Foto: Anke Illing

Im Profil: Franca Parianen

Mit ihrer Wissenschaftskommunikation möchte Franca Parianen Mythen, Vorurteilen und Irrglauben entgegentreten. Deshalb schreibt die Neurowissenschaftlerin Bücher über Hormone, Sozialverhalten und Weltrettung. Wann sie dabei über Goldadern stolpert und wo ihr fiktive Kneipengespräche helfen, verrät die Autorin, Speakerin und Slammerin im Jobprofil.

Karriereleiter, Karrieresprungbrett oder Karrierekarussell – Wie war Ihr Weg in die Wissenschaftskommunikation?

Für mich fühlte es sich wie eine Karriereleiter an, aber nicht wie eine geradlinige, sondern eher wie eine vom Brettspiel der Spielesammlung. Ich wusste nie genau, ob die Leiter gerade rauf, runter oder ganz woanders hinführt.

Was sind die größten Herausforderungen in Ihrem Job und warum lohnt es sich trotzdem jeden Tag? 

Selbstständig sein bedeutet, seinen eigenen Beruf zu erfinden, mit allen Unsicherheiten, die dazu gehören. Aber wer schon mal auf Stipendien oder befristeten Verträgen gearbeitet hat, ist darauf eigentlich gut vorbereitet.

Was wirklich fehlt, ist die wissenschaftliche Infrastruktur: Zugang zu Artikeln oder Konferenzen, Zusammenarbeit, der Input von Co-Autor*innen und der Peer-Review Prozess. Das Buchlektorat hilft bei Logik und Klarheit, aber für den inhaltlichen Kern muss man letztendlich selbst so gut recherchieren, wie man kann, und dann dafür geradestehen. Das kann einen schon mal nervös machen. Dafür stolpert man im gleichen Prozess aber auch ständig über neue Zusammenhänge, skurrile Geschichten und Informationen, von denen man denkt: „Mehr Leute sollten das wissen! Ich wünschte, ich hätte das gewusst.“ Zwischen aller Komplexität fühlt sich das für mich an, wie auf eine Goldader zu stoßen.

Fast noch schöner ist es, wenn man Mythen einreißen kann. Irrglauben und Vorurteile tauchen von Tratsch bis TikTok überall auf und richten zum Teil großen Schaden an: Von der Vorstellung, dass wir nur zehn Prozent unseres Gehirns nutzen, über die Idee, dass Östrogen und Testosteron Gegenteile sind, bis zu der dass erneuerbare Energien niemals mehr als zehn Prozent unseres Strombedarfs decken werden. Überall stehen uns diese himmelhohen Türme von Fehlinformation im Weg. Hier dürfen Wissenschaftskommunikator*innen die Axt anlegen – und das sollten wir auch!

Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Wissenschaftskommunikation?

Ich wünsche mir, dass Wissenschaftskommunikation Mainstream wird. Dass es also nicht eine Ecke gibt, die wir einrichten – hübsch mit Bücherwand und Leselampe – à la „auf diesen Kanälen schreibt die Forschung noch selbst“, sondern dass wissenschaftliches Denken auch außerhalb der Forschung viel mehr Anwendung findet. Ich meine die Neugier, das Hinterfragen und das Orientieren an Evidenz. Kurz, die Idee, dass es bessere und schlechtere Antworten gibt und dass wir besser dran sind, wenn wir selbst herausfinden, welche das sind.

In „Weltrettung braucht Wissenschaft“ haben wir mit Science Slammer*innen aus ganz unterschiedlichen Disziplinen spekuliert, wie die Welt aussähe, wenn wir öfter auf Wissenschaft hören würden. Bei jedem Thema, mit dem wir uns beschäftigt haben, bietet die Wissenschaft bereits so viel Neues, Überraschendes und Wichtiges, das uns helfen kann, im Chaos der Welt eine Zukunft zu bauen.

