Foto: Petri Heiskanen

Kurz vorgestellt: Neues aus der Forschung im März 2024

Steigert es das Vertrauen in die Wissenschaft, wenn Argumentationen klar zwischen politischen Forderungen und wissenschaftlicher Begründung unterscheiden? Hat die Pandemie Partizipation in der Wissenschaftskommunikation verstärkt? Und wie können Forschung und Praxis in der Lehre verknüpft werden? 

In unserem monatlichen Forschungsrückblick besprechen wir aktuelle Studien zum Thema Wissenschaftskommunikation. Diese Themen erwarten Sie in der aktuellen Ausgabe:

 

Honest Broker oder Epistokrat? Die Rolle von Wissenschaftler*innen in politischen Debatten

Häufig geht es in politischen Debatten auch um wissenschaftliche Fragen. Wie sehr Menschen dabei der Wissenschaft vertrauen, hängt oft davon an, welche politischen Überzeugungen sie vertreten. Lässt sich diese Polarisierung vermindern, wenn wissenschaftliche und politische Informationen in der Argumentation klar getrennt werden? Senja Post und Nils Bienzeisler vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT)* haben das an drei unterschiedlichen Beispielen getestet: Schulschließungen während der Coronapandemie, inländischer Flugverkehr angesichts des Klimawandels und Wolfsmanagement in Wohngebieten. Dabei wollten die Forscher*innen herausfinden, welchen Unterschied es macht, ob Wissenschaftler*innen als Epistokraten oder Honest Broker auftreten. 

Methode: Für jede der drei Fallstudien griffen die Forschenden auf ein Online-Access-Panel freiwillig registrierter Teilnehmender eines Marktforschungsunternehmens zurück. Die Stichprobe bestand jeweils aus knapp 2000 erwachsenen Personen, die hinsichtlich ihres Geschlechts, Alters und ungefähren Bildungsniveaus repräsentativ für die deutsche Bevölkerung waren. Bei der Frage zum Wolfsmanagement wurden Teilnehmende aus Regionen ausgewählt, in denen das Thema eine Rolle spielt. 

Wenn der Wissenschaftler als ehrlicher Vermittler auftrat, erhöhte dies in den meisten Fällen das Vertrauen in den Wissenschaftler und die zitierten Beweise.
In jeder Fallstudie wurden zunächst die politischen Präferenzen der Teilnehmenden zum jeweiligen Thema abgefragt. Sie bekamen dann eine von vier Versionen eines Artikels zu lesen. Darin argumentierte ein Wissenschaftler, dessen Name erfunden war, auf Grundlage von Forschungsergebnissen pro oder contra Schulschließungen, dem Abschuss von Wölfen oder der Einschränkung von Inlandsflügen. Die Artikel unterschieden sich hinsichtlich der Richtung der politischen Ratschläge (z. B. Unterstützung von Schulschließungen versus Schulöffnungen). Zweitens unterschieden sich die Artikel im Hinblick auf den Stil der politischen Ratschläge, die der zitierte Wissenschaftler gab. In der Rolle des „Epistokraten“ verwischte er die Unterscheidung zwischen wissenschaftlicher und politischer Argumentation, indem er behauptete, eine politische Richtung zu „beweisen“. In der Rolle als „honest Broker“ (ehrlicher Vermittler) unterschied er zwischen wissenschaftlichen und politischen Behauptungen, stellte eine Option vor und regte zu einer breiteren gesellschaftlichen Debatte an.  

Im Anschluss haben die Forschenden das Vertrauen in den zitierten Wissenschaftler und die von ihm angeführten Beweise gemessen. Unter anderem wurde abgefragt, als wie ehrlich, kompetent und selbstlos der Wissenschaftler wahrgenommen wurde.

Ergebnisse: Insgesamt dominierten bei allen drei Kontroversen gemäßigte Ansichten. Etwas mehr als 60 Prozent der Befragten waren im Durchschnitt entweder gleichgültig oder mäßig für oder gegen Schulschließungen, Einschränkungen des Inlands-Flugverkehrs oder den Schutz von Wölfen. Kleine Gruppen von Teilnehmenden hatten extreme Ansichten in beide Richtungen. 

Je stärker die Befragten einer bestimmten Politik zustimmten, desto eher vertrauten sie dem Wissenschaftler und seinen Beweisen, wenn diese ihren eigenen Überzeugungen entsprechen. Wenn die Ratschläge ihren politischen Ansichten widersprachen, misstrauten sie dem Wissenschaftler und seinen Beweisen eher. 

