„Comics haben einen ganz besonderen ästhetischen Reiz”

Im Comic „Enlighten Your Clock” erklärt eine sprechende Katze unter anderem, wie Handylicht unseren Tagesrhythmus beeinflusst. Ein Gespräch mit Herausgeber Manuel Spitschan über Wissenschaftscomics, Chronobiologie und studentische Wissenschaftskommunikation.

Herr Spitschan, Sie sind Psychologe und forschen im Bereich der Chronobiologie. Was ist Ihre Motivation, über Ihr Themenfeld zu kommunizieren?

Porträt von Manuel Spitschan
Der Psychologe Manuel Spitschan ist Professor für Chronobiologie an der Technischen Universität München und Forschungsgruppenleiter am Max-Planck-Institut für Kybernetik, Tübingen. Er erforscht, wie sich Licht auf das menschliche Auge auswirkt, welche Signale es im Gehirn auslöst und wie es damit an der Steuerung von Tagesrhythmen und Verhalten beteiligt ist. Foto: Uli Benz/TUM

Ich habe das Gefühl, dass das Thema Chronobiologie allgemein sehr gut angenommen wird. Wir alle müssen schlafen und haben eine Art intuitives Verständnis dafür. Die Problematik der Zeitumstellung oder das Konzept einer inneren Uhr mit Frühtypen und Spättypen scheinen mittlerweile fast schon zur Allgemeinbildung zu gehören. Aber da stecken natürlich sehr komplexe Sachverhalte dahinter. Wie wirkt denn Licht genau auf unseren Körper? Was bedeutet es für mich, wenn ich ein Frühtyp bin? Warum fühle ich mich überhaupt abends müde? Und was hat es mit der Wirkung von Smartphone-Licht auf sich? Ich finde es eine spannende Herausforderung, die wissenschaftlichen Inhalte dahinter zu kommunizieren und über den Stand der Forschung aufzuklären.

Chronobiologie

ist ein interdisziplinäres Forschungsfeld, das den Zusammenhang zwischen biologischen Prozesse und Tages-, Monats-, oder Jahresrhythmen untersucht. Dabei arbeiten Forscher*innen aus den Bereichen Biologie, Psychologie und Medizin, aber auch aus der Mathematik, Physik und Statistik gemeinsam daran, diese Rhythmen zu modellieren. 

Sie haben gemeinsam mit Ihrer Masterstudentin Coline Weinzaepflen das Comic “Enlighten your Clock” zum Thema Chronobiologie entwickelt. Warum haben Sie dieses Medium für die Kommunikation gewählt?
Coline ist Neurobiologin und war Praktikantin in meiner Arbeitsgruppe. Da es zum Zeitpunkt der Pandemie nicht möglich war, Studien durchzuführen, mussten wir ein alternatives Projekt für ihr Praktikum finden. Glücklicherweise stellte sich heraus, dass Coline nicht nur Neurobiologin, sondern auch Illustratorin ist. Damit erfüllt sie zwei Dinge in einer Person: Sie bringt das nötige neurowissenschaftliche Fachwissen mit und hat gleichzeitig die Kreativität und das Talent, um die Inhalte grafisch umzusetzen. So ist das Comic als Teil eines Forschungspraktikums entstanden. Coline ist Autorin des Comics, ich fungiere als Herausgeber.

Es wird häufig diskutiert, ob Studierende in die Wissenschaftskommunikation einbezogen werden sollten. Wie ist Ihre Meinung dazu?
Ich denke, dass wir Studierende so früh wie möglich in die Kommunikation einbeziehen sollten. Bei Veranstaltungen wie dem Tag der offenen Tür ist es mir darum wichtig, dass mein komplettes Team dabei ist. Von Praktikant*innen bis Postdocs können so alle üben, wie man kommuniziert. Das Übermitteln von komplexen wissenschaftlichen Inhalten gehört zu den Aufgaben von Wissenschaftler*innen. Daher fände ich es gut, wenn Studierende die Grundlagen der Wissenschaftskommunikation bereits im Studium erlernen würden. Jede*r sollte in der Ausbildung damit in Berührung kommen. Das sehe ich aktuell noch nicht. Wissenschaftler*innen müssen nebenbei lernen, wie sie richtig kommunizieren, und müssen dadurch häufig auch aus Fehlern lernen. Das kostet viel Zeit und Ressourcen.

