Ein Denkanstoß für eine weitergehende fruchtbare Diskussion

Wissenschaftsjournalist Martin Schneider hat das WÖM-Papier unter die Lupe genommen – sein Kommentar.

Drei Jahre nach Vorlage der ersten Empfehlungen zur Wissenschaftskommunikation liegt nun deren Erweiterung für das Gebiet Social Media vor. Die „Analyse und Empfehlungen zum Umgang mit Chancen und Risiken in der Demokratie“, so der Untertitel, erweist sich schnell als eine wohlüberlegte und fundiert begründete Sammlung von Empfehlungen, die sich am Rande zwar auch mit den Chancen, vor allem aber mit den Risiken der „neuen Medien“ für die Wissenschaftskommunikation beschäftigen. Ein solcher Zugang ist auch durchaus geboten – da sich der „Hype“ um die neuen Möglichkeiten der Kommunikation ohnehin von selbst Bahn bricht.

Die Autoren sind klug genug, die Empfehlungen nicht am Status quo der derzeitigen Ausformung der Social-Media-Welt festzumachen. Die Dynamik, die dieses Gebiet allein in den gut zwei Jahren, in denen an dem Projekt gearbeitet wurde, zeigte, lässt schließlich erahnen, dass sich hier sehr schnell sehr viel mehr verändern kann als sich selbst die „nerdigsten“ Facebook/Snapchat/Instagram-Junkies vorstellen können. Die Grundprinzipien aber werden sicher aus unserer Kommunikationswelt nicht mehr wegzudenken sein: Jeder kann sein eigener Publizist sein, man erreicht völlig neue Kreise – und es gibt einen „Rückkanal“. Auf diese grundsätzlichen Strukturen gründen sich die Empfehlungen der Arbeitsgruppe.

Grundsätzlich schreibt das Papier in Vielem die Empfehlungen des 2014er Papier fort. Das ist auch nachvollziehbar – gelten doch die wesentlichen strukturellen Bedingungen für die Wissenschaftskommunikation auch in der Welt von „Web 2.0“ (wie es ja vor gefühlten Urzeiten mal hieß …). Vor allem die Trennung von Kommunikation und Marketing wird in verschärfter Form erneut gefordert, da in Zeiten einer direkten Kommunikation sehr vieler verschiedener Player Glaubwürdigkeit und Orientierung für den Rezipienten umso wichtiger werden. Und auch wenn es diesmal neben den Empfehlungen an die Politik, die Wissenschaft und an Bildungseinrichtungen keine konkreten Empfehlungen an die Medien gibt, steht hinter dem gesamten Papier die Grundhaltung, die schon die Analyse von 2014 durchzog: Der unabhängige Wissenschaftsjournalismus, ob man ihn nun definitionsgemäß als Teil einer „externen Wissenschaftskommunikation“ begreift oder ihn begrifflich davon trennt, ist nicht nur wichtig für die Demokratie, sondern auch für die Wissenschaft selbst, weil er – sehr verkürzt wiedergegeben – für Glaubwürdigkeit sorgt. Erneut eingefordert wird auch das verstärkte Engagement der öffentlich-rechtlichen Rundfunksender für die Wissenschaftsberichterstattung – gerade auch auf aktuellem Gebiet. Zusätzlich werden Plattformen über wissenschaftsjournalistische Themen ins Gespräch gebracht, die von ARD und ZDF, unter Umständen in Kooperation mit den anderen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten Europas, gepflegt werden sollten.

Neue und fundamentalere Vorschläge finden sich in den „Empfehlungen an die Politik“. So wird mit Nachdruck gefordert, Social-Media-Plattformen und Suchmaschinen nicht nur kartell-, sondern auch medienrechtlich zu regulieren. Die Plattformen hätten längst den Status eines neuen Intermediärs, der durch „Kuratieren“ und meist wenig transparenter Filtermechanismen den Zugang zur Information für seine Nutzer fokussiert oder sogar einschränkt. Alles spräche dafür, sie wie andere Medien auch zu behandeln. Der Gesetzgeber müsse sicherstellen, „dass alle Bürger unzensierten Zugang zu gesellschaftlich relevanten Informations- und Wissensquellen erhalten“, so die Forderungen, die in der Sache ebenso zu unterstreichen wie in der Praxis aus vielerlei Gründen schwierig umzusetzen sein wird.

