Foto: F. Huber / WiD

Unterhausdebatten und Planspiele – Meinungen erwünscht

Im Projekt „Genomchirurgie im Diskurs mit der Öffentlichkeit“ diskutieren Forschende in zwei Formaten mit dem Publikum über CRISPR-Cas und Co. Aber wie gut eignen sich Unterhausdebatten und Planspiele, um Kontroversen zu beleuchten? Ein Einblick in das Projekt und die Evaluation.

Bei manchen ethischen Fragen sind wir uns schnell einig: Ist uns Gesundheit wichtig? Ja, sehr. Bei anderen ist es schwieriger: Inwiefern wäre es vertretbar, Gene zu verändern, um Krankheiten zu heilen oder zu vermeiden? Bei dieser Frage können wir uns vielleicht nicht sofort einigen, doch viele sind sich vermutlich einig darüber, dass wir sie in der Gesellschaft diskutieren sollten. Eine solche Debatte wollten wir mit dem Projekt „Genomchirurgie im Diskurs“ von Wissenschaft im Dialog und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina anstoßen.

Zwei Ziele waren im Teilprojekt von Wissenschaft im Dialog wichtig: Zum einen sollten sich die Teilnehmenden informieren können und zum anderen sollten sie angeregt werden, sich eine Meinung zu bilden und sie zu äußern. Daher wählten wir Veranstaltungsformate aus, die nach einer kurzen inhaltlichen Einführung möglichst viel Raum für Debatte bieten. Und sie sollten zum Feierabend passen: Also zeitlich überschaubar und spannend genug sein, um im besten Fall auch Interessierte aus dem Biergarten in den Veranstaltungsraum zu locken. Weniger wichtig war, dass am Ende eine konkrete Entscheidung getroffen wird, da die Ergebnisse nicht in die Politik oder Forschung einfließen sollten. Mit diesen Vorgaben entschieden wir uns für zwei Formate: Unterhausdebatte und Planspiel.


Steckbrief Unterhausdebatte

Die Teilnehmenden erklären bei der Diskussion, wieso sie die Fragestellung bejahen oder verneinen. Foto: F. Huber / WiD

Das Format

Das Besondere am Format Unterhausdebatte sind die Meinungsbilder, die durch einen Platzwechsel sichtbar werden. Wie im britischen Unterhaus zeigt das Publikum mit der Wahl des Sitzplatzes, ob es die jeweilige Frage bejaht oder verneint.

Der Ablauf

Das Programm startet mit zwei kurzen Impulsreden. Hierfür laden wir Forschende aus verschiedenen Fächern ein: jemanden aus der Biologie oder Biomedizin und jemanden aus der Ethik oder Rechtswissenschaft. Anschließend setzen auch sie sich ins Publikum und diskutieren gemeinsam mit allen. Die Moderation startet mit einer konkreten Frage, die mit Ja oder Nein beantwortet werden kann. Dann bekunden die Teilnehmenden ihre Position, indem sie sich auf die Ja- oder Nein-Seite der Stuhlreihen setzen. Die Moderation geht daraufhin aktiv auf die Teilnehmenden sowie die Expertinnen und Experten zu und holt bei ihnen Begründungen zur jeweiligen Entscheidung ein. Dann wird die nächste Frage gestellt und so fort.

Der Aufwand

Es braucht etwas mehr Vorbereitung als eine Podiumsdiskussion. Dafür ist die Redebeteiligung der Teilnehmenden deutlich höher. Die Fragestellungen müssen vom Veranstalter oder von der Moderation vorbereitet werden. Bei einer Laufzeit von 90 Minuten kann man etwa sechs bis acht Fragestellungen diskutieren. Es ist sinnvoll, wenn Moderatorin oder Moderator gutes Vorwissen im jeweiligen Themenbereich mitbringen, und die Expertinnen und Experten zum Format gebrieft werden.

