Foto: Christian Humm, CC BY-SA 4.0

Kurz vorgestellt: Neues aus der Forschung im Dezember 2021

Wie gingen die Regierungen von Schweden, Großbritannien und Deutschland mit den Herausforderungen der Pandemie und mit der Kommunikation von Unsicherheiten um? Wie wirkte sich Covid-19 auf den Wissenschaftsjournalismus aus? Und welche Rolle spielen universitäre Institute bei der Wissenschaftskommunikation? Das sind die Themen im Forschungsrückblick für den Dezember.

In dieser Rubrik besprechen wir regelmäßig neue Forschungsergebnisse zum Thema Wissenschaftskommunikation. Sollten Sie etwas vermissen, schreiben Sie uns gerne eine E-Mail oder hinterlassen Sie einen Kommentar.

Zwischen Unsicherheit und Durchsetzungskraft: Regierungshandeln in der Pandemie 

Bei Ausbruch der Covid-19-Pandemie war schnelles Handeln gefragt. Wie aber regierten die Regierungen verschiedener Länder auf die Herausforderungen? Ein Forschungsteam um Claudia Hanson vom Karolinska Institutet in Stockholm und der London School of Hygiene & Tropical Medicine in London hat das am Beispiel des Vereinigten Königreichs, Deutschlands und Schwedens untersucht – drei Länder, die ungefähr zur selben Zeit von der Pandemie getroffen wurden, aber unterschiedliche Maßnahmen ergriffen. 

Methode: Bei ihrer Untersuchung stützen sich die Autor*innen auf das Resilienz-Rahmenwerk von Karl Blanchet et al.1, das die Widerstandsfähigkeit von Gesundheitssystemen in den Blick nimmt und dabei insbesondere folgende Aspekte betrachtet: die Legitimierung staatlichen Handelns und die Art der Entscheidungsfindung, Wissensgenerierung und Kommunikation sowie die Abhängigkeit von anderen Akteur*innen wie der Wissenschaft und den Medien. Außerdem untersuchten die Autor*innen wissen, wie Regierungen mit (wissenschaftlicher) Unsicherheit umgehen.

Um all diese Aspekte zu analysieren, wurden unter anderem offizielle Daten zu Covid-19-Fällen, Todeszahlen und Teststrategien, aber auch Umfragen wie den YouGov COVID-19-Tracker, mit dem Ansichten und Verhaltensweisen der Bevölkerung in der Krise abgefragt werden, ausgewertet. Auch Webseiten von Regierungen und Gesundheitsbehörden, sowie Medienberichterstattung wurden in die Untersuchung einbezogen.  

Ergebnisse: In Deutschland wie Großbritannien waren die Bundes- und Landesregierungen für die Coronamaßnahmen zuständig. In Schweden war die Regierung, obwohl formal verantwortlich, weniger sichtbar und übertrug die Leitung eher der Public Health Agency (PHA).

In Deutschland spielten laut den Studienergebnissen Printmedien, öffentlich-rechtliches Fernsehen und Hörfunk eine große Rolle bei der Kommunikation von Corona-Themen.
Deutschland stützte sich in der Krise auf bestehende wissenschaftliche Strukturen wie das Robert-Koch-Institut, den Ethikbeirat und ein breites Netzwerk unabhängiger Forschungseinrichtungen. Das Vereinigte Königreich nutzte und erweiterte das nationale wissenschaftliches Komitee, das Scientific Advisory Board for Emergencies (SAGE), das sehr einflussreich wurde. Im Laufe der Zeit entschied sich die Regierung für eine stärkere Einbeziehung des Privatsektors und verlagerte die Test- und Rückverfolgungsstrategie dorthin. In Schweden wurde im April 2020 ein Beirat eingesetzt, nachdem Kritik an der Dominanz der PHA aufgekommen war, Protokolle der Sitzungen wurden jedoch nicht öffentlich zugänglich gemacht.

