Foto: Christian Humm, CC BY-SA 4.0

Kurz vorgestellt: Neues aus der Forschung im Januar 2021

Was beeinflusst Menschen in ihrer Meinung zu Geo-Engineering-Projekten? Wie wirkt sich die Angst vor Covid-19 auf die Beurteilung von Fake News aus? Und wie verändert ein Skandal in der Wissenschaft die Gentechnik-Diskussionen auf der chinesischen Plattform Weibo? Das sind die Themen im Forschungsrückblick für den Januar.

In dieser Rubrik besprechen wir regelmäßig neue Forschungsergebnisse zum Thema Wissenschaftskommunikation. Sollten Sie etwas vermissen, schreiben Sie uns gerne eine E-Mail oder hinterlassen Sie einen Kommentar.

Climate Engineering: Begrenzter Einfluss von Wissenschaft, Politik und Bürgerforen auf die öffentliche Meinung

Im Kampf gegen den menschengemachten Klimawandel wird auch der Nutzen von Geo-Engineering-Projekten diskutiert. Eine Idee ist, reflektierende Aerosole – beispielsweise Schwefelpartikel – in die Stratosphäre zu schicken, wo sie einen Teil der einfallenden Sonnenstrahlen reflektieren sollen. Bei der Diskussion um die Erforschung und Einführung von solchen Technologien spielt die öffentliche Meinung eine große Rolle. Geraldine Klaus und Andreas Ernst von der Universität Kassel, Lisa Oswald von der Hertie School of Governance und Christina Merk vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel haben deshalb in einer Studie untersucht, wie sich Bürger*innen in ihrer Haltung gegenüber der sogenannten Stratospheric aerosol injection (SAI) durch wichtige Akteur*innen beeinflussen lassen. Interessiert hat das Forschungsteam dabei auch, welche Rolle die Glaubwürdigkeit von Quellen spielt. 

Methode: Ausgewertet wurden die Antworten von 568 Teilnehmenden im Alter zwischen 20 und 89 in Deutschland, die von einem unabhängigen Umfrage-Dienstleister für eine Online-Umfrage rekrutiert wurden. Die Stichprobe ist in Hinsicht auf Alter, Geschlecht und Bildungshintergrund für die deutsche Bevölkerung repräsentativ. Zuerst wurde ihnen ein allgemeiner Informationstext über Gründe und Folgen des Klimawandels sowie die Stratospheric aerosol injection (SAI) vorgelegt. Im nächsten Schritt wurden die Teilnehmenden mit fiktiven Statements zur SAI konfrontiert, die von Bundestagsabgeordneten, Wissenschaftler*innen auf einer Klimakonferenz oder Teilnehmenden eines Bürgerforums stammen sollten. Die Statements sprachen sich entweder (1) für die Entwicklung, (2) gegen die Entwicklung, oder (3) gegen die sofortige Entwicklung, aber für die weitere Erforschung der Technologie aus. Eine Kontrollgruppe bekam nur den Informationstext, aber kein Statement vorgelegt. 

Anschließend bewerteten die Teilnehmer*innen, die sich nicht in der Kontrollgruppe befanden, die Glaubwürdigkeit und Kompetenz der jeweiligen Gruppe, deren Statement sie gelesen hatte. Dafür sollten sie einschätzen, inwiefern sie Aussagen wie „Ich glaube, das Bürgerforum ist professionell“ zustimmen würden. Außerdem wurde ihre Haltung gegenüber der SAI analysiert. Sie sollten etwa ihren Zustimmungsgrad zu Sätzen wie „Ich würde gegen die Anwendung von SAI demonstrieren“ abschätzen sollten. Das Forschungsteam ging dabei davon aus, dass in der Bevölkerung sehr wenig Vorwissen über die Stratospheric aerosol injection vorhanden sei und dass sich die Haltung der Teilnehmenden von den Statements beeinflussen lasse. Sie erwarteten außerdem, dass die Glaubwürdigkeit von Wissenschaftler*innen höher eingeschätzt werde als die von Politiker*innen. Außerdem vermuteten sie, dass die Teilnehmenden bei höherer Glaubwürdigkeit eher dazu tendierten, der Quelle in deren Bewertung zu folgen – unabhängig davon, ob diese positiv oder negativ ausfällt. Bei der Kontrollgruppe wurde nur die Haltung zur SAI abgefragt, ohne dass diese durch ein Meinungs-Statement beeinflusst wurde. 

