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„Orchester des Wandels“: Mit Musik das Bewusstsein für Naturschutz schärfen

Musik kann in uns tiefe Emotionen auslösen. Genau diese Emotionen brauchen wir, um Menschen für Klimaschutz zu sensibilisieren, sagt Detlef Grooß vom „Orchester des Wandels“. Im Interview erklärt er, wie das Projekt Wissenschaft und Kunst vereint und warum eine Vorbildfunktion unerlässlich ist.

Das Projekt „Orchester des Wandels“ ist ein Zusammenschluss von Orchestern aus ganz Deutschland, die Menschen für Naturschutz sensibilisieren möchten. Warum eignen sich Kunst und Musik so gut um Menschen für den Naturschutz zu gewinnen?

Detlef Grooß ist Bratschist beim Nationaltheater Mannheim und Vorsitzender von „Orchester des Wandels e.V.“. Außerdem ist er als „Transformationsmanager nachhaltige Kultur“ beratend für Kulturorganisationen tätig. Foto: Privat

Seit mindestens 40 Jahren wissen wir, dass wir auf eine Art und Weise leben, die der Planet auf Dauer nicht verträgt. In den letzten Jahren wurde zwar vermehrt über den Klimawandel kommuniziert, diese Kommunikation hat aber noch nicht dazu geführt, dass wir unser Verhalten konsequent ändern. Reines Wissen reicht also offensichtlich nicht aus. Wir stellten uns die Frage, was wir als Musiker*innen tun könnten. Die Antwort war klar: Musik nutzen, um das Thema in der Gesellschaft besser zu platzieren und voranzubringen, damit die Gesellschaft vom Wissen ins Handeln kommt.
Noch in der Gründungsphase haben uns Klima- und Umweltforscher*innen in unserer Idee bestärkt und sagten, dass Musik der richtige Weg sei, weil wir die Emotionen der Kunst und der Musik brauchen, um bei den Menschen eine Sehnsucht nach Heilung und Erhalt von Natur auszulösen.

Was erwartet die Besucher*innen bei einem Klimakonzert? Wie triggern Sie diese „Sehnsucht nach Erhalt von Natur“?

Wir versuchen, die Menschen nicht belehrend, sondern berührend zu erreichen. Das können wir auf eine sehr leichte, humoristische Weise tun, wir können Informationen streuen, aber wir können sie auch wirklich tief erschüttern.
Vor jedem Format überlegen wir uns: Welche Geschichte wollen wir erzählen? Was ist die Botschaft? Manche Formate sind eine Kombination aus Fakten zu Umweltthemen, gepaart mit Performance. Manchmal interviewen wir zum Beispiel Wissenschaftler*innen vor oder nach einem Konzert oder sie halten Vorträge. Demnächst gibt es zum Beispiel ein Konzert mit Antje Boetius, sie ist Meeresbiologin am Alfred-Wegener-Institut. Kürzlich war sie auf einer Expedition mit dem Forschungsschiff „Polarstern“ und hat am Nordpol hautnah erlebt, was unsere Lebensweise mit diesem Planeten anstellt. Von dieser Expedition hat sie fantastisches Filmmaterial mitgebracht, das wir zeigen, und dazu spielen wir Musik von Sibelius, einem bekannten finnischen Komponisten.

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Wie läuft die Zusammenarbeit mit den Wissenschaftler*innen für die Formate ab?

Wir überlegen gemeinsam, also Künstler*innen, Wissenschaftler*innen und Musiker*innen, wie wir ein Performance-Format am besten aufbauen. Grundsätzlich ist uns bei jedem Format wichtig, dass wir einen Bogen zwischen Beunruhigung und Handlungsoptionen schlagen. Die Fakten sind beunruhigend, mehr noch, sie sind alarmierend. Aber am Ende müssen wir auch Hoffnung vermitteln und Handlungsoptionen aufzeigen. Denn wenn wir nur sagen, es geht sowieso alles kaputt, dann setzt das keine Handlungsimpulse, sondern führt zu Resignation.
Eine Strategie, die ich gerne verfolge, ist, sich klarzumachen, dass Wissenschaftler*innen eben auch Menschen sind. Wenn jemand wie Antje Boetius von einer Arktisexpedition zurückkommt, ist es am einfachsten, sie erzählen zu lassen, was es mit ihr gemacht hat, die Veränderungen durch den Klimawandel direkt zu beobachten. Dies erzeugt eine Authentizität, die viel stärker wirkt als ein Vortrag über reine Fakten.

Kunst und Wissenschaft sind sehr verschieden. Gibt es manchmal Konflikte mit den teilnehmenden Wissenschaftler*innen aufgrund von unterschiedlichen Vorstellungen zur Umsetzung eines Konzertes?

Konflikte gab es bisher keine. Kunst ist Kunst und kann auch verrückt und auch manchmal unverständlich oder nur assoziativ sein. Uns ist es wichtig, das den Wissenschaftler*innen bereits vor der Zusammenarbeit klar zu kommunizieren. Und auch, dass sie nicht zu Student*innen oder Wissenschaftler*innen sprechen, sondern zu einem bunt gemischten Publikum.
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Dass das Publikum bei einem Klassikkonzert „bunt gemischt“ ist, würde man eher nicht erwarten.