In Deutschland spielten laut den Studienergebnissen Printmedien, öffentlich-rechtliches Fernsehen und Hörfunk eine große Rolle bei der Kommunikation von Corona-Themen. ARD und ZDF boten Raum für intensive Informationen und Diskussionen, bei denen unterschiedliche Stimmen aus Wissenschaft, Politik und Gesellschaft zu Wort kamen. Auch erwähnt die Studie den erfolgreichen Podcast mit dem Virologen Christian Drosten. In Schweden bekamen Wissenschaftler*innen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen – im Gegensatz zu Tageszeitungen –nur sehr wenige Möglichkeiten, zur Diskussion beizutragen. Im Vereinigten Königreich informierten alle Arten von Medien umfassend über die Situation und wurden von der Bevölkerung als primäre Informationsquelle genutzt. 

Ein besonderes Merkmal der Kommunikation in Deutschland war laut der Autor*innen die Benennung von Unsicherheiten.
Ein besonderes Merkmal der Kommunikation in Deutschland war laut der Autor*innen die Benennung von Unsicherheiten. In Großbritannien und Schweden sei schon früh behauptet worden, dass sich die Politik auf Wissenschaft und Evidenz stütze, während Politiker*innen in Deutschland betonten, nur begrenzte Informationen zur Verfügung zu haben. In Schweden wurde die Kommunikation von Unsicherheit als unangebracht erachtet, weil dies Angst auslösen könnte. Auch im Vereinigten Königreich seien Unsicherheiten wenig kommuniziert worden. In allen drei Ländern war das Vertrauen der Bürger*innen in ihre Regierungen in der ersten Welle höher als in der zweiten. Das Vertrauen in Großbritannien ging zu Beginn der Pandemie dramatisch zurück. In Schweden nahm das Vertrauen in die Regierung im Verlauf der Krise am wenigsten ab. 

Schlussfolgerungen: Die Ergebnisse geben Hinweise, wie der Umgang mit der Krise in den drei Ländern mit bestehenden Regierungsstrukturen, der Rolle der Wissenschaft, Erfahrungen im Krisenmanagement und der Kommunikation von Unsicherheit zusammenhängen. All diese Faktoren hätten einen Einfluss darauf, wie sehr die Menschen ihrer Regierung vertrauten, schreiben die Autor*innen. Obwohl Deutschland im Global Health Security Index, der den Vorbereitungsstands zum Umgang mit Epidemien und Pandemien angibt, 2019 nicht so gut abgeschnitten hatte wie Schweden und Großbritannien, wiesen die Ergebnisse der Studie auf eine starke Resilienz, also Widerstandskraft in kritischen Situationen, hin. In der deutschen Debatte würden vielfältige Meinungen einbezogen und es wurde offengelegt, wie schwierig es sei, Wissenschaft in Politik umzusetzen. In Schweden kamen weniger vielfältige Stimmen zu Wort, das Vertrauen in die Regierung nahm gleichzeitig weniger ab als in den anderen beiden Ländern. Möglicherweise habe das mangelnde kritische Engagement der schwedischen Medien dazu beigetragen, dass der Umgang der PHA mit der Pandemie nur begrenzt in Frage gestellt wurde, schreiben die Autor*innen. 

In Großbritannien habe sich die Wissenschaft mit starker Stimme bemerkbar gemacht und die Regierung kritisiert, alternative Gremien wie Independent SAGE wurden geschaffen. Allerdings, so schreiben die Autor*innen, habe die Kommunikation der Wissenschaftler*innen mit ihren sich schnell ändern Botschaften auch zur Verwirrung beigetragen. 

Dass das Vertrauen in die Regierung in Großbritannien zu Anfang der Pandemie so stark zurückging, könnte mit der kontroversen wissenschaftlichen Debatte zusammenhängen und auch eine Reaktion auf die geringe Transparenz bei der Entscheidungsfindung sein, schreiben die Autor*innen. In Schweden wiederum könnte das große Vertrauen in die Regierung kritischere Debatten behindert haben.