Ergebnisse: Die Hypothesen der Forschenden können nur teilweise bestätigt werden. In der Bewertung der SAI haben sie keinen signifikanten Unterschied zur Kontrollgruppe erkennen können. Die Teilnehmenden haben ihre Meinungen zwar bis zu einem gewissen Grad an die Statements der verschiedenen Akteur*innen angepasst, aber wurden nicht so stark beeinflusst wie angenommen. Glaubwürdigkeit und Kompetenz der Wissenschaftler*innen wurde am höchsten eingeschätzt. Die informierten Bürger*innen wurden für ähnlich glaubwürdig, aber für etwas weniger kompetent gehalten. Am schlechtesten schnitten in beiden Kategorien die Politiker*innen ab. Die Auswertung zeigte auch: Eine als höher eingeschätzte Glaubwürdigkeit der Quelle führte zu einer stärkeren Akzeptanz der SAI. Anders als angenommen, traf das auch zu, wenn sich die Quelle gegen die Technologie aussprach. Das bedeutet: Selbst wenn die Akteur*innen die SAI ablehnten, akzeptierten die Teilnehmenden die Technologie eher, wenn sie die Quelle als glaubwürdig erachteten. Dafür könnte es Gründe geben, die nicht in der Studie abgefragt wurden, vermuten die Forscher*innen: Möglicherweise beeinflussten Persönlichkeitsmerkmale der Teilnehmenden wie grundsätzlicher Optimismus oder Vertrauen das Ergebnis in beiden Fällen. Wer optimistischer ist, bringt eventuell prinzipiell sowohl unterschiedlichen Akteur*innen als auch neuen Technologien höheres Vertrauen entgegen. Trotzdem zeigte sich, dass die Zustimmung zur SAI bei einem negativen Statement trotz hoher Glaubwürdigkeit etwas niedriger ausfiel. Daraus schließen die Autor*innen, dass die Teilnehmenden ihre Meinung zumindest geringfügig anpassen. 

Schlussfolgerungen: Für die Wissenschaftskommunikation ergeben sich daraus verschiedene Anregungen. Einerseits zeigt sich, dass Wissenschaftler*innen als kompetent und glaubwürdig angesehen werden. Das ist eine Voraussetzung dafür, Gehör zu finden. Im Gegensatz zu Politiker*innen scheinen sie in einer guten Ausgangsposition zu sein, um über Themen wie SAI zu informieren. Die Ergebnisse zeigen aber auch, dass die Meinung der Teilnehmenden bei einem Thema, über dass sie vermutlich vorher sehr wenig wussten, nur wenig beeinflusst wurde. Dabei spielte es keine Rolle, ob die Statements von Wissenschaftler*innen, Bundestagsabgeordneten oder informierten Bürger*innen stammten. Die Autor*innen werten es als positives Zeichen, dass Bürger*innen nicht einfach durch solche kurze Mitteilungen manipuliert werden können. Die positive Korrelation zwischen Glaubwürdigkeit der Quelle und der Zustimmung zur SAI – unabhängig von der Meinung der Akteur*innen – ist ein unerwartetes Ergebnis. Für die Wissenschaftskommunikation könnte man daran anschließend die Frage stellen, inwieweit Bürger*innen überhaupt durch Statements informierter Akteur*innen beeinflusst werden können. 

