Gian-Andri Casutt, Julia Wandt und Eva Inés Obergfell (v.l.) im Paulinum der Universität Leipzig. Foto: Inga Dreyer

„Jede Krise ist anders“

Kommunikation in Krisenzeiten war eines der zentralen Themen der Jahrestagung des Bundesverbands Hochschulkommunikation in Leipzig. Die Coronapandemie ist weiterhin eine präsente, aber nicht die einzige Krise, mit der es Hochschulkommunikator*innen zu tun haben. 

Es sollte es ein Spaß-Ruderwettbewerb werden, bei dem verschiedene Mannschaften aus der Hochschule, aber auch von externen Institutionen gegeneinander antreten. In diesem Jahr aber kentert bei einem der Rennen ein Boot und einer der Insassen verunglückt tödlich. Wie geht die Kommunikationsabteilung der Hochschule damit um? Wer muss informiert und involviert werden? Mit diesen Fragen setzen sich Teilnehmer*innen eines Krisenkommunikations-Workshops bei der Jahrestagung des Bundesverbands Hochschulkommunikation auseinander. Zu der Veranstaltung unter dem Titel „Wie hättet ihr reagiert?“ haben Ralf Garten (Hochschule Osnabrück), Olaf Kaltenborn (Goethe-Universität Frankfurt), Peter Diehl (Hochschule Fulda) und Katrin Müller (Zürcher Hochschule der Künste) reale Fälle mitgebracht, die zeigen, wie komplex Krisenkommunikation an Hochschulen sein kann.

Jahrestagung des Bundesverbands Hochschulkommunikation

Die Jahrestagung des Bundesverbands Hochschulkommunikation fand vom 21. bis zum 23. September 2022 in Leipzig statt und versammelte rund 500 Kolleg*innen aus verschiedensten Bereichen der Kommunikation. Unter dem Rahmenthema „Krise als Dauerzustand – Der neue Alltag in der Hochschulkommunikation?“ wurden Vorträge, Diskussionen und Workshops angeboten, die dazu anregen sollen, sich mit dem Berufsbild auseinanderzusetzen und Erfahrungen auszutauschen. Seit 1969 treffen sich jedes Jahr die Kommunikationsverantwortlichen deutscher Hochschulen und der deutschsprachigen Nachbarländer Schweiz und Österreich. Die Jahrestagungen sind ein wesentlicher Bestandteil der Verbandsarbeit.

Im Laufe der Tagung wird immer wieder deutlich: Die Coronapandemie hat großen Einfluss auf den Arbeitsalltag, und wirkt sich womöglich auch langfristig auf die Kommunikation an Hochschulen aus. „In den letzten zwei Jahren waren Sie besonders als Krisenkommunikator*innen gefragt“, sagt Eva Inés Obergfell in Richtung der Tagungsteilnehmer*innen im Paulinum der Universität Leipzig. Eine Herausforderung sei, auch bei der schlechtesten Nachricht einen kühlen Kopf zu bewahren, zu überlegen, wie man sich an welche Zielgruppen wendet und dabei Optimismus auszustrahlen. „Sie sind die Fachabteilung für Zuversicht“, sagt Obergfell und trifft damit offensichtlich einen Nerv, wie das Lachen und Klatschen im Publikum zeigt. 

„Krise als Dauerzustand – Der neue Alltag in der Hochschulkommunikation?“ lautet das Rahmenthema der Jahrestagung, die vom 21. bis zum 23. September in Leipzig stattfand. Eine wohl eher rhetorisch anmutende Frage, merkt Eva Inés Obergfell, Rektorin der Universität Leipzig, bei ihrem Grußwort zur Eröffnung an. Ließe sich statt eines Fragezeichens einfach ein Punkt hinter die Überschrift setzen? Ist die Krise der neue Alltag? 

Während der Coronapandemie sind die Ansprüche an die Hochschulkommunikation gestiegen.
Wer von den Teilnehmer*innen in diesem Jahr schon einmal eine Krise erlebt hat, fragt Christoph Hilgert, Moderator der Eröffnung und kommissarischer Pressesprecher der Hochschulrektorenkonferenz. Der Saal verwandelt sich in ein Meer von blauen, hochgehaltenen Zetteln. Blau steht für: Ja, ich habe eine Krise erlebt. Klimawandel, Energiekrise, IT-Sicherheit lauten einige Beispiele, die Teilnehmer*innen im Publikum nennen. Auch auf Hochschulen bezogene Krisen werden genannt – etwa, dass bestimmte kleine Fächer nicht mehr nachgefragt werden, weil sie nicht die Art von Wissen vermitteln, für das sich junge Menschen interessieren. 

