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„Ziel ist es, dass Menschen aus der eigenen Filterblase kommen“

Wie lassen sich kontroverse Themen in Museen darstellen? Magdalena Novak forscht zu dieser Frage und hat mit ihrem Team eine Plattform für evidenzbasierte Tipps und Erfahrungsaustausch ins Leben gerufen. Ein Gespräch über multiperspektivische Ausstellungen, Konflikte und Museumsbesucher*innen.

Frau Novak, Sie erforschen, wie sich kontroverse naturwissenschaftliche Themen in Museen vermitteln lassen. Um welche geht es dabei beispielsweise?
Dazu zählen die großen gesellschaftlichen Kontroversen zu Klimawandel, Gentechnik oder ganz aktuell auch zur Impfpflicht. Auch die Frage, wie wir bei einer wachsenden Weltbevölkerung die Ernährung der Menschen sichern können, ist konfliktbehaftet. Wir haben in einem Forschungsprojekt eng mit dem Deutschen Museum zusammengearbeitet. Dort wird gerade eine Ausstellung zum Thema Landwirtschaft und Ernährung konzipiert. Dazu haben wir uns angesehen, welche Konflikte es bei der Fleischproduktion gibt.

Was ist das Ziel dabei, konfliktbehaftete Themen in Museen darzustellen?

Magdalena Novak ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Leibniz-Institut für Wissensmedien (IWM) in Tübingen. Die studierte Kognitionswissenschaftlerin und Bildungsforscherin promovierte in Psychologie zur Auswirkung von Haptik auf die Lernerfahrung und das Lernen in informellen Lernumgebungen. Von 2017 bis 2021 forschte sie im Rahmen des DFG-Erkenntnistransferprojekts „Vermittlung konflikthafter naturwissenschaftlicher Themen in Ausstellungen“ zur besucher*innen­orientierten Darstellung kontroverser Inhalte im Museumskontext. Foto: privat

Das Ziel ist, dass Menschen aus der eigenen Filterblase kommen. Wenn man sich im Internet über Themen informiert, findet man häufig Beiträge, die die eigene Meinung bestätigen. Kurator*innen und Ausstellungsgestalter*innen können multiperspektivisch an Themen herangehen: Sie können verschiedene Standpunkte und die aktuellen Forschungserkenntnisse darstellen. Besucher*innen kommen vielleicht mit ihrer Meinung in die Ausstellung, werden dann aber mit einer anderen Ansicht konfrontiert. Museen haben außerdem den Vorteil, dass sie einen Vertrauenszuschuss genießen – dass die Besucher*innen davon ausgehen, dass die Inhalte sorgfältig recherchiert sind. Wissenschaftskommunikation in Museen kann auch zeigen, wie sich Wissenschaft wandelt. Dass bisherige Erkenntnisse durch die laufende Forschung vorläufig und mit Unsicherheit belastet sind und sich ändern können.

Sie sprechen Filterblasen an: Wen erreichen solche Ausstellungen?
Unsere Studien zeigen, dass die Besucher*innen des Deutschen Museums im Durchschnitt einen hohen Bildungsabschluss haben, technikaffin und häufig Mehrfachbesucher*innen sind. Dabei stellen sich auch immer die Fragen, wen man mit Ausstellungen nicht erreicht und wie man das Angebot gestalten müsste, damit man sie ins Museum bekommt.

Sie haben mit Ihrem Team eine Plattform ins Leben gerufen, um evidenzbasierte Erkenntnisse zu sammeln, wie kontroverse Themen in Museen vermitteln werden können. An wen richtet sich das Angebot?

„Wissenschaftskommunikation in Museen kann auch zeigen, wie sich Wissenschaft wandelt.“ Magdalena Novak
Die Online-Plattform „Ausstellungen kontrovers“ soll Museumsschaffende über theoretische Hintergründe der Vermittlung wissenschaftlicher Kontroversen in Ausstellungen informieren. Viele im Team sind Psycholog*innen mit breiter Erfahrung in der Besucher*innenforschung. Wir erläutern auf dem Portal, was eine wissenschaftliche Kontroverse ist und arbeiten daran ab, wie man damit in Ausstellungen umgehen kann, beispielsweise wie sich das mit Partizipation verbinden lässt. Wir beleuchten, wie Museen gegen Filterblasen wirken können, was Museumsbesucher*innen charakterisiert und wie das ihre Rezeption von Kontroversen beeinflusst. Wir beschreiben aber auch, wie man an die Erforschung von Ausstellungen herangehen kann.