Der Stil der Argumentation hatte dabei einen Einfluss auf die Einschätzung der Teilnehmenden – auch wenn die Effekte insgesamt eher gering waren. Wenn der Wissenschaftler als ehrlicher Vermittler auftrat, erhöhte dies in den meisten Fällen das Vertrauen in den Wissenschaftler und die zitierten Beweise. Der ehrliche Vermittler machte vor allem bei denjenigen Personen einen erheblichen Unterschied, deren politische Präferenzen am stärksten im Widerspruch zu den politischen Ratschlägen des Wissenschaftlers standen. Beispielsweise gewann der Wissenschaftler, der als ehrlicher Vermittler Politikempfehlungen für ein Verbot von Inlandsflügen gab, Vertrauen insbesondere bei denen, die sich stark für eine Fortführung des Flugverkehrs aussprachen. Bei denjenigen, deren Ansichten durch die Erkenntnisse der Wissenschaftler gestützt wurden, hatte der Stil der Politikberatung keinen signifikanten Einfluss. Das gleiche Muster zeigte sich im Streit um das Wolfsmanagement. 

Wenn wissenschaftliche Erkenntnisse als Argument und nicht als Imperativ dargestellt würden, könnte das womöglich dem Eindruck entgegenwirken, dass Wissenschaftler*innen von politischen Motiven angetrieben werden.
Beim Thema Schulöffnungen hatte der ehrliche Vermittler keinen Einfluss auf das Ergebnis. Bei der Argumentation für Schulschließungen sorgte die Rolle des ehrlichen Vermittlers dafür, dass die am stärksten herausgeforderten Personen mehr auf die zitierten Beweise vertrauten, nicht aber auf den Wissenschaftler selbst.

Schlussfolgerungen: Abgesehen von einem Beispiel konnte der Wissenschaftler das Vertrauen in sich und seine zitierten wissenschaftlichen Beweise stärken, wenn er als ehrlicher Vermittler und nicht als Epistokrat auftrat. Das deutet laut der Forschenden darauf hin, dass es sich negativ auf die Wahrnehmung von Wissenschaftler*innen auswirken kann, wenn sie ihre politischen Schlussfolgerungen als alternativlos darstellen und gesellschaftliche Debatten ausschließen. Wenn sie hingegen ihre eigenen Schlussfolgerungen als Optionen darlegen, über die diskutiert werden kann, können sie Vertrauensverlusten entgegenwirken. 

Das könnte unter anderem daran liegen, dass unbequeme wissenschaftliche Information weniger bedrohlich erscheinen, wenn sie ausdrücklich von identitätsrelevanten politischen Aspekten in öffentlichen politischen Auseinandersetzungen losgelöst ist. Möglicherweise wirke der ehrliche Vermittler außerdem toleranter, vertrauenswürdiger und höflicher, schreiben die Forschenden. 

Sie argumentieren, dass Politikberatung im Stile einer ehrlichen Vermittlung Bürger*innen in die Lage versetzen könnte, wissenschaftliche Informationen zu akzeptieren oder ihnen zu vertrauen und sich auch an Auseinandersetzungen über politische Optionen zu beteiligen. Wenn wissenschaftliche Erkenntnisse als Argument und nicht als Imperativ dargestellt würden, könnte das womöglich dem Eindruck entgegenwirken, dass Wissenschaftler*innen von politischen Motiven angetrieben werden.

Insgesamt waren die Effekte gering, deshalb stellt sich die Frage, inwiefern die Ergebnisse für die Praxis relevant sind. Dafür spricht, dass die Effekte vor allem bei Personen auftreten, deren politische Einstellungen der Empfehlung des Wissenschaftlers am stärksten widersprachen. Die Forschenden argumentieren, dass polarisierte öffentliche Auseinandersetzungen in digitalen Mediensystemen gerade von solchen Minderheiten mit starken Meinungen vorangetrieben werden, während sich die Gemäßigten aus dem öffentlichen Diskurs zurückziehen.

Bei der Kontroverse um die Schulen waren die Auswirkungen geringer. Eine mögliche Erklärung könnte laut der Forschenden sein, dass die große Medienaufmerksamkeit für das Thema zu einem stabilen Vertrauensniveau geführt haben könnte. 

Einschränkungen: Auswirkungen des Politikberatungsstils auf die politischen Präferenzen der Teilnehmenden wurden nicht gemessen. Dieser Frage könnten sich künftige Studien widmen. Unklar bleibt, welcher Mechanismus den gemessenen Veränderungen im Vertrauen zugrunde liegt. Die Forschenden regen deshalb an, zu untersuchen, ob es dabei eher das richtungsorientierte Denken (Motivated Reasoning) von Menschen oder ihr Vertrauen auf verschiedene Arten von Informationsquellen eine Rolle spielt. 