Es brauche ein Gleichgewicht zwischen kritischem Diskurs, vielfältigen Stimmen, entschlossenem Handeln und klarer Kommunikation.
Es brauche ein Gleichgewicht zwischen kritischem Diskurs, vielfältigen Stimmen, entschlossenem Handeln und klarer Kommunikation, schlussfolgern die Autor*innen. Der Ansatz Deutschlands mit seinem föderalen System, dem Engagement der Wissenschaft und Meinungspluralismus könnte ihrer Ansicht nach ein Beispiel für einen inklusiven Ansatz in einer Krise sein – obwohl er in der dritten Welle an seine Grenzen gestoßen sei. Wichtig seien eine starke und legitime Regierungsführung, vertrauenswürdige Verbindungen zu Wissenschaft und anderen Beratungsgremien sowie eine Medienstruktur, die bereit ist, Wissenschaft zu vermitteln und Debatten zu ermöglichen.

Einschränkungen: Die Studie gibt einen Einblick in staatliches Handeln und Kommunikation in der Krise. Eine Schwierigkeit bei der Interpretation der Ergebnisse liegt in der Unterschiedlichkeit der analysierten Quellen, die in den verschiedenen Ländern zur Verfügung stehen. Die Daten geben außerdem nur einen Einblick in einen begrenzten Zeitraum, weshalb eine langfristige Beobachtung von Phänomenen, wie dem Vertrauen in Regierungshandeln, aufschlussreich wäre. 

Hanson C., Luedtke S., Spicer N., et al. (2021) National health governance, science and the media: drivers of COVID-19 responses in Germany, Sweden and the UK in 2020. BMJ Global Health 2021;6:e006691. https://gh.bmj.com/content/6/12/e006691

Hin zu mehr Dezentralisierung? Die Rolle von Forschungsinstituten in der Wisskomm

Der Druck auf Universitäten, öffentlich zu kommunizieren, steigt – auch angesichts der internationalen Konkurrenz um Ressourcen und Studierende. Welche Rolle spielt dabei die mittlere Organisationsebene, also die einzelnen Forschungsinstitute? Das wollte Marta Entradas vom Instituto Universitário de Lisboa und der London School of Economics and Political Science herausfinden. Erste Ergebnisse ihrer Umfrage präsentiert sie in einer Forschungsnotiz. 

Methode: Bisher wurden in der Wissenskommunikationsforschung zumeist Pressestellen, professionelle Kommunikator*innen oder Wissenschaftler*innen in den Blick genommen, schreibt Marta Entradas. Deshalb nimmt sie die Ebene der universitären Forschungsinstitute in den Blick. Ihre Daten stammen aus dem MORE-PE-Projekt (mobilization of REsources for Public Engagement, 2016-2020), das öffentliche Kommunikationspraktiken von Forschungsinstituten innerhalb öffentlicher Universitäten in acht Ländern untersucht hat: Italien, Deutschland, Portugal, Niederlande, Großbritannien, USA, Brasilien und Japan. Pro Land wurden 200 Forschungsinstitute in jeweils sechs verschiedenen Forschungsbereichen kontaktiert. Die Autorin erhielt 2030 Antworten, die entweder von den Leiter*innen oder den zuständigen Kommunikationsbeauftragten der Forschungsinstitute kamen. Abgefragt wurden vier Indikatoren für die Entwicklung der öffentlichen Kommunikation auf Institutsebene: (1) der Zeitpunkt des Beginns und die Entwicklung der Wissenschaftskommunikation in den letzten Jahren, (2) das Portfolio der Aktivitäten und deren Zielgruppen, (3) die vorhandenen Ressourcen (z. B. Personal, Finanzierung) und Richtlinien/Leitlinien für Wissenschaftskommunikation und (4) die Ziele der Kommunikation. 

