Bild: Foto: Christian Humm, CC BY-SA 4.0

Kurz vorgestellt: Neues aus der Forschung im März 2022

Wie kommen Fehler in der Berichterstattung über Gesundheitsthemen zustande? Welche Rolle spielen dabei Pressemitteilungen? Wie bewerten Wissenschaftler*innen die schwedische Coronapolitik? Und was bringen Infografiken in der Impfkommunikation? Das sind Themen im neuen Forschungsrückblick.

In dieser Rubrik besprechen wir regelmäßig neue Forschungsergebnisse zum Thema Wissenschaftskommunikation. Sollten Sie etwas vermissen, schreiben Sie uns gerne eine E-Mail oder hinterlassen Sie einen Kommentar.

Fallstudie zu falschen Darstellungen in der Gesundheitskommunikation

Bei der Berichterstattung über Gesundheitsthemen sind journalistische Sorgsamkeit und akkurate Darstellung medizinischer Sachverhalte wichtig. Gleichzeitig versuchen Journalist*innen, möglichst einfach und verständlich über komplexe Themen zu berichten, schreiben Georgia Dempster, Georgina Sutherland and Louise Keogh von der University of Melbourne. Die Forscherinnen haben in einer Fallstudie untersucht, wie es in der Kommunikation von wissenschaftlichen Forschungsergebnissen zu Falschdarstellungen kommen kann. 

Ausgangspunkt ist die im August 2017 im New England Journal of Medicine veröffentlichte Studie “NAD deficiency, congenital malformations and niacin supplementation” [Shi et al., 2017]. Darin geht es um die Chancen von Niacin-Supplementierung – also der Nahrungsergänzung durch Vitamin B3 – bei der Prävention angeborener Fehlbildungen. Die Erbinformation von Familien, die eine Vorgeschichte mit angeborenen Fehlbildungen haben, wurde sequenziert und auf Mutationen untersucht. Dann wurden Mäuse mit genetischen Mutationen gezüchtet, die denjenigen der Menschen nachempfunden waren. In der Studie wurde den Mäusen daraufhin Vitamin B3 verabreicht. Welche Effekte eine solche Nahrungsergänzung in der Schwangerschaft bei Menschen hat, wurde nicht untersucht. Trotzdem zogen viele Medienberichte direkte Schlussfolgerungen für Schwangere.

Auch die Presseerklärung erklärte nicht ausdrücklich, dass die Studienergebnisse nicht auf Menschen übertragen werden können.
Methode: Die Forscherinnen haben die Ausgangsstudie, die zugehörige Pressemitteilung und nachfolgende journalistische Berichterstattung quantitativ und qualitativ analysiert. Dafür haben sie auf Google News im Zeitraum von August 2017 bis Dezember 2017 nach Schlüsselwörtern wie „Niacin“, „Vitamin B3“ und „angeborene Fehlbildungen“ gesucht. In der quantitativen Analyse der 60 gefundenen Artikel wurden Schlagworte gesucht, die Art des Framings analysiert und geschaut, ob die Strategie des „Spin“ verwendet wurde. Damit wird eine Berichterstattung bezeichnet, die die positive Wirkung eines Ereignisses absichtlich oder unabsichtlich größer erscheinen lässt, als sie tatsächlich ist. Auch untersuchten die Autorinnen, ob in den Veröffentlichungen das Design der Ausgangsstudie beschrieben wurde, ob von Menschen oder Mäusen die Rede war, ob es Empfehlungen zur Nahrungsergänzung durch Vitamine gab, ob unabhängige Expert*innen befragt wurden und ob gesagt wurde, dass die Studienergebnisse nicht auf den Menschen übertragen werden können. In detaillierteren qualitativen Analysen wurde unter anderem untersucht, in welchen Kontexten die untersuchten sprachlichen Mittel verwendet wurden. 