Welche Inhalte findet man auf der Plattform?
Sie bietet Fokustexte, die einen theoretischen Einblick geben und mit Forschungsliteratur unterfüttert sind. Wir fassen wissenschaftliche Publikationen für Praktiker*innen zusammen, damit sie evidenzbasiert arbeiten können. Dabei fließen verschiedene Perspektiven aus unterschiedlichen Forschungsdisziplinen wie der Pädagogischen und Medien-Psychologie, der Museumspädagogik, der Wissenschaftskommunikation und der Bildungsforschung ein. Die Plattform beschränkte sich zuerst auf naturwissenschaftliche Kontroversen. Bei der Evaluation kam heraus, dass das zu eng gefasst ist. Daher haben wir im Laufe des Projekts beschlossen, sie auch für andere Museumsthemen zu öffnen.

Wichtig ist zu sagen, dass die Plattform von Wissenschaftler*innen und nicht von Praktiker*innen gestaltet worden ist. Sie war daher recht praxisfern. Daraufhin sind Fallbeispiele dazugekommen, die ich mittlerweile als Kern der Plattform ansehe. Museumsschaffende können sich so sowohl über erfolgreiche Gestaltungselemente austauschen als auch über Projekte, die nicht so gut gelaufen sind. Leider sind noch nicht so viele Beispiele aus der Community zusammengekommen. Unser Ziel ist es, dass sich eine lebendige Plattform entwickelt, die weiter wächst.

Ist der Community-Bereich wie ein Forum aufgebaut oder betreuen Sie die Inhalte redaktionell?
Interessierte können mit mir über ein Formular Kontakt aufnehmen und eine Skizze einreichen. Ich schaue dann, ob das Projekt zu unserer Plattform passt und welchen wissenschaftlichen Fokustexten es sich zuordnen lässt. Ich gebe Hinweise, welche Informationen es braucht. Dann sind die Leute aber frei, wie sie es ausgestalten, denn letztlich sind sie die Expert*innen für ihr Thema und dürfen entscheiden, was sie preisgeben möchten. Ich schaue anschließend nur noch einmal redaktionell über den Text.

Ausstellungen kontrovers

Im DFG-Erkenntnistransfer-Projekt „Vermittlung konflikthafter naturwissenschaftlicher Themen in Ausstellungen“ wollten Forscher*innen ergründen, wie sich kontroverse Inhalte in Museen vermitteln lassen. Es war eine Kooperation der TU München, des Leibniz-Instituts für Wissensmedien, des Deutschen Museums und des Instituts für Museumsforschung der Staatlichen Museen zu Berlin und lief von 2017 bis 2021. Im Rahmen des Projekts entstand die Online-Plattform „Ausstellungen kontrovers“, die empirische Evidenz aus der Besucher*innenforschung und Fallbeispiele präsentiert. Sie soll Ausstellungsmacher*innen bei der Planung und Umsetzung ihrer Projekte unterstützen sowie den Erfahrungsaustausch untereinander ermöglichen.

Könnten Sie einmal am bereits erwähnten Beispiel der Lebensmittelproduktion beschreiben, wie man kontroverse Themen multiperspektivisch darstellen kann?
Fleischproduktion und Nutztierhaltung sind schwierige Themen, denn für das Steak auf dem Teller muss zuvor ein Tier sterben. Die Ausstellung greift diesen Konflikt auf. Es ist beispielsweise ein Modell eines Mastbullen ausgestellt. Dieses hat auf der einen Seite Fell. Lauft man um es herum, sieht man die einzelnen Teile, die für den Fleischverzehr verwendet werden. Vor allem die moderne, intensive Nutztierhaltung steht im Hinblick auf das Tierwohl, aber auch auf Themen wie Umwelt- oder Arbeitsschutz oft in der Kritik. Das greift die Ausstellung auf, ohne Lösungen für Probleme zu bieten oder Stellung zu beziehen. Durch den Besuch der Ausstellung sollen Menschen die nötigen Informationen erhalten, um sich selbst eine Meinung bilden zu können. Vor diesem Hintergrund haben sich die Ausstellungsgestalter*innen lange Gedanken darüber gemacht, ob und wie sie das Thema Schlachtung darstellen sollen, da es sehr kontrovers und emotional ist.

Wie haben sie das Thema letztlich dargestellt?