Einschränkungen: Die Autor*innen schließen nicht aus, dass es für den Zusammenhang zwischen Glaubwürdigkeit der Quelle und der Akzeptanz von SAI auch eine methodische Ursache geben könnte. Teilnehmende, die in einer ersten Frage ein positives Votum abgeben, könnten geneigt sein, dies danach auch in einem anderen Themenbereich zu tun. Das müsste in weiteren Forschungen überprüft werden. Interessant wäre auch zu überprüfen, was bei ausführlicheren Argumentationen passieren würde. Die fiktiven Statements der Akteur*innen waren sehr kurz. Vielleicht ist der Einfluss ihrer Meinungen größer, wenn sie ihre Bewertungen weiter ausführen. Da sich gezeigt hat, dass der Einfluss von dieser Form der Statements sehr gering war, wäre außerdem interessant zu erforschen, auf welcher Grundlage Bürger*innen ihre Haltung zu neuen Technologien wie der SAI entwickeln. 

Klaus, G., Oswald, L., Ernst, A. and Merk, C. (2021): Effects of opinion statements on laypeople’s acceptance of a climate engineering technology. Comparing the source credibility of researchers, politicians and a citizens’ jury. Journal of Science Communication 20. https://doi.org/10.22323/2.20010203

 

Zwischen Fake News und Bullshit: Wie sich Angst vor Covid-19 und Schwarz-Weiß-Denken auf die Bewertung von Nachrichten auswirken

Wie beeinflusst die Angst vor COVID-19 Menschen in ihrer Empfänglichkeit für Fake News und leere Behauptungen? Das haben Carola Salvi, Mason McClay und Joseph E. Dunsmoor von der University of Texas at Austin gemeinsam mit Paola Iannello, Alice Cancer, Sabrina Rago und Alessandro Antonietti von der Università Cattolica del Sacro Cuore in Mailand erforscht. Für ihre Studie befragten sie im Frühjahr 2020 Menschen in Italien und den USA: zwei Länder, die am Anfang der Pandemie stark betroffen waren.

Methode: Ausgewertet wurden die Antworten von 292 Italiener*innen und 273 Amerikaner*innen, die im April 2020 an einer Onlinebefragung teilgenommen hatten. Rekrutiert wurden sie über E-Mail-Einladungen, Werbung auf Social-Media-Plattformen sowie Webseiten von Psychologie- und Kreativ-Vereinigungen. Abgefragt wurden demographischen Faktoren wie Alter, Geschlecht und Bildungsstand, aber auch die politische Orientierung und Mediennutzung. Den Teilnehmenden wurden zwölf fingierte, seriös wirkende Zeitungsartikel vorgelegt, darunter sechs, die Falschnachrichten transportierten. Die Hälfte der Artikel behandelte Covid-19-, die zweite Hälfte andere Themen. Die Teilnehmenden wurden unter anderem gefragt, für wie korrekt sie die Informationen halten und ob sie diese auf Social-Media-Kanälen teilen würden. Sie beantworteten sechs Fragen zu ihrer Wahrnehmung, ihren Gefühlen und ihrem Verhalten in Bezug auf Covid-19 und füllten einen Fragebogen aus, in dem ihre Empfänglichkeit für „Bullshit“ überprüft wurde. Darunter verstehen die Autor*innen scheinbar einleuchtende und bedeutsame, aber tatsächlich oberflächliche oder leere Behauptungen. In einem weiteren Fragebogen wurde analysiert, inwiefern die Teilnehmenden dazu neigen, bei der Abfrage ihres Wissensstandes zu übertreiben. Mithilfe von Bilderrätseln und Aufgaben aus einem sogenannten Cognitive Reflection Test wurden ihre Fähigkeiten zur Problemlösung geprüft. Auch Fragen zu Ambiguitätstoleranz, zu Xenophobie und zu konservativen beziehungsweise liberalen Einstellungen‚ wurden gestellt. Die Studien-Autor*innen interessierte auch die Proaktivität der Teilnehmenden, also die aktive Suche nach Informationen. Die Forscher*innen nahmen an, dass all diese Faktoren in Bezug auf die Beurteilung von Fake News und Bullshit eine Rolle spielen könnten. 

