Foto: Brittany Bendabout

Wie Lobbystrategien die Wissenschaft unterwandern

Ob Stiftungsprofessuren oder Auftragsstudien: Unter welchen Umständen wird es problematisch, wenn private Gelder in Forschung fließen? Christina Deckwirth von LobbyControl spricht darüber, welche Folgen Einflussnahme haben kann – und welche Rolle Transparenz spielen sollte.

Frau Deckwirth, welcher Fall von Wissenschaftslobbyismus hat Sie zuletzt beschäftigt?

Christina Deckwirth ist promovierte Politikwissenschaftlerin und arbeitet seit 2011 als Campaignerin bei LobbyControl und recherchierte u.a. zu den Themen Reichtum und Einfluss und derzeit vor allem zu Lobbyismus und Klima. Zuvor war sie u.a. wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Marburg und Referentin für Handels- und Investitionspolitik bei WEED e.V. tätig. Foto: Cathleen Falckenhayn/LobbyControl

Das war der Fall Veronika Grimm. Sie ist Professorin an der Technischen Universität Nürnberg (UTN) und Mitglied der Wirtschaftsweisen, berät also die Bundesregierung. Gleichzeitig hat sie einen Aufsichtsratsposten bei Siemens Energy angenommen. Dadurch entsteht ein klassischer Interessenskonflikt, weil wirtschaftspolitische Beratung auch energiepolitische Fragestellungen umfasst. Wenn sie in einem Aufsichtsrat eines Unternehmens ist, von dem sie bezahlt wird, ist sie ganz klar in einer Doppelrolle. Ihre Vergütung bei Siemens Energy wird mindestens 120.000 Euro pro Jahr betragen.
Da stellt sich natürlich die Frage: Wird sie in ihrer Rolle als Beraterin der Bundesregierung entsprechende Unternehmensinteressen vertreten? Wenn es zu Verquickungen kommt, wäre das ein Problem. Deswegen haben wir den Fall bei LobbyControl begleitet und zunächst gefordert, dass sie entweder den Aufsichtsratsposten nicht annehmen oder nicht mehr Teil der Wirtschaftsweisen sein sollte. Eine Forderung, die auch vom Rat der Wirtschaftsweisen selbst kam, war, dass sie sich zumindest bei energiepolitischen Fragen zukünftig zurückhalten sollte in ihrer Funktion als Regierungsberaterin.

LobbyControl

LobbyControl ist ein gemeinnütziger Verein, der über Machtstrukturen und Einflussstrategien in Deutschland und der EU aufklären will. Ziele sind Transparenz, demokratische Kontrolle und klare Schranken der Einflussnahme auf Politik und Öffentlichkeit. Der Verein kombiniert Recherchen, wissenschaftliche Hintergrundanalysen und Kampagnenarbeit. Berichtet wird über Einflussnahmen auf die politische Willensbildung, über Lobbynetzwerke und Denkfabriken, politische PR-Kampagnen und die Grauzonen der Politikfinanzierung.
LobbyControl finanziert sich überwiegend durch Spenden von Privatpersonen und Mitgliedsbeiträge, zu einem geringeren Teil auch durch Stiftungsgelder, den Verkauf von Publikationen und Honorare für Lobby-Stadtführungen. Spenden von Unternehmen oder öffentliche Zuschüsse werden nicht angenommen.

Eine rechtliche Handhabe gibt es nicht? Sie ist als Wissenschaftlerin frei, solche Positionen in der Wirtschaft anzunehmen?

Ja, dabei ist sie frei. Es gibt Empfehlungen für die Wirtschaftsweisen, die noch aus den 50er- oder 60er-Jahren stammen. Aber dabei geht es nur um Nebentätigkeiten in Verbänden. Unternehmen sind damit gar nicht abgedeckt, denn damals wurde Lobbyismus noch sehr stark mit Verbänden in Verbindung gebracht. Lobbyismus – also die organisierte Einflussnahme gegenüber Parlamenten, Regierung und Verwaltung – wird längst nicht mehr nur von Verbänden betrieben. Praktisch jeder große Konzern hat inzwischen ein eigenes Lobbybüro in Berlin.

Welche Auswirkungen hatte Ihre Kritik?

Der Fall Grimm hat Aufsehen erregt. Es gab viele Medienberichte und es haben sich auch Vertreter*innen der Wirtschaftsweisen, zum Beispiel Monika Schnitzer, zu Wort gemeldet. Die Kritik scheint weitgehend an Veronika Grimm abgeprallt zu sein. Kolleg*innen von mir haben zu ihr Kontakt aufgenommen. Sie hat eine Antwort angekündigt, die aber bisher nicht kam. Wir haben aber gesamtgesellschaftlich viel Unterstützung für unsere Kritik bekommen. Insgesamt erleben wir, dass viele Menschen beim Thema Lobbyismus empört sind und es ein intuitives Verständnis für die Probleme gibt, die dabei entstehen.

