Heatmap zeigt Aufmerksamkeitsverteilung bei einem Video von BYTEthinks. Screenshot: Projekt audiovisuelle Wissenschaftskommunikation

„Wer Youtube-Videos macht, sollte den Werkzeugkasten kennen“

Wie funktionieren audiovisuelle Formate wie Youtube-Videos bei der Wissensvermittlung? Ein Forschungsteam der Universität Trier hat herausgefunden, dass die beliebteren Formate nicht unbedingt die sind, die den größten Lerneffekt erzielen. Direkte Ansprache und Unterhaltsamkeit können helfen, das Publikum zu erreichen.

Herr Bucher, Sie haben in Ihrer Studie „Audiovisual Science Communication on TV and Youtube. How Recipients Understand and Evaluate Science“ Wissenschaftsvideos analysiert. Was wollten Sie herausfinden? 

Die theoretische Frage war: Wie funktionieren solche audiovisuellen Formate zur Wissensvermittlung? Das ist insofern interessant, da es bisher wenige wissenschaftliche, vor allem wenig empirische Befunde zur audiovisuellen Wissensvermittlung gibt. Audiovisuelle Formate sind ein spezifischer Typ von multimodaler Kommunikation. Multimodalität bedeutet, dass gleichzeitig auf verschiedenen Ebenen kommuniziert wird – unter anderem über Bild, Sprache und Text. Der andere interessante Punkt für uns war, dass sich Wissenschaftskommunikation in den digitalen Raum verlagert hat. Es gibt diese klassische Wissensordnung nicht mehr, in der Wissenschaftler*innen Wissen generieren und Journalist*innen das dann der Öffentlichkeit vermitteln. Wir erleben eine allmähliche Auflösung dieser etablierten Ordnung. Wissenschaftler*innen können sich über digitale Kanäle direkt an die Öffentlichkeit wenden, aber auch Lai*innen können quasi journalistische Funktionen übernehmen.

Hans-Jürgen Bucher ist emeritierte Professor der Medienwissenschaft an der Universität Trier. Er forscht seit vielen Jahren zur Wissenschaftskommunikation und leitete das von der Klaus Tschira Stiftung geförderte dreijährige Projekt zur audiovisuellen Wissenschaftsvermittlung auf YouTube.
Hans-Jürgen Bucher ist emeritierte Professor der Medienwissenschaft an der Universität Trier. Er forscht seit vielen Jahren zur Wissenschaftskommunikation und leitete das von der Klaus Tschira Stiftung geförderte dreijährige Projekt zur audiovisuellen Wissenschaftsvermittlung auf Youtube. Foto: Pressestelle der Universität Trier

Mit großem Erfolg, wie Ihre Studie zeigt. Sie haben 400 Youtube- und Fernsehvideos untersucht. Unter den 50 beliebtesten war kein einziges einer wissenschaftlichen Institution. Woran liegt das?

Die einfache Antwort lautet: Weil wissenschaftliche Lai*innen die Youtube-Logik besser verstanden haben als wissenschaftliche Spezialist*innen. Wobei es auch Wissenschaftler*innen gibt, die genauso große Reichweite erzielen. Mai Thi Nguyen-Kim mit ihrem maiLab hat beispielsweise die Medienlogik von Youtube erkannt. Viele andere Science-Influencer*innen aber haben weder einen journalistischen noch einen wissenschaftlichen Hintergrund, sondern sind gewissermaßen kompetente Youtube-Nutzer*innen. Lai*innen haben eine stärker adressatenorientierte Perspektive und wählen deshalb Themen aus, die dichter an ihrem Publikum dran sind. Sie können sich fragen: Was kommt gerade gut an? Wissenschaftler*innen haben die Tendenz, das zu kommunizieren, woran sie selbst forschen – ohne zu fragen: Wen interessiert das eigentlich?

Wie haben Sie die Videos eingeteilt? 

Wir haben ungefähr 1.000 Wissenschaftsvideos gesichtet, die wir durch ein Schneeballprinzip gesammelt haben. Daraus haben wir einen Korpus von 400 Videos gebildet. Wir sind darauf gekommen, dass es im Grunde vier Basisformate sind, auf die man sie reduzieren kann. Zwei, die eher klassisch fürs Fernsehen sind: der relativ komplexe, aus verschiedenen Elementen bestehende, narrative Erklärfilm, den man auch aus Sendungen wie Quarks kennt, und den Expert*innenfilm, den auch manche Forschungsinstitute verwenden. Darin wird ein*e Expert*in zu einem bestimmten Thema vorgestellt. Als drittes haben wir den für Youtube typischen Präsentationsfilm, in dem eine Person durch die Sendung führt. Das vierte ist der Animationsfilm, der mit computergenerierten Visualisierungen arbeitet und auch eher charakteristisch für Youtube ist.

Wie sind Sie dann vorgegangen? 