Die Hälfte der Institute, die an der Befragung teilnahmen, engagiert sich seit mehr als fünf Jahren in der Wissenschaftskommunikation, für die anderen ist es eine relativ neue Aktivität.
Ergebnisse: Die Hälfte der Institute, die an der Befragung teilnahmen, engagiert sich seit mehr als fünf Jahren in der Wissenschaftskommunikation, für die anderen ist es eine relativ neue Aktivität. Die Mehrheit (61 Prozent) berichtete, dass die Aktivitäten in den letzten fünf Jahren zugenommen hätten und dass diese in den kommenden Jahren erwartungsgemäß weiter zunehmen werden. Die Hälfte der Befragten geht davon aus, mehr Ressourcen für die öffentliche Kommunikation bereitzustellen und 86 Prozent erwarten von ihren Forscher*innen, dass diese sich damit beschäftigen. Wissenschaftskommunikation ist tendenziell für mehr Institute in Italien und im Vereinigten Königreich eine neuere Praxis. Institute in Japan, den Vereinigten Staaten und Deutschland engagieren sich schon länger. Die Zunahme der Aktivitäten war in Italien und Portugal am stärksten ausgeprägt. Im Durchschnitt sind für Wissenschaftskommunikation etwa drei Prozent des Forschungsbudgets vorgesehen. Dabei wird in Portugal, dem Vereinigten Königreich und den USA mehr ausgegeben als beispielsweise in Brasilien oder Japan. 

Das Portfolio an Aktivitäten reichte von öffentlichen Vorlesungen (84 Prozent) über Tage der offenen Tür (76 Prozent), Gespräche an Schulen (63 Prozent), Veranstaltungen mit lokalen Akteur*innen zum Beispiel aus Wirtschaft und Industrie (59 Prozent), öffentliche Ausstellungen (56 Prozent), Wissenschaftscafés und öffentliche Diskussionen (47 Prozent), Wissenschaftsfestivals (35 Prozent) bis zu politischen Veranstaltungen (42 Prozent). 

Medienkontakte waren häufig, wobei Mitarbeiter*innen pro Institut im Durchschnitt etwa sieben Interviews für Zeitungen gaben und etwa die gleiche Anzahl von Pressemitteilungen pro Jahr verfassten. Neue Medienkanäle wurden eher weniger genutzt. 46 Prozent gaben an, nie Facebook zu nutzen, 13 Prozent täglich. Twitter wird von zehn Prozent täglich genutzt, von 60 Prozent nie. 88 Prozent der Institute aktualisieren ihre Webseite regelmäßig. 37 Prozent nutzten Youtube und 14 Prozent Podcasts. 

Die Institute richten sich an verschiedene Zielgruppen, häufig an die breite Öffentlichkeit (50 Prozent), Schulen und Studenten (45 Prozent); seltener an die Industrie (37 Prozent), Journalist*innen (34 Prozent) und politische Entscheidungsträger (21 Prozent). 

Mit 78 Prozent sagt die Mehrheit, dass Sichtbarkeit in den Medien wichtig für die Forschung ist. 62 Prozent sagen, dass Medien ihrer Forschung mehr Aufmerksamkeit schenken sollten. Rund ein Drittel der Institute beschäftigt eigenes Personal für Kommunikation. Die Hälfte greift außerdem auf zentrale Kommunikationsabteilungen der Universitäten zurück. In Portugal und Deutschland verfügen die einzelnen Institute über mehr Kommunikationspersonal als in den anderen Ländern. 

Die Umfrage zeigt, dass sich in allen beteiligten Ländern universitäre Forschungsinstitute mit einem breiten Spektrum an Aktivitäten an Wissenschaftskommunikation beteiligen.
Bei der Hälfte derjenigen Institute, die eigene Mitarbeiter*innen in diesem Bereich haben, sind diese hochprofessionalisiert und widmen sich ausschließlich der Kommunikation. Bei der anderen Hälfte sind die weniger spezialisierten Mitarbeiter*innen für einen Mix an Aufgaben zuständig. Etwa die Hälfte der Institute hat Pläne oder Richtlinien für öffentliche Kommunikation. 

Eine große Mehrheit gab in allen Ländern an, sich in erster Linie darum zu bemühen, Forschungsergebnisse für ein breites Publikum zugänglich zu machen und die inhaltlichen Ziele von Universität und Politik zu erfüllen. Eher eigennützige Ziele wie Unterstützung der eigenen Forschung oder Finanzquellen anzuwerben, wurden als weniger wichtig angesehen.

