Foto: Markus Spiske

„Es geht darum zu sagen: Man kann etwas tun“

Wie wirkt sich konstruktiver Journalismus auf die Wahrnehmung des Klimawandels aus? Der Kommunikationswissenschaftler Marcus Maurer hat untersucht, ob lösungsorientierte Berichterstattung Menschen positiver stimmt und zum Handeln anregt.

Wie würden Sie die Berichterstattung über den Klimawandel in deutschen Medien beschreiben? 

Wir haben seit zwanzig Jahren zwei grundlegende Befunde. Der eine ist: Es wird nicht kontinuierlich berichtet, sondern oft nur, wenn beispielsweise Konferenzen stattfinden oder Forschungsberichte über den Klimawandel erscheinen. Das Thema ist aber kontinuierlich relevant. Wenn nur zu bestimmten Zeitpunkten berichtet wird, kann das problematisch sein, weil Menschen ihre Entscheidungen, ob sie ein Thema wichtig finden, auch von der Medienberichterstattung abhängig machen. 

Marcus Maurer ist Professor für Kommunikationswissenschaft mit dem Schwerpunkt Politische Kommunikation am Institut für Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Seine Forschungsschwerpunkte sind unter anderem Medienwirkungsforschung, Wissenschaftskommunikation und empirische Methoden. Er ist eine*r der Autor*innen des Bandes „Medien in der Klima-Krise“ des Vereins KLIMA° vor acht. Foto: JGU Mainz

Der zweite Befund ist: Wenn über den Klimawandel berichtet wird, dann in der Regel sehr problemzentriert. Der Klimawandel wird sehr stark als Problem betrachtet, was er natürlich auch ist. Aber dabei bleibt es dann. Es werden keine Lösungen präsentiert und es wird auch wenig über Erfolge berichtet, die es in der Bekämpfung des Klimawandels durchaus schon gibt. Diese Situation können Menschen als ausweglos empfinden. Irgendwann resignieren sie vielleicht und denken: Das hat ja eh keinen Sinn, was soll ich jetzt noch machen? 

In einer noch nicht publizierten Studie haben Sie mit Ihren Co-Autoren Olaf Jandura und Gerhard Vowe untersucht, welche Wirkung lösungsorientierte Berichterstattung über den Klimawandel hat. Was war Ihr Ansatz? 

Wir sind vom relativ neuen Konzept des konstruktiven Journalismus ausgegangen, der nicht so berichten will, wie ich das gerade beschrieben habe. Neben den Problemen nimmt er auch Problemlösungen in den Blick, ist also zukunftsorientiert. Unsere Frage war, ob eine Berichterstattung, die weniger darauf abzielt, Angst zu machen, sondern auch Lösungen aufzeigt, funktionaler für die Gesellschaft ist. Würde das eher dazu führen, dass Menschen das Klima schützen wollen und möglicherweise bereit sind, an Aktionen gegen den Klimawandel teilzunehmen? 

Was genau ist konstruktiver Journalismus?

Worüber sich alle sehr schnell einig werden, ist, dass es um Lösungsorientierung geht. Abgesehen davon gibt es Differenzen im Verständnis, wie nah konstruktiver Journalismus dem klassischen Journalismus ist. In unserem Verständnis ist konstruktiver Journalismus an übliche journalistische Regeln gebunden – wie beispielsweise Ausgewogenheit. Basierend auf Texten der Personen, die dieses Konzept entwickelt haben, darunter Ulrik Haagerup, kommen wir auf drei Dimensionen von konstruktivem Journalismus: Ausgewogenheit, Sachlichkeit und Lösungsorientierung. 

„In unserem Verständnis ist konstruktiver Journalismus an übliche journalistische Regeln gebunden – wie beispielsweise Ausgewogenheit.“ Marcus Maurer
Andere Wissenschaftler*innen und Praktiker*innen aber stellen in Frage, ob konstruktiver Journalismus tatsächlich ausgewogen und sachlich sein muss. Ihm wird deshalb oft vorgeworfen, in der Nähe von Aktivismus zu stehen. Aus unserer Sicht ist es jedoch gar nicht nötig, von den Ansprüchen des klassischen Journalismus abzuweichen. Das würde der Sache eher schaden. Wir haben uns deshalb dezidiert dafür interessiert: Wenn man alle typischen journalistischen Kriterien für guten Journalismus anlegt und das Einzige, was man gegenüber dem klassischen Journalismus verändert, die Lösungsorientierung ist: Reicht das schon, um eine Veränderung bei den Menschen zu bewirken? 

Wie sind Sie vorgegangen?

Wir haben ein kleines Online-Experiment gemacht – eine Vorstudie für ein großes Projekt, das wir jetzt bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft beantragen wollen. Wir haben zwei Variablen in einem fiktiven Online-Text manipuliert, den wir auf der Basis eines realen journalistischen Artikels geschrieben haben. Die vier verschiedenen Artikelversionen haben wir jeweils 40 Personen aller Alters- und Bildungsgruppen vorgelegt. 

