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Mission Innovation oder Mission Kommunikation?

„Mission Innovation“: Unter diesem Titel veröffentlichte die FAZ einen Beitrag über das Spannungsfeld von Wissenschaft, Transfer und Kommunikation. Franz Ossing kommentiert den Beitrag von Thomas Thiel. Hier gibt es außerdem einen Einblick in die Diskussion dazu auf Twitter.

Thomas Thiel von der FAZ hat eine Mission. Die wird in seinem Beitrag „Mission Innovation“ (FAZ vom 19.09.2018, S. N4 und hier auch online) auch klar benannt: Das ganze Konstrukt mit Innovation, Transfer, Wissenschaftskommunikation nennt er „hohl“, nur Marketing und politisch bedingtes Innovationsgerede: „Aus allen Ecken dröhnt es: Transfer, Transfer, Transfer!“ Und Wissenschaftskommunikation? „Nun haben die Universitäten gewaltige Pressestellen aufgebaut …“, schreibt er. Aber „Aufklärung ist von den auf Markenbildung eingeschworenen Pressestellen nicht zu erwarten“.

Man könnte sich jetzt die Sache einfach machen und entgegnen: Die Unis haben ihre Pressestellen NICHT gewaltig aufgebaut, Thiels erste Behauptung lässt sich durch eine vorliegende Untersuchung („Hochschulkommunikation erforschen“ Teil 1 ; Teil 2 ) leicht widerlegen. Gewachsen sind dort vor allem andere Bereiche, aufgrund gewachsener anderer Aufgaben. Und auch zur zweiten Behauptung, dass „die“ Pressestellen flächendeckend nur Marketing, aber kaum Wissenschaftskommunikation betreiben, hätte man auch gern endlich einmal empirische Belege. Fakt ist hingegen, dass die Wissenschafts-PR (also die Öffentlichkeitsarbeit) sich des Spannungsverhältnisses von Marketing und Wissenschaftsberichterstattung durchaus bewusst ist und sich deshalb in einem überinstitutionellen Verfahren „Leitlinien für gute Wissenschafts-PR“ gegeben hat. Die wird Thiel in seiner Funktion als Redakteur auch kennen – erwähnt werden sie aber nicht.

Offene Fragen der Wissenschaftskommunikation

„Haben wir deutlich genug gemacht, dass Wissenschafts-PR keine Markenwerbung ist, sondern der Vermittlung wissenschaftlicher Inhalte dient?“ Franz Ossing
Das unscharfe Bild, das Thiel offenbar hat, beruht auf einer nicht präzisen Idee von dem, was er „Transfer, Transfer, Transfer“ nennt: Meint er Technologietransfer, Wissenstransfer, Wissenschaftsmarketing oder Wissenschaftskommunikation? Man könnte nun schulterzuckend sagen: Nix Neues unter der Frankfurter Sonne, gegen Vorurteile kämpfen Götter selbst vergebens. Aber Thiels Feststellungen sind halbgare Antworten auf handfeste Fragen, die wir in der Wissenschaftskommunikation offenbar stiefmütterlich behandelt haben: Haben wir deutlich genug gemacht, dass Wissenschafts-PR keine Markenwerbung ist, sondern der Vermittlung wissenschaftlicher Inhalte dient? Haben wir unseren Anteil dazu beigetragen, dass die Arbeit der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Dienst der Gesellschaft ausreichend bekannt und geschätzt wird?

Thiels Vorwurf an die Politik, dass sie von der Wissenschaft „immer zudringlicher“ die schnelle Umsetzung von Forschungsergebnissen in Innovation verlangt, ist ja sehr berechtigt. Dass sich die Wissenschaft diese Anwürfe von der Politik gefallen lassen muss, liegt am weit verbreiteten und bei Ministerialbeamten in der DNA verankerten Vorurteil, dass „die Wissenschaft“ Mengen an Steuergeldern erhält, die dann irgendwie im System verschwinden.

Wissenstransfer ist der Wissenschaft immanent

Stimmt diese Sichtweise überhaupt? Zunächst ist schon der direkte Technologie-Transfer Teil von Wissenschaft und Forschung, er lässt sich in Form von Patenten, Ausgründungen etc. gut erfassen. Aber der Technologietransfer ist nur ein geringer Teil dessen, was die Forschungseinrichtungen im tagtäglichen Betrieb in die Gesellschaft transferieren. Der nicht nur geldwerte Gegenwert des viel umfassenderen Wissenstransfers in die Gesellschaft übersteigt die dafür erhaltenen Fördergelder. Nur ist das nicht immer bewusst.