„Man kann nicht sagen: Dieser eine Videotyp ist besonders gut geeignet und schlägt alle anderen. Es geht immer darum: Wofür soll ein Format geeignet sein?“ Hans-Jürgen Bucher
Bei Laboruntersuchungen haben wir mehr als hundert Studienteilnehmenden Videos gezeigt und Blickaufzeichnungen durchgeführt. In Wissenstests haben wir abgefragt, wie viel die Teilnehmenden vorher und nachher über das im Film behandelte Thema wussten. Außerdem haben wir sie in einem Leitfadeninterview befragt – unter anderem zu Sympathie für die Präsentierenden und, ob sie Videos weiterempfehlen würden. Um die Befunde aus dem Labor zu kontrollieren, haben wir eine Online-Umfrage durchgeführt, bei der wir 500 Fragebögen quantitativ auswerten konnten.

Was haben Sie über den Erfolg der unterschiedlichen Formate herausgefunden? 

Es ist definitiv so, dass die beiden Youtube-Formate eine viel größere Verbreitung haben, als die klassischen Fernsehformate. So werden Präsentationsfilme durchschnittlich fast 6.000 mal pro Tag aufgerufen, Expertenfilme gerade 60 Mal. Animationsfilme liegen an zweiter Stelle mit durchschnittlich 3.000 täglichen Aufrufen, der Erklärfilm kommt auf rund 1.000 Aufrufe. 

Sie haben dabei auch herausgefunden, dass die beliebteren Formate nicht unbedingt diejenigen sind, die mehr Wissen vermitteln. Was bedeutet das?

Genau. Das sieht man beim narrativen Erklärfilm ganz deutlich. Wie haben einerseits über Multiple-Choice-Tests die Vermittlung von Faktenwissen überprüft und über sogenanntes Concept Mapping die Erfassung von Strukturwissen. Letzteres ist das wertvollere Wissen, weil es Fakten in Zusammenhang bringt, während Faktenwissen häufig nur aus aneinandergereihten Sachverhalten besteht. Der narrative Erklärfilm ist für die Vermittlung von Strukturwissen am besten geeignet. Danach kommt gleich der Animationsfilm. Aber insgesamt ist es so, dass alle audiovisuellen Formate in dieser Hinsicht erstaunlich schlecht abschneiden. Bei allen Formaten wird nur etwa ein Viertel des Wissens vermittelt, das eigentlich in einem Video steckt.

Hat Sie das überrascht? 

Im Grunde genommen konnte man es ahnen, weil aus der Nachrichtenforschung bekannt ist, dass in linearen Medien wie Fernsehen oder Video – bei denen man also nicht anhalten oder zurückblättern kann –  Sachverhalte nur als Bruchstücke ankommen. Aber in dieser Deutlichkeit habe ich das nicht erwartet. Insofern müsste man ganz grundsätzlich fragen: Was können audiovisuelle Formate überhaupt für die Wissensvermittlung leisten? Ich sehe aber durchaus Optimierungsmöglichkeiten.

Forschungsteam der Universität Trier: Hans-Jürgen Bucher, Katharina Christ, Bettina Boy
Forschungsteam der Universität Trier: Hans-Jürgen Bucher, Katharina Christ, Bettina Boy (v. l.) Foto: Universität Trier

Zum Beispiel? Sollte man eher Formate wählen, die Klicks generieren – oder solche, die besser Wissen vermitteln? 

Die Schlussfolgerung wäre: Wer Youtubevideos macht, sollte den Werkzeugkasten kennen. Man kann nicht sagen: Dieser eine Videotyp ist besonders gut geeignet und schlägt alle anderen. Es geht immer darum: Wofür soll ein Format geeignet sein? Ich kann mir vorstellen, dass auch der Expert*innenfilm, der nur eine geringe Reichweite erzielt, besser funktionieren könnte, wenn er zielgenau und webgemäß eingesetzt wird. Eine Botschaft unserer Ergebnisse ist auch: Man kann Formate auch mischen. Zum Beispiel, indem der*die jeweilige Wissenschaftler*in im Expertenfilm direkt mit mir als Adressat*in redet. Es ist nun mal ein Charakteristikum für soziale Medien, dass die Ansprache direkt erfolgt. Präsentationsfilme sind auch deshalb so erfolgreich, weil sie eine hohe Personalisierung bewirken.

Das heißt, Wissenschaftler*innen sollten sich in ihrer Ansprache an Youtuber*innen orientieren? 

Bei Mai Thi Nguyen-Kim sieht man, dass sie als Youtuberin und Wissenschaftlerin gleich gut agiert. Aber für ihren Youtube-Kanal maiLab gab es im Labor einen interessanten Befund: Ältere Zuschauer haben das Format eher abgelehnt. Sie fanden: Die Moderatorin redet zu schnell, die Schnitte sind zu schnell, die Ästhetik hat ihnen nicht gefallen. Ein Video, in dem Mai Thi Nguyen-Kim bei Quarks moderiert und gesetzter auftritt, kam bei den älteren Proband*innen viel besser an. Insofern kann die Frage „Wer ist mein Publikum?“ ganz entscheidend für die Gestaltung meines Videos sein.