Post, S., Bienzeisler, N. (2024): The Honest Broker versus the Epistocrat: Attenuating Distrust in Science by Disentangling Science from Politics, Political Communication, https://doi.org/10.1080/10584609.2024.2317274

 

Die Pandemie als Verstärker partizipativer Wissenschaftskommunikation?

In der Coronapandemie stieg das öffentliche Interesse an wissenschaftlichem Wissen – und damit auch an Wissenschaftskommunikation – rasant an. Philipp Rediger und Andreas Beer vom Institut für Hochschulforschung an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg haben untersucht, welche Auswirkung das auf die Wahl der Kommunikationsformate hatte. Wurden eher partizipative Formate gewählt um die Akzeptanz wissenschaftlicher Erkenntnisse und der daraus abgeleiteten politischen Forderungen zu erhöhen? Oder wurde einer eher unidirektionale, also eher eine einseitig von Forschenden ausgehende Kommunikation verfolgt, weil in der Öffentlichkeit handlungsleitende Empfehlungen erwartet wurden? 

Methode: Zuerst kategorisierten die Forscher existierende Formate der Wissenschaftskommunikation nach ihren Zielen und ihrer Ausrichtung auf Partizipation und/oder Multidirektionalität. Bei multidirektionaler Kommunikationen haben auch Menschen außerhalb der Wissenschaft die Möglichkeit, eigene Anliegen anzubringen oder sich direkt an der Wissenschaft zu beteiligen – beispielsweise in Form Citizen-Science-Projekten. Unidirektionale Kommunikation ist einseitig ausgerichtet – beispielsweise in Form von Formaten, in denen lediglich Informationen vermittelt werden, aber kein Austausch stattfindet.

Für die Kategorisierung nutzten die Forscher die Formate-Datenbank von Wissenschaftskommunikation.de und ein Grundsatzpapier des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung.

Für die Kategorisierung nutzten die Forscher die Formate-Datenbank von Wissenschaftskommunikation.de und ein Grundsatzpapier des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung. Im zweiten Schritt überprüften die Forscher, wie häufig die jeweiligen Formate zu unterschiedlichen Zeitpunkten vor und nach der Pandemie in einem wissenschaftlichen und zwei journalistischen Kommunikationskanälen erwähnt werden.

Beim ersten Fallbeispiel verglichen die Forscher das Jahr 2019 mit 2020, dem ersten Pandemie-Jahr. Dafür durchsuchten sie das Webarchiv des wissenschaftlichen Branchendienstes Informationsdienst Wissenschaft (idw) mithilfe des Such-Begriffs „mitmach*“. Von den 174 im Jahr 2019 gefundenen und den 127 im Jahr 2020 gefundenen Einträgen untersuchten sie jeweils ein Zufallssample von 50 Prozent, indem sie die erwähnten Wissenschaftskommunikationsformate den zuvor erstellen Kategorien zuordneten. 

Beim zweiten Fallbeispiel untersuchten die Forscher, ob die Wahl unidirektionaler und multidirektionaler und/oder partizipativer Kommunikationsformate vom ersten bundesweiten Lockdown (22. März 2020 bis 4. Mai 2020) beeinflusst worden sind. Dafür suchten sie im idw-Archiv für März und Mai 2020 nach unterschiedlichen Schlagworten mit Bezug zur Coronapandemie und fanden für März 52 und für Mai 135 Meldungen. 

Beim dritten Fallbeispiel ging es um die Frage, welche Formate der WIssenschaftskommunikation in der Lokalberichterstattung der Märkischen Allgemeinen Zeitung (Potsdam) und dem Weser-Kurier (Bremen) vorkamen. In den Online-Archiven der Lokalseiten suchten die Forscher für die Jahre 2019 und 2020 mithilfe Schlagwörtern mit Bezug auf Hochschulen und Wissenschaft. Auf diese Weise wurden Artikel erhoben, die wissenschaftliches Wissen enthielten. Die Forscher untersuchten dann, auf welche Kommunikationsformate darin verwiesen wurde. Anschließend wurden aus den Ergebnissen fallübergreifend Schlussfolgerungen für die Entwicklung partizipativer Formate der Wissenschaftskommunikation erhoben.

Ergebnisse: Die Forscher ordneten die Wissenschaftskommunikationsformate größtenteils sechs Kategorien zu: 1. Information über Forschung(sergebnisse) (39 Prozent der erhobenen Wissenschaftskommunikationsformate), 2. Scientainment (22 Prozent), 3. Partizipation in Debatten über Forschung (13 Prozent), 4. Lernen durch Experiment bzw. praktischen Nachvollzug (13 Prozent), 5. Partizipation in Forschung (Citizen Science/Bürger*innenwissenschaften) (8 Prozent), 6. Lernen durch Immersion (5 Prozent).

