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Über den Umgang mit Wissenschaftsskepsis im Alltag

Die impfkritische Freundin, der Onkel, der die Evolutionsgeschichte in Frage stellt oder der Nachbar, der den Klimawandel nicht ernst nimmt: Sollten wir mit ihnen das Gespräch suchen und wenn ja, wie? Im Gastbeitrag gibt Thuy Anh Nguyen Einblicke in die Forschung über interpersonelle Kommunikation.

Manchmal kommt es wie aus dem Nichts. Man unterhält sich über den Jahreszeitenwechsel, über verschnupfte Partnerinnen und Partner und hustende Kinder. Und zack fällt die Bemerkung: „Mein Kind ist nicht geimpft.“ Solche Momente oder ähnliche Situationen haben wohl die meisten Leute schon erlebt oder zumindest beobachtet.

Und ganz gleich, ob es die impfkritische Freundin, der die Evolution anzweifelnde Onkel oder der klimaskeptische Nachbar ist, sie alle stellen uns vor eine große Frage: Sollten wir mit ihnen das Gespräch suchen und wenn ja, wie?

Persönliche Gespräche können helfen, bereits bekannte Informationen besser einzuordnen und zu deuten.

Ein Blick auf die Forschung zu diesem Thema zeigt, sie konzentriert sich in vielen Bereichen derzeit auf andere Formen der Kommunikation. So überwiegt in der Kommunikationswissenschaft bislang die Forschung über (massen)mediale Kommunikation. Die interpersonelle Kommunikation – Gespräche direkt von Mensch zu Mensch – wird nur in vereinzelten Studien betrachtet. Und dennoch gibt es bereits einige interessante Erkenntnisse. So weist eine Vielzahl der Studien darauf hin, dass persönliche Gespräche dabei helfen können, bereits bekannte Informationen besser einzuordnen, zu deuten und damit das Problembewusstsein zu beeinflussen. Insbesondere Gespräche zwischen guten Freundinnen und Freunden und engen Familienmitgliedern prägen stärker als Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen oder Bekannten. Eine These, die Ines Lörcher, Kommunikationswissenschaftlerin an der Universität Hamburg, in ihrer Forschung über die langfristige Aneignung des Themas Klimawandel über kommunikative und direkte Erfahrungen bestätigen konnte.

Während der Einfluss in freundschaftlichen Beziehungen beidseitig ist, ging man bisher davon aus, dass in einem familiären Setting vor allem Eltern ihre Kinder in Sachen Umweltbewusstsein prägen. Allerdings konnten Forschende der North Carolina State University zeigen, dass umgekehrt auch Kinder ihre Eltern beeinflussen können. Besonders erfolgreich seien dabei Töchter, die mit ihren konservativen Eltern sprechen, so die Erkenntnis.

Jedoch können auch Gespräche zwischen Fremden über kontroverse Themen positive Effekte haben. Das haben Armin Falk, Lasse Stötzer und Sven Walter, Forscher des briq Institute on Behavior & Inequality bei der Auswertung des von Zeit Online initiierten bundesweiten Projekts „Deutschland spricht“ herausgefunden. Im Herbst 2018 brachten die Organisatorinnen und Organisatoren andersdenkende Menschen zu Vieraugengesprächen zusammen. Der Verhaltensökonom Armin Falk und sein Team haben die Teilnehmenden vor und nach den Gesprächen befragt. In einem Zeit-Interview zur Studie beschreibt Falk die Erkenntnisse: „Nach dem Gespräch hielten Teilnehmer Menschen mit anderen Ansichten im Schnitt für weniger inkompetent, ­bösartig und schlecht informiert. Und sie hatten weniger den Eindruck, dass diese völlig andere Werte und Lebensvorstellungen haben.“

Wenn ich finde, irgendetwas kann ich nicht so stehen lassen, dann sollte ich den Mund aufmachen.

