Oluwaseyi Johnson

„Es geht nicht um Wissenschaftsfeindlichkeit. Es geht um Macht“

Muss die Wissenschaft lauter werden? Oder ist weniger manchmal mehr? Wann sollten Wissenschaftler*innen den Mund aufmachen? Erst, wenn ein autoritäres Regime dräut? Annette Leßmöllmann und Frank Marcinkowski diskutieren über Sichtbarkeit, Vertrauen, Wissenschaftsfreiheit und Resilienz. 

In unserem neuen Debatten-Format setzen sich Expert*innen mit Herausforderungen der Wissenschaftskommunikation auseinander. Wie sollten sich Wissenschaftler*innen angesichts aktueller Entwicklungen – in den USA und anderswo – positionieren? Haben sie eine Verantwortung, den Mund aufzumachen – insbesondere in Krisenzeiten? Kann Sichtbarkeit auch zur Gefahr werden und Vertrauen unterminieren? Im ersten Beitrag diskutieren zwei Wissenschaftskommunikations-Forscher*innen. Annette Leßmöllmann bildet zukünftige Wissenschaftskommunikator*innen aus, Frank Marcinkowski hat sich in der Vergangenheit kritisch gegenüber Forderungen nach mehr Sichtbarkeit von Wissenschaftler*innen geäußert. Kommen die beiden auf einen Nenner?

Es heißt, die Wissenschaftskommunikation stärke das Vertrauen in die Wissenschaft und die Fähigkeit, informierte Entscheidungen zu treffen – und auch die Demokratie und ihre Resilienz. Heißt das: Mehr Kommunikation ist immer gut?

Frank Marcinkowski ist Professor für Kommunikations- und Medienwissenschaft am Institut für Sozialwissenschaften der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Seine Forschungsschwerpunkte sind politische Kommunikation, Digitalisierungsforschung und Wissenschaftskommunikation. Er forscht unter anderem im „NewOrder Project“ zur veränderten Rolle der Wissenschaft in der digitalen Gesellschaft und der Erosion der Wissensordnung in Krisen. Foto: Kathieen Brenner

Frank Marcinkowski: Ich habe nie verstanden, warum man der Meinung ist, dass größere Kommunikationsinitiativen Vertrauen in die Wissenschaft generieren können. Vertrauen ist ein Entlastungsmechanismus. Wenn ich vertraue, muss ich nicht selbst wissen, mich nicht selbst kümmern. Wenn ich beispielsweise darauf vertraue, dass Sie schon wissen, was der richtige Weg von von A nach B ist, Sie mir aber ständig sagen: „Guck doch auch mal auf die Karte“, werde ich misstrauisch und denke: „Vielleicht wissen Sie es selber nicht.“ 

Ich glaube, dass zu viel öffentliche Sichtbarkeit einzelner Wissenschaftler*innen misstrauisch macht. Wir sehen, dass Menschen in verschiedenen Ländern keinesfalls grundsätzlich wissenschaftsfeindlich sind. Meistens lehnen sie eine bestimmte Wissenschaft oder bestimmte Wissenschaftler*innen ab. Insofern habe ich mal von „gruppenbezogener Wissenschaftsfeindlichkeit“ gesprochen. Die Gruppe, die besonders misstrauisch beäugt wird, sind die Sichtbaren. Von denen hat man intuitiv das Gefühl, sie seien Teil einer politisch-medialen Elite, die uns ständig sagt, wie es richtig geht. Dieses erhöhte Maß an Einmischung in tagespolitische Themen kann Ablehnung produzieren. 

Denken Sie auch, dass erhöhte Sichtbarkeit „nach hinten losgehen“ kann?

Annette Leßmöllmann ist promovierte Linguistin und hat am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) den Lehrstuhl für Wissenschaftskommunikation mit dem Schwerpunkt Linguistik inne. Sie lehrt in den Bachelor- und Master-Studiengängen „Wissenschaft – Medien – Kommunikation“. Foto: Karlsruher Institut für Technologie

Annette Leßmöllmann*: Die Leute wollen keine privilegierte Elite haben, die ihnen sagt, wo es langgeht. Da gehe ich mit Ihnen konform, Herr Marcinkowski. Aber ich glaube, das Problem liegt tiefer. Es liegt nicht in der Sichtbarkeit, sondern im Angriff eines lange als sicher geglaubten epistemischen Privilegs. Wir haben als Wissenschaftler*innen Zugang zu bestimmten Prozessen der Wissensproduktion und -bewertung, die uns epistemische Autorität verleihen. Das wird angegriffen.