Bei den vielen Krisen und Unbekannten, in die wir gerade hineinrasen, wird es immer wichtiger, schnell auf neue Informationen zu reagieren, sich anzupassen und den Kurs zu korrigieren. Darum wünsche ich mir, dass schon Schüler*innen mehr darüber lernen, wie man robuste Antworten auf komplexe Fragen sucht und dass Forscher*innen sich mehr Gedanken über Anwendung und politische Implikationen ihrer Arbeit machen. Ich wünsche mir, dass sich mehr Menschen in wissenschaftlichen Datenbanken zurechtfinden, beziehungsweise dass es auch außerhalb dieser Datenbanken noch viel mehr Portale mit zuverlässigen Informationen und Quellenangaben gibt. Also die Art von Wissenschaftsjournalismus, die Menschen gerade am Anfang der Pandemie so viel Halt gegeben hat. Im Hirn- und Hormonbereich müssen sie sich dafür oft erst durch Superfoodseiten und Geschlechterklischees wühlen. In Talk Shows verlieren sie sich in False Balance.

Wir brauchen mehr Fact Checking und weniger Raum für Unfug. Natürlich gibt es tausende Fragen, die man wild diskutieren und nie beantworten werden kann. Das macht es aber aus meiner Sicht noch dringender, dass wir uns stattdessen nicht in zirkulären Diskussionen über die Fakten verlieren. Unsere routinierten Kommunikationsmuster funktionieren so einfach nicht mehr – besonders bei der Kommunikation über den Klimawandel. Die Welt brennt und…Wir ham‘ doch keine Zeit.

Wie unterscheidet sich Wissenschaftskommunikation im Buch von Wissenschaftskommunikation auf der Bühne?

Auf der Bühne gibt es Ton und Bilder, im Buch muss ich Wissenschaft, Zusammenhänge und Humor allein mit Sprache vermitteln. Der ironische Unterton muss herauslesbar sein und das lustigste Wort immer am Ende des Satzes stehen. Wo man eine Trendlinie auf der Bühne auf den ersten Blick versteht und beim Sprechen automatisch in umgangssprachlichen Ton verfällt, verliert man sich beim Schreiben schnell in doppeldeutigen Formulierungen und Wissenschaftssprech. Dann schreibt man von einer „positiven Korrelation“ zwischen Reizdarm und Stress, weil das eine eben zusammen mit dem anderen wächst, und vergisst, dass „positiv“ in den meisten Fällen eher gelesen wird als „was Gutes“. Darum versuche ich nie direkt von den wissenschaftlichen Studien an den Text zu gehen, sondern immer erst den Kopf freizukriegen: Was Witziges lesen, Musik hören oder in äußersten Fällen auch mal raus an die frische Luft gehen. Oft hilft es, sich ein Gegenüber vorzustellen, dem man das Ganze bei einem Bier erzählt unter der Überschrift „Was will ich eigentlich sagen?“

Gleichzeitig bieten Bücher eine Menge Raum für Seitenschlenker und komplexe Sätze. Und wenn die Leser*innen am Ende des Buches angekommen sind, haben wir viele Stunden miteinander verbracht und ich habe unterwegs beim Schreiben selbst viel gelernt. Das ist ein bisschen wie der Unterschied zwischen einer guten Unterhaltung auf einer Party und einer gemeinsamen Reise. Die Rückmeldungen, die ich nach einem Buch bekomme, sind oft persönlicher und erzählen mehr aus dem Leben der Lesenden. Das ist etwas sehr Schönes.


Franca Parianen kam während ihrer Doktorarbeit über Science Slams zur Wissenschaftskommunikation. Heute ist die Neurowissenschaftlerin nicht nur als Speakerin und Slammerin auf den Bühnen oder bei Real Scientists im Netz zu finden, sondern auch als Autorin auf den deutschen Bestsellerlisten. Seit ihrem Debüt „Woher soll ich wissen, was ich denke, bevor ich höre, was ich sage?“ (2017) schreibt sie beim Rowohlt Verlag über Hirn, Hormone und Weltrettung. Foto: Anke Illing