In der ersten Fallstudie wurden für 2019 in der 50-Prozent-Stichprobe 70 Wissenschaftskommunikationsformate identifiziert und ausgewertet. Für das Jahr 2020 waren es 47 Formate. Formate beim idw, die mit dem Schlagwort „mitmach“ verknüpft waren, nahmen also im ersten Jahr der Coronapandemie etwa um ein Drittel ab. Trotz des gewählten Schlagwortes  dominierten bei den Ergebnissen in beiden Jahren Formate, die unidirektional über Forschung und ihre Ergebnisse informieren (jeweils ungefähr zwei Drittel der erwähnten Formate). Die Anteile der Kategorien „Lernen durch Experiment“ und „Lernen durch Immersion“ blieben nahezu unverändert. Bei Scientainment-Formaten zeigte sich ein Rückgang von 13 auf etwas mehr als vier Prozent. Die wenigen explizit auf Partizipation ausgelegten Formate nahmen hingegen zu: Citizen-Science-Formate um acht Prozent, Debattenformate um sechs Prozent. Es zeigte sich jedoch, dass die Citizen-Science-Formate mehrheitlich schon vor der Pandemie geplant worden waren und dann trotzdem umgesetzt wurden. 

Nach dem Lockdown wuchs der Anteil (etablierter) Informationsformate auf nun 90,5 Prozent.
Für die zweite Fallstudie wurden für März 2020 im idw-Archiv 52 pandemiebezogene Meldungen aus der Wissenschaft identifiziert, für Mai 135. Der Output hat sich in diesem Zeitraum also nahezu verdreifacht. Sowohl vor als auch nach dem Lockdown dominierten Formate der Kategorie „Information über Forschung(sergebnisse)“ (fast 79 Prozent der Formate in den Meldungen vom März 2020). 21 Prozent der Meldungen im März enthielten (Verweise auf ) Interviews mit Expert*innen angrenzender Fachgebiete. Im Mai ging der Anteil dieser Interviews auf drei Prozent zurück.

Nach dem Lockdown wuchs der Anteil (etablierter) Informationsformate auf nun 90,5 Prozent. Weitere Veränderungen bei den Anteilen der jeweiligen Formatkategorien waren marginal. Citizen-Science-Projekte wurden im März wie im Mai lediglich einmal annonciert, wobei Unsicherheiten in Bezug auf das Pandemiegeschehen laut der Forscher planungserschwerend gewirkt haben dürften. Dass im Mai zwei Meldungen über Formate berichteten, die zur Partizipation in Debatten über Forschung einluden, könne möglicherweise als Beginn einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit der Pandemie gedeutet werden. 

Im Rahmen der dritten Fallstudie wurden im Archiv der Märkischen Allgemeinen Zeitung (MAZ) für 2019 94 Artikel gefunden, in denen sich insgesamt 107 Kommunikationsformate fanden. Bei 36 Prozent von ihnen handelte es sich um wissenschaftliche Studien oder Fachartikel und bei 29 Prozent um Interviews. Wissenschaft wurde im Lokalteil der MAZ 2019 nach der vorliegenden Kategorisierung fast ausschließlich als Information von Forschung(sergebnissen) kommuniziert. Lediglich in einem Artikel wurde ein Dialogforum mit Umweltschützer*innen und Wissenschaftler*innen angekündigt. 

Für 2020 wurden in der MAZ 36 Artikel erhoben (15 Prozent weniger als 2019), die wissenschaftliches Wissen vermittelten und auf insgesamt 37 Kommunikationsformate hinwiesen. 2020 wurde vermehrt über öffentliche wissenschaftliche Veranstaltungen berichtet. Es wurde von drei multidirektional ausgerichteten Formaten berichtet. Somit dominierten auch hier Formate, bei denen über Forschungsergebnisse informiert wurde. 

Im Archiv des Weser-Kuriers wurden 2019 50 Artikel erhoben, die auf insgesamt 60 Formate der Wissenschaftskommunikation hinweisen. Das am häufigsten genannte Format war mit 32 Prozent der (öffentliche) wissenschaftliche Vortrag. Mit jeweils 18 Prozent bildeten Berichte über Forschungsprojekte oder Studien beziehungsweise Fachartikel die zweitgrößte Gruppe der Wissenschaftskommunikation im Lokalteil, Interviews mit Wissenschaftler*innen machten sieben Prozent der Formate aus. Im Jahr 2020 wurden 30 Artikel erhoben, die wissenschaftliches Wissen beinhalteten. Darin wurden 44 Kommunikationsformate erwähnt, darunter 34 Prozent Interviews mit Wissenschaftler*innen. Berichte über Forschungsprojekte waren mit 14 Prozent vertreten, Berichte über aktuelle wissenschaftliche Studien kamen viermal vor. Im Jahr 2020 waren neun Prozent aller im Lokalteil verhandelten Wissenschaftskommunikationsformate multidirektional oder partizipativ angelegt.