Ergebnisse: Es kristallisierten sich bei der Analyse vier Themengruppen heraus: 

  1. Sensationalismus: Wie die Forscherinnen feststellten, enthielt der Ursprungsartikel keinen Spin im Titel oder im Artikel selbst und war ausgewogen geframt. Die Pressemitteilung unter dem Titel “Historic discovery has the potential to prevent miscarriages and birth defects globally” („Historische Entdeckung hat das Potenzial, Fehlgeburten und Geburtsfehler weltweit zu verhindern“) verwendete Spin hingegen sowohl in der Überschrift als auch im Text, enthielt Schlagworte und war positiv geframt. Die Mehrzahl der folgenden Presseberichte enthielten Spin im Hauptteil des Artikels (68 Prozent) und Schlagworte wie „historischer medizinischer Durchbruch“ (87 Prozent). Die Mehrheit (71 Prozent) der Berichte wurde positiv gerahmt. In vielen Fällen wurden Spin, Schlagwörter und positives Framing direkt von der Pressemitteilung übernommen. Trotzdem übernahmen nicht alle Medien diese Techniken. Rund 30 Prozent der Artikel nutzen keinen Spin und fast die Hälfte zitierte in die Studie involvierte, aber auch unabhängige Expert*innen. Einige Artikel waren negativ geframt und verwiesen auf die potenziellen Gefahren von irreführenden Informationen. 
  1. Falschdarstellungen: In der Ursprungsstudie wurde das Forschungsdesign klar beschrieben. Auch die Pressemitteilung enthielt eine Beschreibung der Studie. Es wurde darin zwar erwähnt, dass die Niacin-Supplementierung an Mäusen getestet wurde, nicht aber, dass eine Gensequenzierung an Menschen durchgeführt worden war.
    Die Mehrheit der Berichte (87 Prozent) beschrieben das Studiendesign und 62 Prozent berichteten, dass die Niacin-Supplementierung an Mäusen erforscht wurde. Etwas mehr als die Hälfte (57 Prozent) der Artikel berichtete, dass sowohl Menschen als auch Mäuse involviert waren.
  1. Klinische Empfehlungen: Der Ursprungsartikel erklärte nicht ausdrücklich, dass die Studienergebnisse nicht auf den Menschen übertragen werden können und enthielt medizinische Empfehlungen die Familien, die an der Forschung beteiligt waren. Auch die Presseerklärung erklärte nicht ausdrücklich, dass die Studienergebnisse nicht auf Menschen übertragen werden können und gab medizinische Empfehlung, die so interpretiert werden können, dass sie für die Gesamtbevölkerung gelten.
    60 Prozent der journalistischen Artikel gaben an, dass die Studienergebnisse nicht auf den Menschen übertragbar sind. Die überwiegende Mehrheit (88 Prozent) der Artikel gaben medizinische Empfehlungen zur Vitaminergänzung. Nur wenige Artikel (7 Prozent) rieten den Leser*innen, ihren Arzt oder ihre Ärztin für weitere Informationen zu konsultieren. Wie in der Pressemitteilung fanden sich auch in einigen Medienberichten Empfehlungen, die potenziell negative gesundheitliche Folgen haben könnten.
  1. Subjektivität: Die Ausgangsstudie enthielt wie die Pressemitteilung keine Kommentare aus der Sicht von Patient*innen. In der Pressemitteilung wurden nur Expert*innen mit direktem Bezug zur Studie zitiert. Die Finanzierung wurde darin offengelegt und ein Link zur Studie angeführt. In knapp der Hälfte der journalistischen Artikel (47 Prozent) wurden sowohl abhängige als auch unabhängige Expert*innen zitiert. Ein Viertel enthielt einen Link zum Zeitschriftenartikel.

Schlussfolgerungen: Die Fallstudie zeigt, dass sich der in der Pressemitteilung an den Tag gelegte Sensationalismus sowie Falschinformationen und potenziell schädliche medizinische Empfehlungen in einem großen Teil der journalistischen Artikel wiederfindet. Die unzureichende Beschreibung der Studie wurde häufig übernommen. 

Die Fallstudie zeigt, wie heikel es sein kann, ein Gleichgewicht zwischen der nüchternen Sprache von Wissenschaftler*innen und dem Wunsch nach Aufmerksamkeit zu finden.
Dieses Ergebnis unterstreicht die Bedeutung von Pressemitteilungen für die Rezeption von Studienergebnissen und verweist auf die hohe Verantwortung von Presseabteilungen. Deutlich werden auch die Gefahren von zu starker Simplifizierung: Beispielsweise wurde die Beschreibung der Studie in einigen Fällen so stark vereinfacht, dass nicht mehr nachvollziehbar war, wie die Studie durchgeführt wurde oder welche Auswirkungen sie auf schwangere Frauen haben könnte.

