Foto: Christian Humm, CC BY-SA 4.0

Kurz vorgestellt: Neues aus der Forschung im Oktober 2019

Wie kommen Laien im Alltag mit Wissenschaft in Kontakt? Das untersucht eine neue Studie aus der Schweiz. Außerdem geht es im Forschungsrückblick diesmal um aufgebauschte Pressemitteilungen und die Motivation von Forschenden für ihre Arbeit.

In dieser Rubrik besprechen wir regelmäßig neue Forschungsergebnisse zum Thema Wissenschaftskommunikation. Sollten Sie etwas vermissen, schreiben Sie uns gerne eine E-Mail oder hinterlassen Sie einen Kommentar.

Wenn Pressemeldungen übertreiben

Im Eifer des Gefechts orientieren sich Journalistinnen und Journalisten oft an dem, was in der Pressemitteilung steht – so weit bekannt. Im Jahr 2014 bereits hatten Forschende um Petroc Sumner von der Cardiff University allerdings nachgewiesen, dass Pressemeldungen zu wissenschaftlichen Studien häufig stärkere Botschaften enthielten, als es durch die Originalarbeit zu rechtfertigen war – und dass diese Übertreibungen häufig auch Eingang in die Presseberichterstattung fanden. In einem aktuellen Forschungsbericht möchte das Team nun die Frage klären: Haben diese Ergebnisse auch fünf Jahre später noch Bestand?

Methodik: Die Forschenden nahmen 348 Pressemeldungen zu Gesundheitsthemen aus den Jahren 2014 und 2015 unter die Lupe (in der ursprünglichen Studie war das Material von 2011). Absender waren 20 Universitäten der Russell-Gruppe, einem Verbund forschungsstarker Universitäten im Vereinigten Königreich. Das Team um Sumner analysierte die wissenschaftlichen Originalarbeiten, die Pressemitteilungen sowie englischsprachige Medienbeiträge über diese Studien auf drei Arten von Übertreibungen hin:

  • Ratschlag (advice): Enthielten die Pressemitteilungen oder die journalistischen Beiträge einen direkten Ratschlag, der vermeintlich auf den Forschungsergebnissen basierte, aber in der wissenschaftlichen Publikation nicht enthalten – oder dort zumindest deutlich schwächer formuliert – war?
  • Kausalaussagen (causal claims): Wurde in den Pressemeldungen oder den Medienbeiträgen eine stärkere Kausalität unterstellt als in der Originalarbeit, oder wurden kausale Aussagen aufgrund von korrelativen Daten getroffen?
  • Rückschlüsse auf den Menschen aus Tierversuchen (human inference from animal studies): Zogen die Pressemitteilung oder der journalistische Artikel eine starke Verbindung zu Menschen, zum Beispiel zu Patienten mit einer bestimmten Erkrankung, obwohl es sich bei der Forschung um einen reinen Tierversuch handelte?

„Wird in der Pressemeldung zu einer Studie zu dick aufgetragen, findet das mit großer Wahrscheinlichkeit Einklang in die Medienberichterstattung.“
Ergebnisse: Im Wesentlichen bestätige die Analyse das Ergebnis der früheren Arbeit. So fanden sich sowohl übertriebene Kausalaussagen als auch die Übertragung von Tierforschung auf den Menschen deutlich öfter in den Medienbeiträgen, wenn die Pressemeldung zuvor ebenfalls auf diese Weise aufgebauscht worden war. Für überzogene Ratschläge galt dieser Befund allerdings nicht – im Gegensatz zur früheren Studie.

Schlussfolgerungen: Wird in der Pressemeldung zu einer wissenschaftlichen Studie zu dick aufgetragen, findet das mit großer Wahrscheinlichkeit Einklang in die Medienberichterstattung. Insgesamt habe in den Pressemitteilungen nur die Übertragung von Tierversuchsergebnissen auf den Menschen signifikant abgenommen, moniert das Team um Sumner. Die beiden anderen Arten von Übertreibung waren noch genauso häufig anzutreffen wie fünf Jahre zuvor. Dabei tun zurückhaltende Formulierungen dem Erfolg einer Pressemitteilung keinen Abbruch, wie die Forschenden in einer Studie im Frühjahr dieses Jahres festgestellt haben (dabei ging es um die Behandlung von Korrelation und Kausalität).

