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Journalismus im digitalen Zeitalter

Um die Veränderungen des Wissenschaftsjournalismus in der Digitalisierung zu verstehen, lohnt ein Blick auf die Umbrüche des Journalismus insgesamt. Welchen Herausforderungen steht der Journalismus im Internetzeitalter gegenüber? Und was sagt die kommunikationswissenschaftliche Forschung dazu, wie diese Herausforderungen am besten zu meistern sein dürften?

Der Journalismus, auch der Wissenschaftsjournalismus, ist mit massiven Umbrüchen konfrontiert: der Digitalisierung und anderen technischen Innovationen, der Verbreitung sozialer Medien und der zunehmenden Macht von Intermediären wie Google oder Facebook und damit einhergehenden Abhängigkeiten1. Dies hat sich in den vergangenen Jahren mit rasender Geschwindigkeit auf die Arbeitsbedingungen, Rollenverständnisse und Praktiken sowie auf die technischen, rechtlichen, normativen und kulturellen Rahmenbedingungen des Journalismus ausgewirkt. Zugleich hat sich die Stellung des Journalismus in der öffentlichen Kommunikation und damit möglicherweise auch seine gesellschaftliche Funktion verändert. Diese Entwicklungen stehen seit etwa 20 Jahren auch im Fokus der Forschung.2 Die wissenschaftliche Aufmerksamkeit für den Medienwandel lässt sich unter anderem mit der besonderen Rolle erklären, die journalistische Arbeit für die Gesellschaft spielt oder spielen sollte – die Beschreibung des Journalismus als gesellschaftliches Korrektiv und als „vierte Gewalt“ ist hinlänglich bekannt

Konkurrenten auf dem Nachrichtenmarkt

Vor dem Aufkommen der digitalen Medien war der Journalismus zweifellos die zentrale Grundlage für informiertes Entscheiden und gesellschaftliche Meinungsbildung. Als Gatekeeper entschieden Medienschaffende weitgehend exklusiv darüber, welche Themen auf welche Weise in den öffentlichen Diskurs eingingen, vermittelt über Presse, Rundfunk oder TV.3 Der Medienwandel hat die althergebrachte Ordnung von Presse und Rundfunk aufgelöst. Das gilt für alle Medientypen und Ressorts, schließt also auch den Wissenschaftsjournalismus ein.

Wie reagiert der Journalismus auf diese Herausforderung? Viele Medien machen sich die technischen Möglichkeiten selbst zunutze und kommunizieren zunehmend über vielfältige Kanäle und crossmedial, in multiplen und oft interaktiven Formaten.4 Damit schaffen sie untereinander neue Konkurrenzverhältnisse, etwa wenn die vormals nur auf Bild und Text reduzierte Presse online nun auch Videos anbietet. Dazu kommt der Wettbewerb mit Inhalten, die Nicht-Journalisten über diverse Kanäle veröffentlichen (vor allem auf Facebook, Twitter, Instagram und Reddit sowie in Blogs und Foren) und damit Einfluss auf die gesellschaftliche Meinungsbildung zu nehmen versuchen. Das betrifft die Kommunikation von Laien genauso wie die von Expertinnen und Experten, gerade auch bei wissenschaftlichen Themen wie etwa dem Impfen. Besonders Laien nutzen wissenschaftsjournalistische Angebote im Netz.5 Daneben nutzen professionelle Kommunikatorinnen und Kommunikatoren aus Wirtschaft, Politik oder Wissenschaft eine ganze Bandbreite von digitalen Medien, mit denen sie oft am Journalismus vorbei kommunizieren.

„Auch bei der Selektion von Themen, die anschließend die öffentliche Agenda bestimmen, hat der Journalismus sein Monopol eingebüßt.“
Auch bei der Selektion von Themen, die anschließend die öffentliche Agenda bestimmen, hat der Journalismus sein Monopol eingebüßt. Nutzerinnen und Nutzer können aktiv und on-demand aus der wachsenden Vielfalt von Informationsangeboten wählen.6 Sie erhalten zudem über Intermediäre wie soziale Netzwerke ein maßgeschneidertes, auf Algorithmen basierendes Nachrichtenmenü. Online-Plattformen, allen voran Google News und verschiedene Social Media, sind mittlerweile einflussreiche Konkurrenten für journalistische Redaktionen, wenn es um die nutzerorientierte Zusammenstellung von Informationen geht.

