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So hört sich die Milchstraße an

Ein leises Knistern, ein dumpfer Schlag, ein heller Ton – so können Zahlen klingen. Bei der Datensonifikation werden Informationen in Klang übersetzt. In der Wissenschaftskommunikation wird diese Methode zwar immer häufiger eingesetzt, doch ihr Potenzial ist noch lange nicht ausgeschöpft, schreibt Sophie Hötzel in ihrem Gastbeitrag.

Einfach gesagt ist Datensonifikation die Vertonung von Daten, um sie interpretieren und sich mit ihnen auseinandersetzen zu können. Möglich ist das mit kleinen und simplen, aber auch großen oder komplexen Datensätzen. Vor allem eignet sich die Datensonifikation bei Zeitreihendaten, die Veränderungen oder Muster über eine bestimmte Zeit zeigen, wie zum Beispiel Daten zu den Durchschnittstemperaturen in einer Stadt über das letzte Jahr. 

Wie funktioniert Datensonifikation?

Die Vertonung von Information ist an sich nichts neues. Der Geigerzähler, beispielsweise, verdeutlicht mit Tönen Strahlungsstärke. Schon seit Langem werden die Daten auf EKG-Monitoren nicht nur visuell dargestellt, sondern auch hörbar gemacht. Mit unserem hochentwickelten Gehör entdecken wir selbst feine Anomalien oder Änderungen in einer Abfolge schnell und das, ohne hinsehen zu müssen und ohne darin geschult zu sein. 

Stellen wir uns vor: Wir haben einen Datensatz mit hunderten von Buchstaben, die eine DNA-Sequenz beschreiben. Es ist schwierig und dauert, daraus Trends oder Anomalien herauszulesen – vor allem, wenn wir uns mit Genomik nicht auskennen. Visualisieren wir es, zum Beispiel in einer Grafik, erkennen wir sie schneller. Um die Daten noch niedrigschwelliger erfahrbar zu machen, können wir sie noch vertonen. 

Sonifikation macht Informationen akustisch erfahrbar. Foto: Freepik
Wie klingt eigentlich DNA? Ein Beispiel der DNA-Sonifikation von der University of Edinburgh.1

Jeder DNA-Baustein wird mit einem bestimmten Ton verknüpft, dann wird die Sequenz abgespielt. Innerhalb von Sekunden, können Menschen mit und ohne Sehbeeinträchtigungen Muster heraushören. 

Das Potenzial für die Wissenschaftskommunikation

Das Potenzial der Datensonifikation für die Wissenschaftskommunikation ist groß. Sprachbarrieren können reduziert und Menschen mit Sehbehinderung oder Einschränkungen beim Verständnis von Grafiken miteinbezogen werden. Auch sehbeeinträchtigte Forschende können von der Vertonung von Grafiken und Tabellen profitieren.

Datensonifikation wird manchmal als Gegenstück zur Visualisierung gesehen. Das muss aber nicht so sein. Anstatt etwas zu ersetzen, kann eine Vertonung das Verständnis vertiefen und eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Thema anregen. Sie fügt eine weitere Ebene hinzu. Beim Kombinieren von Visualisierung und Vertonung ist allerdings ein gut durchdachtes Design wichtig, damit sie nicht voneinander ablenken oder überfordern. 

Auch in der Vertonung von Daten spielt Design eine wichtige Rolle. Wie bei Visualisierungen gilt: je komplexer die Daten, desto komplexer die Datensonifikation, und umso wichtiger das Design. Um mehr Informationen zu kommunizieren, werden mehr Parameter, wie Tonhöhe, -dauer oder -lautstärke, benötigt. Wichtig ist, dass die verschiedenen Parameter gut voneinander zu unterscheiden sind. Eine Erklärung dieser Parameter ist für das Verständnis ebenso wichtig wie eine Legende bei Visualisierungen. Das kann beispielsweise mithilfe eines Podcasts gelingen, in dem der Inhalt und der Kontext der Sonifikation erläutert werden.

Der ‚Loud Numbers‘ Podcast

Wie das aussehen kann, zeigt der Podcast Loud Numbers von Miriam Quick und Duncan Geere. Am Anfang der Folgen geben sie Kontext zu Studien, den Daten und der Sonifikation, inklusive der gewählten Parameter, bevor die Vertonung am Ende abgespielt wird. 

Ein Beispiel: Die Episode „The End of the Road“ handelt von Forscher Anders Pape Møller, der über 20 Jahre den Rückgang von Insektenpopulationen in einem dänischen Dorf erforschte. Die Anzahl der vorhandenen Insekten pro Monat macht der Podcast durch wechselnde Tonhöhen und -frequenzen hörbar. Höhere Töne stehen für kleine Insekten, tiefe Töne für größere. Immer seltener werdende Klänge verdeutlichen die abnehmenden Insektenzahlen. Die abfallende Melodie im Hintergrund steht für den jährlichen globalen Rückgang der Insekten. Die Melodie und Hintergrundgeräusche, wie vorbeifahrende Autos und Vogelgezwitscher, machen es für uns als zuhörende Person noch immersiver. 