Das Feedback

Die Rückmeldungen waren sehr positiv: Das Format fördert eine aktive Diskussion und mindert die Hemmschwelle, sich zu äußern. Einige Expertinnen und Experten, insbesondere aus der Ethik, wünschten sich Fragestellungen mit eindeutigeren Prämissen, die die Argumentation klarer eingrenzen sollten.


Steckbrief Planspiel

Bei einem Planspiel schlüpfen die Teilnehmenden in Kleingruppen in ganz unterschiedliche Rollen. Foto: M. Scholz / WiD

Das Format

Im Planspiel entsteht eine fiktive Diskussionssituation. Unser Planspiel war gleichzeitig ein Rollenspiel. Damit wollten wir einen emotionalen Zugang zum Thema ermöglichen und eine Diskussion aus unterschiedlichen Perspektiven fördern. Wir entwickelten zwei Planspiele für unterschiedliche Zielgruppen: für die interessierte Öffentlichkeit und für Schulklassen. Ein Toolkit ermöglicht es Lehrkräften, das Schulplanspiel selbstständig durchzuführen.

Der Ablauf

Zum Start gibt es eine kurze Einführung ins Thema und die fiktive Situation wird vorgestellt. In Gruppen erarbeiten sich die Teilnehmenden dann Argumente aus Sicht ihrer unterschiedlichen Rollen und im Anschluss diskutieren sie im Plenum, anfangs aus Sicht ihrer jeweiligen Rollen. Dann können die Teilnehmenden aus ihren Rollen heraustreten und ihre persönlichen Ansichten in die Diskussion einbringen. Beim Planspiel für die Öffentlichkeit gibt eine Forscherin oder ein Forscher die Einführung ins Thema. Für Schulen kann der Lehrer oder die Lehrerin die inhaltliche Einführung als Präsentation herunterladen. Die Gesamtlaufzeit für Erwachsene beträgt drei Stunden mit einer längeren Gruppenarbeitsphase und einer Pause mit Imbiss. Das Schulplanspiel ist für eine Doppelstunde von 90 Minuten ausgelegt. Für Schülerinnen und Schüler stehen schriftliche Hilfsmittel (z. B. Argumentekarten) bereit, bei den Erwachsenen unterstützen Tischmoderatorinnen und –moderatoren die Gruppen.

Der Aufwand

Es braucht wesentlich mehr Vorbereitung als eine Diskussionsrunde, dafür ist die Auseinandersetzung mit dem Thema intensiv. Ein großer Kostenpunkt war die Erstellung eines Videos, um die fiktive Situation darzustellen. Arbeitsintensiv war die Entwicklung der Situationen und Materialien. Beim Erwachsenenplanspiel benötigt man vor Ort zudem mehrere Personen, die die Tischmoderationen übernehmen.

Das Feedback

Die Teilnehmenden haben den Lerneffekt als durchaus positiv bewertet. Die meisten fühlen sich nach der Veranstaltung besser informiert als vorher. Beim Rollenwechsel scheiden sich die Geister: Einige sehen es als Einschränkung, aus einer fremden Position zu argumentieren, während viele den Rollenwechsel erhellend und gewinnbringend finden. Schülerinnen und Schüler finden sich schneller als Erwachsenen in Rollen ein, möglicherweise sind sie ähnliche Aufgaben durch den Schulalltag gewöhnt. Wichtig war den meisten Teilnehmenden, dass die Debatte aus persönlicher Sicht im Ablauf nicht zu kurz kommen sollte.

Im Rückblick können wir sagen, dass das Video als Bestandteil des Toolkits für Schulen gut ankommt. Wenn die Kosten niedrig gehalten werden müssen, könnte man die fiktive Situation, insbesondere beim Planspiel für Erwachsene, auch einfach schildern.

