Foto: Charlotte Kelschenbach

„Die Menschen müssen Bilder im Kopf haben, um das Thema zu verstehen“

Forschende und Grafiker*innen gestalteten Hand in Hand ein Buch, das erneuerbare Energien für jedermann verständlich erklärt. Welche Vorteile interdisziplinäre Projekte bieten, verraten der Mitautor Christian Holler und die Illustratorin Charlotte Kelschenbach.

Das Besondere bei dem Buch „Erneuerbare Energien zum Verstehen und Mitreden“ ist das große Augenmerk auf die grafische Gestaltung. Wie entstand die Idee dazu?

Charlotte Kelschenbach ist selbstständige Illustratorin und studierte Kommunikationsdesignerin. Das Projekt zur grafischen Gestaltung des Buches „Erneuerbare Energien zum Verstehen und Mitreden“ ist aus ihrer Bachelorarbeit an der Hochschule München hervorgegangen. Foto: Adina Huber

Christian Holler: Harald Lesch hatte die Idee, unser Buch „Erneuerbare Energien: Ohne heiße Luft“ noch einmal in einer zugänglicheren Form herauszubringen. Es hat ein ähnliches Thema, ist aber viel komplexer. Dadurch ist es eher für zahlenaffine Menschen wie Ingenieur*innen interessant, aber nicht unbedingt für Fachfremde. Kommunikation ist ganz entscheidend bei dem Thema Energie. Wir werden keine Energiewende schaffen, wenn wir nicht einen Großteil der Menschen mitnehmen. Und dazu gehört das Verstehen. Das ist das, was wir mit diesem Buch erreichen wollen. Da habe ich mir gedacht, jetzt bin ich an der Hochschule München, wieso machen wir da nicht einfach ein interdisziplinäres Projekt? Ich habe Ben Santo, den Dekan der Fakultät Design angesprochen, und er war von der Idee gleich begeistert.

Was war der Vorteil dieser interdisziplinären Zusammenarbeit?

Christian Holler ist Professor für Ingenieurmathematik an der Hochschule München. Seit 2021 ist er zudem Innovationsprofessor für Lehre, um den interdisziplinären Themen-schwerpunkt Nachhaltigkeit an der Hochschule München auszubauen. Er ist Mitautor des Buches „Erneuerbare Energien zum Verstehen und Mitreden“. Sein Buch „Erneuerbare Energien: Ohne heiße Luft“ erschien 2018. Foto: Adina Huber

Charlotte Kelschenbach: Man erreicht die doppelte Durchschlagskraft, weil man das Beste aus beiden Disziplinen herausholen kann. Ich habe gemerkt, dass es nicht funktioniert, wenn ich nur die Grafiken mache. Ich muss auch die Inhalte verstehen. Wir haben uns fast wöchentlich mit den Wissenschaftlern getroffen, die uns physikalische Prinzipien und Technologien erklärt haben. Ich musste das Thema wirklich durchdringen, um die Essenz herauszuziehen und eine Grafik daraus machen zu können. Ich habe gemerkt, Illustrationen können ein starkes Mittel sein, um Inhalte zu vermitteln.

Holler: Designer*innen müssen sich immer stark in Inhalte einlesen, wenn sie etwas mit Tiefgang machen möchten. Das ist also letztlich doppelte Arbeit. Wenn Expert*innen da sind, die sich um den Inhalt kümmern, können sich Grafiker*innen auf das konzentrieren, was sie gut können, nämlich gestalten.

Wie lief die Planung des Projektes ab?

Der Fahrradfahrer dient als durchgängiges Konzept im Buch, um Energie als Menge zu veranschaulichen. Er müsste 10 Stunden in die Pedale treten, um eine Kilowattstunde herzustellen. Diese Berechnung hilft den Leser*innen ein Gefühl für die Größenordnung unseres täglichen Energieverbrauchs zu bekommen. Bild: Charlotte Kelschenbach

Holler: Bei unserem ersten Treffen haben wir Wissenschaftler erst mal einen Vortrag zum Thema Energie gehalten und anschließend mit den Grafiker*innen diskutiert. So haben wir sondiert, welches Buch wir überhaupt schreiben möchten. Dann sind wir nach und nach an die einzelnen Kapitel und Grafiken gegangen und haben in vielen Schleifen die ersten Bilder entwickelt. So entstand das durchgängige Konzept für das Buch wie dem Fahrradfahrer , der sehr nahbar wirken soll.

Kelschenbach: Wir benötigten auch ein paar Anläufe bei den ersten Grafiken. Da ging es zum Beispiel um die Darstellung von Fotovoltaik oder Solarthermie. Die ersten Darstellungen waren noch extrem komplex. Zu der einen Grafik gab es anfangs sogar sechs verschiedene Entwürfe. Weil wir gemerkt haben: Das müssen wir auf ein Minimum reduzieren, damit es jede*r verstehen kann.

Wie haben sie definiert, wann eine Abbildung zu komplex ist?

