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Die mühselige Eleganz der Wissenspopularisierung

Die Wissenschaftskommunikation ist so alt wie die Rhetorik. Im Buch „Genealogy of Popular Science“ beschreibt Jesús Muñoz Morcillo mit verschiedenen Autor*innen den Weg, den die Wissensvermittlung von der Antike bis heute genommen hat und was wir von damaligen Formaten heute lernen können. Gemeinsam mit Stephanie Rothe gibt er im Gastbeitrag einen Ausblick darauf.

Es gab eine Zeit, in der Wissenswertes in sorgfältig aufbereiteten Gedichten an ein breites Publikum vermittelt wurde. Der römische Dichter Horaz verglich diese Tätigkeit im ersten Jahrhundert vor Christus mit der Arbeit der fleißigen Biene (apis matinae“, Ode 4, 2), die mühevoll nur das Beste aus zahlreichen Blumen sammelt, um kostbaren Honig zu produzieren. „Mühselige Arbeit und subtile Eleganz“ („pónos kaì leptótēs“) war die ästhetische Devise griechischer Autoren für ihre Schriften – Bukolik (Hirtengedichte) wie Lehrdichtung, Prunkreden wie protreptische Texte (Werbereden), deren Ziel es war, junge Menschen für eine bestimmte Philosophieschule, ein Fach oder einen Beruf zu gewinnen. Die Honigmetapher wird auch vom berühmtesten Popularisierer der philosophischen Denkrichtung des Epikureismus, dem römischen Dichter Lukrez, in seinem Lehrgedicht „Über die Natur“ („De rerum natura“, IV 11-22) verwendet. Darin macht er auf die Funktion einer „schmackhaften und wirkungsvollen Wissensvermittlung“ aufmerksam. Sein Lehrgedicht sei mit dem Honig zu vergleichen, mit dem Ärzte den Rand des Bechers bestreichen, aus dem Kinder die bittere aber heilende Medizin trinken. Eine passendere Metapher für die gesellschaftliche Funktion der Wissenschaftskommunikation ist kaum zu denken.

Der Sammelband „Genealogy of Popular Science. From Ancient Ecphrasis to Virtual Reality“ geht den Ursprüngen derWissenschaftskom-munikation nach. Ausgehend von der Antike werden Kontinuitäten, Brüche und
Transformationen der
Populärwissenschaft aus sozialer und ästhetischer Sicht erforscht. Mehr Infos dazu finden sich auf der Verlagsseite.

Die Honigmetapher wurde nachweislich bis ins 19. Jahrhundert immer wieder verwendet, um den Nutzen und die Anmut der Wissensvermittlung hervorzuheben. Genau um diese Kontinuitäten, aber auch Brüche und Transformationen der Populärwissenschaft geht es im 2020 veröffentlichten Sammelband „Genealogy of Popular Science. From Ancient Ecphrasis to Virtual Reality“. Das Buch stellt die Ergebnisse der gleichnamigen internationalen Tagung in überarbeiteter Form zusammen, welche im Juni 2018 am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) stattfand. Das Provokative an diesem Buch ist die Auffassung von Wissenschaftskommunikation als eine Kulturtechnik, welche die Menschheit unter verschiedenen Etiketten und Umständen immer betrieben hat.

Jede Epoche hat die Populärwissenschaft, die sie verdient. Wir sind mit unserer heutigen Wissenschaftskommunikation nicht so privilegiert wie wir vielleicht annehmen. Der Blick in die Geschichte verrät, dass heutige Kommunikationspraktiken weder sehr innovativ noch sonderlich inklusiv sind. Unter dem Anschein von Vielfalt und Offenheit herrscht ein restriktives Kommunikationsverhalten, welches genau wie in früheren Zeiten von politischen und kulturellen Machtverhältnissen gelenkt wird.1 Das ist im Grunde genommen auch nichts Neues. So wird heute schnell angenommen, dass Wissenschaftskommunikation sich grundsätzlich mit gesellschaftsrelevanten Themen aus dem Bereich der Technik- und Naturwissenschaften (zuletzt mit der Coronapandemie) auseinandersetzt. Gleichzeitig werden die großen gesellschaftlichen und politischen Diskurse wie der Feminismus, der kunst- und literaturwissenschaftliche Ansatz der Ökokritik oder die theoretischen Diskurse des Neuen Materialismus, welche von kulturwissenschaftlich arbeitenden Fächern vorangetrieben werden, nicht als primärer Gegenstand der Wissenschaftskommunikation angesehen.2 Der genealogische Ansatz nach Foucault3 liefert an dieser Stelle erstaunliche Ergebnisse. Foucault blickt auf modern anmutende soziologische oder philosophische Phänomene und deren Spannungsfelder und untersucht ihre historische Verzweigung und Konstruktion. Dabei kommt es nicht so sehr auf die offensichtlichen Brüche, sondern auf die subtilen Kontinuitäten an, also heterogene und kontingente Prozesse in der Geschichte, die sich bis in die Gegenwart fortsetzen. Beispiele hierfür fehlen nicht.