 


Die Formate im Vergleich

Sowohl Unterhausdebatten als auch Planspiele ermöglichen eine aktive Diskussion kontroverser Themen. Von den beiden Formaten ist die Unterhausdebatte – sowohl in der Vorbereitung als auch für die Teilnehmenden – weniger zeit- und arbeitsintensiv. Sie ermöglicht einen Diskurs zu verschiedenen Aspekten einer komplizierten Thematik und lässt viele Teilnehmenden zu Wort kommen. Da die Referierenden mitdiskutieren, wird auch klar, dass nicht alle Forschenden einer Meinung sind und dass auch sie nicht alle Anwendungen einer Technologie gleich bewerten. Das Planspiel ist im Vergleich mit der Unterhausdebatte viel aufwendiger. Dafür ermöglicht es eine tiefe und strukturierte Auseinandersetzung mit einem kontroversen Thema. Dabei eignen sich nicht alle Themen für ein Planspiel: Man muss eine glaubwürdige Situation sowie mehrere Rollen mit verschiedenen Perspektiven entwickeln können.

Als Veranstalter kann ich mir vorstellen, öfter Unterhausdebatten zu verschiedenen Themen durchzuführen. Das Planspiel würde ich seltener einsetzen, obwohl ich bei jedem Planspiel eine beeindruckend tiefe Diskussion erlebt habe. Tendenziell würde ich Planspiele eher für Schulen bevorzugen, da die vorbereiteten Materialien vielfach eingesetzt werden können – dann lohnt sich der Aufwand.

Begleitforschung light

Die Teilnehmenden stimmen im Planspiel bei der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina in Halle ab, wie sie in ihrer Rolle die Patientin beraten würden. Foto: M. Scholz / WiD

Eine Evaluation der Formate durch eine Begleitforschung war mit unserem Budget nicht zu realisieren. Durch eine Ausschreibung haben wir aber Bachelor- und Masterstudierenden unser Projekt als „Forschungsobjekt“ angeboten. Reisekosten sowie einen kleinen Teil an Transkriptionskosten konnten wir übernehmen. Drei Arbeiten sind daraus entstanden, in den Fächern Partizipationsforschung, Sprachwissenschaft und Science and Technology Studies. Dadurch bekamen wir neue Perspektiven auf das Projekt.

Wer sind unser Teilnehmenden?

Das Publikum ist altersgemischt, aber es kommen überwiegend Akademikerinnen und Akademiker.

Predigen wir zum Chor?

Großteils, aber nicht nur. Viele Teilnehmende hatten entweder ein berufliches Interesse am Thema (wie Lehrkräfte, Medizinerinnen und Mediziner oder Studierende aus biologischen Fächern) oder waren persönlich betroffen (durch eine Krebserkrankung oder Erbkrankheit im persönlichen Umfeld). Doch es gab auch die Teilnehmenden, die das Thema spannend fanden oder einfach Lust hatten eine bildungsorientierte Veranstaltung zu besuchen.

Wie wirken die Formate auf das Rollenverhältnis der Beteiligten?

Impulsrede von Prof. Dr. Gernot Segelbacher zum Gene Drive bei der Unterhausdebatte im Deutschen Museum München. Foto: F. Huber / WiD

Bei beiden Formaten zieht die Unterscheidung zwischen „Experte/Expertin“ und „Publikum/Laie“ eher eine Grenze zwischen den Beteiligten. Eine gute Moderation kann den Dialog auf Augenhöhe jedoch fördern, indem sie u. a. durch ihre Wortwahl deutlich macht, dass in einer gesellschaftlichen Debatte eben nicht nur fachliche Expertise, sondern auch persönliche Einstellungen und moralische Werte eine Rolle spielen. Eine Einleitung der Impulsreden als „sachliche Informationen, die Grundlagen erklären“ trägt zum Beispiel eher zur Grenzziehung bei. Die Grenzen werden eher aufgelöst durch Aussagen wie: „Mich interessiert Ihre persönliche Meinung, nicht die als Experte“.

 

Diese Ergebnisse können zwar eine strategische Begleitforschung nicht ersetzen, bieten aber interessante Einblicke.

 

Weiterführende Informationen

Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsweise die Meinung der Redaktion wider.