Foto: Nuno Silva (edit)

SMC: Gekommen, um zu bleiben und alles richtig gemacht

Das Science Media Center (SMC) – welches mit wissenschaftlichen Einschätzungen deutsche Medien bei der Berichterstattung unterstützt – erhält bereits nach drei Jahren eine Dauerfinanzierung. Marcus Anhäuser blickt für uns zurück auf die anfängliche Skepsis gegenüber dem Projekt, schaut, was das SMC in drei Jahren bereits alles geleistet hat und ebenso, wo es noch hakt.

Das Science Media Center (SMC) in Köln ist gekommen, um zu bleiben – und alle finden es wunderbar, obwohl das zu Beginn gar nicht so aussah. Anders als erwartet, hatte sich der Hauptgesellschafter, die Klaus Tschira Stiftung, entschieden, aus der befristeten Finanzierung schon nach drei Jahren eine Dauerfinanzierung zu machen (Wissenschaftskommunikation.de berichtete). Damit wird aus dem Experiment, wissenschaftliche Einschätzungen zu aktuellen und aufkommenden Forschungsthemen deutschen Medien schnell und unkompliziert zur Verfügung zu stellen, eine Institution.

Offenbar hat das SMC-Team um Volker Stollorz, Beate Spiegel und Mirko Meurer, der die Geschäftsleitung und das SMC im April 2018 verließ, eine Menge richtig gemacht. Denn nicht nur die Heidelberger Stiftung ist angetan von den Diensten der Kölner. Egal, wen man fragt, selbst ehemalige Kritiker sind voll des Lobes. Es ist fast ein bisschen unheimlich, aber auch einfach ein Zeichen dafür, wie gut die vorbereitenden Arbeiten und Analysen zum SMC in den Jahren vor dem Start gefruchtet haben.

In drei Jahren hat das inzwischen 16-köpfige Team einiges geleistet: 770 Journalistinnen und Journalisten über alle Mediengattungen verteilt abonnieren den Dienst, fast 50 Förderer aus Wissenschaft, Wirtschaft und Medienwelt unterstützen das Zentrum finanziell und gewähren durch ihre Vielfalt und die Deckelung der finanziellen Beiträge die Unabhängigkeit des Zentrums. Die rund 650 Experten wurden mehr als 7.000 Mal in knapp 4.000 Berichten zitiert, und das in rund 500 unterschiedlichen Medien.

„Wir haben gar nicht das Ziel, stark zu wachsen, sondern wollen eher die vorhandenen Kontakte intensivieren und den Kolleginnen und Kollegen bei der Arbeit helfen.“ Volker Stollorz (SMC)

Aber die Zahlen sind Volker Stollorz gar nicht so wichtig, auch wenn sie ihn natürlich freuen: „Wir haben gar nicht das Ziel, stark zu wachsen, sondern wollen eher die vorhandenen Kontakte intensivieren und den Kolleginnen und Kollegen bei der Arbeit helfen.“ Dass sie nach drei Jahren in fast allen großen Wissenschaftsredaktionen durch Abonnentinnen und Abonnenten vertreten sind, auch in Österreich und der Schweiz und auch viele Nicht-Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten Vertrauen in ihre Arbeit fassten, dass sei das eigentlich Erfreuliche. Das führe zum Beispiel dazu, dass man inzwischen immer häufiger Berichte über Studien findet, in denen es auch eine Einordnung durch nicht an der Studie beteiligte Forschende gebe. Das sei in der Vergangenheit nach Stollorz’ Beobachtung eher seltener der Fall gewesen, anders als etwa in den USA oder Großbritannien.

Gespaltene Begeisterung

Auf einer Vorstellungssession der „Wissenswerte“-Konferenz zu Beginn der Entwicklungsphase 2012 hatte sich die Begeisterung für das SMC noch in Grenzen gehalten. Auf die Frage, ob ein deutsches Science Media Center die Wissenschaftsberichterstattung verbessern würde, gab es eine beträchtliche Zahl an skeptischen Stimmen. Unter ihnen auch die TELI, die weltweit älteste Wissenschafts- und Technikjournalistenvereinigung. Sie fand nicht nur den Hype um das von der Wissenschaftspressekonferenz (WPK) initiierte und mitentwickelte Projekt für überzogen. Auch der Blick auf das britische Vorbild ließ die TELI nichts Gutes ahnen: Das Londoner Original war in die Kritik geraten, weil es u. a. Interessenkonflikte der Expertinnen und Experten nicht offenlegte.1 Ebenso wurde es von Kritikerinnen und Kritikern als Lobbygruppe bestimmter Wissenschaftszweige gesehen. Neben einigen positiven Aspekten, kam die TELI damals zu dem Schluss, dass bei einem deutschen SMC die Risiken die Vorteile überwiegen würden. Doch diese Sicht hat sich inzwischen gewandelt. „Glücklicherweise ist das deutsche SMC nicht dem britischen Vorbild gefolgt. Das Angebot ist fundiert, seriös, und reichert die Recherche an. Die TELI-Mitglieder finden das Angebot insgesamt recht nützlich“, schreibt Hanns-Joachim Neubert, Vorstandsmitglied der TELI.