Natürlich kommen oft Leute zu unseren Formaten, die sich für klassische Musik interessieren. Durch den Umweltbezug und die ungewöhnlichen Locations erreichen wir aber auch ganz andere Leute. Ein schönes Beispiel dafür ist ein kleines Format, das wir kürzlich in Mannheim angeboten haben. Im Käferthaler Wald in Mannheim gibt es einen schönen Holzpavillon, in dem wir am Tag der Artenvielfalt ein Quartettkonzert gegeben haben. Dazu gab es eine Waldführung vom Umweltamt Mannheim. Es war nun so, dass die Leute, die sich normalerweise für den Tag der Artenvielfalt interessieren, diese Waldführung gemacht haben und am Ende ein Quartettkonzert gehört haben. Ich bin mir sicher, dass da Leute dabei waren, die noch nie in ihrem Leben eine Geige liv­­­­e gehört haben. Umgekehrt waren im Publikum auch Fans unseres Streichquartetts, die dann eher zufällig an der Waldführung teilgenommen haben. So hatten wir am Ende einen Querschnitt aus Naturinteressierten, Musikinteressierten und auch Tagesgästen, die einfach im Wald spazierten und zufällig auf unser Konzert stießen.

Quartettkonzert zum „Tag der Artenvielfalt“ im Holzpavillon des Käferthaler Walds in Mannheim. Foto: Privat

Außerdem versuchen wir, die Konzerte eintrittsfrei anzubieten. Dadurch können wir das Publikum enorm erweitern und die Schwelle senken. Leider gelingt das nicht immer, denn so ein Konzert zu organisieren ist sehr teuer. Das Waldkonzert konnten wir zum Glück eintrittsfrei anbieten, weil wir eine Förderung vom Bundeskulturministerium erhalten haben.

Sie sagten, dass es Ihnen wichtig ist, den Besucher*innen konkrete Handlungsoptionen für den Klimaschutz aufzuzeigen. Wie genau wird das umgesetzt?

Bei unserem ersten großen Klimakonzert in Mannheim kam uns der Gedanke, dass viele Besucher*innen unser Konzert zwar mit einem großen Impuls zum Handeln verlassen, aber vermutlich nicht so genau wissen, was genau sie tun können. Also entwickelten wir eine Ausstellung im Foyer des Konzerthauses, die wie eine Wohnung konzipiert war. Die Besucher*innen gelangten also nach dem Konzert zwangsläufig in diese „Wohnung“, wo sie überall Informationen fanden, wie sie im Alltag klimaschonend handeln können. So gab es im Esszimmer Informationen über die Auswirkungen von Lebensmitteln und in der Küche, wie man klimaschonend kochen kann. So erfuhren die Besucher*innen, dass ihr alltägliches Handeln einen erheblichen Einfluss auf den Umweltschutz haben kann.

Mittlerweile sind viele Orchester in Deutschland beteiligt. Überlegt sich jedes Orchester seine eigenen Veranstaltungen oder besprechen Sie Ideen im größeren Team?

Früher waren Orchester traditionell immer Konkurrent*innen. Jedes hat versucht, sich zu profilieren und für sich selbst tolle Formate zu erfinden. Uns war aber wichtig, dass wir das als Team anpacken und alle in die gleiche Richtung ziehen. Deshalb verfolgen wir mit dem Orchester des Wandels einen Open-Source-Gedanken: Alle Formate, die wir entwickeln, dürfen kopiert werden. Die beteiligten Orchester haben freie Hand bei der Gestaltung ihrer Formate. Wir vertrauen darauf, dass sie die richtigen Ideen vertreten. Aber natürlich beraten wir uns auch untereinander.

Ein wichtiges Ziel von „Orchester des Wandels“ ist es, selbst im Klimaschutz aktiv zu sein und beispielsweise die Emissionen im Kulturbetrieb zu reduzieren. Dazu wurden bereits Handlungsempfehlungen entwickelt, die anderen Kulturschaffenden als Anregung dienen sollen. Warum ist Ihnen als Musiker diese Vorbildfunktion so wichtig?

Der Kulturbetrieb an sich ist zwar nicht emissionsintensiv, da Schauspiel, Tanz und Musik selbst keine Ressourcen verbrauchen und die objektive CO2-Bilanz eines Opernhauses nach meiner Einschätzung mit der eines Schwimmbades vergleichbar ist. Dennoch können wir nicht unser eigenes Handeln ignorieren und den Leuten erzählen, was sie tun sollen. Allein schon, um glaubwürdig zu sein. Mit unserem Madagaskar-Projekt thematisieren wir den illegalen Raubbau an Edelhölzern, die zum Teil auch für den Bau von Musikinstrumenten verwendet werden. Durch Aufforstungsprojekte gemeinsam mit der lokalen Bevölkerung hoffen wir, die sensiblen Naturlandschaften künftig besser schützen zu können.
Unsere Hoffnung ist, dass wir durch unsere Vorbildwirkung und natürlich durch unsere Programme einen transformatorischen Impuls setzen. Wir laden die Menschen ein, mit Spaß das Thema anzugehen und sich der Herausforderung stellen, selbst einen Beitrag gegen den Klimawandel zu leisten.