„Im tagtäglichen Betrieb einer jeden Forschungseinrichtung fließt Wissen in Form von Daten, Verfahren, Beratungsarbeit für Regelwerke etc. in die Gesellschaft ein.“ Franz Ossing
Im tagtäglichen Betrieb einer jeden Forschungseinrichtung fließt Wissen in Form von Daten, Verfahren, Beratungsarbeit für Regelwerke etc. in die Gesellschaft ein: Keine VDI-Kommission, kein DIN-Ausschuss, keine Gesundheitskommission, kein Polit-Barometer ohne beisitzende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, für die das ganz selbstverständlicher Teil ihrer Arbeit ist. Datennutzung? Reden wir von den Geowissenschaften: Navigationssatellitensysteme bringen nach Schätzungen des US-Handelsministeriums jährlich 80 Milliarden US-Dollar in die amerikanische Wirtschaftsleistung ein, zur globalen Wirtschaftsleistung steuern sie rund 13 Prozent bei. Die metergenaue Navigation gibt es nur, weil die GNSS-Satelliten (= GPS, Glonass, Galileo, …) alle drei Tage eine Korrektur der Bahnberechnung verpasst kriegen, die auf Schwerefelddaten beruht. Letztere stammen aus weltweiter wissenschaftlicher Observatoriumstätigkeit der entsprechenden Forschungseinrichtungen. Analoges gilt für Magnetfelddaten, ohne die kein Stromversorger und kein Handynetz-Betreiber leben möchte. Das weltweit gültige Regelwerk für erdbebensicheres Bauen stammt aus der seismologischen Forschung … jede Forschungsdisziplin kann mit solchen Beispielen aufwarten.

Die Versäumnisse des Wissenschaftssystems sind hier zweifach: Zum einen kann und sollte die Wissenschaft gegenüber den „Geldgebern“ (allein schon der Begriff!) entschieden selbstbewusster auftreten. Forschung, von der Natur- über die Gesundheits- bis hin zur Gesellschaftswissenschaft ist unabdingbare Grundlage für unser Gemeinwesen und bringt sich längst überall ein. Wissenschaft in der Rolle der Bittstellerin zu sehen, ist eine groteske Verkennung der Realität, auch von Seiten der FAZ-Redaktion. Wissenschaftsintern gesehen bedeutet das für Begutachtungen und Stellenausschreibungen: Die Beurteilung der wissenschaftlichen Leistung einer Forschungseinrichtung muss auch den Wissenstransfer in die Gesellschaft berücksichtigen und nicht nur den citation index. Der Wissenschaftsrat fordert das endlich auch, aber die Umsetzung dauert.

Warum sind die Leitlinien für gute Wissenschafts-PR noch nicht Teil der guten wissenschaftlichen Praxis ?

„Marketing und Wissenschaftskommunikation gehören im Wissenschaftsbetrieb sauber und scharf getrennt.“ Franz Ossing
Zum zweiten: Wenn die Uni-Presseabteilung, wie Thiel anmerkt, „in Frankfurt beispielsweise PR & Kommunikation (heißt)“, hat er völlig recht, das zu monieren: Marketing und Wissenschaftskommunikation gehören im Wissenschaftsbetrieb sauber und scharf getrennt.

„PR“, public relations, heißt auf deutsch „Öffentlichkeitsarbeit“, in diesem Fall Wissenschaftskommunikation und ist keineswegs identisch mit Marketing oder gar Werbung. Die Erkenntnis der Notwendigkeit, das klar zu separieren, ist noch nicht überall angekommen, was auch damit zu tun hat, dass die oben genannten „Leitlinien für gute Wissenschafts-PR“ der DFG zwar seit 2016 vorliegen, bisher aber noch nicht zum Bestandteil der „guten wissenschaftlichen Praxis“ gemacht wurden – in Zeiten von alternativen Fakten und predatory publishing sicherlich ein Versäumnis beim Einfordern von Transparenz.

Für uns in der Wissenschaftskommunikation Tätige sind damit zwei zentrale, bisher aber vernachlässigte Arbeitsfelder benannt: Wir müssen den alltäglichen Transfer deutlicher machen und wir müssen unsere Leitlinien mehr als bisher einfordern.

Das hat noch einen schönen Nebeneffekt: Die beste Herden-Immunität gegen Populismus entsteht durch das Wissen, dass Forschung und Wissenschaft für unser Gemeinwesen konstitutiv sind und überall unseren Alltag prägen. Liest man Thiels Artikel unter diesem Blickwinkel, muss man seine Schlussfolgerungen nicht unbedingt teilen, aber sie zeigen uns auf, wo wir in der Wissenschaftskommunikation nachsteuern müssen.

Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung unserer Redaktion wider.