Schlussfolgerungen: Die Forscher stellen anhand ihrer Kategorisierung fest, dass die Mehrzahl der Formate, die Praktiker*innen unter anderem auf wissenschaftskommunikation.de vorgestellt werden, unidirektional ausgerichtet ist. Die meisten der erfassten Formate folgen ihrer Grundtendenz nach dem Motto „Wissenschaft informiert über ihre Forschung“. Dass die in den Lokalzeitungen am häufigsten vorkommenden Formate „wissenschaftliche Studie bzw. Fachartikel“ und „Interview“ in den genutzten Formate-Datenbanken gar nicht vorkommen, lässt die Forscher vermuten, dass darin ein starker Fokus auf neue, kreativ klingende Formate gelegt wird. 

Trotzdem stünden beispielsweise für Citizen-Science-Aktivitäten bisher nur relativ wenige konkrete Formate zur Verfügung. Die Forscher verweisen aber auch darauf, dass die kleine Anzahl der Formate nicht unbedingt auf mangelnde Qualität schließen lasse.

Laut der Forscher lässt sich an den Ergebnissen ablesen, dass die Pandemie partizipativer oder multidirektionaler Kommunikation zumindest keinen Schub verliehen hat.
Im ersten Pandemiejahr wurden fast ausschließlich unidirektionale Formate erwähnt. Die Wissenschaft scheint sich also zumindest zu Beginn der Pandemie vor allem auf diese Art der Kommunikation gestützt zu haben. Laut der Forscher lässt sich an den Ergebnissen ablesen, dass die Pandemie partizipativer oder multidirektionaler Kommunikation zumindest keinen Schub verliehen hat.

Bei der ersten Fallstudie zeigt sich, dass auch Aktivitäten die 2019 und 2020 als „mitmach“-Aktivität gelabelt wurden, größtenteils unidirektional ausgerichtet waren. Formate, die „Partizipation in Debatten über Forschung“ als Ziel haben, wurden später im Jahr 2020 verstärkt erwähnt. Die Forscher interpretieren das als Zeichen dafür, dass der Umgang der Pandemie zu diesem Zeitpunkt nicht mehr als Bestandteil von Spezial-, sondern von Alltagswissen behandelt wurde. 

Einschränkungen: Die Forscher stützen sich bei ihren Fallstudien darauf, wie häufig Wissenschaftskommunikationsformate in bestimmten Kanälen erwähnt wurden. Das gibt Hinweise darauf, welche Aktivitäten durchgeführt wurden, aber gibt möglicherweise kein vollständiges Bild. 

Rediger, P., Beer., A. (2024): Booster für partizipative Wissenschaftskommunikation? Effekte der Corona-Pandemie auf die Kommunikation wissenschaftlichen Wissens im Informationsdienst Wissenschaft und in Regionalzeitungen, in: Medien & Kommunikationswissenschaft, 72 (1), S. 21-48. 10.5771/1615-634X-2024-1-21.

Forschung trifft Praxis: Einblicke in die Wisskomm-Lehre

Das Bewusstsein für die Notwendigkeit, Forschung und Praxis in der Wissenschaftskommunikation zu verbinden, wächst. Trotzdem ist die Umsetzung dieser Forderung nicht immer leicht. Wie es in der Lehre gelingen kann, Brücken zwischen den beiden Bereichen zu schlagen, diskutieren Forscher*innen in einem Praxiseinblick. Sie präsentieren Fallstudien aus den USA, dem Vereinigten Königreich, Kanada, Deutschland, Indien und Mexiko.

  1. Erik Stengler, Dozent am Cooperstown Graduate Program (Science Museum Studies Track), SUNY Oneonta, New York 

Das Cooperstown Graduate Program arbeitet mit Praxispartnern wie etwa kleinen Museen zusammen, für die Studierende Ausstellungen und andere Formate konzipieren können. Um solche Möglichkeiten schaffen zu können, sei viel Recherche- und Netzwerkarbeit seitens der Dozierenden nötig. Stengler betont, wie wichtig es sei, mit „echten Partnern“ zusammenzuarbeiten.

Erik Stengler beobachtet eine immer noch allgegenwärtige Diskrepanz zwischen Forschung und Praxis.