Einschränkungen: Was die Forschenden für Pressemitteilungen anmahnen, gilt natürlich auch für ihre eigene Studie: Da die gefundenen Zusammenhänge korrelativ sind, lässt sich nicht sicher sagen, ob die Übertreibungen der Presseabteilungen ursächlich für die anschließenden Übertreibungen in den Medienbeiträgen verantwortlich waren – auch wenn dieser Schluss naheliegt. Zudem gab es Versuche aus anderen Ländern, die ursprüngliche Studie von 2014 zu replizieren, mit recht unterschiedliche Ergebnissen. Daher ist unklar, inwieweit die Befunde auch über das Vereinigte Königreich hinaus gültig sind.

Bratton, L., Adams, R. C., Challenger, A., Boivin, J., Bott, L., Chambers, C. D. & Sumner, P. (2019). The association between exaggeration in health-related science news and academic press releases: A replication study. Wellcome Open Research, 4:148. https://doi.org/10.12688/wellcomeopenres.15486.2

Wer sucht Wissenschaft im Alltag?

Im vergangenen Jahr haben Forschende – basierend auf den Daten des Wissenschaftsbarometers Schweiz – die eidgenössische Bevölkerung in vier Segmente mit unterschiedlichen Haltungen zur Wissenschaft eingeteilt: Die „passiven Unterstützer“, die „Sciencephilen“, die „kritisch Interessierten“ und die „Desinteressierten“ (wir berichteten). In einer neuen, qualitativen Studie hat jetzt ein Team um Carmen Koch von der ZHAW (Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften) diese vier Segmente und ihr Verhältnis zur Wissenschaft detaillierter untersucht.

Methodik: Von den Befragten für das Wissenschaftsbarometer Schweiz von 2016 nahmen insgesamt 41 an dieser Nachuntersuchung teil, darunter 14 „passive Unterstützer“, jeweils 11 „Sciencephile“ und „kritisch Interessierte“ sowie 5 Personen aus der Runde der „Desinteressierten“ (mehr waren von letzterer Gruppe nicht für eine Teilnahme zu gewinnen). Zwei Wochen lang führten die Probandinnen und Probanden mit Hilfe einer Smartphone-App eine Art Tagebuch darüber, wann und wie sie in ihrem Alltag mit wissenschaftlichen Themen in Berührung kamen. Anschließend wurden sie in einem zirka einstündigen Interview genauer zu diesen Erfahrungen und ihrer allgemeinen Wahrnehmung von Wissenschaft befragt.

Beispiel für ein virtuelles Tagebuch in der Studie von Koch et al. (2019)
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nutzten für ihr Wissenschafts-Tagebuch eine verbreitete App zur Verwaltung von Notizen. Dort konnten sie auch Fotos (etwa von Zeitungsbeiträgen), Screenshots und Videos zu den Einträgen speichern, um den Forschenden die Auswertung zu erleichtern. Bild: Carmen Koch

Ergebnisse: Neben den Interviews konnte das Forschungsteam am Ende 645 Tagebucheinträge auswerten. Die „Sciencephilen“ hatten am häufigsten von alltäglichen Begegnungen mit Wissenschaft berichtet, die „Desinteressierten“ am wenigsten. Sowohl die „Sciencephilen“ als auch die „kritisch Interessierten“ schienen unter Wissenschaft vor allem Naturwissenschaften und Medizin zu verstehen, ihre Tagebucheinträge bezogen sich etwa auf Roboter, Astronomie oder Genetik. „Passive Unterstützer“ und „Desinteressierte“ dagegen fassten in ihren Einträgen den Wissenschaftsbegriff viel weiter und berichteten beispielsweise über Tierfilme, Architektur oder die Börsenkurse. Diese Gruppen waren laut eigener Aussage weniger sicher, was überhaupt wissenschaftliche Themen seien, und entschieden dies häufig aufgrund von Signalwörtern wie „Studie“ oder „Forschung“. Auch wenn ein Thema sehr komplex auf sie wirkte, hielten sie es eher für Wissenschaft.

Die „Sciencephilen“ suchten aktiv in einer breiten Palette von Online- wie Offline-Medien nach wissenschaftlichen Inhalten, darunter auch lange und komplizierte Beiträge zu abstrakten Themen. Ganz ähnlich verhielt es sich mit den „kritisch Interessierten“, auch wenn diese sich tendenziell für etwas weniger komplexe Inhalte interessierten – und sie schätzten es stärker, wenn es um praktisch anwendbare Forschung ging. Die „passiven Unterstützer“ lesen zwar Zeitungen und sehen fern, sie suchen aber kaum aktiv nach Forschungsthemen. Stattdessen bleiben sie manchmal an Beiträgen hängen, wenn sie diese interessant genug finden – etwa wegen einer ansprechenden Überschrift oder des Unterhaltungswerts. Daneben war diesen Teilnehmenden der Nutzwert für sie selbst, ihre Familie oder die Gesellschaft wichtig: Sie fanden es beispielsweise interessant, wie man besser mit Stress umgeht oder ob Kaffeetrinken gesund ist. Die „Desinteressierten“ schließlich kommen meist zufällig mit wissenschaftlichen Themen in Berührung. Interessant finden sie vor allem lustige, unterhaltsame und alltagsnahe Inhalte.

