Foto: BMBF/Wissenschaftsjahr 2016*17

Citizen Science weckt Interesse an Wissenschaft

Wie wirkt die Teilnahme an einem echten Forschungsprojekt auf Schülerinnen und Schüler? Die Lehr-Lern-Forscherin Vanessa van den Bogaert von der Ruhr-Universität Bochum hat das am Beispiel des Projekts Plastikpiraten untersucht.

Frau van den Bogaert, Sie haben die erste Phase des Projekts Plastikpiraten wissenschaftlich untersucht. Was genau wollten Sie herausfinden?

Meine Masterstudentin Freya Ebbeskotte und ich haben untersucht, welche Wirkung dieses Citizen-Science-Projekt, das speziell für Jugendliche konzipiert ist, auf die Schülerinnen und Schüler hat: Nehmen Sie wahr, dass Sie als Citizen Scientists tatsächlich wissenschaftlich arbeiten und „echte“ Daten generieren? Im Speziellen wollten wir wissen, ob die Teilnahme am Projekt Plastikpiraten etwas an dem Interesse am Thema Natur- und Umweltschutz verändert und ob die Beteiligten anschließend stärker aus sich heraus motiviert sind, sich umweltschützend zu verhalten.

Wie haben Sie das untersucht?

Zunächst haben wir ein Feldexperiment konzipiert und die Teilnehmenden in drei unterschiedliche Gruppen mit jeweils drei Schulklassen eingeteilt. Die erste Gruppe haben wir „wissentliche Kollaboration“ getauft. Diese Schülerinnen und Schüler haben das reguläre Plastikpiraten-Programm durchlaufen: Sie wurden über Sinn und Zweck des Projekts aufgeklärt und sie erfuhren, dass ihre Daten von den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Forschungswerkstatt in Kiel ausgewertet werden.

Vanessa van den Bogaert und Freya Ebbeskotte
Vanessa van den Bogaert (links) absolvierte ein Lehramtsstudium mit den Unterrichtsfächern Mathematik und Biologie an der Universität Bielefeld. Sie arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Lehr-Lernforschung an der Ruhr-Universität Bochum. In ihrer Promotion beschäftigt sie sich mit dem Zusammenspiel von situationalem und individuellem Interesse beim Lernen. Freya Ebbeskotte (rechts) hat ihre Masterarbeit am Lehrstuhl über die Evaluation des Projekts geschrieben. Foto: Vanessa van den Bogaert

Eine zweite Gruppe nannten wir „unwissentliche Kollaboration“. Diese Schulklassen haben wir über die Probleme durch Mikro- und Makroplastik in der Umwelt aufgeklärt und ihnen mitgeteilt: „Ihr könnt nun selbst einmal ausprobieren, wie man so etwas wissenschaftlich untersuchen würde.“ Wir haben ihnen also nicht gesagt, dass sie wirklich an einem Citizen-Science-Projekt teilnehmen. Sie haben genau dasselbe gemacht wie die erste Gruppe, dachten dabei jedoch, es wäre einfach ein schulisches Praxisprojekt.

In einer dritten Gruppe schließlich sind wir in die Schulklassen gegangen und haben die Jugendlichen über die Plastik-Problematik aufgeklärt, anschließend präsentierten wir vermeintlich von uns bereits gesammelte Daten über die Verschmutzung der Ruhr durch Plastikmüll. Diese Gruppe bekam also Informationen, ohne selbst Daten zu sammeln. So wollten wir herausfinden: Was macht es aus, wenn Schülerinnen und Schüler selbst aktiv werden? Und was bedeutet es für sie, in einem echten wissenschaftlichen Projekt zu arbeiten, Teil der Wissenschaft zu sein?

Und was waren die Ergebnisse?

Die Teilnehmenden der Gruppe „wissentliche Kollaboration“ – die wussten, dass sie an einem Citizen-Science-Projekt teilnehmen – waren unmittelbar nach dem Projekt signifikant stärker am Thema interessiert als die Teilnehmenden der beiden anderen Gruppen. Diese unterschieden sich nicht voneinander. Dieser Effekt blieb über zwölf Wochen nicht nur stabil, sondern stieg sogar mit der Zeit noch an. Und das, obwohl zwischendurch die Sommerferien lagen, in denen Jugendliche ja ganz andere Dinge wichtig finden. Auf die Motivation fanden wir dagegen keinen Einfluss, was aber auch an der Stabilität dieses Konstrukts und an der Kürze der Intervention gelegen haben könnte.

Das heißt: Rausgehen und ein schulisches Praxisprojekt machen bringt noch nicht viel – aber zu wissen, dass man gerade echte Forschung betreibt, schon?

Diesen Daten zufolge: ja. Aber natürlich müssen die Ergebnisse erst noch in weiteren Untersuchungen abgesichert werden. Vor allem müssen wir andere Citizen-Science-Projekte in dieser Hinsicht untersuchen. Einzigartig ist aber vor allem der Langzeit-Effekt, den wir gefunden haben.