Angesichts der Falschdarstellungen und des Sensationalismus der Pressemitteilung bewerten es die Autorinnen jedoch bemerkenswert, dass viele Journalist*innen zusätzliche Informationen eingeholt haben und eine ausgewogenere Darstellung als die Kommunikationsabteilung der Forschungsinstitution präsentierten. Einige Journalist*innen haben sich bewusst bemüht, die in der Pressemitteilung enthaltene Falschdarstellung und die Verweise auf die Einnahme von Vitaminpräparaten während der Schwangerschaft nicht zu reproduzieren. 

Die Fallstudie zeigt, wie heikel es sein kann, ein Gleichgewicht zwischen der nüchternen Sprache von Wissenschaftler*innen und dem Wunsch nach Aufmerksamkeit zu finden. Wissenschaftler*innen, Presseabteilungen wie auch Journalist*innen stehen laut der Autor*innen unter Druck, die Bedeutung der Forschung beziehungsweise des Nachrichtenthemas zu demonstrieren. Dieser „Druckcocktail“ könne zu einer falschen Darstellung der Wissenschaft führen, die zu gesundheitsschädlichem Verhalten führen könne.

Einschränkungen: Die Fallstudie bezieht sich auf einen einzelnen Fall, weshalb sich die Ergebnisse nicht generalisieren lassen. Möglicherweise hat sich die Berichterstattung über medizinische Forschung seit 2017 gewandelt. Hinweise auf die Übertragbarkeit der Ergebnisse und die Entwicklung medizinischer Berichterstattung könnten vergleichende Studien geben.

Dempster, G., Sutherland, G. and Keogh, L. (2022). Scientific research in news media: a case study of misrepresentation, sensationalism and harmful recommendations. JCOM 21 (01), A06. https://doi.org/10.22323/2.21010206

Welche Rolle spielt wissenschaftliche Expertise in der schwedischen Pandemiepolitik? 

Eigentlich hätte Schweden gute Voraussetzungen, die Folgen der Coronapandemie zu managen, urteilt ein Team von Wissenschaftler*innen um Nele Brusselaers vom Karolinska Institutet in Stockholm in einem Forschungs-Report. Schließlich habe das Land in der Vergangenheit große Erfolge in der Gesundheitsvorsorge erzielt. 2020 aber sei die Covid-19-bezogene Todesrate zehn Mal höher als im Nachbarland Norwegen gewesen. In ihrem Bericht untersuchen die Forscher*innen die schwedische Pandemiepolitik, die im Vergleich zu anderen europäischen Ländern von Anfang an auf weniger strenge Maßnahmen setzte. 

Methode: Die Forscher*innen haben sich dafür auf das erste Jahr der Covid-19-Pandemie bis Ende 2020 konzentriert. Sie untersuchten, mit welchen Narrativen die Regierung und die Behörden arbeiteten und welche Rolle der Einsatz von wissenschaftlichem Wissen spielte. Dafür haben sie eine Inhaltsanalyse unterschiedlicher Quellen durchgeführt, darunter Diskussionen zwischen den Co-Autor*innen des Reports und anderen Expert*innen, wissenschaftliche Peer-Review-Studien über den Umgang Schwedens mit der Pandemie, Regierungsberichte und -mitteilungen sowie Medienberichterstattung. Hinzu kamen E-Mail-Konversationen, Tagesordnungen, Sitzungsnotizen und Pressemitteilungen der Akteur*innen, die auf nationaler Ebene an der Entscheidungsfindung beteiligt waren.

Die Public Health Agency, so urteilen die Autor*innen, lag in ihren Risikobewertungen systematisch falsch.

Ergebnisse: Eigentlich hätte das Krisenmanagement auf Regierungsebene durch das Büro des Ministerpräsidenten koordiniert werden und ein Krisenstab einberufen werden sollen, schreiben die Autor*innen. Tatsächlich aber sei die schwedische Covid-19-Strategie vor allem von der Public Health Agency, der Regierungsbehörde für öffentliche Gesundheit, koordiniert worden. Sowohl der Ministerpräsident als auch die Gesundheitsministerin hätten öffentlich erklärt, dass sie keine Kompetenzen in Bezug auf Pandemien oder medizinische Fragen hätten. Interviews zu Corona habe der Regierungschef selten gegeben. 

