Illustration: Doris Wolst

„Vieles einfacher, manches aufwendiger, alles schneller“

Was hat sich in den letzten Jahrzehnten in der Wissenschaftskommunikation verändert? Das haben wir erfahrene Kommunikator*innen gefragt. Hier blickt Doris Wolst zurück und nach vorn, zum Beispiel darauf, was das extreme Kommunikationstempo heutzutage mit dem Arbeitsfeld macht. Eine Zeitreise.

Früher war …

… vieles anders, aber nicht alles. Manches einfacher, manches aufwendiger, manches besser, manches schwieriger. Tempo, Dichte und Fülle an Informationen, Formaten und Kanälen waren wesentlich geringer. Nicht nur in der Wissenschaftskommunikation – generell in der Kommunikation. Auch in der Wissenschaft selbst. Eigentlich in allen Bereichen des Lebens und Arbeitens.

Illustration: Doris Wolst

Als ich in der Wissenschaftskommunikation begonnen habe – das ist fast 30 Jahre her –, waren die Zeiten noch weitestgehend analog: Pressemitteilungen oder Einladungen wurden als Briefe, später via Fax verschickt, Druckereien haben noch mit Bleidruck gearbeitet, es wurde analog fotografiert, die Bilder mussten entwickelt werden, wir haben Fotoabzüge verschickt. Wir hatten noch keine Webseiten, auf denen man all die Informationen, das viele Wissen, Fotos, Filme, Animationen, Grafiken, Podcasts, Dokumente „ablegen“ und für alle zugänglich machen konnte. Wenn ich jungen Kolleg*innen, die mit Internet, Smartphone, digitaler Fotografie, Mails, sozialen Medien, Videos und Videokonferenzen aufgewachsen sind, aus dieser analogen Zeit erzähle, dann sehe und höre ich Staunen und Verwunderung, aber auch Neugier. Und kann es selbst manchmal nicht glauben, wie wir ohne die heutigen Möglichkeiten arbeiten konnten.

Verändert hat sich auch inhaltlich Vieles – die Wissenschaftslandschaft ist größer, breiter, komplexer, internationaler, spezialisierter und zugleich integrierter geworden. Das hat natürlich Auswirkungen auf die (Wissenschafts)Kommunikation.

Durch „diese“ sozialen Medien ist …

… vieles einfacher, manches aufwendiger, alles schneller geworden. Die Vielfalt an Formaten und Möglichkeiten ist gewachsen, Informationen stehen in extremem Tempo und Takt für jeden zur Verfügung. Und da sehe ich auch das Problem: Die Dichte und Fülle an Informationen und Angeboten kann auch das Publikum schnell überfordern oder auch überdrüssig machen. Viele Rezipienten sind oft nicht mehr in der Lage, gute, seriöse, faktenbasierte Informationen und glaubwürdige Quellen von Falschinformationen und fragwürdigen Absendern zu unterscheiden. Hier sehe ich eine große Verantwortung und Aufgabe für unser Bildungssystem. Aber auch für alle, die in der (Wissenschafts)Kommunikation in unterschiedlichen Rollen, Funktionen und Blickwinkeln unterwegs sind – Verantwortliche in den Kommunikationsabteilungen und Pressestellen der Hochschulen, Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen, Wissenschaftler*innen, Journalist*innen -, bedarfsorientiert und kontextbezogen faktenbasiertes Wissen, Standpunkte, Kommentare, Antworten bereitzustellen.

Illustration: Doris Wolst

Das braucht aber auch entsprechende Rahmenbedingungen, die nicht nach immer mehr, immer höher und immer schneller trachten und auch nicht jeden Wissenschaftler und jede Wissenschaftlerin zu Kommunikationsexpert*innen machen wollen. Es ist gut und richtig, wenn sie den Umgang mit Medien lernen, wenn sie lernen, komplexe und komplizierte Sachverhalte einfach und bildhaft zu erklären. Sie müssen aber weder das Mediensystem noch das Politiksystem im Detail kennen und verstehen. Dazu gibt es die PR- und Kommunikationsabteilungen oder auch Expert*innen für politische Beziehungen (Public Affairs).

Ich bin froh, dass ich nicht mehr …

Illustration: Doris Wolst

… massenweise Einladungen, Pressemitteilungen und Briefe manuell verschicken muss. Obwohl – es hatte auch seine guten Seiten. Hat man im Team Briefumschläge gefüllt, war das eine gute Möglichkeit, gemeinsam an einem Tisch Ideen und Projekte zu besprechen, zu „brainstormen“, wie es heute so schön heißt. Diese Zeit, dieser Raum, neue, kreative Ideen zu entwickeln, fehlt heute. Im Homeoffice oder auch in Videokonferenzen ist das noch schwieriger. Wissenschaftskommunikation ist Teamarbeit, lebt vom Austausch, vom Bälle zuwerfen, von den Ideen, Erfahrungen und der Expertise vieler unterschiedlicher Akteure.