Erik Stengler beobachtet eine immer noch allgegenwärtige Diskrepanz zwischen Forschung und Praxis. Studierende aus den Naturwissenschaften seien sich der Wissenschaftskommunikation als akademischer Disziplin selten bewusst. Viele Menschen gingen nach wie vor davon aus, dass Wissenschaftskommunikation eine praktische Fähigkeit sei, wissenschaftliche Erkenntnisse in leicht zugängliche Formen zu „übersetzen“. Dem begegnet Spengler auf verschiedenen Ebenen. Zum einen macht er im Cooperstown Graduate Program Studierende mit wissenschaftlichen Themen und Forschungsmethoden vertraut – und ermutigt sie zu überlegen, wie diese mit ihren eigenen Erfahrungen zusammenhängen. Dies sei ein erster Schritt zur Verknüpfung von Forschung und Praxis. 

2. Clare Wilkinson, Abteilung Wissenschaftskommunikation, UWE Bristol, Vereinigtes Königreich 

Im Programm der Abteilung für Wissenschaftskommunikation an der UWE Bristol entwickeln Studierende in Zusammenarbeit mit einer anderen Institution externe Projekte – von virtuellen Wissenschaftsfestivals bis hin zu Besucherzentren in Feuchtgebieten. 

Auf diese Weise betreiben sie angewandte Forschung und können gleichzeitig berufliche Netzwerke aufbauen. Dadurch lernten die Studierenden in Teams zu arbeiten und verbesserten auch ihr Selbstbewusstsein, schreibt Wilkinson. Die Partner-Organisationen können dabei auch informell auf das Fachwissen von Betreuenden zugreifen.

Eine Herausforderung sei, dass solche Projekte viel Zeit kosten. Deshalb sprechen sie vor allem Studierende ohne umfangreiche berufliche Verantwortung oder Betreuungspflichten an, schreibt die Dozentin. Damit Studierende mit unterschiedlichem sozialen und wirtschaftlichen Kapital solche Erfahrungen machen können, biete das Programm zusätzliche Möglichkeiten zur Zusammenarbeit und zum Netzwerken. Sowohl für die Studierenden als auch für die Partner-Organisationen gäbe es Probleme und Risiken – etwa, dass Projekte nicht abgeschlossen werden oder Partner nicht die Zeit aufbringen können, die Studierenden ausreichend zu unterstützen. Wie bei jedem „Matchmaking“ könnte es sowohl Erfolge als auch Misserfolge geben. Trotzdem sei dies ein Modell, das sowohl zu kurz- als auch zu langfristigen Partnerschaften führen könne, schreibt Wilkinson.

3. Alice Fleerackers, Scholarly Communications Lab, Simon Fraser University, Kanada

Trotz des wachsenden Interesses an Wissenschaftskommunikation gäbe es in Kanada über eine Handvoll Bachelor- und Zertifikatsprogramme hinaus nur wenige Bildungsmöglichkeiten in diesem Bereich, schreibt Alice Fleerackers. Viele Wissenschaftskommunikator*innen seien Autodidakt*innen mit einem naturwissenschaftlichen Hintergrund. Um Forschung und Praxis besser zu vernetzen, hat Fleerackers „Telling Science Stories (TSS)“ entwickelt, einen Einführungskurs in die Wissenschaftskommunikation, der Online- und Präsenz-Anteile hat. 

Studierende hören und lesen dafür Interviews und Berichte von Forscher*innen und Praktiker*innen und kommentieren ihre Lektüre über ein digitales Tool. Durch Diskussionen in kleinen Gruppen wird dialogisches und partizipatives Lernen gefördert. Außerdem werden so Erkenntnisse aus den Interviews mit denen aus der theoretischen Lektüre verknüpft. Auf Grundlage evidenzbasierter Erkenntnisse konzipieren die Studierenden auch selbst praktische Formate – beispielsweise Blog- oder Videobeiträge. 

4. Tobias Kreutzer, Institut für Journalistik, TU Dortmund

Der Aufschwung der Wissenschaftskommunikation in einem zunehmend wettbewerbsorientierten akademischen Umfeld birgt laut Tobias Kreutzer die Gefahr, Wissenschaftsmarketing zu fördern, dass eine kritische Auseinandersetzung mit den Wissenschaften untergrabe. Dieser Herausforderung begegnet die TU Dortmund 2022 mit der Einführung eines interdisziplinären Studiengangs, der Forschende verschiedener Disziplinen, Wissenschaftskommunikator*innen und Journalistikstudierende zusammenbringt. Dabei wird unter anderem die Möglichkeit gegeben mit Praktiker*innen – zum Beispiel aus der Pressestelle der Universität – ins Gespräch zu kommen. 

