Foto: Stefan Schwabe

„Wir wollten, dass das Unheimliche die Neugierde weckt“

Das partizipative Projekt „Farming the Uncanny Valley“ irritierte gezielt seine Teilnehmenden, um einen Diskurs über bioökonomische Fragen zu starten. Ein Gespräch mit dem Projektleiter Stefan Schwabe über die Macht von Emotionen, Gemüse vom Friedhof und verdutzte Besucher*innen.

Stefan Schwabe ist diplomierter Designer und leitete das interdisziplinäre Forschungsprojekt „Farming the Uncanny Valley“ an der Universität der Künste Berlin und sammelt aktuell im Projekt „Wünsche an Morgen“ Ideen für die Zukunft im ländlichen Raum. Im Kollektiv Matter and Meta entwickelt er gemeinsam mit Jannis Hülsen Formate, Werkzeuge sowie Erfahrungsräume für Partizipation, Transformationsprozesse und Wissenschaftskommunikation.

Herr Schwabe, was bedeutet „Farming the Uncanny Valley”?

Der Begriff nimmt Bezug auf das „Uncanny Valley“, das von dem Japaner Masahiro Mori 1970 in einem Paper beschrieben wurde. Mori vermutete, dass die Akzeptanz für Roboter oder Maschinen steigt, je menschenähnlicher sie sind. Diese Akzeptanz fällt laut seiner Theorie aber rapide ab, sobald diese Roboter oder Maschinen kurz vorm Menschsein stünden. Dieses Tal der fallenden Akzeptanz bezeichnete er als „Uncanny Valley“, wo Gefühle wie Grusel oder Unbehagen verortet sind.

Wie übertrugen Sie dieses Konzept auf Ihr Projekt?

Wir hatten uns gefragt: Was bedeutet diese Studie für den Kontext der Bioökonomie oder auch der Biotechnologie? In der Biotechnologie wird alles Natürliche verändert und fällt vielleicht auch erst mal in dieses Tal hinein. Dinge, die wir kennen, können durch Technologien anders werden, und könnten uns irritieren und ein Unbehagen oder mulmiges Bauchgefühl hervorrufen. Fangen wir diese Kurve mit diesen neuen Technologien vielleicht sogar von hinten an, weil die Akzeptanz gleich zu Anfang sehr niedrig ist? Mit diesem Gedanken kam die Idee des „Farming“, also dem Kultivieren oder der Urbarmachung. Wie kann man sich das Unheimliche zu Nutze machen, um aus diesem Tal wieder herauskommen? Und dies möglichst mit einer Offenheit der neuen Technologie gegenüber?

Das Projekt startete mit neun Workshops zu den Bioökonomie-Themen Boden, Luft, Kulturpflanzen und Insekten. Die Ergebnisse dieser Workshops wurden anschließend in der Wanderausstellung „MACHT NATUR“ gezeigt. Wie liefen die Workshops genau ab?

Wir haben für die Workshops ein Prozessmodell erarbeitet. Darin gibt es am Anfang immer ein Irritationsmoment, danach Wissensvermittlung in Form von Rundgängen und Vorträgen und zum Schluss praktische Elemente, in denen die Teilnehmenden Dinge ausprobieren konnten. Nach den anderthalb Tagen Workshop haben wir die Teilnehmenden gebeten, eine Geschichte zu schreiben, um ihre wünschenswerte Zukunft mit der jeweiligen Technologie oder diesem Themenbereich zu imaginieren. Das Interessante war die Diskussion der Geschichten. Sie waren ein großer Moment der Offenheit und der Augenöffnung. Im Workshop zum Thema Pflanzen hat zum Beispiel eine Person gesagt: „Ich fühle mich als Konsument immer ganz schlecht, wenn ich nicht Bio kaufe, aber ich weiß oft gar nicht, ist das überhaupt Bio? Das ist alles so kompliziert.“ Allein, dass sie aussprechen durfte, dass alles so kompliziert für sie ist und sie es inzwischen als gesellschaftlichen Druck empfindet, war für die Person sehr wertvoll.