Die Public Health Agency, so urteilen die Autor*innen, lag in ihren Risikobewertungen systematisch falsch und ignorierte wissenschaftliche Beweise beispielsweise in Bezug auf Eindämmungsstrategien, Übertragung des Virus über die Luft, präsymptomatische und asymptomatische Ausbreitung, Gesichtsmasken und Long-Covid.

Die Autor*innen berichten, dass die staatlichen Akteur*innen die Folgen der Pandemie in der Kommunikation immer wieder heruntergespielt und teilweise sogar falsche Informationen verbreitet hätten – beispielsweise, was die Kapazitätsgrenzen von Krankenhäusern betrifft. Angeführt werden Beispiele für mangelhafte Transparenz der staatlichen Coronapolitik. Es seien beispielsweise keine genauen Zahlen zu Krankenhausbetten, der Anzahl an Infizierten und Todesfällen bekannt gewesen. In vielen Fällen seien Informationen von offiziellen Stellen zurückgehalten oder E-Mails gelöscht worden.  

Es habe keine offizielle, demokratische oder multidisziplinäre wissenschaftliche Beratung der staatlichen Akteur*innen gegeben, schreiben die Autor*innen.
Weder vonseiten der Medien noch vonseiten der Politik sei starke Kritik an den staatlichen Pandemiemaßnahmen geäußert worden. Es habe keine offizielle, demokratische oder multidisziplinäre wissenschaftliche Beratung der staatlichen Akteur*innen gegeben, schreiben die Autor*innen.

Eine wissenschaftliche Institution, die versucht habe, der Öffentlichkeit Informationen bereitzustellen, sei das im Juni 2020 gegründete Schwedische Wissenschaftsforum Covid-19, bestehend aus etwa 40 unabhängigen Ärzten, Ärztinnen und Wissenschaftler*innen aus verschiedenen fachlichen Disziplinen. Auch die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften habe versucht, wissenschaftliche Erkenntnisse in die Öffentlichkeit zu tragen. Ihre Bestrebungen, in Dialog mit Entscheidungsträger*innen zu kommen, sei jedoch meist erfolglos geblieben. Ihre Ratschläge seien von der Public Health Agency nicht oder erst sehr spät berücksichtigt worden.

Schlussfolgerungen: Die Idee, dass das Virus nicht ausgerottet und vollständig gestoppt werden könne, scheine ein Schlüsselelement der schwedischen Strategie zu sein, schlussfolgern die Autor*innen aus ihren Ergebnissen. Die schwedische Reaktion auf die Coronapandemie habe von Anfang an den Empfehlungen der WHO, des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten sowie den US-amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention widersprochen. Die Public Health Agency habe sich in erster Linie auf eine kleine Beratergruppe mit einem engen disziplinären Fokus und zu begrenztem Fachwissen gestützt. Die Intransparenz von Entscheidungsprozessen und die Nichteinbeziehung von Bürger*innen in öffentliche Debatten trage zu einer Schwächung der Demokratie bei. Die Autor*innen argumentieren, dass die schwedische Linie als drastische Abweichung von der eigenen Tradition einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Politik, Verwaltung und Forschung zu begreifen sei. 

Inwieweit es sich tatsächlich um eine Strategie handele oder das Handeln eine Folge eines Mangels an Koordination, Kommunikation und Debatte zwischen allen relevanten Parteien war, bleibt offen. Durch die laxen staatlichen Vorgaben sei Verantwortung im Umgang mit der Pandemie in die Hände der Bürger*innen gelegt worden – worunter vor allem vulnerable Gruppen wie Ältere und Pflegebedürftige zu leiden hatten. 

Es sei mehr Wert auf den Schutz des „schwedischen Images“ gelegt worden als auf die Rettung und den Schutz von Leben.
Die Autor*innen argumentieren, dass die Einbeziehung wissenschaftlichen Wissens in die politische Entscheidungsfindung versagt hat. Es sei mehr Wert auf den Schutz des „schwedischen Images“ gelegt worden als auf die Rettung und den Schutz von Leben.