Wie lief die Umsetzung Ihres Comic-Projekts ab?
Während meiner Zeit in Oxford war ich am Forschungsprojekt “Sleep, Circadian Rhythms and Mental Health in Schools” (Schlaf, Circadiane Rhythmen und mentale Gesundheit in Schulen), kurz SCRAMS, beteiligt. Ein Ziel des Projektes war es, Materialien zu erstellen, die Schulkindern und Jugendlichen eine Auseinandersetzung mit diesen Themen ermöglichen. Da hat es sich angeboten, einen Teil der Projektgelder für die neue Idee des Comics aufzuwenden und es als Teil von SCRAMS umzusetzen. Wir haben zunächst eine Liste mit möglichen Themen aus der Chronobiologie erstellt, die das Comic behandeln sollte und uns innerhalb des Forschungsprojektes dazu ausgetauscht. Die Story, die Charaktere und das Design hat Coline eigenständig ausgearbeitet. Wichtig war uns, auch Rückmeldung von der Zielgruppe zu erhalten. Dafür haben wir mit einer Schule in Oxford zusammengearbeitet und das Comic an einer Gruppe mit Schüler*innern zwischen 11 und 14 Jahren und an einer mit Schüler*innen zwischen 14 und 18 Jahren erprobt. Diesen haben wir eine vorläufige, uncolorierte Version des Comics gezeigt, sodass wir hinterher leichter Anpassungen vornehmen konnten.

Ausschnitt aus der deutschsprachigen Übersetzung des Comics „Enlighten Your Clock“ von Autorin Coline Weinzaepflen und Herausgeber Manuel Spitschan.

Wie haben die Schüler*innen auf das Comic reagiert?
Insgesamt haben wir positives Feedback erhalten. Die Interaktion mit den Schüler*innen und die Dynamik in der Gruppe war sehr spannend. Natürlich ist es in so einem Rahmen schwierig, die Denkprozesse genau nachzuvollziehen, aber wir hatten das Gefühl, dass wir etwas anstoßen konnten. Eine neue Information war für die Schüler*innen beispielsweise, dass nicht nur Handylicht den Schlaf-/Wach-Rhythmus beeinflussen kann, sondern auch die Uhrzeit, zu der wir essen oder Sport treiben. Einige Themen fanden die Schüler*innen zu komplex erklärt, die haben wir hinterher vereinfacht.

Richtet sich Ihr Comic ausschließlich an Schüler*innen?
Konzipiert haben wir das Comic für eine Altersgruppe ab 12 Jahren, also Teenager. Wichtig war uns aber, dass sich auch Erwachsene angesprochen fühlen und nicht den Eindruck bekommen, dass es sich um ein Kinderbuch handelt. Das war natürlich eine Herausforderung, aber ich finde, dass uns das gelungen ist.

Ausschnitt aus der deutschsprachigen Übersetzung des Comics „Enlighten Your Clock“ von Autorin Coline Weinzaepflen und Herausgeber Manuel Spitschan.

Was schätzen Sie an Comics als Format für die Wissenschaftskommunikation?
Comics bieten einen visuellen Zugang zu einer Thematik und haben einen ganz besonderen ästhetischen Reiz, den andere Formate wie Videos oder ein geschriebener Text nicht transportieren können. In jedem Panel gibt es viele visuelle Details, in denen man sich verlieren kann und so in die Geschichte eintauchen kann. Außerdem ist die Struktur der Information bei einem Comic sehr klar festgelegt und man hat pro Panel nur begrenzt Platz, um einen Fakt herunterzubrechen. Das verpflichtet die verfassende Person dazu, die Inhalte in kleine Häppchen zu verpacken.

Welche Themen waren Ihnen für die Kommunikation besonders wichtig?
Es gibt bereits sehr viel Fach- und auch populärwissenschaftliche Literatur zum Thema Chronobiologie. Mir war es daher wichtig, die Grundkonzepte zu erklären, sodass man darauf mit weiterführender Literatur aufbauen kann. Zum Beispiel wollte ich transportieren, dass eine innere Uhr auch unabhängig vom Schlaf- und Wachrhythmus läuft. Denn das wird häufig missverstanden. Auch mein persönliches Fachgebiet, die Wirkung von Licht, wollte ich einbauen. Dieses Thema ist zwar in aller Munde und jeder hat eine intuitive Meinung dazu, die wissenschaftlichen Hintergründe sind jedoch nur wenigen bekannt. Abschließend wollten wir außerdem einige Tipps für das eigene Leben bereithalten. Mit einem Mini-Ratgeber ordnen wir ein, was die Wissenschaft mit Sicherheit sagen kann und was eben nicht.