Zum einen haben wir die Dimension der Lösungsorientierung manipuliert. Das heißt, wir haben einerseits einen Text, der klassisch journalistisch das Problem beschreibt, dass wir das Zwei-Grad-Ziel nicht erreichen. In der zweiten, konstruktiven Version wird das Problem genauso intensiv beschrieben, aber zusätzlich wird gesagt: Eventuell können wir das Ziel später noch erreichen, wenn wir bestimmte Schritte unternehmen. 

Außerdem hat uns interessiert, ob die Effekte für alle Menschen gleich sind oder ob das etwas damit zu tun hat, inwiefern sie persönlich betroffen wären. Die zweite Variable, die wir manipuliert haben, ist also das Jahr, für das wir das Scheitern der Klimaziele vorhersagen. Einmal ist von einem Jahr die Rede, das unsere Versuchspersonen ziemlich sicher noch erleben werden, nämlich 2035. Und einmal geht es um ein Jahr, dass sie ziemlich sicher nicht erleben werden, nämlich 2135.

Welche Effekte haben Sie sich angeschaut? 

„Wir haben geschaut, ob die Menschen, die den konstruktiven Artikel gelesen haben, in einer positiveren Stimmung sind.“ Marcus Maurer
Wir haben geschaut, ob die Menschen, die den konstruktiven Artikel gelesen haben, in einer positiveren Stimmung sind. Und wir haben dezidiert nachgefragt, ob sie nun mehr oder weniger Angst vor dem Klimawandel haben. Dann haben wir uns eine Variable vorgenommen, die man Selbstwirksamkeit nennt. Es geht um die Überzeugung, dass ein Problem zu lösen ist und dass man dazu selbst etwas beitragen kann. Ganz am Ende steht die Frage nach der Verhaltensänderung. Wir haben geschaut, ob sich die Menschen, die die konstruktive Variante gelesen haben, stärker für den Klimawandel engagieren wollen als diejenigen, die die problemzentrierte Variante gelesen haben. Dabei geht es um einfache Dinge wie, dass sie sich künftig öfter über das Thema unterhalten wollen, aber auch um aufwändige Verhaltensänderungen – dass sie an Aktionen teilnehmen oder sich klimafreundlicher verhalten wollen.

Wie hat sich die Lektüre des konstruktiven Textes ausgewirkt? 

Wir sehen tatsächlich – wie auch schon einige Studien vor uns –, dass Menschen, die konstruktiven Journalismus nutzen, in eine positivere Stimmung versetzt werden. Wir sehen auch, dass sie weniger Angst vor dem Klimawandel haben. Sie resignieren weniger, sagen also seltener: Der Klimawandel ist nicht mehr aufzuhalten. Das sind eigentlich gute Voraussetzungen für Verhaltensänderungen. 

Bei denen finden wir auch Effekte, aber nur bei einer einzigen Variablen: Menschen sagen, dass sie eher bereit sind, sich mit anderen über das Thema zu unterhalten. Das ist ein erster Schritt. Wir finden leider nicht, dass Menschen sofort bereit sind, an irgendwelchen Aktionen gegen den Klimawandel teilzunehmen oder ihr Verhalten klimafreundlicher zu gestalten. In beiden Gruppen sagen aber die meisten Menschen sowieso schon, dass bereit wären, klimafreundlicher zu leben. Heutzutage sagt das fast jede*r – egal, was er oder sie gelesen hat. 

„Ich glaube, dass man nicht erwarten kann, dass Menschen, die einen einzelnen Artikel lesen, am nächsten Tag sofort auf die Straße rennen und anfangen zu demonstrieren.“ Marcus Maurer
Bei Aktionen – zum Beispiel Demonstrationen – gegen den Klimawandel sehen wir diese Effekte nicht. Das muss aber nicht heißen, dass sie grundsätzlich ausgeschlossen sind. Ich glaube, dass man nicht erwarten kann, dass Menschen, die einen einzelnen Artikel lesen, am nächsten Tag sofort auf die Straße rennen und anfangen zu demonstrieren. Unsere Idee ist: Wenn die Medienberichterstattung insgesamt konstruktiver wäre, dann würden sich möglicherweise mehr Menschen, die immer wieder mit identischen Botschaften konfrontiert sind, klimafreundlicher verhalten. Aber das können wir mit unseren Daten jetzt noch nicht nachweisen. 

Spielt es eine Rolle, ob die Menschen selbst von den Folgen des Klimawandels betroffen wären?