Für die Wissenschaftskommunikation ergibt sich aus diesem Report unter anderem die Frage, wie die Einbeziehung von wissenschaftlichem Wissen in staatliches Handeln in Krisenzeiten gestärkt werden kann – auf kommunikativer, aber auch auf institutioneller Ebene. Die Autor*innen kritisieren beispielsweise das Fehlen eines unabhängigen Instituts, das sich ausschließlich um den nationalen Infektionsschutz kümmert. Auch die Rolle eines kritischen (Wissenschafts) Journalismus, der staatliches Handeln hinterfragt, wäre zu diskutieren. 

Einschränkungen: Die Studie betrachtet die schwedische Coronapolitik aus der Perspektive des wissenschaftlichen Konsens betreffend einer möglichst effektiven Eindämmung der Pandemie. Weitere Aspekte, die staatliche Entscheidungsträger*innen womöglich in ihre Entscheidungsfindung einbeziehen, etwa wirtschaftliche, soziale und bildungspolitische Erwägungen – werden in der Bewertung nur am Rande berücksichtigt.

Brusselaers, N., Steadson, D., Bjorklund, K. et al. Evaluation of science advice during the COVID-19 pandemic in Sweden. Humanit Soc Sci Commun 9, 91 (2022). https://doi.org/10.1057/s41599-022-01097-5

Die Effekte von Infografiken in der Impfkommunikation

In der Wissenschafts- und Gesundheitskommunikation ist es wichtig, Informationen verständlich und glaubwürdig zu vermitteln. Am Beispiel der Kommunikation über mRNA-Impfstoffe haben Elizabeth E. Riggs, Hillary C. Shulman und Rachel Lopez von der Ohio State University in den USA untersucht, welche Rolle dabei Infografiken spielen können. 

Methode: Die Wissenschaftlerinnen stützen sich bei ihrem Experiment auf die „feelings-as-information theory“ (FIT). Diese geht davon aus, dass Menschen neue Informationen (1) auf der Grundlage des Inhaltes der Information selbst und (2) ihrer Gefühle und Gedanken zu ihrer eigenen Informationsverarbeitungserfahrung bewerten. Wissenschaftlerinnen nehmen an, dass sich Fachjargon negativ auf die processing fluency, also die Leichtigkeit der Verarbeitung von Informationen, auswirkt. Die Verwendung von Infografiken aber, so die These, schwäche diesen Einfluss ab.

Die Wissenschaftlerinnen gehen außerdem davon aus, dass bei einer leichteren Informationsverarbeitung auch der Widerstand gegen die vermittelten Informationen sinkt (MRTP = motivated resistance to persuasion). Die Verwendung von Fachbegriffen allerdings verstärke den Widerstand. Ein weiterer Faktor, den die Wissenschaftlerinnen betrachten, ist die Glaubwürdigkeit der Information. Sie nehmen an, dass der Widerstand gegen sie geringer wird, je glaubwürdiger sie sind. Glaubwürdigkeit umfasse die Wahrnehmungen von Fachwissen sowie von Vertrauenswürdigkeit. Die Autorinnen vermuten, dass bei Texten mit vielen Fachbegriffen ohne Infografiken durch die erschwerte Verarbeitung und den erhöhten Widerstand auch die wahrgenommene Glaubwürdigkeit abnimmt. Wenn die Informationen glaubwürdiger sind, so die These, steige auch die Absicht, sich impfen zu lassen. Die Verwendung von Fachbegriffen aber verringere die Impfabsichten. 

Je leichter die Teilnehmenden die präsentierten Informationen verarbeiten konnten, umso glaubwürdiger erachteten sie diese.
Um ihre Thesen zu überprüfen, führten die Wissenschaftlerinnen zwischen dem 18. und 24. Februar 2021 auf der Online-Plattform TurkPrime eine Umfrage mit 643 Teilnehmer*innen zwischen 21 und 77 Jahren durch, darunter 62,5 Prozent Männer. Sie wurden jeweils mit einer von vier möglichen Kombinationen konfrontiert: (1) einem Originalartikel aus der Washington Post, in dem mit viel Fachvokabular erklärt wird, wie mRNA-Impfstoffe funktionieren, (2) demselben Artikel mit der zugehörigen Infografik, (3) dem überarbeiteten, mit verständlicheren Synonymen versehenen Artikel, (4) und dem einfacher formulierten Artikel mit zugehöriger Infografik. 

