Worin liegen die Spezifika von Wissenschaftskommunikation in sozialen Medien?

Die Kommunikationswissenschaftlerin Julia Metag sieht viele wichtige Punkte in der WÖM-Stellungnahme. Doch zwei kritische Fragen bleiben – zur Seite der Nutzer und Nutzerinnen sowie die Spezifika der Wissenschaftskommunikation in sozialen Medien. Ihr Kommentar.

Die Expertise zu sozialen Medien und digitaler Wissenschaftskommunikation spricht viele wichtige Punkte an – die Problematiken und Herausforderungen, vor denen unsere Gesellschaft in Zeiten der Informationsnutzung über soziale Medien steht, genauso wie die Chancen, die die neue Informationsnutzung mit sich bringt. Der Überblick über die Möglichkeiten und Risiken von Social Media für demokratische Gesellschaften ist sehr umfangreich und differenziert. Im Rahmen dieser Zusammenstellung drängen sich mir trotzdem zwei Fragen auf. Worin liegen die Spezifika von Wissenschaftskommunikation in sozialen Medien? Und was passiert auf Seiten der Nutzerinnen und Nutzer bei der Kommunikation über Wissenschaft auf sozialen Medien?

Die erste Frage stellt sich mir, da die Stellungnahme Veränderungen durch soziale Medien allgemein diskutiert und stellenweise der Bezug zu Wissenschaftskommunikation und zu den Spezifika der Kommunikation über wissenschaftliche Themen nicht immer deutlich wird. Die Autoren beschreiben Veränderungen der öffentlichen Kommunikation durch digitale Medien, und soziale Medien im Besonderen, in all ihrer Komplexität und zeigen deren Vor- und Nachteile auf. An einigen Stellen stellt sich mir jedoch die Frage, ob man zu ähnlichen Schlussfolgerungen kommt, wenn man stärker die Spezifika der Wissenschaftskommunikation in den Blick nimmt. So ist für mich die Forderung etwas überraschend, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei ihrer Kommunikation über soziale Medien ihre jeweilige Rolle spezifizieren sollten (S. 53: als „wissenschaftlicher Experte, Lehrender, Interessenvertreter eigener oder institutioneller Interessen“). Zum einen kann man zumindest bezweifeln, dass sie dies in der bisherigen Kommunikation mit Journalisten tun. Und auch Journalisten differenzieren in ihrer Berichterstattung über Wissenschaftler sicher nicht immer deren Rollen. Dass dies nicht der Fall ist, bedeutet natürlich nicht, dass eine solche Rollendifferenzierung nicht wünschenswert sein kann. Jedoch erscheint mir die vorgeschlagene Differenzierung zum anderen teils wenig praktikabel und realistisch. Lässt sich beispielsweise wirklich immer unterscheiden, ob jemand etwas in ihrer/ seiner Funktion als Experte oder Lehrender kommuniziert? Widerspricht dies nicht der Einheit von Forschung und Lehre? Natürlich ist unbenommen, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler etwaige Interessenkonflikte offenlegen sollten. Letztlich bleibt es aber auch eine empirische Frage, ob und wie das Publikum die unterschiedlichen Rollen wahrnimmt.

Dies bringt mich zu meiner zweiten Frage. Welche Rolle spielen die Nutzerinnen und Nutzer von sozialen Medien, wenn es dezidiert um wissenschaftliche Inhalte geht? Auch wenn es bei der Diskussion um mögliche problematische Folgen von sozialen Medien für die demokratische Gesellschaft nicht darum gehen kann, dass allein den Wünschen und – teilweise postulierten – Nutzungsweisen des Publikums Folge geleistet wird, nimmt die Expertise die Sicht der Nutzerinnen und Nutzer jedoch nur selten in den Blick. Lars Fischer weist in seinem Kommentar zur Rolle des Sozialen bei Social Media ebenfalls in eine ähnliche Richtung. Welche Angebote werden in sozialen Medien zu Wissenschaft eigentlich von wem wie stark genutzt? Welche Motive haben Nutzerinnen und Nutzer, um sich in sozialen Medien über wissenschaftliche Themen zu informieren? Wie nehmen sie Wissenschaft dort wahr und was nehmen sie als Wissenschaft wahr? Und von welchen Voreinstellungen und soziodemographischen Merkmalen dies abhängt – dazu ist natürlich noch weitere Forschung notwendig. Nichtsdestotrotz hätten diese Aspekte auch hinsichtlich der Forderung nach Regulierung in dem Papier stärker berücksichtigt werden können. Schließlich ist es für eine zielgenaue Regulierung auch bedeutsam, welche wissenschaftlichen Informationen von welchen Personen mit welchen Voreinstellungen überhaupt genutzt werden, wann das Publikum Social Media als Alternative zu journalistischen Medien sieht und wann als komplementäre Informationsquelle. Ein Beispiel: Zum Umgang des Publikums mit der Unsicherheit, mit der Informationen über Wissenschaft immer behaftet sind, und wie sich diese Unsicherheit auf die Rezeption und Meinungsbildung auswirkt, gibt es schon einige wissenschaftliche Erkenntnisse. Hier wäre zu erörtern, ob und wie solche Befunde auf die Nutzung von wissenschaftlichen Informationen in sozialen Medien zu übertragen sind. Richtig ist in dem Zusammenhang die Empfehlung des Papiers, die Medienkompetenz in Schulen zu verbessern, um so möglichen Problemen bei der Nutzung von wissenschaftlichen Informationen durch junge Nutzerinnen und Nutzern zu entgegnen. Weitere Empfehlungen, die sich dezidiert an den Nutzerinnen und Nutzer orientieren, wären wünschenswert gewesen.

Nicht zuletzt verstehe ich die Stellungnahme als Aufforderung – und zwar als Aufforderung an die Kommunikationswissenschaft. Damit meine ich nicht nur die Forderung nach mehr Forschung zur Rolle von sozialen Medien in der Wissenschaftskommunikation (Empfehlung 12), sondern auch die Empfehlung, die Technikfolgenabschätzung der digitalen Medien voranzutreiben (Empfehlung 9). Auch dies verstehe ich mit als eine Aufgabe der Kommunikationswissenschaft. Denn es sollte für die kommunikationswissenschaftliche Forschung zur Wissenschaftskommunikation ein Kernthema sein, sich den sozialwissenschaftlichen Aspekten des Einflusses der digitalen Medien auf Kommunikations- und Meinungsbildungsprozesse über Wissenschaft zu widmen.

 

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