Grundlage für den Unterricht bilden spezifische Bedarfe. So hatten Studierende aus den Sozial- und Geisteswissenschaften vor dem Kurs berichtet, dass ihre Forschung gesellschaftlich oft als weniger legitim wahrgenommen werde als naturwissenschaftliche Forschung. Studierende der Naturwissenschaften ging es eher darum, ihre Arbeit in einfacher Sprache zu kommunizieren. Im Unterricht wurde vermittelt, dass Forschende aus verschiedenen Disziplinen in unterschiedlichen Kontexten mit individuellen Kommunikationsbedürfnissen arbeiten.

5. Siddharth Kankaria, Simons Center for the Study of Living Machines, National Center for Biological Sciences, Tata Institute of Fundamental Research

Obwohl es in Indien immer mehr Wissenschaftskommunikations-Initiativen gäbe, seien Möglichkeiten zur Erforschung und kritischen Reflexion ihrer Praxis selten, schreibt Siddharth Kankaria. Es bestehe ein dringender Bedarf an Programmen für den Austausch zwischen Wissenschaftskommunikationsforschung und -praxis. Daher habe er am National Center for Biological Sciences den Kurs „Grundlagen der Wissenschaftskommunikation“ entwickelt, um Hochschulabsolvent*innen ein theoretisch fundiertes Fundament der Wissenschaftskommunikation zu vermitteln, das in lokalen indischen Kontexten verwurzelt ist. Den Studierenden wird evidenzbasierte Literatur vorgestellt und im praktischen Teil der Stunde können sie in Gruppen eigenständig Kommunikationskampagnen zu verschiedenen Themen entwerfen. 

Kankaria bezieht sich in seinem Unterricht auf regionale Kontexte und Fallstudien aus dem Globalen Süden, statt unkritisch die Theorien des Globalen Nordens zu übernehmen.
Kankaria bezieht sich in seinem Unterricht auf regionale Kontexte und Fallstudien aus dem Globalen Süden, statt unkritisch die Theorien des Globalen Nordens zu übernehmen. Er diskutiert mit den Studierenden über die Vielfalt von Wissensformen und nutzt partizipative Ansätze wie Rollenspiele, um auf die eigenen Erfahrungen der Studierenden zurückzugreifen.

6. Edith Escalón, Akademische Abteilung für Bio- und Agrarwissenschaften, Universidad Veracruzana, Mexiko 

Die Wissenschaftskommunikation hat in den letzten Jahren in Mexiko Aufschwung erfahren und sei inzwischen ein komplexes und vielfältiges Fachgebiet. Allerdings wurden marginalisierte Communitys wie beispielsweise ländliche und indigene Gruppen von Praktiker*innen der Wissenschaftskommunikation bisher häufig übersehen. Deshalb habe die Universidad Veracruzana in Mexiko 2013 das „Science Communication Diploma“ ins Leben gerufen. Das Programm umfasst eine Mischung aus theoretischen und praktischen Anteilen – einschließlich Seminaren, Praktika und Kompetenzworkshops – und verfolge einen integrativen Ansatz, der auf soziokulturellen Perspektiven basiere. Theorie und Praxis werden auf verschiedene Weise miteinander verbunden. In den Kursen, die Edith Escalón unterrichtet, lesen Studierende beispielsweise wissenschaftliche Artikel, insbesondere solche, die für ihren lokalen Kontext relevant sind. Die Studierenden reflektieren das Gelesene und tauschen sich darüber aus. Viele von ihnen würden ermutigt, in die Praxis der Wissenschaftskommunikation einzusteigen oder eine zusätzliche Ausbildung zu absolvieren. 

Studierende werden an reale Probleme und Orte der Wissenschaftskommunikation herangeführt und treffen beispielsweise Fischer*innen, Förster*innen oder Kaffeeproduzent*innen. Edith Escalón vermittelt den Studierenden, dass diese Gruppen über wertvolles traditionelles Wissen verfügen, das von der westlichen Wissenschaft oft abgewertet wurde. Die Studierenden sollen lernen, mit verschiedenen Zielgruppen kommunizieren zu können. Auch legt die Dozentin einen Schwerpunkt auf sozialwissenschaftliche Methoden wie Fokusgruppen, Interviews und partizipative Techniken, um die Zuhör-, Dialog- und Verhandlungsfähigkeiten der Studierenden zu verbessern. 