Wir haben gesehen, dass das mit einer einzigen Ausnahme keine so große Rolle gespielt hat. Nur bei der Frage zur Angst vor dem Klimawandel finden wir einen so genannten Interaktionseffekt, das heißt, dass die konstruktive Artikelversion nur bei denjenigen die Angst vor dem Klimawandel gemindert hat, die selbst betroffen waren. Die Quintessenz ist: Auch dann, wenn es Menschen gar nicht betrifft, werden sie offensichtlich durch den konstruktiven Journalismus anders beeinflusst als durch den problemzentrierten. 

Sie planen ein größeres Forschungsprojekt zu konstruktivem Journalismus. Was haben Sie genau vor? 

Da haben wir eine ganze Menge vor. Wir würden einerseits erst einmal die Inhalte von konstruktivem Journalismus untersuchen. Denn dazu gibt es überhaupt noch keine Forschung. In Deutschland existieren mittlerweile ein paar Medien, die sich dem konstruktiven Journalismus verpflichtet fühlen, aber noch nicht so vielen Menschen bekannt sind. Am bekanntesten ist vermutlich noch Perspective Daily, ein Online-Medium, das zumindest einen konstruktiven Beitrag täglich veröffentlicht. Andere dieser Formate haben nur wenige Ausgaben pro Jahr. Auch uns ist noch nicht ganz klar: Wie konstruktiv berichten diese Medien? Halten sie sich auch an Grundprinzipien wie Ausgewogenheit und Sachlichkeit? Oder sind sie so aktivistisch, wie es ihnen manchmal vorgeworfen wird? 

Dann wollen wir auch wissen: Welche Menschen interessieren sich eigentlich für konstruktiven Journalismus? Wir wissen bisher relativ wenig darüber, wer diese Medien nutzt und warum. Andere Menschen würden sie vielleicht auch nutzen, wenn sie sie kennen würden. Daher wollen wir erst mal wissen: Wie groß ist eigentlich die Präferenz für konstruktiven versus problemzentrierten Journalismus in unserer Gesellschaft? Dazu würden wir eine relativ große repräsentative Befragung machen wollen. 

Was sind mögliche Herausforderungen eines konstruktiven Journalismus? Beim Klimawandel könnte man argumentieren: Das Problem ist so groß, vielleicht gibt es gar keine Lösungen? Sollte die Stimmung dann nicht zu positiv werden? 

Das ist eine typische Verwechslung: Konstruktiver Journalismus ist nicht unbedingt ein positiver Journalismus. Es geht nicht darum, aus dem negativen Bias einen positiven Bias zu machen – nach dem Motto: alles läuft super. Deshalb ist es so wichtig, dass sich konstruktiver Journalismus weiterhin als ausgewogener Journalismus begreift. Es muss klar werden: Es gibt da ein großes Problem, das wir bekämpfen müssen. Erst, wenn es um die Frage geht, was man als Mensch tun kann, kommt der positive Ausblick. Es wird nicht passieren, dass Menschen in eine Jubelstimmung kommen und sagen: Es gibt gar kein Problem. Das haben wir in unserem Experiment auch abgefragt. Die Leute erkennen das Problem ganz genauso wie in der problemzentrierten Version. Der konstruktive Journalismus darf keine PR werden, er darf kein Aktivismus werden, er darf kein Jubeljournalismus werden. Er sollte ein klassischer Journalismus sein, der um das Aufzeigen von Problemlösungen erweitert wird. 

Welche anderen Themen würden sich für konstruktiven Journalismus eignen? 

„Der konstruktive Journalismus darf keine PR werden, er darf kein Aktivismus werden, er darf kein Jubeljournalismus werden.“ Marcus Maurer
In unserem Projekt, das wir beantragen, wollen wir neben dem Klimawandel auch das Thema Migration untersuchen – und zwar mit der Idee, dass möglicherweise der Grad der Polarisierung in der Gesellschaft ein wichtiger Einflussfaktor für die Wirkung von konstruktivem Journalismus sein kann. Wir würden sagen, dass das Thema Migration in Deutschland relativ stark polarisiert ist. Beim Klimawandel hingegen haben, glaube ich, mittlerweile inzwischen die meisten verstanden, dass wir etwas unternehmen müssen.. 

Bei Migration ist die Berichterstattung in der Regel sehr negativ. Es ist häufig so, dass Zuwander*innen in Zusammenhang mit Kriminalität thematisiert werden. Der konstruktive Journalismus könnte auch aufzeigen, inwiefern unsere Gesellschaft davon profitieren kann, wenn Menschen zu uns kommen. Grundsätzlich glaube ich, dass konstruktiver Journalismus so ziemlich bei jedem Thema möglich ist. In der Regel gibt es für fast jedes Problem irgendeine Lösung, die man thematisieren kann – im Idealfall sogar mehrere. Wobei es natürlich nicht darum geht, Menschen bestimmte Lösungen aufs Auge zu drücken. Es geht darum zu sagen: Man kann etwas tun.