Letzteres gilt noch mehr für eine weitere, sehr grundlegende Forderung, die speziell wissenschaftliche Inhalte berücksichtigt: „Um die Informationsversorgung im Netz unabhängiger vom Einfluss einzelner Anbieter […] zu machen, […] sollen alle rechtlichen, strukturellen und inhaltlichen Möglichkeiten zum Aufbau einer redaktionell unabhängigen bundesweiten Wissenschaftskommunikations- und Infomationsplattform“ geprüft werden, „deren Inhalte für ein breites Publikum verständlich sind“. Also eine Art öffentliches Wissenschaftsportal, das „staats- und wissenschaftsorganisationsfern institutionalisiert werden“ solle. Mit der Gestaltung solle eine Expertengruppe beauftragt werden, die aus Vertretern des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, der Verlage, Journalistenverbänden und Vertretern der Wissenschafts-PR bestehen solle. Die Arbeitsgruppe stellt sich als Finanzquelle z. B. eine aus Staatsgeldern gespeiste Stiftung, angereichert mit zum Teil „wenig effizient“ eingesetzten Mitteln des Wissenschaftsmarketings. So bestechend die Idee ist, scheint hier eine gewisse Skepsis angebracht zu sein, ob man all die unterschiedlichen Player an einen Tisch bekäme. Und: Mit dem Aufbau einer solchen Seite an sich wäre es ja nicht getan – die Inhalte müssen ja vom Nutzer gefunden werden. In der Social-Media-Welt ist Content an sich zwar schön, ohne Distribution aber nicht viel wert. Und die muss dann ja doch wieder über die kommerziellen Plattformen der Platzhirsche laufen.

Überdies: Die Aufgabe, die eine solche Seite wahrnehmen würde, wäre eine klassisch journalistische. Und da scheint es doch weit angebrachter, stattdessen lieber den Journalismus zu fördern.

Das Papier sieht eine solche Förderung tatsächlich auch vor: eine „Unterstützung des Wissenschaftsjournalismus nach dem Modell der Forschungsförderung“. Auch diese Empfehlung gründet auf der Überzeugung, dass die privatwirtschaftliche Finanzierung von Journalismus ein Auslaufmodell ist und es eine unabhängige Finanzierung braucht, will man ihn erhalten. Dieser Analyse ist schwerlich zu widersprechen, und eine gezielte Förderung der „Bedingungen der Möglichkeit“ für guten Wissenschaftsjournalismus ist prinzipiell eine zukunftsweisende Idee. Auch die Wissenschaftspressekonferenz versucht hier ja schon länger, in diese Richtung zu wirken – etwa durch die Initiierung des durch die Klaus Tschira Stiftung finanzierten Science Media Center, die allgemein dem Wissenschaftsjournalismus zugute kommt. Die Empfehlung der Arbeitsgruppe scheint in die gleiche Richtung zu gehen. Zu prüfen sei eine Förderung „auf der Basis von Gutachter/Jury-Entscheidungen unter maßgeblicher Beteiligung von Journalisten und ihren Verbänden, eventuell angelehnt an die Filmförderung oder Stipendienförderung“. So bestechend diese Idee ist, lässt sie mehr Fragen offen als die übrigen Empfehlungen. Sollen einzelne Journalisten gefördert werden? Publikationen? Verlage? Projekte? Hier muss noch einiges zu Ende gedacht werden, um beurteilen zu können, ob die Forschungsförderung tatsächlich das geeignete Modell ist, mit der Journalismus im Allgemeinen am besten gefördert werden kann. Da man aber von dem nun vorgelegten Arbeitspapier keine Komplettlösungen erwarten kann, sollte man diese Empfehlung, wie alle anderen, als Denkanstoß für eine weitergehende fruchtbare Diskussion verstehen.

 

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