese Perspektiven sind wichtig, damit sich kein Mangel an guten Wissenschaftsjournalist*innen herausbildet. Und es gibt ja bereits gute Beispiele, die zeigen, dass es möglich ist, eine wissenschaftliche und eine journalistische Karriere zu verbinden, zwischen beiden Welten zu wechseln oder auch ganz eigene Profile an der Grenzfläche zu entwickeln. Da können sich ganz neue, attraktive Stellenprofile entwickeln.