Schlussfolgerungen: Die qualitative Analyse bestätigt, dass sich die Teilnehmenden innerhalb der Segmente – die ja zunächst aufgrund von eher knappen Informationen rechnerisch ermittelt wurden – darin ähneln, was ihre alltäglichen Begegnungen mit wissenschaftlicher Information angeht. Die „Sciencephilen“ und „kritisch Interessierten“ haben ein klare, aber auch recht enge Vorstellung vom Begriff „Wissenschaft“. Dabei konzentrieren sie sich auf Naturwissenschaften und Medizin und schrecken auch vor komplizierteren Medienbeiträgen nicht zurück. „Passive Unterstützer“ und „Desinteressierte“ dagegen sind sich oft unsicher, was Wissenschaft überhaupt ist, und vor allem letztere wählen solche Inhalte eher zufällig aus, nicht aufgrund ihres Interesses an Forschung.

Einschränkungen: Sämtliche Kontakte mit wissenschaftlichen Themen im Alltag zu dokumentieren, ist nicht einfach. Die Versuchspersonen müssen die Aufgabe permanent im Hinterkopf behalten, sonst werden viele solcher Begegnungen nicht dokumentiert. Die geringe Zahl von durchschnittlich nur einem Eintrag pro Tag spricht dafür, dass eine Vielzahl von Kontakten zu Wissenschaft nicht als solche erkannt (oder nicht dokumentiert) wurden. Zudem brauchte es für die Teilnahme an der Studie ein gehöriges Maß an Engagement der Probandinnen und Probanden. Die Stichproben waren deshalb wahrscheinlich nicht repräsentativ für jedes Segment, sondern umfassten jeweils nur die interessiertesten Personen daraus.

Koch, C., Saner, M., Schäfer, M. S., Herrmann-Giovanelli, I. & Metag, J. (2019). “Space means Science, unless it’s about Star Wars”: A qualitative assessment of science communication audience segments. Public Understanding of Science. https://doi.org/10.1177/0963662519881938

Was motiviert Forschende aus Sicht der Bevölkerung?

Ob die Allgemeinbevölkerung Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern vertraut, hängt unter anderem davon ab, welche Motivation sie ihnen für ihre Arbeit unterstellt. Zwei Forscher aus den USA – Branden Johnson vom Thinktank „Decision Research“ und Nathan Dieckmann von der Oregon Health & Science University – haben nun in einer Befragung versucht herauszufinden, welche Beweggründe bei Forschenden in den Augen der Öffentlichkeit vorherrschen.

Methodik: Die 500 Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren repräsentativ für die US-Bevölkerung in Bezug auf ihr Alter, ihr Geschlecht, ihre ethnische Zugehörigkeit und ihr Bildungsniveau. Sie sollten für elf mögliche Motive beurteilen, wie wichtig diese ihrer Meinung nach für Forschende sind – und wie wichtig sie sein sollten. Die Befragten schätzten dies allgemein für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit einem von vier möglichen Arbeitgebern ein: einer Bundesbehörde, einem großen Unternehmen, einer gemeinnützigen Lobbyorganisation und einer Universität. Außerdem beantworteten sie Fragen zu ihren Einstellungen zu Wissenschaft und ihrem wissenschaftlichen Faktenwissen.

„ Intrinsische Motivationen dominieren nach Ansicht der Teilnehmenden die Arbeit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern.“
Ergebnisse: Die Befragten unterschieden von sich aus grob zwischen zwei Arten von Motivation: Einerseits eher „intrinsischen“, also inneren Beweggründen, etwa die Wissenschaft als solche voranbringen zu wollen oder Gutes für die Gesellschaft und andere Menschen zu tun; andererseits extrinsische Motive wie Geld, Einfluss und Ruhm. Intrinsische Motivationen dominieren nach Ansicht der Teilnehmenden die Arbeit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Dennoch schätzten sie diese insgesamt als noch erwünschter ein. Mit anderen Worten: Ihrer Meinung nach arbeiten Forschende überwiegend aus den richtigen Motiven – es dürfte aber noch deutlicher so sein. Diese Einschätzung war für Forschende mit allen vier Arbeitgebern recht ähnlich. Wer für ein Unternehmen oder eine Universität arbeitete, dem wurden größere extrinsische Motive unterstellt als bei Behörden und Interessengruppen. Teilweise spielten für diese Einschätzung auch die Einstellungen der Teilnehmenden eine Rolle: Wer beispielsweise der Wissenschaft stärker vertraute, schätzte Forschende als mehr intrinsisch und weniger extrinsisch motiviert ein.