„Glücklicherweise ist das deutsche SMC nicht dem britischen Vorbild gefolgt. Das Angebot ist fundiert, seriös, und reichert die Recherche an.“ Hanns-Joachim Neubert (TELI)

Auch Jan Oliver Löfken, freier Wissenschaftsjournalist aus Hamburg sah das SMC zu Beginn skeptisch. Er selbst hatte 2012 – damals noch 1. Vorsitzender der TELI – den kritischen Artikel aus Sicht der Organisation verfasst. Heute sieht er den Dienst – auch ganz unabhängig vom Verein – positiv: „Meine Bedenken haben sich zerstreut. Die Kölner machen einen prima Job.“ Das Risiko, dass Redaktionen durch das Angebot des SMC weniger auf die Expertise freier Fachjournalistinnen und -journalisten sowie ihrer Kontakte zurückgreifen würden, hat sich offenbar nicht bewahrheitet: „Ich sehe bisher keine Einschränkung für Freiberufler“, sagt Löfken. Tatsächlich nutze er den Dienst selbst ab und zu.

Nicht nur ab und zu, sondern regelmäßig greift die dpa – selbst eine der zahlreichen Förderinnen – die Angebote des SMC auf. Annett Stein, Leiterin des Wissenschaftsressorts, möchte den Dienst nicht mehr missen: „Wir sind sehr glücklich über das SMC-Angebot“, antwortet sie per E-Mail. Eine große Hilfe für die Redaktion seien die vor Ablauf der Sperrfrist geschickten Experteneinschätzungen zu Studien, Research in Context genannt. Dieses Angebot werde etwa einmal wöchentlich genutzt, so Stein. „Vorab geschickte Einordnungen helfen uns auch bei der Entscheidung, ob wir eine Studie überhaupt aufgreifen oder eher nicht.“ Und: „Mitunter sind wir überhaupt erst durch SMC-Mitteilungen auf eine bestimmte Studie aufmerksam geworden, die wir zuvor nicht beachtet oder noch gar nicht gesehen hatten – und die wir dann dank des frühen Hinweises noch rechtzeitig aufgreifen konnten.“ Nicht nur das Wissenschaftsressort nutze das Angebot, vereinzelt werde es auch bereits vom Politikressort verwendet.

„Mitunter sind wir überhaupt erst durch SMC-Mitteilungen auf eine bestimmte Studie aufmerksam geworden.“ Annett Stein (dpa)

Auch Christian Kunst, Redakteur der Rhein-Zeitung in Koblenz mit Schwerpunkt Gesundheitsberichterstattung, nutzt die Fact Sheets, Rapid Reactions oder Research in Context intensiv und empfiehlt etwa den Operation Explorer vielen seiner Kolleginnen und Kollegen im Regionalen. Mit dem Tool lassen sich regionale Klinikdaten datenjournalistisch auswerten. „Ich empfinde das SMC, die Kombination aus Wissenschaft und Journalismus als etwas sehr Bereicherndes“, sagt Kunst.

Erst kürzlich hatte er zur Diskussion über die Stickoxide eine ganze Zeitungsseite mit einer Auseinandersetzung über die Thesen des Lungenfacharztes Dieter Köhler veröffentlicht. Als Regionalzeitungsredakteur sei so etwas ohne diese Unterstützung kaum möglich.

