Informatikprofessorin Katharina Zweig und der Schriftsteller Marc Elsberg im Gespräch zu Algorithmen. Foto: Mück, Klaus Tschira Stiftung

Wenn Wissenschaft auf andere Welten trifft

Mit „Treffen sich Welten“ hat die Klaus Tschira Stiftung im Herbst 2020 eine eigene Podcast-Reihe gestartet. Das Konzept dahinter: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler treten mit Prominenten aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Sport in einen Dialog. Ist das Wissenschaftskommunikation?

So locker wie Antje Boetius und Norbert Lammert im Vorgespräch plaudern, könnte man denken, die beiden kennen sich schon länger. Dabei haben sie sich gerade das erste Mal getroffen. Das höfliche „Sie“ schafft noch Distanz, aber ansonsten haben sich die Tiefseeforscherin und der ehemalige Bundestagspräsident bereits warmgelaufen. Es ist Corona-Spätsommer, auf Abstand sitzen die beiden Gesprächspartner in Räumen der Klaus Tschira Stiftung in Berlin. Zusammen mit dem freien Journalisten und Moderator Richard Fuchs werden sie sich gleich rund zwei Stunden die Köpfe heiß reden. Freundlich, aber ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen: „Haben Sie überhaupt schon mal demonstriert, Herr Lammert, auf der Straße, so mit Schild und Gesang?“ – „Das können Sie sich gar nicht vorstellen, oder?“

Anlass für das Gespräch ist die Aufnahme für den Podcast „Treffen sich Welten“, den die Klaus Tschira Stiftung (KTS) 2020 im Rahmen ihres 25-jährigen Jubiläums gestartet hat. Unser Ziel bestand darin, die Welt der Wissenschaft mit anderen Welten zu konfrontieren und sie so aus einem anderen Blickwinkel wahrzunehmen. Zugleich sollten bei aller Unterschiedlichkeit der Welten aber auch die Verknüpfungen erkennbar werden.

Für jede der bis dato fünf etwa einstündigen Folgen der Podcast-Reihe suchten wir je zwei Protagonistinnen und Protagonisten, die ein Oberthema verbindet. Über die Themen Mut, Wahrheit, Sprachgewalt, Klima und digitale Transformation gewähren die Gesprächspartner Einblicke in ihre Welt. Diese verbindende Klammer bringt oft Überraschendes zutage. Bisweilen sind sich die Diskutantinnen und Diskutanten an unerwarteten Punkten einig, dann haben sie wieder ein komplett entgegengesetztes Verständnis eines Aspekts. Das Spannungsfeld macht einen großen Reiz der Podcasts aus.

Der aktuelle Podcast-Boom zeigt, dass mit diesem Format sehr viele Menschen erreicht werden können. Ziel und Markenzeichen der KTS ist es wiederum, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler miteinander ins Gespräch zu bringen und sie zu vernetzen mit anderen Mitgliedern unserer Gesellschaft – und das lässt sich mit diesem Podcast ideal realisieren. Die Gespräche vermitteln Einblicke in das berufliche und private Leben der Forschenden und transportieren Emotionen. Dieses Sichtbarmachen der Menschen hinter der Wissenschaft kann Vertrauen in die Wissenschaft ganz allgemein schaffen. Wissenschaft verstehen wir dabei als zentralen Bestandteil unserer Kultur, den wir mit anderen relevanten Bereichen – oder, mit Luhmann, Systemen – in Beziehung setzen möchten: Sport, Journalismus, Literatur, Politik, Religion… In diesem Sinn stellt der Podcast „Treffen sich Welten“ auch eine Form von Wissenschaftskommunikation dar.

In dem Gespräch zwischen Antje Boetius und Norbert Lammert geht es um das Klima, wobei damit nicht nur die Erwärmung der Erdatmosphäre gemeint ist, sondern auch das Klima unseres Miteinanders in Politik und Gesellschaft. Wenig überraschend, dass die Wissenschaftlerin und der Politiker klar unterscheidbare Perspektiven einbringen. „Ein Wissenschaftler hat keinen Auftrag, Hoffnung zu machen, sondern die Wahrheit zu sagen und die Fakten zu erklären“, betont Boetius. Während Wissenschaft also Wahrheitsfindung betreibt, geht es Lammert zufolge in der Politik um „Entscheidungsfindung unter Berücksichtigung von Interessen. Und das ist, ob leider oder Gott sei Dank, jedenfalls ein ganz anderer Prozess.“ Aber für diese politische Entscheidungsfindung fungiert die Wissenschaft als wichtige Impulsgeberin, was wir nicht zuletzt in der Corona-Pandemie wahrnehmen können. So zeigt der frühere Bundestagspräsident auf, wie schwierig Demokratie sein kann, welcher Kompromisse es bedarf, weil eben (fast) alles verhandelbar ist und keine Themen „vor die Klammer gezogen werden“ können.