In diesem Irritationsmoment am Anfang der Workshops und auch in der späteren Ausstellung, haben Sie die Teilnehmenden gezielt mit unheimlichen Situationen konfrontiert. Etwa mit Gemüse, das auf einem Friedhof angebaut wurde, oder einer Schublade voll mit Mehlwürmern zum Anfassen. Was erhofften Sie sich von diesem Moment des Unbehagens?

„Das Unheimliche ist unserer Meinung nach eine Art Weggabelung: Die Menschen stehen kurz davor, entweder vor der Angst wegzulaufen oder aufgrund der Neugierde hinzugehen." Stefan Schwabe

Das Unheimliche ist unserer Meinung nach eine Art Weggabelung: Die Menschen stehen kurz davor, entweder vor der Angst wegzulaufen oder aufgrund der Neugierde hinzugehen. Und das ist für mich der spannende Moment. Deswegen haben wir diesen Gruselfaktor versucht gering zu halten, weil der natürlich ein Weglaufen impliziert. Wir wollten, dass das Unheimliche die Neugierde weckt. Das hat für unterschiedliche Teilnehmende unterschiedlich gut funktioniert.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Bei der „MACHT NATUR“-Ausstellung in Schmalkalden betreute ich eine Gruppe, die alle Erzieherinnen in einem Wald-Kindergarten waren. Es gab ein Exponat zu dem Thema Boden, wo wir einen Grabhügel aus Friedhofserde zeigten und ein Regal mit Hydrokulturen. Speziell bei diesem Regal fiel ihnen schwer zu sehen, dass es Hydrokultur schon gibt, dass Pflanzen keine Erde brauchen und dass die Pflanzen vielleicht sogar gentechnisch verändert sein könnten.

Wie hat sich die Reaktion geäußert?

Sie waren zuerst ganz still und sprachlos. Dann haben sie gesagt, dass sie das schrecklich und eklig finden. Ich habe dann nachgefragt: Was passiert in Ihnen, wenn sie das sehen? Was denken Sie dazu? Indem was sie gesagt haben, ist für mich deutlich geworden, dass sie sehr mit ihrem Bild von Natur, was sie in ihrer Lebenswelt versuchen aufrecht zu erhalten, konfrontiert wurden. Wir haben ihnen etwas vor Augen führt, was schon Realität ist, von dem sie aber bisher dachten, sie könnten das von sich und von Kindern fernhalten, indem sie eine andere Lebensweise führen.

Wie haben Sie in diesem Moment auf das Unbehagen reagiert?

Wichtig ist, dass an der Stelle auch zuzulassen und sehr ernst zu nehmen. Ich will sie nicht von etwas anderem überzeugen. Aber ich denke, es ist wichtig, diese Menschen mitzunehmen und ihnen das zu zeigen, auch wenn es ein Unbehagen mit sich bringt. Damit sie diese Realität nicht über sich hereinbrechen sehen und dann völlig dicht machen oder damit nicht umgehen können. Damit sie sich selbst eine eigene Offenheit im Umgang erarbeiten können und ein Stück Selbstwirksamkeit dadurch gewinnen. Es gab in der Ausstellung auch andere Perspektiven zur Bodennutzung abseits der Hydrokultur, aber diese Perspektiven haben diese Besucherinnen gar nicht mehr wahrnehmen können, weil sie schon so schockiert waren.

Aber ist es nicht problematisch, wenn Menschen andere Perspektiven durch diesen „Schock“ nicht mehr wahrnehmen können?

„Eine Emotionalisierung in der Wissenschaftskommunikation kann immer bewirken, dass jemand zunächst in eine Richtung gelenkt wird" Stefan Schwabe
 Eine Emotionalisierung in der Wissenschaftskommunikation kann immer bewirken, dass jemand zunächst in eine Richtung gelenkt wird oder dicht macht und für den Rest nicht mehr richtig aufnahmebereit ist. Deshalb sind Pausen für den Kopf und für die Wahrnehmung wichtig. Ebenso wichtig sind Momente der Öffnung, in denen man über diese Reaktionen und Gefühle sprechen kann, um ein neues Thema oder ein gegensätzliches Thema aufnehmen zu können. Wir haben versucht, das während der Ausstellung in Gesprächen aufzufangen. Das ist am Ende auch immer eine Frage der Moderation des Gastgebenden. Diese*r muss Menschen die Möglichkeit geben sich auszuruhen, anzukommen und den Ort auch wieder positiv zu verlassen.