Weshalb?

Es gibt viele tolle außerschulische Lernorte, zum Beispiel Schülerlabore, und viele großartige Projekte, die auch gut evaluiert wurden. Aber leider hat man bislang immer nur kurzfristige Effekte gefunden. Direkt nach dem Ende eines Projekts im Schülerlabor oder anderswo steigt das Interesse am Thema üblicherweise an, nach kurzer Zeit aber sinkt es wieder auf das Ursprungsniveau zurück. Ein über 12 Wochen stabiler Effekt, wie in unserer Studie, ist ungewöhnlich. Auch wenn wir, wie gesagt, den Befund zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht generalisieren können.

Schüler nehmen bei der Jugendaktion „Plastikpiraten – Das Meer beginnt hier!“ die ersten Plastikproben an der Kieler Förde.
„Plastikpiraten – Das Meer beginnt hier!“ ist ein Citizen-Science-Projekt für Jugendliche. Dabei untersuchen Schulklassen Gewässer in ihrer Umgebung darauf, wie stark diese mit Mikro- und Makroplastik verschmutzt sind. Die Aktion entstand im Rahmen des Wissenschaftsjahrs „Meere und Ozeane“ in Zusammenarbeit zwischen dem BMBF und der Kieler Forschungswerkstatt. Derzeit wird es am Ecologic Institute weitergeführt. Foto: BMBF/Wissenschaftsjahr 2016*17

Was ist aus psychologischer Sicht denn das Besondere daran, Teilnehmer eines Citizen-Science-Projekts zu sein?

Da kann ich bisher nur mutmaßen. In Schülerlaboren machen die Kinder richtig tolle Experimente, oft sogar in realer Forschungsumgebung. Aber diese Versuche folgen einer didaktisch reduzierten Logik, genau wie Experimente im Unterricht: Jeder weiß, dass der Lehrer vorne in seinem Buch schon die richtige Lösung stehen hat. Man soll sie nur noch einmal selbst reproduzieren. Bei einem Citizen-Science-Projekt wie den Plastikpiraten weiß dagegen vorher niemand, was dabei herauskommt. Die Schüler fühlen sich dadurch möglicherweise auf eine Art und Weise ernst genommen, die andere außerschulische Aktivitäten nicht bieten können. Es findet gewissermaßen ein Rollenwechsel statt: Die Jugendlichen können selbst neues Wissen schaffen, das weder ihr Lehrer noch Wissenschaftler bislang haben. Das scheint einen starken Effekt zu haben.

Können Sie unterscheiden, ob „Teil der Wissenschaft zu sein“ noch einmal eine andere Wirkung hat als einfach das Wissen, bei einem großen deutschlandweiten Projekt mitzumachen?

Wir haben das nicht gemessen, aber unsere Erfahrungen sprechen dafür. Die zweite Gruppe – jene in unwissentlicher Kollaboration – hat ja die Datenerhebung genauso durchgeführt wie die Citizen-Science-Gruppe. Deren Daten haben wir ebenfalls, sozusagen heimlich, den Kieler Forschern zur Verfügung gestellt. Nachdem wir mit der Evaluationsstudie fertig waren, sind wir in diese Klassen gegangen und haben den Jugendlichen erzählt: Dieses Plastikpiraten-Projekt, das wir mit Euch gemacht haben, das war in Wahrheit ein Citizen-Science-Projekt. Und Eure Daten werden gerade von Wissenschaftlern für ihre Forschung ausgewertet. Sie können sich nicht vorstellen, was da los war! In allen drei Klassen haben die Kinder gejubelt, geschrien und auf den Tischen getrommelt. Die Lehrer meinten, so reagieren die sonst nur, wenn sie eine spontane Freistunde bekommen. Da wurde uns klar: Genau darin, Teil der Wissenschaft zu sein, liegt offenbar Musik.

Welche Lehren ziehen Sie aus dieser Evaluation, zum Beispiel in Bezug auf außerschulische Projekte generell?

Wenn sich unsere Befunde bestätigen sollten, spricht das auf jeden Fall dafür, dass man Schülern mehr echte Partizipation zutrauen sollte, als das bisher meist geschieht. Es sollte auch generell mehr Citizen-Science-Projekte speziell für Jugendliche geben, deren Materialien so gut für den schulischen Kontext aufbereitet sind wie bei den Plastikpiraten. Denn solange es die nicht gibt, müssen Lehrkräfte deutlich mehr Arbeit investieren, um ein bestehendes Citizen-Science-Projekt mit dem Unterricht zu verknüpfen und so Schülerinnen und Schüler zu echten Forschern zu machen. Das ist natürlich immer eine Frage des Zeitbudgets und des Engagements. Unsere Ergebnisse deuten aber an: Es könnte sich lohnen!