Ergebnisse: Wie die Autor*innen vermuteten, zeigte sich, dass größere Angst vor Covid-19 zu einer höheren Bereitschaft führt, Corona-bezogene Nachrichten mit anderen Menschen zu teilen. Die Autor*innen hatten erwartet, dass vor allem die Wahrscheinlichkeit steigen würde, Fake News zu verbreiten. Tatsächlich aber führte mehr Angst vor allem zu einer größeren Bereitschaft, korrekte Nachrichten zu teilen. Menschen, die empfänglicher für „Bullshit“ sind, erweisen sich gleichzeitig als weniger gut darin, Fake News zu erkennen. Je mehr Angst eine Person hat, desto empfänglicher wird sie aber auch für Bullshit. Die Ergebnisse zeigen auch, dass proaktives Verhalten bei der Beschaffung von Nachrichten positiv mit dem Urteilsvermögen über Fake News zu Covid-19 korreliert. In beiden befragten Gruppen steigt die Proaktivität mit der Angst. Anders als erwartet fand sich jedoch kein signifikanter Zusammenhang zwischen der Angst vor Covid-19 und der Urteilskraft bezüglich Fake News. Je höher die Problemlösekompetenz der Teilnehmenden, desto größer erwies sich auch ihre Fähigkeit, Fake News von korrekten Nachrichten zu unterscheiden. Wer konservativer ist, glaubt eher an Falschnachrichten, stellten die Autor*innen fest. Insgesamt fiel ihnen auf, dass es beiden Gruppen leichter fiel, Fake News zum Thema Corona zu identifizieren als bei anderen Themen – womöglich, weil sich Menschen in diesem Bereich gut informiert haben. 

Schlussfolgerungen: Die Studie zeigt, dass Angst Menschen dazu bewegen kann, sich besser zu informieren und wahrheitsgemäße Nachrichten, teilweise aber auch Fake News und Bullshit mit anderen Menschen zu teilen. Die Autor*innen erklären das damit, dass Menschen, die die Gefahr von Covid-19 ernst nehmen, anderen nützliche Informationen zukommen lassen wollen. Die Tendenz, an Bullshit zu glauben, habe womöglich mit dem Wunsch zu tun, dem destabilisierend wirkenden Mangel an Informationen entgegenzuwirken. Die Studie zeigt auch, dass Menschen, die weniger anfällig für Bullshit sind und weniger in Schwarz-Weiß-Kategorien denken, kompetenter darin sind, Fake News zu erkennen. Diese Aspekte sind auch für die Wissenschaftskommunikation relevant. Denn Grundlagen wissenschaftlichen Denkens zu beherrschen heißt im besten Fall auch, oberflächliche Behauptungen entlarven zu können und Ambivalenzen aushalten zu lernen. Insofern könnte Wissenschaftskommunikation dazu betragen, Rüstzeug zu liefern, um Fake und Bullshit erkennen zu können Außerdem wird bei der Untersuchung deutlich, wie groß in einer unsicheren Situation wie der Pandemie der Wunsch nach gesicherten Fakten ist. Schnell und kompetent zu informieren könnte also davor bewahren, dass Menschen Falschnachrichten rezipieren und teilen. 

Einschränkungen: Eine grundsätzliche Einschränkung bei online durchgeführten Studien ist, dass die Forscher*innen die Teilnehmenden beim Ausfüllen der Umfrage nicht beobachten können, also nur begrenzte Kontrolle über die Situation haben. Die Autor*innen geben auch zu bedenken, dass die Studie unter den besonderen sozialen und kulturellen Bedingungen einer Pandemie durchgeführt wurde. Inwiefern sich das auf die Ergebnisse auswirkt, kann jedoch nicht analysiert werden, weil es keine Vergleichsgruppe gibt – da sich alle Menschen in derselben Lage befinden. Aus Sicht der Wissenschaftskommunikation wäre interessant, weiter zu erforschen, wie sich bestimmte Emotionen, Ambiguitätstoleranz oder politische Einstellungen auch bei anderen Themengebieten auf die Rezeption und Verbreitung von Nachrichten auswirken. 