Schlussfolgerungen: Die Umfrage zeigt, dass sich in allen beteiligten Ländern universitäre Forschungsinstitute mit einem breiten Spektrum an Aktivitäten an Wissenschaftskommunikation beteiligen und das Engagement tendenziell zunimmt. Das vielfältige Portfolio von Aktivitäten, das Kommunikationspersonal und die Richtlinien für Kommunikation an vielen der befragten Instituten zeigt, dass diese Zeit und Ressourcen für öffentliche Kommunikation aufwenden. Gleichzeitig scheint es, als stehe die Professionalisierung vielerorts noch am Anfang. Die finanzielle Ausstattung wissenschaftskommunikativer Maßnahmen ist im Durchschnitt gering.

Die Autorin stellt fest, dass Journalist*innen zwar nicht die Hauptzielgruppe der Kommunikation sind, der große Fokus auf Medienaktivitäten aber darauf hinweist, dass viele Institute auf eine stärkere mediale Berichterstattung hinarbeiten. 

Viele setzen sowohl auf eigene Kommunikation als auch auf die Arbeit zentraler universitärer Abteilungen. Das weise auf eine Arbeitsteilung und eine Tendenz zur dezentralen Forschungskommunikation hin. Dass dies trotz einiger Unterschiede in vielen Ländern der Fall ist, interpretiert die Autorin als Zeichen dafür, dass die Dezentralisierung ein allgemeiner Trend in der Wissenschaftskommunikation von Universitäten sein könnte, deren Grad jedoch variiere. Ein Effekt einer solchen Dezentralisierung könnten sein, dass Ressourcen besser verteilt und genutzt werden, andererseits könne dies zu einem Kontrollverlust der übergeordneten Abteilungen führen, was eine weniger einheitliche Kommunikation zur Folge haben könnte. Außerdem könnte es zu Konflikten kommen, wenn die allgemeine Kommunikationsstrategie der Universität stärker auf Sichtbarkeit ausgelegt ist als die der Institute, die weniger eigennützige Ziele verfolgen. Diese Thesen müssten in weiteren Studien überprüft werden. 

Einschränkungen: Die Umfrage gibt Hinweise auf Entwicklungen in der Hochschulkommunikation mehrerer Länder, kann dazu aber keine abschließenden Aussagen treffen. Um verschiedene Formen und Auswirkungen von Dezentralisierung zu untersuchen, ist weitere Forschung nötig. 

Entradas, M. (2021) Public communication at research universities: Moving towards (de)centralised communication of science? Public Understanding of Science 1–14, https://journals.sagepub.com/doi/full/10.1177/09636625211058309

Auswirkungen von Corona auf den globalen Wissenschaftsjournalismus 

Während der Coronapandemie stehen wissenschaftliche Themen stärker im Fokus, die Redaktionen sind gefordert, schnell und akkurat zu berichten. Wie hat sich dadurch die Arbeit von Wissenschaftsjournalist*innen verändert? Ein internationales Forschungsteam um die brasilianische Wissenschaftskommunikatorin Luisa Massarani hat dazu eine Umfrage in sechs Regionen der Welt durchgeführt. 

Methode: Die Fragen der Autor*innen zielten unter anderem auf den Arbeitsaufwand, Quellen, die Verwendung von Preprint-Artikeln und den Umgang mit Fake News während der Pandemie ab. Die Umfrage war Teil des Global Science Journalism Report 2021, einer Erhebung zu Arbeitsbedingungen und Berufspraxis von Wissenschaftsjournalist*innen. Gefördert wird er unter anderem von dem Science and Development Network SciDev.Net, der London School of Economics und der Oswaldo Cruz Foundation. 

Die Pandemie erhöhte die Arbeitsbelastung von mehr als der Hälfte der teilnehmenden Wissenschaftsjournalist*innen.
Die Umfrage wurde von Februar bis Mai 2021 über die Plattform Qualtrics durchgeführt. Beteiligen konnten sich alle, die sich selbst als Wissenschaftsjournalist*innen identifizieren. 633 Personen aus 77 Ländern antworteten und wurden in sechs Regionen gruppiert: 38 Prozent stammten aus Europa/Russland, 23 Prozent aus Lateinamerika, 16 Prozent aus dem Raum Asien/Pazifik, 11 Prozent aus den USA und Kanada, 8 Prozent aus den Ländern südlich der Sahara und dem südlichen Afrika und 5 Prozent aus Nordafrika und dem Nahen Osten. 54 Prozent der Befragten waren Frauen, 44 Prozent Männer, das Durchschnittsalter lag bei 44 Jahren. 42 Prozent haben einen Hintergrund in Naturwissenschaften, 37 Prozent in Journalismus und 17 Prozent in anderen Bereichen.