Nachdem die Teilnehmer*innen die Artikel gelesen hatten, beantworteten sie Fragen zur Processing fluency (z.B.: „Die präsentierten Informationen waren für mich einfach zu verstehen“), zum Widerstand (z.B. „Der Text, den ich gelesen habe, hat versucht mein Denken auf eine bestimmte Art und Weise zu lenken“), und zur Glaubwürdigkeit der Informationen. 

Ergebnisse: Die Ergebnisse des Experiments bestätigen die Hypothesen. Wie erwartet erschwert die Verwendung von Fachvokabular die kognitive Verarbeitung. Das zeigte sich besonders stark, wenn die Teilnehmenden nur mit dem komplizierter formulierten Text konfrontiert wurden. Wenn sie jedoch zusätzlich eine Infografik sahen, reduzierte sich der negative Effekt des Fachvokabulars. Wenn die Teilnehmenden Probleme hatten, den Text kognitiv zu verarbeiten, erhöhte das ihren Widerstand gegen den Inhalt. Es zeigte sich, dass sich auch die Verwendung von Fachjargon den Widerstand erhöhte, aber nur, wenn keine Infografik gezeigt wurde. 

Sehr deutlich zeigte sich auch: Je leichter die Teilnehmenden die präsentierten Informationen verarbeiten konnten, umso glaubwürdiger erachteten sie diese. Je glaubwürdiger die Teilnehmenden die Informationen fanden, umso eher erklärten sie, sich impfen lassen zu wollen. Die Ergebnisse zeigen, dass sich die Verwendung von Fachbegriffen indirekt negativ auf die Impfabsicht auswirkt, indem dadurch die Leichtigkeit der Verarbeitung und die Glaubwürdigkeit sinken sowie der Widerstand steigt.

Schlussfolgerungen: Die Autorinnen argumentieren, dass durch das Auftauchen des neuartigen Covid-19-Virus in der öffentlichen Debatte viele Fachbegriffe aufgetaucht sind, die Nicht-Expert*innen vorher fremd waren. Wissenschafts- und Gesundheitskommunikator*innen stelle das vor Herausforderungen. Die Ergebnisse der Studie stützen Empfehlungen, nach denen Kommunikator*innen Fachbegriffe möglichst vermeiden sollten. Auch wenn angenommen werden könnte, dass die Verwendung von Expert*innen-Vokabular die Glaubwürdigkeit von Informationen steigert, deuten die Ergebnisse dieser Studie auf den gegenteiligen Effekt hin. Wenn das Ziel von Wissenschaftskommunikation ist, die Impfbereitschaft zu erhöhen, sollte laut der Studienergebnisse möglichst auf Fachsprache verzichtet werden. 

Wenn das Ziel von Wissenschaftskommunikation ist, die Impfbereitschaft zu erhöhen, sollte laut der Studienergebnisse möglichst auf Fachsprache verzichtet werden.
Lässt sich, wie beispielsweise in der Coronapandemie, wegen der Komplexität von Themen die Verwendung fachspezifischen Vokabulars nicht vermeiden, könnten Infografiken eine Möglichkeit sein, Widerstände abzubauen und Glaubwürdigkeit sowie Verständlichkeit zu erhöhen.

Einschränkungen: Die Studie bezieht sich auf ein einziges Thema, eine einzelne Infografik und einen spezifischen Zeitungsartikel. Infografiken können sehr unterschiedliche Formen annehmen. Deshalb müssten weitere Studien zeigen, ob sich die Ergebnisse auch auf andere Themen, Texte und Infografiken übertragen lassen. 