Das Faszinierende an „Treffen sich Welten“ ist, dass sich die beiden Protagonisten in jeder Folge in einen echten Dialog begeben und nicht nur die Fragen des Moderators beantworten. Dabei treten oft viele Gemeinsamkeiten in den vermeintlich weit auseinanderliegenden Welten sowie Verständnis für die jeweils andere Sichtweise zutage. Beim Gespräch zwischen dem Chemie-Nobelpreisträger Stefan Hell und dem Skisprungweltmeister Sven Hannawald zeigt sich beispielsweise, dass es den Mut zur Entscheidung braucht, um Revolutionen anzustoßen, um etwas ganz Neues auszuprobieren – sei es im Sport, sei es in der Wissenschaft. Aspekte von Wettbewerb, Konkurrenz, Ehrgeiz oder Missgunst sind ähnlich, bei Hell in der Revolutionierung der Lichtmikroskopie, bei Hannawald in der Sprungtechnik und Körperbeherrschung. Dabei kommen einem unerwartete Eigenschaften zugute, wie Stefan Hell anmerkt: „Manchmal nützt in der Wissenschaft auch Ignoranz. Wenn ich vorher gewusst hätte, welche Probleme alle auf mich zukommen, hätte ich vielleicht nicht den Mut gehabt.“

In einer anderen Folge geht es um Wahrheit, genauer gesagt um die vielen Abstufungen dieses Begriffs. Im Gespräch zwischen der Theologin Margot Käßmann und dem Echtheitsforscher Ernst Pernicka, der auf Glaube und Religion kritisch distanziert blickt, werden die Unterschiede und manchmal sogar Unvereinbarkeiten der Welten manifest. Theologin Margot Käßmann schätzt ihren Glauben dafür, dass der ihr auf der Suche nach Wahrheit Halt und Zuversicht gibt. Auch wenn für sie der „Zweifel zum Glauben unbedingt dazu gehört.“ Chemiker Ernst Pernicka zieht naturwissenschaftliche Methoden heran, um etwa bei archäologischen Funden oder Kunstgegenständen präzise zwischen echt und gefälscht unterscheiden zu können.

Für verständliche Kommunikation von Wissenschaft steht die Chemikerin und YouTuberin Mai Thi Nguyen-Kim. In der Folge mit ihr dreht sich alles um die Sprache. „Sprache ist die einfachste und zugleich schwierigste Art der Kommunikation“, so Nguyen-Kim. Mit der Sprachwissenschaftlerin Nina Janich, Sprecherin der Jury des „Unwort des Jahres“, diskutiert sie über die Weltbilder, die sich hinter unseren Worten verbergen. Und sie sprechen darüber, warum wir mit dem hohen Gut der Aufmerksamkeit sorgsam umgehen sollten.

In dem Weltentreff zwischen der Informatikprofessorin Katharina Zweig und dem Schriftsteller Marc Elsberg, Bestseller-Autor verschiedener Science-Thriller, wird die Frage verhandelt, warum jeder Einzelne fähig sein sollte, Algorithmen besser zu verstehen. Welche Chancen, aber auch welche Risiken damit verbunden sind, wenn zunehmend Algorithmen und Künstliche Intelligenz(en) Alltagsentscheidungen für uns treffen, ist genauso ein Thema, wie die Frage, was es mit unserer Gesellschaft macht, wenn nur eine kleine Gruppe wirklich versteht, wie Algorithmen funktionieren.

Unser – zugegeben subjektives – Fazit in der Klaus Tschira Stiftung fällt bislang eindeutig aus: Das Konzept von „Treffen sich Welten“ hat sich bewährt. Gemeinsam mit dem Moderator Richard Fuchs sind fünf spannende Gespräche entstanden, die Einblicke in unbekannte Welten erlauben und Wissenschaft eine Stimme geben. Neue Folgen sind bereits in Planung.


Projektsteckbrief 

Konzept: Klaus Tschira Stiftung gGmbH

Beratung: Richard Fuchs, freier Wissenschaftsjournalist, Radiomacher und Moderator der Podcast-Folgen. Seine Features und Berichte erscheinen bei Deutschlandfunk Kultur, SWR und weiteren öffentlich-rechtlichen Sendern. Als Dozent ist er auch am Nationalen Institut für Wissenschaftskommunikation (NaWik) tätig.

Träger/Budget/Finanzierung: Klaus Tschira Stiftung gGmbH. Honorare für Redakteur/Moderator, Tontechniker, Grafik- und Sound-Design, sowie Aufwendungen für das Hosting auf den Podcast-Plattformen, Reisekosten und Marketing sind angefallen.

Ziele: „Treffen sich Welten“ ist ein Ort der Begegnung – von vermeintlich unterschiedlichen (Lebens-)Welten. Die Klaus Tschira Stiftung möchte mit ihrem Podcast Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit Prominenten aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Sport zusammenbringen. Die Welt der Wissenschaft soll so aus einem anderen Blickwinkel wahrgenommen werden und damit Vertrauen in die Wissenschaft geschaffen werden.

Zielgruppen: Wissenschaftsinteressierte Menschen/Podcast-affine Öffentlichkeit, deutschsprachiger Raum

Zahlen zur Zielerreichung: Seit dem Launch der ersten Podcast-Folge Ende September 2020 haben bis zum Jahresende rund 15000 Hörerinnen und Hörer die fünf Folgen heruntergeladen oder gestreamt. Angestrebt worden war eine Zahl von 10000 für diesen Zeitraum.

Weitere Informationenwww.treffensichwelten.de

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