Herr Marcinkowski bezieht sich auf die wenigen stark sichtbaren Figuren. Dabei würde ich die Frage stellen: Geht es tatsächlich um die Sichtbarkeit oder die Art, wie öffentlich Stellung genommen wird? Ich denke, dabei spielt auch eine Rolle, welche Ängste, Identitätsprobleme und Werte das Publikum umtreiben. Auch das spezifische Setting spielt eine Rolle – beispielsweise die Coronapandemie. Da muss man genau hingucken. 

Was sagt die Forschung zu der Frage, wie sich Sichtbarkeit auf das Vertrauen auswirkt? 

Marcinkowski: Ich habe zunächst einmal ein theoretisches Argument gemacht, empirische Forschung hierzu ist mir dazu nicht bekannt. Was wir aber wissen, ist, dass das Ausmaß der Wissenschaftskommunikation in den letzten Jahrzehnten ständig gewachsen ist. Wenn Sie dieser Entwicklung Daten über die Veränderung des Vertrauens in die Wissenschaft gegenüberstellen, sehen Sie vielleicht übereinstimmende oder gegenläufige Tendenzen. 

Das Problem mit Umfragedaten zum Vertrauen in die Wissenschaft ist allerdings die Messung. Da fragt man Leute: „Wieviel Vertrauen haben Sie?“ und weiß überhaupt nicht, was sie genau darunter verstehen. Strenggenommen wissen wir trotz der vielen Forschung relativ wenig. Man müsste weiter differenzieren: Welche Institutionen und welche Forschungsgebiete sind gemeint? Stattdessen haben wir Rankings, bei denen man sich fragt, was die aussagen sollen.  

Leßmöllmann: Der Vertrauensbegriff ist vieldeutig und wird in verschiedenen Studien anders gefasst. Das heißt, wir haben da tatsächlich eine Wissenslücke. Da stimme ich Ihnen absolut zu. 

Man kann aber viel über Fallbeispiele zu Diskursen, die das Land in Atem gehalten haben, ablesen. Sei es die Pandemie oder auch die Feinstaubdebatte von 2019, die wir im Projekt DiPubHealth untersucht haben. Darin sieht man, wie sich Argumente, die mit dem Thema gar nichts zu tun haben, im Diskurs wirken. Nämlich die Auffassung: „Ich lasse mir doch nichts vorschreiben!“ Wissenschaftler*innen werden als „Elite“ kategorisiert und ein wissenschaftlicher Konsens wird zu einem Dissens umgedeutet. Solche diskursstrategischen Phänomene zeigen: Im Wissensstreit in der Gesellschaft geht es oft nicht um Wissenschaft. Es geht nicht um Wissenschaftsfeindlichkeit. Es geht um Macht. 

Was bedeutet das für die Wissenschaftskommunikation? 

Leßmöllmann: Man muss über die Themen reden, um die es eigentlich geht. Viele Wissenschaftler*innen haben die kommunikative Kompetenz, sich zu grundsätzlichen Fragen einzubringen. Nicht, indem sie ihre Wissenschaft erzählen, sondern, indem sie mit Leuten klug ins Gespräch kommen und fragen: „Worum geht’s euch eigentlich? Warum regt ihr euch über dieses Thema auf? Ich will es einfach verstehen.“ Ich glaube, dieser kommunikative Akt des Zuhörens durch „die Elite“ kann Wirkung zeigen. 

Wissenschaftler*innen verfügen über eine umfassende Ausbildung, die sie dazu befähigt, sich aktiv in die Gesellschaft einzubringen und sich für Themen wie Wissenschaftsfreiheit einzusetzen.

Marcinkowski: Um direkt darauf zu reagieren: Ich habe nicht vor, Wissenschaftler*innen den Mund zu verbieten. Ich stimme Ihnen völlig zu: In den allermeisten Fällen geht es gar nicht um Wissenschaft und ihre Bedeutung in der Gesellschaft, sondern um eine in Stress geratene Gesellschaft, die angesichts von multiplen Krisen immer nervöser, ängstlicher und aggressiver wird. 