Der reichweitenstarke Präsentationsfilm hat bei der Wissensvermittlung nicht so gut abgeschnitten. Woran liegt das?

Da haben wir ein Dilemma: Die Attraktivität für die Zuschauer*innen ist hoch, aber die Wissensvermittlung funktioniert nur begrenzt. Man kann das mit multimodalen Argumenten erklären: In dem Moment, in dem ich eine*n Moderator*in sehe und diese*r mir zum Beispiel etwas an einer Tafel zeigt, habe ich ein Problem mit meiner Aufmerksamkeitsorganisation. Ich weiß gar nicht, wo ich hingucken soll. Aber wenn jemand nur redet, schalten die Zuschauer*innen schnell ab. Bei Mai Thi Nguyen-Kim sieht man, dass sie gut mischt: Sie ist sehr präsent, aber zeigt auch Einspieler. Aus unserer Studie kann man ableiten, dass Animationen am besten funktionieren, wenn ich komplexe Sachverhalte vermitteln will. Eine unsichtbare Person kommentiert das Visuelle aus dem Off, so dass die Aufmerksamkeit nicht auf zwei optische Quellen aufgeteilt werden muss. Wenn die Bilder und die Stimme aus dem Off gut synchronisiert sind, bin ich mit meiner Verarbeitung immer auf dem aktuellen Stand des Videos.

Wo soll man hinschauen? Bei der Sendung zum Déjà Vu aus „Wissen vor Acht“ haben die Probanden erhebliche Entscheidungsschwierigkeiten. Die Heatmaps zeigen die Aufmerksamkeitsverteilung von 17 Testpersonen
Wo soll man hinschauen? Bei der Sendung zum Déjà-vu aus „Wissen vor Acht“ haben die Proband*innen erhebliche Entscheidungsschwierigkeiten. Die Heatmaps zeigen die Aufmerksamkeitsverteilung von 17 Testpersonen. Screenshot: Projekt audiovisuelle Wissenschaftskommunikation

Sie haben auch untersucht, wie sich die Unterhaltsamkeit von Videos auswirken. Was ist dabei herausgekommen? 

An den Ergebnissen sieht man: Unterhaltsamkeit ist für über zwei Drittel ein wichtiges Kriterium bei Wissenschaftsvideos. Und die Unterhaltsamkeit korreliert eindeutig mit dem Gefühl, dass ich etwas gelernt habe. Gleichzeitig korreliert sie auch mit dem Wissenserwerb. Wenn die Rezipienten ein Video unterhaltsam finden, haben sie also auch mehr davon gelernt. Bei der Sympathie ist es ähnlich. Wenn ich die Person, die in dem Video auftaucht, sympathisch finde, habe ich auch das Gefühl, etwas gelernt zu haben. Zwei Dinge, die man daraus für die Praxis ableiten könnte, sind: Versuch unterhaltsam zu sein und sympathisch rüberzukommen. Das hilft nicht nur bei den oberflächlichen Zustimmungswerten, sondern auch bei dem, was du eigentlich willst: Wissen zu vermitteln.

Gibt es noch weitere nützliche Erkenntnisse für die Praxis? 

Wichtig wäre vielleicht noch, dass wir herausgefunden haben, wie bedeutsam die Anschlusskommunikation auf Youtube, also die Kommentare unter den Videos, sind. Wir sind davon ausgegangen, dass es dort extrem unsachlich und personenorientiert zugeht. Aber unsere Befunde zeigen: Die sachbezogenen Handlungen wie Nachfragen, Erklärungen oder Widersprüche dominierten eindeutig. Eine personenbezogene, häufig negativ ausgerichtete Form der Kommunikation findet kaum statt. Insofern könnte man sagen: Wenn jemand als Wissenschaftler*in Wert darauf legt, wie er oder sie sich in dem neuen Kommunikationsraum bewegt, sollte das nicht auf „Ich lade ein Video hoch“ beschränkt bleiben. Im politischen Bereich sind sehr viele Trolle unterwegs, aber das würde ich für die Wissenschaftskommunikation so nicht sehen. Das Interesse, Themen im Anschluss sachlich weiter zu diskutieren, ist relativ hoch.

Ist das also eine Ermutigung für Wissenschaftler*innen, die sich ausprobieren wollen?

Absolut. Was wir jetzt jedoch nicht untersucht haben, ist die Kommunikation zu konfliktbeladenen Themen, wie sie in der Corona-Pandemie hervorgetreten sind. Es ist ziemlich unproblematisch, jemandem zu erklären, was ein schwarzes Loch ist. Aber in dem Moment, wo konkurrierende Auffassungen aufeinandertreffen und es um Fragen geht wie „Soll ich mich impfen lassen oder nicht?“, wäre meine Vermutung, dass die Kommunikation deutlich konfrontativer wird. Das wäre ein interessantes Anschlussprojekt.

Boy, B.; Bucher, H.-J.; Christ, K. (2021): Audiovisual Science Communication on TV and YouTube. How Recipients Understand and Evaluate Science Videos. Frontiers in Communication. https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fcomm.2020.608620/full