Antonietti, A.; Cancer, A.; Dunsmoor, J.; Iannello, P.; McClay, M.; Rago, S.; Salvi, C. (2021): Going Viral: How Fear, Socio-Cognitive Polarization and Problem-Solving Influence Fake News Detection and Proliferation During COVID-19 Pandemic. Frontiers in Communication. https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fcomm.2020.562588/full

 

Vor und nach dem Skandal: Diskurse über Gentechnik auf der Social-Media-Plattform Weibo

Im November 2018 verkündete der chinesische Wissenschaftler Jiankui He, dass die ersten gentechnisch veränderten Zwillings-Babies zur Welt gekommen seien. Das sorgte weltweit für Empörung, He wurde später zu einer Haftstrafe verurteilt. Wie sich ein solcher Skandal auf die öffentliche Diskussion über Gentechnik auswirkt, wollten Xing Zhang und Weiyu Zhang von der National University of Singapore und Anfan Chen von der University of Science and Technology of China wissen. Die Wissenschaftler*innen haben Posts auf der chinesischen Social-Media-Plattform Weibo vor und nach der Krise untersucht. Dabei interessierte sie, welche Frames, Emotionen und Metaphern genutzt werden. 

Methode: Die Wissenschaftler*innen führten eine Inhaltsanalyse von Weibo-Posts durch, die jeweils ein Jahr vor und nach dem Skandal veröffentlicht wurden und das Schlagwort „Gene Editing“ enthielten. Dabei untersuchten sie eine zufällig gewählte Stichprobe von 2074 (10 Prozent) der infrage kommenden Posts. Weibo entspricht von den Funktionen her der Microblogging-Plattform Twitter und hatte laut Konzernangaben im März 2020 etwa 550 Millionen aktive Nutzer*innen. Im Gegensatz zu anderen, von staatlicher Seite kontrollierten Medien bieten chinesische Social-Media-Plattformen laut der Autor*innen mehr Raum für alternative Sichtweisen. 10,3 Prozent der von ihnen untersuchten Posts wurden vor dem Skandal veröffentlicht, die anderen danach. Der Wissenschaftler Jiankui He hatte am 25. November 2018 behauptet, das Erbgut von Zwillingen mithilfe der Genschere Crispr/Cas9 so manipuliert zu haben, dass diese sich nicht mit HIV anstecken können. Das führte laut der Autor*innen zu einer der größten wissenschaftlichen Krisen in China und stellte eine Gefahr für das Ansehen von Wissenschaftler*innen dar. Zur Untersuchung der Posts entwickelte das Forschungsteam fünf Coding-Kategorien: Zeitraum, soziale Akteur*innen, Frames, Emotionen und Metaphern. Beim Zeitraum wurde zwischen vor und nach der Krise unterschieden, bei den Akteur*innen zwischen (1) Vertreter*innen der Regierung, (2) Expert*innen, (3) Journalist*innen, (4) Bürger*innen. Unter den zehn Frames, also thematischen Deutungsrahmen, die codiert wurden, waren unter anderem folgende: „wissenschaftliche Entwicklungen”, „Risiken”, „Gesetze und Verordnungen”, „Soziale Themen” wie beispielsweise soziale Ungerechtigkeiten, und „Diskussionen über berühmte oder berüchtigte Wissenschaftler*innen”. Die untersuchten Emotionen waren: (1) Angst, (2) Sorge, (3) Überraschung, (4) Wut, (5) Scham, (6) Abneigung, (7) Hoffnung, und (8) Freude. Es wurden sieben Metaphern gefunden und codiert, darunter: „Büchse der Pandora” (Quelle des Unheils), „Gott spielen”, „Verrückte*r Wissenschaftler*in“ oder „Neunzehnhundertvierundachtzig“ (totalitäre Gesellschaft). 