Ausschnitt aus der deutschsprachigen Übersetzung des Comics „Enlighten Your Clock“ von Autorin Coline Weinzaepflen und Herausgeber Manuel Spitschan.

Haben Sie auch Feedback aus der wissenschaftlichen Fachcommunity eingeholt?
Ich habe das Comic einem kleinen informellen Peer-Review Prozess ausgesetzt mit Kolleg*innen im SCRAMS-Projekt und auch Fachkolleg*innen außerhalb des Projekts. Insgesamt war das Feedback sehr positiv, manche hatten auch ein paar Änderungsvorschläge. So konnten wir identifizieren, ob manche Aussagen noch nicht präzise genug oder missverständlich waren und an manchen Stellen einen kleinen inhaltlichen Feinschliff vornehmen. Dabei habe ich sogar selbst nochmal das eine oder andere Detail dazu gelernt.

In welcher Form haben Sie das Comic-Buch veröffentlicht?
Wir haben das Buch unter einer Creative Commons Lizenz veröffentlicht und zum Download als PDF auf einer Webseite bereitgestellt, die wir extra für das Comic erstellt haben. Man kann das Buch auf Anfrage auch als Hardcover für einen Unkostenbeitrag von fünf Euro bestellen. Mittlerweile ist die PDF-Version auf über 23 Sprachen erhältlich und allein die englischsprachige Version hat etwa 3000 Downloads erzielt.

Wie kam es zu über 23 Übersetzungen?
Die Veröffentlichung des Comics haben wir natürlich auf Twitter geteilt und auf einen kleinen viralen Effekt gehofft. Viele meiner Kolleg*innen haben den Tweet geteilt, sodass mein Post fast 300.000 Impressionen erzielte. Im Nachgang haben mir einige aus der Fachcommunity via Twitter oder E-Mail angeboten, das Comic in weitere Sprachen zu übersetzen. Diese Möglichkeit wollte ich nicht verpuffen lassen, aber das Comic an eine andere Sprache anzupassen, bedeutet für die Illustratorin natürlich zusätzliche Arbeit. Also habe ich bei der Velux Stiftung finanzielle Mittel angefragt, um Colines Arbeitszeit für die Übersetzungen zu kompensieren. Die erhaltene Förderung ermöglichte 23 Übersetzungen. Die übersetzten Texte wurden uns freiwillig hauptsächlich von anderen Neurowissenschaftler*innen oder Chronobiolog*innen zur Verfügung gestellt.

Ist eine Fortsetzung des Comics geplant?
Ich finde, es reicht nicht, ein Comic zu veröffentlichen und nichts weiter damit zu machen. Darum denke ich weniger über eine Fortsetzung nach. Stattdessen überlege ich, welche alternativen Möglichkeiten der Präsentation wir ausschöpfen könnten, beispielsweise eine Smartphone-fähige Form des Comics. TikTok oder Instagram könnten nochmal andere Präsentationsmöglichkeiten eröffnen und den Impact des Comics steigern. Persönlich habe ich leider keine Ressourcen dafür, bin aber offen für Kollaborationen. Außerdem würde ich gerne begleitendes Material entwickeln, mit dem Lehrkräfte das Comic besser in den Unterricht einbauen können. Leider fehlen mir auch hierfür aktuell schlicht Ressourcen. Gute Wissenschaftskommunikation kostet Geld. Die Umsetzung von “Enlighten Your Clock” war nur möglich, weil ich praktischerweise eine Masterstudentin als Illustratorin einbinden konnte und ich in England auf einen bereits vorhandenen Fördertopf zugreifen konnte. Wenn der Anspruch ist, dass die Kommunikation gut sein soll und man nicht nur zufällig schon gut in der Kommunikation ist, dann braucht es mehr Ressourcen.