Wissenschaft und Wirtschaft sind auf vielen Ebenen miteinander verbunden. Können Sie Beispiele für Formen von Wissenschaftslobbyismus nennen?

Ein wichtige Frage dabei ist, wie private Gelder an Hochschulen fließen, beispielsweise in Form von Stiftungsprofessuren oder der Gründung eigener Institute. Teilweise werden Räume verkauft, sodass es dann zum Beispiel einen „Audi-Hörsaal“ gibt. Womit wir uns bei LobbyControl häufiger beschäftigen, sind Fälle von Auftragsstudien. Wir haben unter anderem zu einer Studie über Glyphosat recherchiert, die Monsanto bei einem Professor in Gießen in Auftrag gegeben hat. Dabei kam heraus, dass das Mittel angeblich eher gut für die Umwelt und nützlich für die Volkswirtschaft ist.
Es war auf den ersten Blick nicht ersichtlich, dass die Studie von Monsanto finanziert wurde. Das haben wir über verschiedene Wege herausbekommen. Auch als wir den Professor angefragt haben, stritt er das erstmal ab. Wir hatten aber entsprechende Dokumente vorliegen, sodass er das letztendlich zugeben musste.

„Eine klassische Lobby-Strategie ist beispielsweise, sich Glaubwürdigkeit über Dritte zu verschaffen.” Christina Deckwirth
Das war für uns ein drastischer Fall, der gezeigt hat: Hier gab es eine gezielte Einflussnahme bei einem politisch und gesellschaftlich kontroversen Thema. Denn die Studie lief parallel zur Entscheidung auf europäischer Ebene um die Wiederzulassung von Glyphosat. Wir sind nur auf den Professor aufmerksam geworden, weil er schon mal eine von der Geflügelindustrie finanzierte Studie durchgeführt hat, bei der herausgekommen ist, dass vegane Ernährung schlecht für die Volkswirtschaft sein soll. Das war auch so ein absurdes Beispiel, nur nicht ganz so gut verdeckt.

Prinzipiell spielen Drittmittel in der Forschung eine große Rolle. Wann wird das – wie bei dem Glyphosat-Fall – zum Problem?

Bei Stiftungsprofessuren oder der Förderung von Instituten geht es häufig einfach um Interesse an den Forschungsergebnissen. Das fällt nicht immer unbedingt unter Lobbyismus, was es aber auch nicht automatisch unproblematisch macht. Grundsätzlich gilt: Es muss transparent sein. Nur dadurch lässt sich überprüfen, ob irgendwelche Abhängigkeiten bestehen. Drittmittelfinanzierung kann zum Problem werden, wenn sie mit bestimmten politischen oder wirtschaftlichen Interessen verknüpft wird. Denn die Unternehmen, die am meisten Geld haben, bekommen dann mehr Forschung in ihrem Sinne. Das kann der Aufgabe der Universitäten im Wege stehen, frei zu forschen und damit auch dem Gemeinwohl zu dienen.
Eine klassische Lobby-Strategie ist beispielsweise, sich Glaubwürdigkeit über Dritte zu verschaffen. Wenn der Verband der Geflügelindustrie sagt: „Vegane Ernährung ist schlecht“, glaubt man das nicht unbedingt. Aber wenn genau diese Botschaften von Professor*innen vertreten werden, hat das eine andere Wirkung.

Welche Folgen kann Wissenschaftslobbyismus haben?

Einseitige Einflussnahme durch Lobbyismus kann Gemeinwohlinteressen entgegenstehen – wie bei den Themen Klima oder Tabak. Da wurden Professuren gekauft, um darzustellen, dass der Klimawandel gar nicht so gravierend ist und die Ölindustrie nichts damit zu tun hat. Oder dass Rauchen nicht schlimm für die Gesundheit ist. Für Universitäten, Forschungsinstitute und Forscher*innen kann es zu einem enormen Vertrauens- und Imageschaden führen, wenn solche Fälle an die Öffentlichkeit kommen.

„So ein Vertrauensverlust ist fatal für eine Demokratie, die darauf angewiesen ist, dass es unabhängiges Wissen gibt.” Christina Deckwirth
Lobbyismus kann auch zu gesellschaftlichen Schäden führen, wenn durch eine solche Einflussnahme unausgewogene politische Entscheidungen getroffen werden. Außerdem kann dadurch das Vertrauen in die Wissenschaft sinken. Was das für Folgen haben kann, sehen wir an den Corona- und Klimaleugnungs-Debatten. So ein Vertrauensverlust ist fatal für eine Demokratie, die darauf angewiesen ist, dass es unabhängiges Wissen gibt. Wie sollen Politiker*innen entscheiden, wenn sie gar nicht wissen, wem sie noch vertrauen können? Bisher haben Universitäten einen riesigen Glaubwürdigkeitsvorschuss. Aus der Perspektive des Demokratieerhalts ist es wichtig, diesen zu bewahren.