Ergebnisse: Es zeigt sich bereits an der zahlenmäßigen Verteilung der zu untersuchenden Posts, dass das Interesse auf Weibo am Thema Gene Editing nach dem Skandal wesentlich größer war als zuvor. Die Nutzung des vor dem Skandal dominanten Frames „wissenschaftliche Entwicklung“ sank danach um fast 75 Prozent. Nach der Krise dominierte das Frame „Wissenschaftsskandale“. Auch „Ethik“, „Gesetze und Verordnungen” und „Soziale Themen“ wurden häufiger genutzt. Was die Emotionen betrifft, nahmen Äußerungen von „Hoffnung“ um etwa 70 Prozent und von „Freude“ um etwa 40 Prozent ab. Stattdessen wurde „Wut“ nach dem Skandal 58 Mal häufiger geäußert. Auch die Äußerungen von „Abneigung“ und „Scham“ nahmen zu. 

Metaphern wurden insgesamt eher wenig genutzt, „Verrückt*e Wissenschaftler*in“, „Büchse der Pandora“ und „Neunzehnhundertvierundachtzig“ fanden sich nach dem Skandal aber häufiger. Auch bei den Akteur*innen beobachteten die Forscher*innen Veränderungen: Nach der Krise waren Bürger*innen wesentlich stärker in die Weibo-Diskussionen involviert. Vorher engagierten sich vor allem Expert*innen, vor Journalist*innen und der Regierung. Im Gegensatz zu anderen Akteur*innen adressierten Bürger*innen auch soziale Probleme. Sie drückten beispielsweise ihre Sorge darüber aus, dass die Möglichkeit von Genveränderungen dazu führen könnte, dass reiche Menschen sich ihre Kinder selbst „designen“.  

Schlussfolgerungen: Die Ergebnisse zeigen laut der Autor*innen, dass Bürger*innen auch soziale Themen berühren und damit inhaltliche Lücken füllen, die andere Akteur*innen im Weibo-Diskurs auslassen. Die Untersuchung zeigt, dass im autoritären China zumindest auf Weibo die wissenschaftlichen Diskurse diverser werden. Die Ergebnisse zeigen zudem, dass chinesische Journalist*innen einerseits Frames bedienen, die von der Regierung genutzt werden, darunter „Gesetze und Verordnungen“, aber auch ethische und ökonomische Gesichtspunkte erwähnen – so, wie Bürger*innen. Die Autor*innen vermuten deshalb, dass Journalist*innen in China nicht nur zwischen Wissenschaft und Bürger*innen, sondern auch zwischen Regierung und der Öffentlichkeit vermitteln. Die Autor*innen vermuten, dass Social-Media-Diskurse geeignet sein könnten, Politik zu beeinflussen. So hätten sich beispielsweise viele Nutzer*innen von Weibo für eine schärfere gesetzliche Regelung im Bereich der Gene Editing ausgesprochen – was dann auch umgesetzt worden sei. Insgesamt hätten Chines*innen dem Thema vor dem Skandal viel positiver gegenübergestanden als danach. Übertragungen auf andere Gesellschaften sind nicht einfach, da das chinesische Mediensystem autoritär ist. Aber: Für die Wissenschaftskommunikation können die Ergebnisse so interpretiert werden, dass Skandale zwar eine Gefahr für das Ansehen von Wissenschaft sein können, aber auch eine Chance dafür, dass sich die Öffentlichkeit stärker mit kontroversen Themen beschäftigt. 

Einschränkungen: Einschränkend kann angemerkt werden, dass nur zehn Prozent der infrage kommenden Posts ausgewertet wurden – und das nur auf einer einzigen Plattform. Der Vergleich mit anderen Social-Media-Plattformen wie beispielsweise WeChat und zwischen unterschiedlichen nationalen Kontexten wäre in diesem Zusammenhang interessant. Relevant für die Wissenschaftskommunikation wäre, wie sich ein solcher Skandal langfristig im Diskurs um ein umstrittenes Thema auswirkt. Unklar bleibt in der Studie leider, auf welches Konzept von Frames sie sich beruft. Da die untersuchten Metaphern nur wenig auftauchten, wären eventuell andere Untersuchungskategorien lohnender gewesen. Für die Wissenschaftskommunikation wäre interessant zu erfahren, inwieweit der Skandal als Einzelfall in einem bestimmten wissenschaftlichen Feld oder als symptomatisch für die Wissenschaft als Ganzes betrachtet wird. 