Wo es noch hakt

Doch bei all dem Positiven, gebe es nach drei Jahren Livebetrieb noch Dinge zu verbessern, bei denen es im Tagesgeschäft noch hakt. Die SMC-Redaktion versetze sich noch zu wenig in die Denke der Kolleginnen und Kollegen im hektischen Alltag einer regionalen Tageszeitung, findet er. Was bei einer überregionalen Wochenzeitung oder dem Wissenschaftsressort eines Magazins funktionieren könne, bedeute für ihn und seine Kolleginnen und Kollegen ein erhebliches Mehr an Arbeit, um die Spreu vom Weizen zu trennen: „Die Zeit habe ich einfach nicht“, sagt Kunst. Vierzehn Stellungnahmen zum Thema Impfpflicht, mit Einzelstatements von mitunter über 8.000 Zeichen und einer Gesamtlänge von fast 65.000 Zeichen, da fühlt sich Kunst geradezu erschlagen: „Da bräuchte ich eine Art Kurzversion.“ Eine Kurzversion, in der schnell klar wird, was das Relevante ist, und die er auch seinem Chef auf den Schreibtisch legen könne, würde seiner Meinung nach noch mehr Wirkung im Bereich der Regionalzeitungen entfalten. Nichtsdestoweniger möchte er die lange Version aufgrund der vielen weiterführenden Informationen nicht missen.2 

„Wir besetzen nur den kleinen Teil von Themen, bei denen politisch etwas entschieden werden muss oder es eine Relevanz für Patienten gibt oder einen neuen Befund beim Klima.“ Volker Stollorz (SMC)

Aber wird der Einfluss des SMC nicht ohnehin schon zu groß? Bestimmt das SMC bereits die Themenfindung der Redaktionen, zumal mit der dpa die wichtigste Nachrichtenagentur des Landes mit im Boot sitzt und auf deren Wissenschaftsberichterstattung sich sehr viele Regionalzeitungen verlassen? Volker Stollorz sieht das nicht so: „Zu den allermeisten beliebten Themen über die berichtet wird, machen wir ja gar nichts. Dinosaurier, Paläontologie, Astronomie, Tierforschung: Wir besetzen nur den kleinen Teil von Themen, bei denen politisch etwas entschieden werden muss oder es eine Relevanz für Patienten gibt oder einen neuen Befund beim Klima.“ Dem SMC gehe es um ,handlungsrelevante Themen, „public issues“, bei denen Forschung sehr konkret für die Gesellschaft wichtig wird. Gerade diese Themen aber, so Stollorz’ Beobachtung in deutschen Medien, seien in der Vergangenheit oft zu kurz gekommen. Bei solchen Themen wäre es indes gerade wichtig, dass viele Medien gleichzeitig – kongruent – darüber berichteten, weil nur so überhaupt Wirkung entstehen könne. Diesen Einfluss will er auch gar nicht von sich weisen.

Doch ist diese Bedeutung auch schlicht dadurch begrenzt, dass Themen auch im Wissenschafts- und Medizinbereich von vielen anderen Playern und Ereignissen gesetzt werden, sodass das SMC nur reagieren kann – egal, ob Gesundheitsminister Spahn beim Thema Impfen, oder die Lungenfachärzte beim Thema Stickoxide. Und nicht immer schafft es das SMC überhaupt zu reagieren, wie im Fall des Brustkrebstests der Uni Heidelberg, den die BILD-Zeitung zur „Weltsensation“ hochgejazzt hatte, ohne dass eine einzige veröffentlichte Studie zu den Fähigkeiten des Tests vorlag. Stollorz selbst war am entscheidenden Tag auf einer Podiumdiskussion, und das Team war ohne Publikation für ein Rapid Fact Sheet innerhalb weniger Stunden zu knapp besetzt.

„Nicht immer schafft es das SMC überhaupt zu reagieren.“ Marcus Anhäuser

Nach wie vor gibt es eine Menge Journalistinnen und Journalisten, die das SMC nicht kennen – oder misstrauisch beäugen. Regionaljournalist Kunst trifft immer wieder auf Skepsis: „Ein kostenloses Angebot, dass nicht einmal im Artikel genannt werden will, dass einen so stark unterstützt?“ In einer Branche, bei der es um Geld und versteckten Einfluss geht und in der hinter jeder Ecke eine Lobbygruppe vermutet wird, sind solche Bedenken völlig verständlich. Doch je besser die Kolleginnen und Kollegen das SMC kennenlernen, desto unglaublicher finden viele das Angebot und stimmen schließlich Christian Kunst zu, wenn er sagt: „Das SMC ist einfach ein außergewöhnliches Projekt in der Medienlandschaft.“

Durch die Dauerfinanzierung wird das Science Media Center nun eine feste Institution. Welche Wirkung das Zentrum schließlich in dieser Medienlandschaft entfalten wird, bleibt abzuwarten. Die Bedingungen sind nun jedenfalls gegeben, dass sie nachhaltig sein könnte.

 

Marcus Anhäuser berichtet in unserem Auftrag zu diesem Thema.