Einen Sack Flöhe hüten

Hochschulen kommunizieren nicht nur in einer von multiplen Krisen geprägten Welt, sondern sind selbst komplexe Gebilde, in denen unterschiedliche Gruppen und Interessen aufeinandertreffen und bedient werden wollen. In der Hochschulkommunikation zu arbeiten sei, wie einen Sack Flöhe zu hüten, sagt Christoph Hilgert und erntet keinen Widerspruch seitens der Teilnehmer*innen der Podiumsdiskussion zum Auftakt der Tagung. Neben Inés Obergfell sind das Julia Wandt*, Vorsitzende des Bundesverbands Hochschulkommunikation, und Gian-Andri Casutt*, Präsident von EUPRIO, der European Association of Communication Professionals in Higher Education. 

Deutlich wird: Während der Coronapandemie sind die Ansprüche an die Hochschulkommunikation gestiegen. Der Bedarf nach Informationen habe über alle Länder hinweg zugenommen, sagt Gian-Andri Casutt. Ein weiterer Effekt: auf der Leitungsebene der Hochschulen sei die Bedeutung von Kommunikationsabteilungen erkannt worden. Die Krise geht mit mehr Anerkennung, aber auch neuen Herausforderungen einher. „Wir haben die Aufgabe, uns neu aufzustellen“, sagt Casutt.

Die Bedeutung von Social Media steigt, aber was ist mit dem klassischen Journalismus?
In der Pandemie habe sich gezeigt, dass Kommunikationsexpertise allein nicht ausreiche, sagt Julia Wandt. Auch juristisches oder sogar psychologisches Fachwissen sei gefragt. Deshalb sei wichtig, dass nicht nur Handwerk vermittelt werde, „sondern auch, welche Folgen Kommunikation haben kann“. Denn gerade auf Social Media passiert es, dass öffentliche Äußerungen auch mit Beleidigungen und Hass-Kommentaren beantwortet werden. 

Die Rolle der Hochschulkommunikation und die Kanäle, über die Informationen verbreitet werden, verändern sich. Die Social-Media-Accounts der Institutionen hätten nicht mehr denselben Wert für die Kommunikation wie früher, sagt Gian-Andri Casutt. Stattdessen gehe es nun stärker darum, Wissenschaftler*innen dabei zu unterstützen, über ihre eigenen Kanäle zu kommunizieren, um Menschen zu erreichen. Gleichzeitig müsse auch die interne Kommunikation verstärkt auf Social Media setzen, da sich junge Menschen darüber am besten erreichen ließen. 

Die Bedeutung von Social Media steigt, aber was ist mit dem klassischen Journalismus? Welche Folgen habe die „Medienkrise“, fragt Christoph Hilgert. „Die Krise des Wissenschaftsjournalismus halte ich für ein großes Problem“, sagt Gian-Andri Casutt. Denn traditionelle Printmedien hätten immer noch eine Bedeutung. Auch gedruckte Artikel würden schließlich online gestellt und auf Social-Media-Plattformen geteilt, wo sie Reichweite bekommen. Während der Corona-Krise sei deutlich geworden, wie wichtig Wissenschaftsjournalist*innen in den Redaktionen seien, denn sie wüssten, wie Wissenschaft funktioniert.

Auch abgesehen von Corona haben Hochschulkommunikator*innen mit vielen großen und kleinen, lokalen und globalen Krisen zu tun.
Wissenschaftsjournalist*innen seien jedoch nicht nur wichtig, um Themen aus der Forschung in die Öffentlichkeit zu bringen, sondern auch, um die Entwicklungen in der Wissenschaft zu beobachten, sagt Julia Wandt. „Wir brauchen sie als Kritiker*innen.“ Kürzungen im Printjournalismus – beispielsweise bei den regionalen Tageszeitungen – führten dazu, dass sich diejenigen durchsetzten, die auch Themen skandalisieren, die keine Aufregung wert seien, warf Eva Inés Obergfell ein. „Wenn man als Universität davon betroffen ist, ist das eher lästig.“ 

Intern und extern gehören zusammen

Der Umgang mit der Öffentlichkeit ist das eine, die Kommunikation nach innen ein weiteres viel diskutiertes Aufgabengebiet. An vielen Hochschulen sei interne Kommunikation auch vor der Pandemie ein wichtiges Thema gewesen, sagt Julia Wandt. „Doch durch Corona ist die Relevanz auf jeden Fall gestiegen.“ Dabei sei interne Kommunikation auch immer externe Kommunikation, betonten die Podiumsteilnehmer*innen. Denn bei einer Institution wie einer Hochschule mit vielen verschiedenen Arbeits- und Aufgabenbereichen lässt sich nicht so einfach zwischen innen und außen differenzieren. Inzwischen lösten einige Hochschulen diese Trennung zwischen intern und extern innerhalb ihrer Kommunikationsabteilungen auf, sagt Julia Wandt. Es werde dann eher von den Themen her gedacht und diese dann an unterschiedliche Zielgruppen kommuniziert.