Ökonomische Durststrecke

Die Verschiebungen in der Medienlandschaft haben in den vergangenen Jahren massiv an der ökonomischen Basis des Journalismus gerüttelt.7 Im Anzeigengeschäft haben Online-Plattformen journalistischen Medien längst den Rang abgelaufen – mit teils existenziellen Folgen für die Medienunternehmen. Finanzierungsmodelle etwa in Form von Zahlschranken können die Finanzierungslücken bislang kaum schließen. Einsparungen trafen deshalb in den vergangenen Jahren ganze Medien, aber auch einzelne Ressorts in den Redaktionen, häufig auch den Wissenschaftsjournalismus.8 Auch wenn Medienmanager sich grundsätzlich für guten Journalismus aussprechen,9 werden zunehmend alle Möglichkeiten für Einsparungen genutzt.10 Der „Robot Journalism“, also das automatisierte Verfassen von journalistischen Texten, findet bislang zwar nur Anwendung in hochstandardisierten Nachrichtensegmenten wie Sport und Finanzen, könnte aber in Zukunft aus ökonomischen Erwägungen stärker ins Zentrum journalistischer Produktion rücken – ob das zu Lasten der Qualität gehen wird, bleibt abzuwarten.

Verschwimmende Grenzen

Die Diversifizierung der Medienlandschaft verstärkt aber nicht nur den Wettbewerb um die öffentliche Aufmerksamkeit und um Werbeerlöse. Sie fordert auch die Identität des Journalismus heraus. Das Herauslösen einzelner Beiträge aus ihrem publizistischem Kontext, also etwa das Posten und Teilen eines Artikels auf sozialen Medien – wie es gerade in der mobilen Kommunikation zum Standard wird –, macht es Nutzerinnen und Nutzern schwerer, journalistische Profile eindeutig zu erkennen. Auch wenn die Medien von der zusätzlichen Distribution durchaus profitieren und im besten Fall neue Zielgruppen für ihre Angebote gewinnen,11 kann diese kontextfreie Kommunikation für die Bekanntheit und die Reputation von Medienmarken auch nachteilig sein. Wenn zudem die Grenzen zwischen Journalismus und Laienkommunikation verwischen, wie etwa in Blogs, ist Journalismus im Internet oft nicht mehr eindeutig erkennbar.12 Das kann durchaus eine Herausforderung für seine gesellschaftliche Legitimation darstellen.

Rollenwechsel

Frau mit Smartphone
Das Internet verändert das Rollengefüge zwischen Medienschaffenden und ihrem Publikum: Passiv Konsumierende werden zu aktiv Mitkommunizierenden. Dadurch werden Journalistinnen und Journalisten stärker in eine moderierende, kuratierende und kommentierende Rolle gebracht. Foto: Yura Fresh, CC0

Die Möglichkeiten interaktiver und partizipativer Kommunikation im Internet verändern das Rollengefüge zwischen Medienschaffenden und ihrem Publikum. Konzepte wie der „Produser“ bezeichnen den Rollenwandel von passiv Konsumierenden hin zu aktiv Mitkommunizierenden, die in Foren und sozialen Medien journalistische Beiträge kommentieren oder gleich im Bürgerjournalismus aktiv an der Nachrichtenproduktion mitwirken. Gleichzeitig werden Journalistinnen und Journalisten stärker in eine moderierende, kuratierende und kommentierende Rolle gebracht. Dies konnte auch für den Wissenschaftsjournalismus gezeigt werden.13 Das muss nicht problematisch sein, geht aber mit veränderten Anforderungen an Medienschaffende einher. Kontrovers diskutiert wird dagegen die Entwicklung, dass Medien sich bei der Ausrichtung ihres redaktionellen Angebots zunehmend an Nutzungsanalysen oder an algorithmengestützten Plattformen wie Google News orientieren – und möglicherweise weniger an traditionellen journalistischen Selektions- und Präsentationskriterien.14

Herausforderungen für die journalistische Qualität

Für einen Qualitätsverlust der journalistischen Berichterstattung, der häufig mit den ökonomischen Problemlagen in Zusammenhang gebracht wird, gibt es bislang nur wenige empirische Belege, zumal Langzeitstudien fehlen.15 Kritisch wird aber per se der Einfluss von PR und strategischer Kommunikation auf den Journalismus gesehen, auch im Bereich Wissenschaft.16 Allerdings wird der Wissenschaftsjournalismus von Wissenschaftlern durchaus für mangelnde Transparenz und Genauigkeit kritisiert.17 Jedoch deuten einige Befunde darauf hin, dass die technischen Entwicklungen auch zu einer Verbesserung journalistischer Arbeit beigetragen haben. Besonders die zahlreichen Möglichkeiten für innovative journalistische Formate werden von Forschenden durchaus als Qualitätsgewinn angesehen.18 Zudem erleichtern Internetquellen unter wachsendem Aktualitäts- und Zeitdruck die Recherche, ermöglichen das schnelle Erfassen von Meinungen oder vereinfachen die Zusammenarbeit untereinander. Gleichwohl ergeben sich hier auch Risiken für die journalistische Qualität. Das Prüfen von Quellen, das zu den zentralen Qualitätsanforderungen journalistischer Arbeit gehört, ist online durchaus schwierig; der Absender und Wahrheitsgehalt von Informationen lassen sich häufig weniger zuverlässig feststellen. Hier bedarf es weiterer neuer Verifizierungspraktiken, die auch technisch eine Herausforderung darstellen.19