Ergebnisse: 39 Prozent der Befragten arbeiten seit mehr als 15 Jahren im Wissenschaftsjournalismus, 15 Prozent zwischen 11 und 15 Jahren, 23 Prozent sechs bis zehn Jahre und 23 Prozent weniger als fünf Jahre. Den höchsten Anteil an Journalist*innen mit mehrjähriger Tätigkeit finden sich in den USA und Kanada. Nordafrika und der Nahe Osten weisen den höchsten Anteil an Fachkräften mit geringerer Erfahrung auf. In allen Altersgruppen überwiegen Frauen, außer bei der Gruppe mit mehr als 15 Jahren im Beruf. 44 Prozent der Befragten sind Vollzeitkräfte, 28 Prozent Vollzeit-Freiberufler*innen. 

Die Pandemie erhöhte die Arbeitsbelastung von mehr als der Hälfte der teilnehmenden Wissenschaftsjournalist*innen. 53 Prozent gaben an, dass die Zahl der Beiträge über wissenschaftliche Themen in dieser Zeit zugenommen habe. Bei 14 Prozent gab es einen Rückgang der Beiträge und bei 33 Prozent hat sich die Situation nicht geändert. In Nordafrika und im Nahen Osten lag der Anteil derer, die eine höhere Arbeitsbelastung angaben, mit 80 Prozent am höchsten. Die Region Europa/Russland wies mit 46 Prozent den höchsten Anteil an Befragten auf, bei denen sich die Arbeitsbelastung durch die Pandemie nicht verändert hatte.

Als positive Aspekte der Coronazeit nannten Befragte das große öffentliche Interesse an Wissenschaft, besseres öffentliches Verständnis von Wissenschaft und mehr Jobchancen. Unter den negativen Aspekten fanden sich die erhöhte Arbeitsbelastung, die Konzentration auf ein einzelnes Thema und Schwierigkeiten bei der Arbeit von zu Hause. 

Als wichtigste Quellen gaben die Befragten Wissenschaftler*innen aus ihren Ländern und von Expert*innen begutachtete wissenschaftliche Artikel an (jeweils 21 Prozent). Danach folgten offizielle Institutionen (19 Prozent), Wissenschaftler*innen aus anderen Ländern (14 Prozent), Ärzt*innen (12 Prozent) und wissenschaftliche Artikel, die kein Peer-Review-Verfahren durchlaufen haben (10 Prozent). Die Antworten waren in allen Regionen ähnlich, nur in Nordafrika und dem Nahen Osten wurden offizielle Institutionen zuerst genannt. 

Auf der einen Seite wird das öffentliche Interesse an wissenschaftlichen Nachrichten erwähnt, auf der anderen Seite stehen Probleme wie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Lockdown.
Wissenschaftler*innen waren während der Pandemie für 48 Prozent der Teilnehmenden leichter erreichbar als zuvor, für 21 Prozent hingegen schwieriger. 37 Prozent der Befragten erklärten, dass Wissenschaftler*innen offener und gesprächiger waren als in den Vorjahren. 27 Prozent sagten, Wissenschaftler*innen seien vorsichtiger als üblich.

Mit 55 Prozent gab mehr als die Hälfte der befragten Wissenschaftsjournalist*innen an, für ihre Beiträge Preprint-Artikel zu verwenden. Im Raum Asien/Pazifik waren es sogar 60 Prozent. In Nordafrika und dem Nahen Osten gaben hingegen mehr als 60 Prozent an, keine Artikel ohne Peer-Review zu verwenden. Bei der Frage, ob sie bei Preprints anders vorgehen als sonst, sagten 59 Prozent „ja“ und 41 Prozent „nein“. Viele gaben an, klarzustellen, dass der entsprechende Artikel noch nicht von Expert*innen begutachtet wurde. Andere befragten in einem solchen Fall weitere Wissenschaftler*innen zum Thema der Studie. 