Kontinuitäten der Wissenspopularisierung

Mediziner der Antike wie Galen waren rhetorisch sehr gewandt und hatten ein starkes Bewusstsein für die Notwendigkeit der Experten-Laien-Kommunikation. Die informelle Wissensvermittlung oder die Verbreitung von Stereotypen, die wir eher mit Filmen und populären Medien assoziieren, waren bereits in der Antike vertreten. Auf griechischer Keramik und in überlieferten Komödien finden wir zum Beispiel Karikaturdarstellungen von ungepflegten oder extrovertierten Intellektuellen wie Äsop (in einem Kýlix [Trinkgefäß] aus dem Museo Gregoriano Etrusco des Vatikan, ca. 470 v. Chr.) oder Sokrates (etwa in Aristophanes, „Die Wolken“ 156-164). Man kann hier kaum der Versuchung widerstehen, von der antiken Version des „mad scientists“ zu reden, den wir aus Hollywoodfilmen kennen. Die rhetorische Qualität der Kommunikation war zumindest bis ins 18. Jahrhundert nicht zu unterschätzen. Insbesondere die Fähigkeit, sensorielle Eindrücke anschaulich und im Detail zu beschreiben, war dank der seit der römischen Kaiserzeit (beginnend ab dem ersten Jahrhundert) tradierten Schulrhetorik stark verbreitet. Die anschauliche Beschreibung, bekannt als ékphrasis, war eine zentrale rhetorische Übung, welche die Sprache der Wissenspopularisierung in so unterschiedlichen Disziplinen wie der Medizin oder der Kunstgeschichte entscheidend geprägt hat.

Die Formatvielfalt ist auch keine moderne Besonderheit. Die Vereinfachung von großen Geschichtswerken in überschaubaren Epitomen, also Textauszügen und zusammengefassten Werken sowie Übersichtsschriften, hat beispielsweise zur schnellen Verbreitung von historischem, theologischem und philosophischem Wissen im Mittelalter und der Renaissance beigetragen. Eine Epitome zu schreiben, war in der Renaissance jedoch nicht sonderlich angesehen, weshalb der Humanist Leonardo Bruni sein gut verbreitetes Buch zum Punischen Krieg „De bello punico“ als Originalarbeit und nicht als Auszug aus Polybios‘ „Historíai“ bewarb (Sehlmeyer). In populären Medien wie Tragödien und Komödien finden wir eingebettetes Wissen, das für ein breites Publikum aufbereitet wurde. Kostbare Artefakte, wie die griechischen panathenäischen Amphoren vermittelten historische Episoden (Streicher), welche die Wohnungen wohlhabender Griechen schmückten und, zur römischen Zeit, zusammen mit Mosaiken und Fresken mit Naturdarstellungen, Anlass für spontane Gespräche unter Gästen gaben (Engster). Ausladende Traktate wurden zu verdaulichen Lehrgedichten zwecks Popularisierung verarbeitet. Damit war es beispielsweise möglich, abstraktes astronomisches Wissen über die unsichtbare Achse der Erde im Lehrgedicht des Marcus Manilius (1. Jhd. n. Chr.) für eine breite Leserschaft verständlich zu machen (Rossetti). In der Frühen Neuzeit treffen wir auf Weltwissen in den ersten Enzyklopädien (Herweg) sowie auf populäre Kometenliteratur (Gindhart). In der Aufklärung vermehrt sich der Einsatz von Bildern, die das Selbstbewusstsein moderner Wissenschaftler*innen als Kommunikator*innen und den Mehrwehrt der Mezzotinto-Technik für die Verbreitung der hohen akademischen Kunst bezeugen (Jehle). Altbekannte Ideen sorgen in manchen Fällen für die Wiederaufnahme von Debatten rund um die Rolle der Inszenierung von Wissen. Heros von Alexandrias Erläuterungen abstrakter physikalischer Prinzipien mit dem anschaulichen Verweis auf Alltagserfahrungen dienten den Übersetzern der Renaissance, wie Bernardino Baldi, als Vorbild, um Brücken zwischen Expertenwissen und Leserschaft zu bauen (Roby). Gartenanlagen mit komplexen, kostbaren Maschinen zur Belustigung und intellektuellen Anregung von Gästen wurden wieder nach dem Vorbild von Heron konstruiert (Roby).