Es geht um tiefer liegende Probleme, die sich mit dem, was wir im Allgemeinen unter Wissenschaftskommunikation verstehen, nicht lösen lassen. Die Glücklichen, die über kommunikative Kompetenz verfügen, sollen diese anbringen. Aber vor allem sollten wir unsere analytische Kompetenz einbringen und deutlich machen, worum es eigentlich geht, wenn eine Vertrauenskrise der Wissenschaft suggeriert wird. 

Leßmöllmann: Wenn Sie von Analysekompetenz sprechen, bin ich absolut auf Ihrer Seite. Aber wie wird diese sichtbar? Durch Kommunikation. 

Marcinkowski: Es geht darum, durch Forschung das Problem verstehen und Problemanalysen zur Verfügung stellen.

Dabei stellt sich dann die Frage, wie diese in die Gesellschaft oder in die Politik gelangen? 

Marcinkowski: Ich bilde Student*innen aus. Das ist ein Aspekt, der in der Diskussion um Wissenschaftskommunikation immer wieder übersehen wird. Sie wissen, wie groß der Anteil der nachwachsenden Generationen ist, der Universitäten besucht. Dort werden sie mit den Problembeschreibungen konfrontiert, die wir zu bieten haben. Sie verlassen die Universität nach wenigen Jahren wieder und bevölkern das, was wir Gesellschaft nennen. Das ist, vereinfacht gesagt, mein wichtigster Beitrag zur Wissenschaftskommunikation: meine Lehre.

Sie haben multiple Krisen und eine in Stress geratene Gesellschaft angesprochen. Angesichts globaler Herausforderungen wie dem Klimawandel: Haben Wissenschaftler*innen nicht auch eine Verantwortung, zu kommunizieren?

Marcinkowski: Ich versuche meine Rollen zu trennen. Natürlich bin ich als Bürger dieses Landes, als Steuerzahler, als politischer Mensch und als Wähler geneigt, bestimmte Zustände, die ich für problematisch halte, zu verbessern. Als Wissenschaftler fühle ich diese Verpflichtung nicht. Als Wissenschaftler ist es meine Verpflichtung, wahre von falschen Aussagen zu unterscheiden und dieses Wissen zur Verfügung zu stellen. Aber dessen Nutzung kann ich nicht erzwingen. Es ist eine sehr schlichte Vorstellung, dass sich an politischen oder anderen Entscheidungsprozessen irgendetwas verändert, nur weil Wissenschaftler*innen das fordern.

Leßmöllmann: Es wird haarig, wenn man die Grenzen zwischen Wissenschaft und Politik überschreitet – ich sehe die Punkte von Herrn Marcinkowski absolut. Man hat definitiv ein einfacheres Leben, wenn man in seinen Systemen bleibt. Aber damit macht man es sich zu leicht. Einige Klimawissenschaftler*innen erheben Daten, die dabei helfen zu verstehen, wie ihre Kinder leben werden. In diesem Moment kann man das Elterndasein nicht mehr vom Wissenschaftler trennen. 

In vielen polarisierten, mit Ängsten besetzten Bereichen, in denen es um Werte und wirtschaftlichen Interessen geht, ist es allerdings schwer, mit wissenschaftlichen Ergebnissen direkt politische Veränderungen zu bewirken. Trotzdem wäre es falsch zu sagen: Ich gebe keine Interviews mehr und spreche nicht mehr mit Politiker*innen. 

Marcinkowski: Ich argumentiere nur dagegen, dass alle darauf verpflichtet werden sollen, Kommunikation zu betreiben. Denn ich bin sicher, dass das nach hinten losgehen würde, wenn wir das alle täten. Sicherlich mache ich es mir dabei einfach. Ich sage nicht, dass es mir immer gelingt, die Systeme zu trennen, aber das ist meine Leitidee. 

Ich habe es einfacher als andere, weil die Wissenschaftsdisziplin, in der ich unterwegs bin, so herrlich folgenlos ist. Es sterben keine Menschen, wenn ich einen Fehler in meiner Statistik mache. 

In den USA erleben wir, wie die Wissenschaft vonseiten der Regierung heftig angegriffen wird. Wie sollte man kommunikativ darauf reagieren? 