Insgesamt berücksichtigen 64 Prozent der Befragten die Möglichkeit von Fake News beim Verfassen ihrer Artikel, in den USA und Kanada waren es 85 Prozent, in Lateinamerika 50.

Schlussfolgerungen: Die Ergebnisse zeigen, dass die Covid-19-Pandemie mehr als die Hälfte der befragten Wissenschaftsjournalist*innen zusätzlich belastet hat. Der Wunsch nach Informationen, aber auch der Druck auf den Journalismus sind gestiegen. Diese Entwicklungen haben laut der Umfrageergebnisse ambivalente Auswirkungen. Auf der einen Seite wird das öffentliche Interesse an wissenschaftlichen Nachrichten erwähnt, auf der anderen Seite stehen Probleme wie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Lockdown. 

Die Umfrage zeigt auch, dass mehr als die Hälfte der Befragten Preprints nutzen. Als besorgniserregend bezeichnen die Autor*innen die Tatsache, dass mit 41 Prozent ein beachtlicher Teil der Stichprobe angab, dabei keine andere Vorgehensweise zu wählen als bei Studien, die einen Peer-Review-Prozess durchlaufen haben. Dass dies in afrikanischen Ländern stärker der Fall war als beispielsweise in europäischen, sei ein Thema für weitere Untersuchungen, schreiben die Autor*innen. 

Ein weiteres Problem in der Pandemie ist die Verbreitung von Fake News. Die Ergebnisse der Befragung werfen dabei die Frage auf, warum beispielsweise in Lateinamerika nur die Hälfte der Befragten die Möglichkeit von Fake News beim Verfassen ihrer Artikel in Betracht zieht. Auch in diesem Fall seien weitere Untersuchungen nötig. 

Die Studienergebnisse deuten darauf hin, dass es während der Pandemie auch in der Wissenschaft Veränderungen gegeben habe, worauf beispielsweise die bessere Verfügbarkeit von Wissenschaftler*innen hinweist. Gleichzeitig betrachten Journalist*innen Wissenschaftler*innen als wichtigste Informationsquelle in der Pandemie. Daraus schlussfolgern die Autor*innen, dass die Pandemie Journalist*innen und Wissenschaftler*innen näher zusammengebracht hat. 

Einschränkungen: Bei der Umfrage meldeten sich aus bestimmten Regionen mehr Wissenschaftsjournalist*innen zu Wort als aus anderen. So stammen beispielsweise nur fünf Prozent der Befragten aus Nordafrika und dem Nahen Osten und auch aus südlichen afrikanischen Ländern sind nur wenige Teilnehmer*innen vertreten. Die Studie kann also insbesondere, was diese Regionen betrifft, höchstens Hinweise auf Trends geben. Diesen müsste aber in weiteren Studien nachgegangen werden. 

Massarani, L., Neves, L. F. F., Entradas, M., Lougheed, T., Bauer, M. W. (2021). Perceptions of the impact of the COVID-19 pandemic on the work of science journalists: global perspectives. JCOM 20 (07), A06 https://jcom.sissa.it/archive/20/07/JCOM_2007_2021_A06

Mehr Aktuelles aus der Forschung

Wie werden Umweltthemen in Videos von Youtuber*innen behandelt? Welche Frames werden dabei bedient? Das haben Cecilia Lartigue und Muriel Lefebvre von der Universität Toulouse II Jean Jaurès gemeinsam mit Guillaume Carbou von Universität Bordeaux am Beispiel von mexikanischen und französischen Youtube-Videos untersucht. Dabei stießen sie auf ein paradoxes Phänomen: Einerseits werden Umweltprobleme als kollektiv verursacht beschrieben, andererseits aber scheinen die Youtuber*innen Lösungen größtenteils auf der individuellen Ebene zu verorten. Das weist laut den Autor*innen auf eine Individualisierung und Entpolitisierung von Umweltthemen hin.