Riggs, E. E., Shulman, H. C., Lopez, R. (2022) Using infographics to reduce the negative effects of jargon on intentions to vaccinate against COVID-19, Public Understanding of Science, https://journals.sagepub.com/doi/full/10.1177/09636625221077385

Mehr Aktuelles aus der Forschung

Hausangestellte ohne Papiere sind bei der Gesundheitsversorgung benachteiligt und haben in der Regel keinen Anspruch auf eine Krankenversicherung. Wie aber können Covid-19-bezogene Präventionsmaßnahmen und eine Impfstrategie auf die Bedürfnisse dieser Zielgruppe zugeschnitten werden? Um das herauszufinden, hat ein Team von Wissenschaftler*innen um Maria van den Muijsenbergh vom Radboud University Medical Centre im niederländischen Nijmegen eine Umfrage unter Hausangestellten ohne Papiere in den Niederlanden durchgeführt. Es zeigte sich, dass sich die Befragten durch ihre prekäre Lage besonders verwundbar fühlen, weswegen sie sich über Tests und Beschränkungen informieren und diese befolgten. Gleichzeitig wirkten sich die Corona-Maßnahmen negativ auf zentrale Lebensbereiche wie Arbeit, Wohnen oder soziale Unterstützung aus.

Youtube ist ein wichtiger Kanal für die Wissenschaftskommunikation. Wie sich Zuschauer*innen die Inhalte der Videos aneignen, wie sie ihre Aufmerksamkeit verteilen und welches Wissen sie dabei erwerben, haben Hans-Jürgen Bucher, Bettina Boy und Katharina Christ von der Universität Trier im Labor und in einer Online-Studie untersucht. Unter anderem haben sie eine Typologie audiovisueller Wissenschaftsvideos erstellt. Diese umfasst den Expert*innenfilm, den narrative Erklärfilm, den Präsentationsfilm und den Animationsfilm.

In Citizen-Science-Projekten treffen Bürger*innen und Wissenschaftler*innen aufeinander, die sich im gemeinsamen Forschungsprozess ihnen bisher unbekannten Aufgaben und Herausforderungen stellen. Das führt laut Susanne Hecker and Monika Taddicken auch dazu, dass sie neue Rollen annehmen. Unter Bezug auf die Rollentheorie stellen die beiden Kommunikationswissenschaftlerinnen ein Rahmenwerk vor, innerhalb dessen Aufgaben, Kommunikationsziele, Interaktionsräume und Rollen der verschiedenen Akteur*innen von Citizen-Science-Projekten erfasst und reflektiert werden können.

Gerade während der Coronapandemie haben Preprints an Bedeutung gewonnen, was die schnelle Verbreitung von wissenschaftlichen Erkenntnissen angeht. Andererseits stellen Veröffentlichungen, die noch keinen Peer-Review durchlaufen haben, Medienmachende vor Herausforderungen. François van Schalkwyk von der Stellenbosch University in Südafrika und Jonathan Dudek von der Universität Leiden in den Niederlanden haben Nachrichtenartikel mit Coronabezug aus vier südafrikanischen Online-Medien untersucht, in denen mit Preprints als Quellen gearbeitet wurde. Trotz der Veröffentlichung von Leitlinien für die Berichterstattung seien die Medien noch weit entfernt von einer vernünftigen Nutzung von Preprints, schlussfolgern die beiden Wissenschaftler.

Als Italien am Anfang der Pandemie schlimmer betroffen war als jedes andere Land, wurde auch andernorts über die italienische Strategie der Krisenbewältigung debattiert. Lorella Viola von der University of Luxembourg hat Diskursstrategien von Expert*innen, Politiker*innen und anderen sozialen Akteur*innen aus Spanien, Frankreich, den Niederlanden und dem Vereinigten Königreich untersucht. Sie zeigt, dass in den nationalen Diskursen stark mit Abgrenzungen gearbeitet wurde. Schuldzuweisungen, in denen Italien als Übeltäter dargestellt wurden, zeigten sich als länderübergreifendes Muster.

Der Fokus auf Bilder und Videos mache Instagram zu einer idealen Plattform für die Kommunikation archäologischer Forschung, schreibt Gino Caspari von der Universität Sidney und der Universität Bern. Der Archäologe und Wissenschaftskommunikator präsentiert in einem Artikel die Ergebnisse eines dreijährigen Versuchs, archäologische Wissenschaftskommunikation auf der Plattform zu betreiben und analysiert dabei Zielgruppen, Effekte und auftretende Probleme. Er argumentiert, dass Instagram zu einem wichtigen Werkzeug für die Kommunikation über Archäologie werden kann, das auch Orientierung für Studierende bieten und neue Aspekte zum öffentlichen Bild der Wissenschaft beitragen könne.