Die Genealogie populärwissenschaftlichen Handelns

Die Zielgruppen variieren je nach Medium, Epoche und Bildungsgrad. Doch es gab sie: die großen gesellschaftlichen Debatten, wie die zur Grenze zwischen Vermittlung von Wissenswertem und reiner Belustigung — beispielsweise durch die Vorführung eindrucksvoller Apparaturen wie faszinierenden, pneumatisch singenden Vögeln, deren Mechanik den Durchschnittsbürger kaum interessierte. Ausgerechnet dieses Thema wird in der Einführung von Bernardino Baldis Übersetzung der „Pneumatica“ von Heron von Alexandria mit Bezug auf die italienische Gesellschaft seiner Zeit kritisch beleuchtet (Roby). Die alte Polemik erinnert an aktuelle Onlinediskussionen über die inhaltliche Oberflächlichkeit von Science Slams. Dabei war die Diskussion, die Baldi aufgriff, bereits in Herons Schriften vorhanden. Noch deutlicher werden die Kontinuitäten der Populärwissenschaft ab der Aufklärung, von den öffentlichen Experimenten mit Elektrizität bis hin zur Geschichte der Zoos als gemischte öffentliche Einrichtung für Fachkundige und Laien (Hochadel). Im 19. Jahrhundert bezieht sich der Kunsthistoriker Wilhelm Lübke auf seine Pionierarbeit in der Popularisierung dieses Faches als eine herausfordernde Aufgabe, welche nicht nur Gelehrsamkeit, sondern auch Phantasie, dichterische Begabung und die Beherrschung der anschaulichen Beschreibungskunst voraussetzt (Axtmann). Ja, die Kunstgeschichte und weitere geisteswissenschaftliche Wissensbereiche wie die Philosophie gehören seit Jahrtausenden auch zu den Fächern, in denen klassischerweise Wissenspopularisierung betrieben wird. Nicht zuletzt auch auf Grund ihrer damaligen gesellschaftlichen Bildungsrelevanz. In der heutigen Forschung zur Wissenschaftskommunikation ist jedoch die Auseinandersetzung mit Fächern, die nicht zum MINT-Repertoire gehören, seltener geworden.

Die longue durée der Genealogie populärwissenschaftlichen Handelns reicht bis in die Gegenwart: Naturmetaphern der Kybernetik — wie der Einsatz von Wirbel-, See- und Wolkenbildern zur Versinnbildlichung kreativer Ökosysteme, komplexer Netzwerke und autonomer KIs — wurden in populären Medien wie im Google Arts & Culture Project, Blockbusterfilmen und Kunstinstallationen4 verbreitet (Trüper); Magazine, Comics und Science Slams knüpfen an frühere ikonographische, rhetorische oder literarische Praktiken an, wie der Einzug des vitruvianischen Menschen in die Bildsprache der Neurowissenschaften (Hommrich), oder die Comic-Biographien zu legendären Wissenschaftler*innen, wie Jim Ottaviani und Leland Myricks Feynman (2011) (Klohs).

„Der genealogische Ansatz stellt die Weichen für die Ausarbeitung einer retrospektiven, zukunftsweisenden Theorie der Wissenschaftskommunikation.“ Muñoz Morcillo + Rothe
Jede Epoche hat tatsächlich die Populärwissenschaft, die sie verdient. Der genealogische Ansatz stellt die Weichen für die Ausarbeitung einer retrospektiven, zukunftsweisenden Theorie der Wissenschaftskommunikation. Diese verspricht eine ganzheitliche Orientierung in der Gegenwart, von der andere Forschungsansätze wie etwa die inzwischen verbreitete statistikbasierte Erforschung der Wissenschaftskommunikation auch profitieren kann. Theorien setzen intensive Beobachtung und hermeneutische Kompetenz voraus, um Ergebnisse auszulegen und zu interpretieren. Wissenschaftskommunikator*innen und Forschende wollen sicherlich nicht in nachahmender Dienerschaft von Hype zu Hype hüpfen und die Theoriebildung zugunsten einer journalistischen Agenda ewiger Aktualität aufgeben. Vielmehr sind wir angehalten, den mühseligen Weg der foucaultschen Genealogie zu bestreiten und wie fleißige Bienen die kulturelle und ästhetische Komplexität sowie die hybride Zusammensetzung der gegenwärtigen Wissenschaftskommunikation gründlich zu untersuchen. Wissenschaftskommunikation wird auf einer Palimpsest5 geschrieben, deren untere Schichten (in diesem Fall vergangene Kommunikationsaktivitäten) oft verborgen bleiben. Die fleißige Biene findet jedoch immer die besten Blumen, wenn sie von den Schultern von Giganten aus in die Weite zu blicken vermag.