Die beste Erfindung für die Wissenschaftskommunikation ist …

… die unabhängige Berichterstattung über Wissenschaft. Ich halte es für wichtiger denn je, unser Wissen und unsere Informationen mit der Brille des Journalismus zu betrachten, sie kritisch zu hinterfragen, zu recherchieren, was andere Expert*innen und betroffene Akteur*innen dazu sagen, sie in größere Zusammenhänge zu bringen, die wir mit unserer institutionellen PR-Brille oft nicht im Blick haben, weil es nicht unser Job ist und uns dafür auch nicht die Ressourcen und Möglichkeiten zur Verfügung stehen. Das Science Media Center als eine Art Wissenschafts-Presseagentur ist eine sehr gute Erfindung. Oder die RiffReporter, die Klimafakten.de, die Klimareporter.de. Sie zu unterstützen, auch finanziell, und trotzdem deren Unabhängigkeit sicherzustellen, das wäre gut für die Wissenschaftskommunikation – und für die Gesellschaft.

Illustration: Doris Wolst

Insgesamt hat sich die Wissenschaftskommunikation in meiner Berufszeit …

… inhaltlich nicht verändert. Sie hat damals wie heute dazu beigetragen zu informieren, zu erklären, einzuordnen, auch zu hinterfragen – egal ob im Wirtschafts-, Politik- oder Lokalteil von Zeitungen und Nachrichten oder in speziellen Wissenschaftsformaten. Damals wie heute war und ist es unser Job, Wert auf die Qualität zu legen, sich vorher genau zu überlegen, was für wen, warum relevant, nützlich und wichtig ist und welche Formate und Kanäle am besten geeignet sind, Ziele und Zielgruppen zu erreichen, wer überhaupt unsere Zielgruppen sind, welche Informationen sie wofür brauchen und in welcher Form, Sprache, Tiefe. Wir haben alle nur begrenzte Ressourcen, Wissen und Informationen zu produzieren und zu konsumieren – Sender und Rezipienten.

Illustration: Doris Wolst

Was sich verändert hat, ist die Professionalisierung aller Akteure, ist die Dichte und Fülle der Informationen, Angebote und Formate, das Tempo. Es ist unübersichtlicher und komplexer geworden. Der Informationsüberfluss ist größer geworden. Die Möglichkeiten, Menschen zu erreichen, sind einerseits zwar vielfältiger geworden, andererseits aber auch schwieriger, weil der Kampf um Aufmerksamkeit härter, Ansprüche, Überdruss und Selektivität aufseiten des Publikums größer, der Job fordernder, komplexer, schneller, multidimensionaler geworden ist.

Ich finde es sehr schade, dass es so oft um Deutungshoheit geht, dass wir in den Kommunikationsabteilungen immer wieder getrieben werden durch Konkurrenz und Institutionen-PR. Warum ist der Wissenschaftler aus dem Institut X oder Y bei der Talkrunde dabei oder im Spiegelartikel zitiert, warum nicht der von uns? Sollten wir uns nicht viel mehr darüber freuen, dass Forschende immer mehr gefragt sind, ganz gleich, ob sie von Helmholtz, Max-Planck, Leibniz oder einer Universität kommen? Sollten wir nicht viel mehr lernen, über unsere Institutsgrenzen und -Interessen hinaus zu denken und uns so zu vernetzen, dass wir schnell und professionell die für das Thema, den Kontext, den Bedarf und das Format am besten geeigneten Wissenschaftler*innen finden und vermitteln? Doch auch dazu braucht es andere Rahmenbedingungen, denn auch wir werden daran gemessen, wie oft unser Institut in welchen Medien mit welcher Reichweite zu sehen, zu hören oder zu lesen war. Und wenn zukünftig die Förderung und Erfolge wissenschaftlicher Projekte auch daran gemessen werden, wie „gut“ sie kommunizieren, kommen wir immer mehr zu kleinteiliger Projektkommunikation, anstatt projekt- und institutsübergreifende, gesellschaftlich relevante Themen bedarfsgerecht zu kommunizieren.

Wenn ich heute in den Beruf starten würde, würde ich …

… Allianzen und Netzwerke für die Kommunikation schmieden, Verbündete suchen, Erfahrungen sammeln, zuhören, Neues ausprobieren, aber nicht jedem neuen Trend hinterherlaufen. Würde Fehler als wertvoll ansehen, nicht als Defizit, weil man gerade aus Fehlern lernen kann. Ich würde öfter nein sagen, wenn ich vom Nutzen, von den Zielen, dem Weg, von Formaten oder Maßnahmen nicht überzeugt bin. Ich würde die Erwartungshaltung – die eigene und die aller Beteiligten – viel klarer herausarbeiten. Und würde mehr darauf achten, dass Qualität wichtiger bleibt als Quantität. Weniger ist mehr, wenn es richtig gut gemacht ist. Man muss nicht überall dabei sein wollen …

Illustration: Doris Wolst

Illustrationen: Doris Wolst

Gastbeiträge spiegel nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.