Schlussfolgerungen: In den Fallstudien zeichnen sich vier gemeinsame Themen ab: Aufbau interdisziplinärer Partnerschaften, Nutzung von Dialog und Partizipation, Förderung von Reflexivität und epistemischer Bescheidenheit sowie Anpassung an lokale und kulturelle Kontexte. Durch die Zusammenarbeit mit Praktiker*innen und Vertreter*innen bestimmter Communities kann es gelingen, theoretische oder empirische Konzepte in lokale Kontexte einzubetten. Allerdings müssten die Pädagog*innen dabei sicherstellen, dass der Austausch für beide Seiten von Nutzen ist, schreiben die Forschenden. 

Fleerackers und Kreutzer stellen beispielsweise Lehransätze vor, die es Studierenden ermöglichen, Erkenntnisse aus Forschung und Praxis zu integrieren. Unterstützt wird das Lernen auch außerhalb des Klassenzimmers durch die Einbeziehung von Formaten wie Podcasts. Außerdem verweisen die Forscher*innen immer wieder darauf, wie wichtig es sei, reale Beispiele in den Unterricht zu integrieren, um zu verstehen, wie sich verschiedene Ansätze der Wissenschaftskommunikation unterscheiden. 

Unterstrichen wird auch, dass Wissenschaftskommunikationsforschung und -praxis auf eine Weise integriert werden müssen, die kulturell und lokal relevant ist. Kankaria und Escalón betonen, dass die Bedürfnisse von Gemeinschaften, die unterstützt werden sollen, unbedingt berücksichtigt werden müssen. Fähigkeiten wie Reflexivität und epistemische Demut könnten Studierende dazu ermutigen, unterschiedliche Arten des Verständnisses der Welt zu schätzen.

Kankaria, S., Fleerackers, A., Escalón, E., Stengler, E., Wilkinson, C. and Kreutzer, T. (2024). ‘Teaching to bridge research and practice: perspectives from science communication educators across the world’. JCOM 23 (02), N03. https://doi.org/10.22323/2.23020803

Mehr Aktuelles aus der Forschung

Mehr Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Praxis: Was oft gefordert wird, ist in der Umsetzung weder selbstverständlich noch immer einfach. In der aktuellen Sonderausgabe vom Journal of Science Communication (JCOM) geht es um die vielfältigen Beziehungen zwischen Forschung und Praxis der Wissenschaftskommunikation – und damit verbundenen Herausforderungen.
Beispielsweise stellen Christopher Buschow von der Hamburg Media School und Anja Noster von der Bauhaus-Universität Weimar ein Begleitforschungsprojektzur Entwicklung des „Innovationsfonds für Wissenschaftsjournalismus“ der Wissenschafts-Pressekonferenz e.V. (WPK) vor. Einblicke in die Entwicklung von interaktiven Ausstellungen am Bildungs- und Informationszentrum des CERN gibt ein weiterer Praxisbericht. Taichi Masu und Yasuhito Abe von der Doshisha University berichten in einem Essay über die Zusammenarbeit von ommunikationspraxis und Medienwissenschaft in einem Forschungsprojekt über Wissenschaftskommunikation im japanischen Fernsehen.

Welchen Einfluss haben Unsicherheiten auf das Vertrauen in Kommunikator*innen? Das hat ein Forschungsteam um Charlotte Dries vom Harding-Zentrum für Risikokompetenz in Potsdam in einem Online-Experiment getestet. In einer fiktiven Mitteilung einer Gesundheitsbehörde erfuhren die Teilnehmenden, dass es keinen Zusammenhang zwischen einem neuen COVID-19-Impfstoff und Herzmuskelentzündungen gebe. Die Behörde teilte mit, dass die Informationen gesichert seien – oder dass es aus verschiedenen Gründen Unsicherheiten gebe. Danach wurde den Teilnehmenden mitgeteilt, dass die Information über den fehlenden Zusammenhang nicht mehr zutrifft. Die Ergebnisse der Befragung deuten darauf hin, dass die Kommunikation von Unsicherheit ein Puffer gegen den Vertrauensverlust sein kann, wenn sich die Erkenntnislage ändert.

Und wie können Wissenschaftler*innen dazu beitragen, dass sie als vertrauenswürdig eingestuft werden? Samantha Hautea, John C. Besley und Hyesun Choung von der Michigan State University haben in einem Experiment untersucht, welchen Unterschied es macht, wenn Kurzbiografien von Wissenschaftler*innen Informationen über ihr Wohlwollen („benevolence“) vermitteln. Sie fanden heraus, dass dadurch die Wahrnehmung von Benevolenz und Integrität sowie die Vertrauensbereitschaft erhöhte. Die Einschätzung der Kompetenz blieb jedoch unverändert.

*Das KIT ist neben WiD und dem NaWik einer der drei Träger von Wissenschaftskommunikation.de