Jedes neue Jahr wird mit einer Totenglocke eingeleitet. Das macht etwas Besonderes mit uns, während wir Informationen aufnehmen: Es weckt Emotionen und vermittelt das Gefühl, dass gerade etwas Dramatisches passiert. Dem Effekt ist sich die Podcastmoderatorin Miriam Quick bewusst: „Weil Musik selbst schon emotional ist. Und auf dieser Resonanz kann man aufbauen.“

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Die Episode „The End of the Road“ aus dem Podcast Loud Numbers von Miriam Quick und Duncan Geere.

So verleiht Datensonifikation der Natur eine Stimme

Wie hört sich das Massensterben der Alaska-Zeder in Alaska an? In einer Datensonifikation von den Umweltwissenschaftler*innen Lauren Oakes und Nik Sawe lassen sich die Unterschiede in den Baumbeständen zwischen dem Norden und Süden deutlich heraushören. Die Anzahl der Alaska-Zedern, durch Klaviernoten dargestellt, nimmt über das Stück mehr und mehr ab. Die Streichinstrumente und Flöten geben gleichzeitig Einblick in die Bestände der anderen Baumarten vor Ort. Zusammen hört sich die Datensonifikation wie ein Musikstück an. 

Auch das war kein Zufall, denn Nik Sawe erklärt, dass die „emotionale Kraft der Musik“ dazu führe, dass die Zuhörer*innen ein gutes Bauchgefühl für die Daten bekommen können. In der Wissenschaftskommunikation können Emotionen eine effektive Lernumgebung schaffen und dazu führen, dass wir uns Informationen besser merken können. Denn Emotionen steigern auch die persönliche Relevanz eines Themas. 

Eine Datensonifikation muss aber nicht als Musikstück geschrieben sein, um Interesse an neuen Themen zu wecken. Bei anderen Projekten, wie der vertonten DNA-Sequenz, liegt der Fokus auf einzelnen Parametern wie Lautstärke oder Tonhöhe. Sonifriday’s „This is a man‘s world (almost)“ wiederum nutzt über 30 Sprachaufnahmen einer Bundestagssitzung, um auf den geringeren Redeanteil von Frauen aufmerksam zu machen. Durch die zwei verschiedenen Positionen im Stereobild (Männer im linken Kopfhörer, Frauen im rechten) wird der Gegensatz nochmal deutlicher.

Eine Datensonifikation von NASA fasziniert nicht nur durch einen schönen Klang – sie lässt uns regelrecht in das Phänomen Weltraum eintauchen. Die von Weltraumteleskopen erfassten und später vertonten Daten enthalten Informationen über unsere Milchstraße, darunter die Position und Intensität erfasster Lichtquellen. Gepaart mit den Bildern der Teleskope verleiht die Vertonung dem Endprodukt eine neue Dimension. Wer möchte, kann sich ganz leicht an einer Sonifikation der NASA-Daten versuchen. 

Eine Datensonifikation selbst erstellen – wie geht das?

Eigentlich gibt es keinen Grund, es nicht einmal selbst zu probieren: Es stehen verschiedene Audiotypen zur Wahl und je nach Musik- oder Programmierkenntnissen, kann eine Sonifikation simpel oder komplex gestaltet werden. Falls Sie keinen eigenen Datensatz, vorzugsweise mit Zeitreihendaten, zur Verfügung haben, können Sie einen offen verfügbaren herunterladen. Alternativ gibt es kostenlose Tools wie das Highcharts Sonification Studio oder Datasonifyer, die Tutorials und Datensätze zum Ausprobieren anbieten. 

Für Menschen, die sich etwas mit Programmierung auskennen (oder es lernen wollen), lohnt sich ein Blick auf die Webseite von Sonic-Pi. Wer sich generell mehr zum Thema Datensonifikation belesen und ein paar Übungen ausprobieren möchte, schaut am besten bei dem Data Sonification Toolkit vorbei. 

Wenn Sie die Kommunikation Ihrer Forschung oder anderer wissenschaftlicher Themen also einmal neu denken möchten, versuchen Sie es mit einer Datensonifikation. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.

  1. Plaisier, Heleen; Meagher, Thomas R; Barker, Daniel. (2021). Additional files for ‚DNA sonification for public engagement in bioinformatics‘, [software]. University of Edinburgh. School of Biological Sciences. Institute of Evolutionary Biology. https://doi.org/10.7488/ds/3058. ↩︎