Interne Kommunikation war auch das Thema eines Workshops mit Janine Hensen, Head of Internal Communications, SoftwareOne, einem börsennotierten, international agierendem IT-Dienstleister, der in den vergangenen Jahren schnell gewachsen ist und inzwischen mehr als 9.000 Mitarbeiter*innen hat. Zu den wichtigsten Werten ihrer internen Kommunikation gehörten Offenheit und Ehrlichkeit gegenüber den Mitarbeitenden, sagt Hensen. Das lege die Grundlage dafür, wie das Unternehmen intern wahrgenommen werde. Während der Pandemie habe sie den Eindruck gehabt, dass die Ansprüche der Mitarbeiter*innen an Information und Transparenz zugenommen hätten. „Das mag ein Prozess sein, der schon vor Corona begonnen hat. Aber er hat dadurch auf jeden Fall an Fahrt gewonnen.“ Gleichzeitig sei eine erhöhte Professionalisierung der internen Kommunikation zu beobachten. Eine Herausforderung sei zu entscheiden, welche Zielgruppen wie viele Informationen bekommen und darauf zu achten, Posteingänge nicht zu überschwemmen. Was der einen Person zu viel ist, reicht der anderen vielleicht noch nicht aus. Da gelte es die Balance zu halten – und ständig Feedback von den Mitarbeiter*innen einzuholen.

„Oder haben wir vielleicht einfach ein anderes Wahrnehmungslevel, was Krisen betrifft?“ Eva Inés Obergfell
Wenn interne wie externe Kommunikation wichtiger werden: Was bedeutet das für die Struktur von Organisationen? Einigkeit herrschte auf dem Eröffnungspodium, dass die Kommunikationsabteilungen eng an die Hochschulleitung angebunden sein sollten – in welcher Form auch immer. „Es gibt kein Modell, das für alle Hochschultypen funktioniert“, sagt Julia Wandt. Wichtig sei jedoch, das Signal zu senden, dass Wissenschaftskommunikation einen wichtigen Platz habe. Das zeige auch den den Wissenschaftler*innen, dass ihre Bemühungen wertgeschätzt werden und dass sie eine Stelle haben, bei der sie Unterstützung finden. 

Dauerhaft im Krisenmodus?

Offen bleibt die Frage, ob das Fragezeichen hinter dem Titel der Veranstaltung tatsächlich wegfallen kann. Ist die Krise der neue Modus? Gibt es wirklich mehr Krisen als früher? „Oder haben wir vielleicht einfach ein anderes Wahrnehmungslevel, was Krisen betrifft?“, fragt Eva Inés Obergfell. Fest steht: Auch abgesehen von Corona haben Hochschulkommunikator*innen mit vielen großen und kleinen, lokalen und globalen Krisen zu tun.

Im Workshop diskutieren die Teilnehmer*innen, wie sie mit ihrem jeweiligen Fall umgehen könnten. Beim Beispiel des tödlichen Bootsunglücks fragen sie: Wie wichtig ist die enge Abstimmung mit Polizei und Einsatzkräften? Wer kommuniziert zuerst? Was gehört zu den Aufgaben der Hochschulkommunikation? Welche Angebote für Betroffene – beispielsweise Seelsorge oder Schweigeanlässe – können angestoßen werden? Wie wichtig ist eine schnelle und transparente Kommunikation? Welche Rolle spielt Social-Media-Monitoring in solchen Fällen?

Immer wieder finden sich Hochschulkommunikator*innen in solchen komplexen Situationen wieder, in denen sie schnell und angemessen reagieren müssen. Workshops, wie sie auf der Jahrestagung – auch schon vor Corona – angeboten werden, geben die Möglichkeit, Szenarien durchzuspielen und zu überlegen: Was ist die Rolle der Hochschulkommunikation? Wer braucht als erstes welche Informationen? Auf diese Weise könne man sich vorbereiten, um nicht ganz so unbedarft in solche Situationen hineinzustolpern, sagt Ralf Garten, Pressesprecher der Hochschule Osnabrück. Ein Patentrezept für den Ernstfall jedoch gebe es nicht. „Jede Krise ist anders.“

Disclaimer: Julia Wandt und Gian-Andri Casutt sind Mitglieder des Beirats von Wissenschaftskommunikation.de.