Leßmöllmann: Die Frage ist: Wie macht man deutlich, dass die Wissenschaft für die Gesellschaft und für die Politik relevant ist? Sonst ist sie irgendwann nicht mehr da. Für Trump und sein Machtsystem ist es egal, ob es Harvard gibt oder nicht. 

Man kann beispielsweise darüber reden, warum man selbst einen privilegierten Zugang zu Wissen hat und warum das für die Gesellschaft nützlich ist. Man kann auch als Radar fungieren, der „wahr“ von „falsch“ unterscheidet und zeigt, warum das gute Kategorien sind. 

In den USA ist das inzwischen nicht mehr selbstverständlich. Das geht zu Lasten derjenigen, die weniger Zugang zu Privilegien, zu Sozialkapital, zu Bildungskapital haben. 

Ein erster Schritt dort war, Daten zu sichern, damit Menschen, die darauf angewiesen sind, weiter an wissenschaftliche Information kommen – beispielsweise zum Impfen oder zu Tornados. Das ist in den USA jetzt schon ein subversiver kommunikativer Akt. Der zeigt, dass Wissenschaftskommunikation Wirkung haben kann.

Marcinkowski: Es ist wirklich schwierig, eine Lösung anzubieten. Die Verwissenschaftlichung von Politik und Gesellschaft führt zur Politisierung von Wissenschaft. Das sind reziproke Prozesse. Auch dafür sind die USA im Moment ein gutes Beispiel. Ich glaube, dass die gegenwärtige Administration in den USA versucht, die Grenzen exekutiver Macht auszuloten und dabei feststellt, wie enorm weit diese sind. 

Ich weiß nicht, was man tun muss, um solche Prozesse zu stoppen, wenn der Präsident sagt: Wissenschaft brauchen wir nicht, wir entziehen ihr die Mittel und machen sie kaputt. Jedenfalls glaube ich, dass da mit Kommunikation wenig zu machen ist. 

Es braucht andere Formen der Aktion: zivilen Widerstand, meinetwegen auch gewaltsam Widerstand. Wir reden über eine Extremsituation, jedenfalls im Rahmen einer Demokratie. Für die deutsche Gesellschaft könnte ich mir nicht vorstellen, dass eine Regierung Teile der Wissenschaft für unwichtig erklärt und ihr die Ressourcen entzieht, ohne dass die Gesellschaft sich wehrt. Ich halte unsere Gesellschaft für so aufgeklärt. Vielleicht ist das eine verwegene Hoffnung? Aber ich halte an ihr fest. 

Was können wir in Sachen Resilienz vom Beispiel der USA lernen? 

Leßmöllmann: Ich denke, dass beim Thema Resilienz die Medienlandschaft eine wesentliche Rolle spielt. In den USA haben wir in den letzten 15 bis 20 Jahren eine Totalabwicklung von Lokalblättern, Zeitungen und Zeitschriften erlebt. Trump hat seine eigenen Plattformen, Fox News spielt ihm in die Karten, vieles kriegen die Menschen überhaupt nicht mehr mit. Sie haben das Wissen schlicht und einfach nicht. 

Solange es hier noch die Badischen Neuesten Nachrichten und den Mannheimer Morgen gibt, die auch über Universitäten berichten, wird deutlich: Hochschulen sind auch Arbeitgeber*innen und Ausbildungsstätten. Die können nicht so einfach aus einem Gesellschaftssystem rausgenommen werden. 

Marcinkowski: Ich bin völlig der Meinung von Frau Leßmöllmann, dass gerade die regionalen und lokalen Zeitungen bei der Promotion der jeweils ansässigen Hochschuleinrichtungen eine ganz wichtige Rolle haben. 

Wenn 50 Prozent der jungen Generation eine Universität durchlaufen haben, wissen sie, dass einer Gesellschaft etwas fehlt, aus der man ein solches System herausamputieren würde. Und sie wissen auch, dass etwas fehlt, wenn man bestimmte Fächer oder Studiengänge abschaffen würde, und würden sich hoffentlich dagegen wehren. Ich denke, dass die Primärerfahrung der stärkere Antrieb ist als Wissenschaftskommunikation. Aber das eine schließt das andere nicht aus. 

*Transparenzhinweis: Das KIT ist einer der drei Träger von Wissenschaftskommunikation.de, Annette Leßmöllmann ist eine der Gründer*innen der Plattform.