Macht es in der Bewertung eines Impfstoffes einen Unterschied, ob ein Mann oder eine Frau ihn erfunden haben? Das wollte ein Forschungsteam um İsminaz Doğan von der Koç Universität in der Türkei herausfinden. An einer Stichprobe von 665 Türk*innen untersuchten sie, ob es die Einstellungen gegenüber dem BioNTech-Vakzin und die Impfabsichten beeinflusst, wenn die Betonung stärker auf einem Wissenschaftler oder einer Wissenschaftlerin als Erfinder*in liegt. Bei männlichen Teilnehmern mit einer stärkeren Verhaftung in traditionellen Geschlechterrollen zeigte sich im Vergleich zu solchen mit weniger traditionellen Geschlechterbildern, dass die Anwesenheit einer Erfinderin oder deren gemeinsames Auftreten mit einem männlichen Erfinder die wahrgenommene Sicherheit und Wirksamkeit des Impfstoffes verringerte. Bei weiblichen Studienteilnehmerinnen beobachteten die Autor*innen keine Unterschiede.

Die Klimabewegungen Fridays for Future und Extinction Rebellion fordern, dass Entscheidungsträger*innen auf Wissenschaftler*innen hören sollten und betonen die Bedeutung wissenschaftlichen Wissens bei demokratischen Entscheidungen. Frauke Rohden von der Universität Oslo hat anhand der Auswahl von Links auf der Website der beiden Bewegungen untersucht, wie diese sich auf Wissenschaft beziehen. Es zeigt sich, dass die Aktivist*innen von Fridays for Future in ihrer Hyperlink-Praxis den Fokus stärker auf die Popularisierung von Wissenschaft und auf die Kommunikation durch Influencer*innen legen. Extinction Rebellion hingegen setzt mehr auf Expert*innen-Kommunikation auf der Basis wissenschaftlicher Publikationen.

Soziale Medien spielen bei der Organisation von Fridays for Future eine große Rolle. Wer aber wird innerhalb der Bewegung über diese Kanäle erreicht und wer macht mit? Das hat ein Forschungsteam um Anne Reif von der Technischen Universität Braunschweig untersucht. Eine quantitative Online-Befragung von Fridays-for-Future-Beteiligten weist darauf hin, dass soziale Medien als niedrigschwelliger Einstieg in die Bewegung genutzt werden. In Hinblick auf ihre Identifikation mit der Bewegung, ihre Online-Beteiligung und ihr Klimawandelproblembewusstsein identifizierten die Forscher*innen vier verschiedene Gruppen. Die größte bilden dabei die „verbundenen Besorgten“, die sich am stärksten mit der Bewegung identifizieren und von denen sich viele in ihren Social-Media-Profilen deutlich zu Fridays for Future positionieren.

Was haben spirituelle Einstellungen mit Impfskeptizismus zu tun? Das haben Bastiaan T. Rutjens und Natalia Zarzeczna von der Universität Amsterdam zusammen mit Romy van der Lee von der Vrije Universiteit Amsterdam an einer Stichprobe von Griech*innen untersucht. In ihrer Studie erwies sich Spiritualität beispielsweise im Vergleich zu Religiosität oder politischer Einstellung als der stärkste Indikator für Impfskeptizismus und geringes Vertrauen in die Wissenschaft. Auch eine geringe naturwissenschaftliche Kompetenz war ein Hinweis auf die Ablehnung des Impfstoffs.

Physik gilt als schwieriges Fach. Wie aber wird es in den Medien dargestellt? Das wollte ein niederländisches Forschungsteam um Sanne Willemijn Kristensen von der Radboud-Universität Nijmegen und der Universität Leiden herausfinden. Die Inhaltsanalyse der Berichterstattung von fünf großen niederländischen Zeitungen zeigt, dass Astronomie und Astrophysik die Gebiete sind, die am stärksten im Fokus stehen. Die meisten der dargestellten Konzepte werden in den Artikeln als schwierig bezeichnet, aber von den Journalist*innen erklärt