Chen, A.; Zhang, W.; Zhang, X. (2021): Before and after the Chinese gene-edited human babies: Multiple discourses of gene editing on social media. Public Understanding of Science. https://journals.sagepub.com/doi/abs/10.1177/0963662520987754?journalCode=pusa

 

Mehr Aktuelles aus der Forschung

Wissenschaftliche Themen können in unterschiedlichen Modi kommuniziert werden – auch in aggressiven, wie der in mehreren Sprachen existierende Begriff „Covidioten“ zeigt. Ein US-amerikanisches Forschungsteam wollte herausfinden, wie sich die gefühlte Distanz zum*r Kommunikator*in auf den Effekt aggressiver Kommunikationsstile auswirkt. Haoran Chu von der Texas Tech University, Shupei Yuan von der Northern Illinois University und Sixiao Liu von der University at Buffalo ziehen aus ihrem Experiment folgendes Fazit: Aggressive Kommunikation kann durchaus positive Effekte haben, aber es muss zuvor eine enge Verbindung zum Publikum aufgebaut werden. 

Oft wird behauptet, Wissenschaftskommunikator*innen sollten bei ihren Online-Auftritten möglichst witzig sein. Aber ist Humor tatsächlich ein wirksames Mittel, um Menschen für Wissenschaft zu begeistern? Das wollte ein US-amerikanisches Forschungsteam um Sara K. Yeo von der University of Utah herausfinden. Die Forscher*innen zeigten durch ihr Experiment unter anderem, dass sich Humor positiv auf die Sympathie für die kommunizierende Person auswirkt – und auch die Motivation erhöht, ihr auf Social-Media-Kanälen zu folgen. 

Was früher Flugblätter waren, sind heute Internet-Memes, argumentiert Joshua Troy Nieubuurt von der University of Maryland Global Campus. Er bezeichnet sie als Tool, mit dem rasend schnell über Grenzen hinweg Meinungen verbreitet und Verbindungen zwischen Menschen erzeugt werden können. In einem Paper analysiert er Memes als Möglichkeit, die Aufmerksamkeit von anderen Menschen zu „hacken“ und Zwietracht zu säen. Das tun Memes, indem sie an klassische Taktiken der psychologischen Kriegsführung anknüpfen, wie sie auch bei Propaganda über analoge Flugblätter verwendet werden. 

Wie kann Wissenschaftskommunikation auch junge Menschen erreichen – insbesondere solche ohne akademischen Hintergrund? Eine Möglichkeit könnte die Zusammenarbeit mit Influencerinnen und Influencern sein. Ob das funktioniert, haben Lena Kaul, Philipp Schrögel und Christian Humm vom Karlsruher Institut für Technologie in einer Fallstudie zu drei Youtube-Videos der Kampagne #EarthOvershootDay des WWF Deutschland und der Bildungsinitiative MESH Collective untersucht.

Erzählungen können Veränderungen im Verhalten und in den Einstellungen von Menschen hervorrufen. Ob dabei auch Unterschiede zwischen Narrationen in Texten und Videos bestehen, hat  ein US-amerikanisches Forschungsteam am Beispiel von Aquakulturen untersucht. Das Team um Laura N. Rickard von der University of Maine und Janet Z. Yang von der University at Buffalo interessierten dabei unter anderem die emotionalen Auswirkungen und der Einfluss der unterschiedlichen Formate auf die Wahrnehmung von Nutzen und Risiken von Aquakulturen.

Für die Wahrnehmung von Medizin spielen Fernsehserien eine große Rolle. Während viele Studien bisher vor allem westliche Beispiele in den Blick nahmen, haben Yin-Yueh Lo von der Shih Hsin University und Chun-Ju Huang von der National Chung Cheng University Krankenhaus-Fernsehserien untersucht, die in Taiwan ausgestrahlt werden. Die Forscherin und der Forscher haben festgestellt, dass der Fokus eher auf dem sozialen Kontext als auf medizinischen Informationen liegt. Trotzdem können fiktive Serien wichtig für die Kontextualisierung von Wissenschaft sein, schlussfolgern die beiden.