Umbruch als Aufbruch?

Die skizzierten Entwicklungen geben nur einen Bruchteil der Veränderungen des Journalismus im Internetzeitalter wieder, machen aber deutlich, dass ein fundamentaler Wandel stattfindet. Die vormals zentrale, selektive, einseitige und lineare Kommunikation der massenmedial organisierten Öffentlichkeit hat sich in der Netzwerköffentlichkeit zu einer dezentralen, pluralen, hybriden, partizipativen und interaktiven Kommunikation gewandelt.20 Auch der Wissenschaftsjournalismus steht im Zwang, neue Wege einzuschlagen und Ansätze zu entwickeln, um sein Publikum weiterhin zu erreichen.21 Der mit der Digitalisierung einhergehende Umbruch ist für den Journalismus dabei so fundamental, dass er in der Forschung durchaus auch als Krise bezeichnet wird.22 Dabei ist er so dynamisch und komplex, dass wissenschaftliche Prognosen und Empfehlungen allenfalls Teilaspekte betreffen können.

„ Befragungen von Mediennutzenden zeigen, dass journalistische Angebote vor allem mit Blick auf ihre Glaubwürdigkeit, ihre Aktualität und ihre Sachlichkeit nach wie vor eine wichtige Informationsquelle darstellen.“
Welche Entwicklungen sind also zu erwarten? Befragungen von Mediennutzenden zeigen, dass journalistische Angebote vor allem mit Blick auf ihre Glaubwürdigkeit, ihre Aktualität und ihre Sachlichkeit nach wie vor eine wichtige Informationsquelle darstellen.23 Auch das Vertrauen in den Journalismus ist in Deutschland – entgegen vieler Behauptungen – Langzeitstudien zufolge stabil.24 Dennoch nutzen vor allem jüngere Altersgruppen zunehmend soziale Medien für ihre Informationsbeschaffung und Entscheidungsfindung, und damit auch Angebote von Laien oder Erzeugnisse strategischer Kommunikation. In den USA ist dieser Trend noch deutlich stärker ausgeprägt.25 Der Einfluss von Social Media auf den öffentlichen Diskurs wurde zuletzt im Zusammenhang mit Social Bots und Falschinformationen vielfach problematisiert und hat auch zu regulativen Konsequenzen wie dem Netzdurchsetzungsgesetz geführt.

Hier stellt sich die Frage, wie der Journalismus seine Position in Zukunft behaupten kann. Dazu wurde in den letzten Jahren eine Fülle von Ansätzen diskutiert, welche die kommunikativen, technischen und ökonomischen Möglichkeiten des Internets innovativ nutzen.26 Zu diesen Ansätzen zählen unter anderem der hyperlokale Journalismus27, Mobiljournalismus28 sowie subjektive Formate und individuelle Selbstdarstellung29. Neben diesen kleinteiligen Anpassungen sehen Forschende aus der Kommunikationswissenschaft aber auch die Notwendigkeit für ein grundsätzlicheres Umdenken. Um seiner Funktion als objektiver und kritischer Beobachter der Gesellschaft auch in Zukunft gerecht zu werden, muss sich das Profil des Journalismus verändern. In der Unübersichtlichkeit der Netzwerköffentlichkeit ist die Orientierungsleistung des Journalismus mehr gefragt denn je. Journalistinnen und Journalisten müssen verstärkt zu „Gatewatchern“ werden,30 die die Nutzerinnen und Nutzer nicht nur selbst informieren, sondern öffentliche Kommunikation verantwortungsbewusst navigieren und moderieren, um Objektivität und Faktentreue der Profession „Journalismus“ zu gewährleisten. Das wiederum verlangt neue Selbstverständnisse, Kompetenzen, Regeln und die Übertragung journalistischer Normen auf das Netz.31 Und nicht zuletzt verlangt es auch eine Weiterentwicklung der Theorien, Modelle und Methoden der interdisziplinären Journalismusforschung.32

 

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