Schlussfolgerungen: Ziele wie die Erweiterung des menschlichen Wissens und das Lösen gesellschaftlicher Probleme werden von der Bevölkerung eher von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern erwartet als das Streben nach Macht und Geld. In dieser Hinsicht sehen die meisten Befragten Forschende bereits positiv, wünschen sich aber offenbar eine noch stärkere Ausrichtung an solchen intrinsischen Beweggründen.

Einschränkungen: Es muss sich noch herausstellen, ob die Befunde genauso für andere Länder und Gesellschaften gelten. Auch könnten Forschende aus unterschiedlichen Disziplinen und mit unterschiedlichen Arbeitsgebieten anders wahrgenommen werden, was hier nicht untersucht wurde. Schließlich weisen Johnson und Dieckmann darauf hin, dass die Bewertung der Motive von Forschenden nur eine Komponente davon darstellt, wie Laien die Wissenschaft insgesamt wahrnehmen und bewerten.

Johnson, B. B. & Dieckmann, N. F. (2019). Americans’ views of scientists’ motivations for scientific work. Public Understanding of Science. https://doi.org/10.1177/0963662519880319

Mehr Aktuelles aus der Forschung:

Das Journal of Science Communication veröffentlichte kürzlich eine Sonderausgabe zum Thema Storytelling in der Wissenschaftskommunikation – von den neurobiologischen Grundlagen der Wirkung von Narrationen bis hin zur Nutzung von Handyvideos für den wissenschaftlichen Schulunterricht.

Ebenfalls im Journal of Science Communication ist jüngst eine Serie von Kommentaren dazu erschienen, wie feministische Perspektiven die Wissenschaftskommunikation bereichern können. Unter anderem geht es um die Frage, warum so viele Frauen aus einer wissenschaftlichen Karriere aussteigen, um anschließend Wissenschaftskommunikatorinnen zu werden.

Insekten sind extrem wichtig für das Ökosystem, gelten im Allgemeinen aber nicht als Sympathieträger. Wie man mit Hilfe eines „Insektenfestivals“ eine breite Öffentlichkeit erreichen, Berührungsängste abbauen und Menschen für dieses Forschungsgebiet sensibilisieren kann, beschreibt die Biologin Carly Tribull in einem aktuellen Zeitschriftenbeitrag.

Wie lässt sich das Zusammenspiel von Wissenschaft, Medien und Öffentlichkeit verbessern? Dieser Frage widmet sich der Sammelband „Wissenschaft und Gesellschaft: Ein vertrauensvoller Dialog“, den der Pressesprecher der Daimler-und-Benz-Stiftung, Johannes Schnurr, zusammen mit dem Wissenschaftsjournalisten Alexander Mäder herausgegeben hat. Zur illustren Runde der Autorinnen und Autoren gehören unter anderem Anja Karliczek, Volker Stollorz, Henriette Löwisch sowie mit Beatrice Lugger und Markus Weißkopf auch zwei Mitglieder des Wisskomm.de-Teams.

Mehr als 300 Zuschriften von Leserinnen und Lesern an zwei Tageszeitungen haben Forschende aus den Niederlanden für eine neue Studie analysiert. Ihre Erkenntnis: Die Schreibenden äußern generell ein großes Vertrauen in Wissenschaft, machen sich jedoch häufig Sorgen darüber, ob angesichts der Einflussnahme von Politik und Wirtschaft die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis eingehalten werden können.

Wer an der Nordsee unbekannte Fische, Würmer, Schalentiere oder Gegenstände am Strand oder im Watt findet, kann diese seit einigen Jahren mit Hilfe des „Beach Explorers“ online bestimmen. Der Biologe Rainer Borcherding beschreibt nun in den BfN-Skripten des Bundesamts für Naturschutz (PDF, S. 103–115), wie das Citizen-Science-Tool dazu beiträgt, Menschen im Urlaub an die Naturbeobachtung heranzuführen, und wie die Daten der online gemeldeten Funde für Forschende von Interesse sein können.

Die Kurzmeldungen zur Wissenschaftskommunikationsforschung erscheinen alle 14 Tage im Panoptikum.