Wie kann sich das auf einzelne Wissenschaftler*innen und ihre Forschung auswirken?

Häufig ist die Einflussnahme subtiler, als man denkt. Oft wird gesagt: „Die geben mir Geld, aber das macht nichts mit mir.“ Es kann aber diese Schere im Kopf entstehen, ohne dass man sich dessen bewusst ist. Ich würde wahrscheinlich auch sagen: „Werbung macht nichts mit mir.“ Und trotzdem passiert da etwas.
Es gibt ein Beispiel, das ich gerne nenne, obwohl es schon etwas älter ist. Eine Meta-Analyse hat Forschung über zuckerhaltige Getränke untersucht. Es hat sich gezeigt: Wenn Studien von der Lebensmittelindustrie finanziert wurden, ergab sich in vier von fünf Fällen kein Zusammenhang zwischen zwischen zuckerhaltigen Getränken und Übergewicht. Da hat man den Beleg, dass Einflussnahme funktioniert – auch wenn unklar ist, wie direkt sie stattgefunden hat.

Welche Branchen sind im Bereich Wissenschaftslobbyismus in Deutschland besonders aktiv?

In Deutschland geben die Pharma- und die Autoindustrie am meisten Geld an Universitäten. Das ist zumindest ein Ergebnis einer größeren Recherche der Zeit. Wir haben mal einen Fall genauer bearbeitet, da gibt es um ein Forschungsinstitut, das nannte sich Europäische Forschungsvereinigung für Umwelt und Gesundheit im Transportsektor (EUGT). Das wurde von Autokonzernen und von Bosch als Zulieferer mitfinanziert. Es hatte die Aufgabe, Diesel grün zu waschen, ihn also als umweltfreundlich darzustellen. Dazu wurde Forschung betrieben, die von den Autokonzernen finanziert wurde und ein klares Ziel hatte.

Das Institut kam dann in den Fokus der Öffentlichkeit, als herauskam, dass Experimente mit Affen gemacht wurden. Die Tiere wurden Abgasen ausgesetzt, um zu zeigen, dass Stickoxide, die bei der Verbrennung von Diesel entstehen, gar nicht so schlimm sind. Das hat eine große Medienwelle ausgelöst. Das Institut wurde schließlich aufgelöst.

Was kann LobbyControl in solchen Fällen tun?

Zum einen verstehen wir es als unsere Aufgabe, auf die Probleme hinzuweisen, die Geld in der Wissenschaft spielen kann – also dass es zu Abhängigkeiten kommen kann. Wir versuchen für das Thema zu sensibilisieren, indem wir immer wieder problematische Fälle sichtbar machen. So eine Sensibilisierung richtet sich natürlich auch an Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Wir geben die Anregung, sich selbst Richtlinien zu geben.
Aber es könnte auch einen Schritt weiter gehen. Eine Möglichkeit wären zum Beispiel Transparenzvorschriften. Schließlich gibt es ein Register für politische Lobbyakteur*innen. Entsprechend könnte es so etwas wie ein Wissenschaftstransparenzregister geben, wodurch Forschungseinrichtungen und Universitäten verpflichtet wären offenzulegen, welche Stiftungsprofessuren sie von wem finanziert bekommen oder welche Sponsorengelder sie annehmen. Das passiert noch viel zu selten.

Welche Möglichkeiten sehen Sie, dem Lobbyismus in der Wissenschaft entgegenzuwirken?

Ich wünsche mir auf jeden Fall eine Sensibilisierung für das Thema. Wenn zum Beispiel eine Journalistin zu einem wissenschaftlichen Thema arbeitet, sollte die Frage nach der Finanzierung einer Studie oder auch eines Instituts immer gestellt werden – gerade, wenn es um sehr kontroverse Themen geht, hinter den auch finanzielle Interessen stecken. Das würde helfen, mögliche Interessenkonflikte besser zu verstehen und benennen zu können.
Ein Aspekt, der in diesem Zusammenhang total wichtig ist, ist das Thema Unterfinanzierung von wissenschaftlicher Forschung. Denn das befördert, dass man Gelder von außen annimmt. Man kann das Universitäten nicht vorwerfen, denn sie sind einem massiven Druck ausgesetzt. Einerseits liegt das daran, dass die Grundfinanzierung zu knapp ist, andererseits ist das auch ein bisschen ideologisch bedingt. Denn es wird als etwas Positives gesehen, wenn man viele Drittmittel und Stiftungsprofessuren einwirbt.