„Fleischproduktion und Nutztierhaltung sind schwierige Themen, denn für das Steak auf dem Teller muss zuvor ein Tier sterben.“ Magdalena Novak
Sie haben sich dafür entschieden, einen neutralen Film des Schlachtungsprozess zu zeigen. Man sieht ihn nicht sofort, wenn man die Ausstellung betritt: Besucher*innen müssen durch einen Schlitz in der Wand durchsehen und den Film selbst auslösen. So können sie selbst entscheiden, ob sie ihn anschauen möchten oder nicht. Die Aktivierungsknöpfe für den Film sind so hoch angebracht, das kleine Kinder sie nicht bedienen können. Es gibt auch einen Bereich zum Thema Nutztierhaltung. Da werden exemplarisch drei Objekte ausgestellt, die symbolisieren, was in der Nutztierhaltung abläuft: Es gibt ein Enthornungsgerät, eine Schweinekastrationszange und ein Schweinespielzeug. Die Objekte selbst sind bereits sehr konfliktbelastet.

Welche Konflikte wären das?
Das Enthornungsgerät dient dazu, das Horn des Kalbes zu entfernen. So soll vorgebeugt werden, dass Artgenossen oder Landwirte verletzt werden. Gleichzeitig ist es aber natürlich ein schmerzhaftes Prozedere für die jungen Tiere. Zudem haben die Hörner auch einen Nutzen für die Tiere – beispielsweise für die Kommunikation in der Herde. Dieser wird ihnen durch die Enthornung genommen. Mit der Kastrationszange werden Schweine kastriert, damit sich nicht der unangenehme Ebergeruch des Fleisches ausbildet. Kastrierte Tiere sind auch weniger aggressiv. Lange Zeit war es gängige Praxis, Ferkel ohne Betäubung zu kastrieren, weil eine Betäubung mehr Zeitaufwand und Kosten bedeutet. Das ist ein heftiger Eingriff ins Tierwohl. Das Schweinespielzeug klingt zunächst nett. Allerdings ist diese Art von Beschäftigungsmaterial nur deshalb notwendig, weil Schweine in Mastbetrieben viel weniger Platz und Beschäftigungsmöglichkeiten haben, als sie eigentlich benötigen. Sie können ihrem artspezifischen Erkundungsverhalten nicht nachgehen und langweilen sich deshalb schnell, werden aggressiv und verletzen sich oder ihre Artgenossen. Das Spielzeug soll dem entgegenwirken.

Sie haben die Wirkung verschiedener Gestaltungselemente in mehreren Besucher*innenstudien erforscht. Was sind Ihre Schlussfolgerungen daraus für die Ausstellungsgestaltung?

Aktuell findet am Deutschen Museum eine Neugestaltung statt. Wir haben daher nicht an der finalen Ausstellung geforscht, sondern den Teil zur Nutztierhaltung als Prototyp aufgebaut und verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten variiert: beispielsweise ob die Objekte angefasst werden dürfen oder nicht, ob der Konflikt nochmals in Bildunterschriften betont wird oder die Bildunterschriften neutral formuliert sind. Wir haben auch untersucht, welche Wirkung eine Informationspersonalisierung hat. Ich selbst forsche zum Einfluss der Haptik. Deshalb haben wir in einer Studie geschaut, welche Auswirkungen haptische Erfahrung auf die Lernerfahrung hat. Es hat sich unter anderem gezeigt, dass es positive Auswirkungen auf die Erinnerungsleistung hat, wenn man Ausstellungsobjekte auch anfassen darf. In den Führungen zur finalen Ausstellung wird es daher Duplikate von den Objekten zum Anfassen geben.

Sie haben Informationspersonalisierung angesprochen. Was versteht man darunter?
Es gibt Befunde dazu, dass die Rezeption eines konflikthaften Themas durch die Präsentation von Personen, die prototypisch jeweils verschiedene Standpunkte des Konflikts vertreten, beeinflusst wird. Das kann man als Informationspersonalisierung bezeichnen. In der Experimentalausstellung kamen Personen mit unterschiedlichen Perspektiven auf die Kontroverse zu Wort. Es war ein Theologe, ein Philosoph, ein Metzgermeister und eine Ernährungswissenschaftlerin dabei. Wir haben von ihnen Positionen zum Thema Mensch-Tier-Beziehung angefragt. Natürlich sieht der Metzgermeister per Position Nutztierhaltung und Schlachtung anders als ein Philosoph. Für jede Position wurden zwei unterschiedliche Audio-Varianten eingesprochen. Während die eine Variante personalisiert war und ein Bild, den Namen und Hintergrund des Sprechenden zeigte, war die andere Variante nicht-personalisiert. Wir konnten jedoch keinen Einfluss der Informationspersonalisierung auf die Wirkung der Ausstellung feststellen. Das zeigt, dass sich theoretische Annahmen und Befunde nicht ohne weiteres auf den Museumskontext übertragen lassen.