Was war Ihnen bei der Vorbereitung des Projektes wichtig?

Wir mussten aufpassen, dass „Farming the Uncanny Valley“ nicht als Marketingprojekt wahrgenommen wird. Wir wollten vermeiden, dass in der Wahrnehmung der Teilnehmenden oder auch in der Außenwahrnehmung gesagt wird: „Die wollen Bioökonomie schick verkaufen, um Leute davon zu überzeugen, sie toll zu finden.“

In den Auswertungen wird gesagt, dass unterschätzt wurde, wie schwierig es ist, Leute für Projekte wie dieses zu gewinnen. Warum?

Die Teilnehmendenakquise hatten wir völlig unterschätzt. Wir haben vor Ort mit vielen Menschen gesprochen und versucht sie einzuladen, beim Workshop mitzumachen. Oft mussten wir erst mal erklären, warum es überhaupt diese Workshops gibt. Wer ist das BMBF? Was ist Partizipation? Da kam oft die Frage: „Und so ein Bundesministerium interessiert sich für die Meinung der Menschen?“ Das ist vor allem im ländlichen Raum völlig unbekannt. Wenn wir geschafft hatten zu erklären, dass diese Formate versuchen, ein offenes Ohr an die Menschen zu bringen, war die Offenheit größer mitzumachen.

Sie wollten möglichst diverse Teilnehmer*innen für die Workshops gewinnen. Dennoch hat sich herauskristallisiert, dass die Teilnehmenden von Grund auf der Bioökonomie eher positiv gegenüber gestimmt waren. Wie können Leute mit einer kritischeren Einstellung für solche Formate motiviert werden?

Wie wir diesen großen anderen Teil der Gesellschaft erreichen, bleibt, glaube ich, ein heiliger Gral. Wir versuchen uns für zukünftige Projekte an Veranstaltungen mit möglichst diversen Menschen unter das Volk zu mischen. Dadurch wollen wir mehr lokale Partner einbeziehen, die in ihren Netzwerken Menschen haben, die andere Einstellungen vertreten, weniger offen sind oder die weniger oft an solchen Formaten teilnehmen. Wir haben festgestellt, dass der Vertrauensvorschuss und das Netzwerk von lokalen Partnern wie Vereinen, Kirchen, Stadtverwaltung, Dorfclubs, was auch immer es so gibt, sehr viel hilft. Deswegen liegt eine Zusammenarbeit mit diesen Akteur*innen sehr nahe. Ich habe hier in Süd-Thüringen mit einigen Menschen aus der Stadtverwaltung gesprochen, die meinten, dass es auch die offenen Menschen braucht, die diese Offenheit in ihre Familien und Freundeskreisen weitertragen.

Farming the Uncanny Valley

ist ein interdisziplinäres Projekt der Universität der Künste in Berlin, dem Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik , der STATE Experience Science GmbH sowie der YOUSE GmbH. Ziel des Projektes war, den Diskurs zwischen Bürger*innen und Forschenden über das Thema Bioökonomie zu fördern. In insgesamt neun Workshops befassten sich die Teilnehmenden intensiv mit Themen aus verschiedenen Bereichen der Bioökonomie, wie Nutzpflanzen oder Bodennutzung. Die Wirkung der Workshops auf die Teilnehmenden wurde mit sozialwissenschaftlichen und psychologischen Methoden ausgewertet und in einer Publikation veröffentlicht. Sie bietet Akteur*innen aus der Bioökonomie wie Forschungsinstituten Handlungsempfehlungen für die Umsetzung von partizipativen Projekten. Die Ergebnisse der Workshops wurden zudem in der Wanderausstellung „MACHT NATUR“ der Öffentlichkeit präsentiert. Das gesamte Projekt wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)* gefördert.

* Das BMBF ist Förderer des Portals Wissenschaftskommunikation.de