Kelschenbach: Wir Grafiker*innen waren ganz gute Proband*innen. Wenn wir es nicht verstanden haben, war es noch nicht reduziert genug. Auch die Wissenschaftler haben bei zu komplexen Abbildungen gleich gesagt: Ne, so wollen wir das nicht!

Christian Holler: Wir haben die Bilder schrittweise immer einfacher gemacht, bis wir alle gesagt haben: Jetzt haben wir die Kernmessage getroffen!

Was können Bilder ausdrücken, was Sprache nicht kann?

Kelschenbach: Wir konnten viel Text durch Bilder ersetzen, dadurch ist das Buch zugänglicher geworden. Man sieht manchmal in einer Grafik Informationen, die man sonst in einem ganzen Textblock beschreiben müsste. Wir haben versucht, Text einzusparen, wo es ging und maximal viele Bilder zu verwenden. Einerseits um Komplexität rauszunehmen, gleichzeitig denke ich, dass die visuelle Wirkung von Bildern mehr zum Lesen einlädt. Wir haben ja schon das Fahrradkonzept angesprochen, mit dem vielleicht eine Leichtigkeit in ein Thema wie Energie kommt, das auf den ersten Blick für manche abschreckend wirkt.

Holler: Auch Emotionen werden viel besser mit Bildern transportiert. Energie ist generell ein sehr abstraktes Thema. Wenn man Menschen fragt, was Energie ist, dann ist vielen gar nicht klar, was dahintersteckt. Die Menschen müssen Bilder im Kopf haben, um das Thema zu verstehen.

 

Das Bild zeigt den Entstehungsprozess einer Abbildung, die im Buch zur Veranschaulichung von Solarthermie dient. Von der ersten Skizze (1) bis zur fertigen Abbildung (5) verbesserten Wissenschaftler und Illustratorinnen in mehreren Anläufen gemeinsam die Grafik. Bild: Charlotte Kelschenbach

 

Herr Holler, war es für Sie schwierig, Text loszulassen?

Holler: Nein, überhaupt nicht, es war eher befreiend. Wenn man ein Bild hat, das Text ersetzt, ist das ein super Gefühl. Ich bin jemand, der gerne knapp arbeitet, wenn es geht.

„Wenn man ein Bild hat, das Text ersetzt, ist das ein super Gefühl." Christian Holler

Was hat Sie an der Arbeitsweise des anderen überrascht und welche Tipps können Sie für interdisziplinäres Arbeiten geben?

Holler: Das Besondere war zu sehen, wie Designer*innen Zahlen sichtbar machen. Wir haben als Wissenschaftler*innen auch Bilder im Kopf, die sind aber oft viel komplizierter.

Kelschenbach: Wir mussten uns erst einmal eingrooven. Es war für beide Seiten spannend zu sehen, wie der jeweils andere denkt oder was für Erwartungen da sind. Es war sehr hilfreich, dass von vornherein großes Vertrauen da war. Nach den ersten Sitzungen, in denen wir Ideen sammelten und unseren Stil gefunden haben, hatte ich das Gefühl,  dass ich freie Hand bei der Gestaltung habe.

Holler: Genau durch dieses selbstständige Arbeiten und freie Hand lassen ist wahnsinnig viel herausgekommen. Es ging nicht darum, seine eigene Idee durchzubringen, sondern immer darum, das gemeinsame Ziel zu verfolgen. Das Buch sollte kein Kunstwerk werden. Es sollen viele Menschen lesen, verstehen und auch mit positiven Emotionen verbinden.

„Es war sehr hilfreich, dass von vornherein großes Vertrauen da war." Charlotte Kelschenbach

Herr Holler, welche Tipps können Sie geben, um schwierige Sachverhalte einfach zu erklären?

Holler: Das Buch zeigt, dass man ein komplexes Thema so darstellen kann, dass es alle verstehen. Wir gehen natürlich nicht wahnsinnig in die Tiefe. Da kriegen wir auch Rückmeldungen von Leser*innen, die sagen, dass wir nicht genügend differenziert haben. Aber das ist klar, wenn ich etwas vereinfache, wird es automatisch etwas ungenauer. Wenn wir Wissenschaftler*innen etwas schreiben, haben wir immer die Sorge: Was sagen die Fachkolleg*innen dazu? Werden sie mich niedermachen und sagen, du bist zu ungenau? Der Tipp von mir ist: Lösen Sie sich komplett von diesem Gedanken! Es geht darum, die Leute anzusprechen, die das interessiert. Es sollte völlig egal sein, was die Fachkolleg*innen sagen.

Frau Kelschenbach, welche Tipps können Sie geben, um komplexe Themen in Bilder zu „übersetzen“?

Wichtig ist, sich als Illustrator*in vor Augen zu führen, dass das Ziel die Vermittlung von Informationen ist. Mein persönlicher gestalterischer Ausdruck ist in so einem Rahmen zweitrangig. Das ist eine Gratwanderung, denn natürlich sollen die Grafiken einen individuellen und ansprechenden Ausdruck haben. Am Ende geht es aber darum, Informationen zu vermitteln und da darf mein Illustrationsstil kein Hindernis sein.