Sollten wir also das Gespräch suchen? Fenja De Silva-Schmidt, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachgebiet Journalistik und Kommunikationswissenschaft an der Universität Hamburg, findet: „Ich glaube, es ist eine sehr persönliche Entscheidung. Wenn mir ein Thema wichtig ist, wenn ich finde, irgendetwas kann ich nicht so stehen lassen, dann sollte ich den Mund aufmachen.“ De Silva-Schmidt beschäftigt sich in ihrer Dissertation damit, wie Medienberichte und interpersonelle Kommunikation das Wissen über Klimapolitik beeinflussen. Auf dem K3-Klimakongress hat sie mit zwei Kolleginnen einen Workshop geleitet und mit Teilnehmenden Kriterien für ein „gutes“ Gespräch über den Klimawandel erarbeitet. Wie geht man so ein Gespräch an und was sollte man vermeiden?

Respektvoll in das Gespräch gehen und nach den Beweggründen fragen

„Die meisten Menschen haben Gründe, warum sie die Impfempfehlung hinterfragen oder die Auswirkungen des Klimawandels nicht ernst nehmen. Es ist wichtig, dass man diese – respektvoll – in Erfahrung bringt und wirklich zuhört“, sagt De Silva-Schmidt.

Oft entwickelt sich solch eine Haltung über Jahre. Beispielsweise findet die Person, dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse ihrem Weltbild widersprechen. Nimmt sie eine Meinung an, bewirken psychologische Mechanismen, dass diese verstärkt wird. Die Person tendiert dann dazu, mit Menschen zu reden oder Medieninhalte zu konsumieren, die eine ähnliche Position vertreten (selective exposure). Pro-Aussagen behält sie eher im Gedächtnis, Kontra-Argumente hingegen blendet sie unbewusst aus. Ein Phänomen, welches man confirmation bias nennt. Diesen Mechanismen entgegenzuwirken und eine Person dazu zu bringen, ihre Meinung zu revidieren, ist daher ein langwieriger Prozess.

Klein anfangen und am Ball bleiben

Wie man falsche Informationen wirksam korrigiert, damit haben sich John Cook und Stephan Lewandowsky in ihrem Buch „Debunking Handbook“ beschäftigt. „Um Falschinformationen auszuräumen, kann weniger mehr sein“, schreiben die Wissenschaftler und warnen davor, den Gegenüber mit zu vielen Argumenten zu überfordern. Auch De Silva-Schmidt findet, dass weniger mehr ist und fügt hinzu: „Es ist besser, das Thema schrittweise und in mehreren kleinen Gesprächen zu behandeln.“

Weltanschauung berücksichtigen und an Interessen anknüpfen

Nicht über die Lebenswelt des Gegenübers urteilen, sondern sich darauf einlassen.

„Sie waren in Spanien im Urlaub? Wussten Sie, dass ein Hin- und Rückflug rund eine Tonne CO2 verursacht?“ Wer mit ähnlichen Aussagen eine Unterhaltung beginnt, macht dem Gegenüber ein schlechtes Gewissen – keine ideale Voraussetzung für ein gutes Gespräch. Hier heißt die Devise: Nicht über die Lebenswelt des Gegenübers urteilen, sondern sich darauf einlassen. Wie die Klimakommunikation etwa Menschen aus konservativen Milieus, religiösen Communities oder aus ländlichen Regionen erreichen kann, damit beschäftigt sich die britische Organisation „Climate Outreach“. Ihre Empfehlung: Die Weltanschauung der jeweiligen Gruppen in die Narrative einbinden. In diesem Video rät George Marshall von Climate Outreach beispielsweise, bei der konservativen Zielgruppe an Werte wie Tradition, Disziplin und Organisation zu appellieren.

Ebenso kann es sinnvoll sein, beim Thema an das anzuknüpfen, was die Person wirklich beschäftigt und berührt. Die Geschichte vom bedrohten Eisbären funktioniert bei einem tiervernarrten Kind, bei einem älteren Menschen vielleicht nicht mehr. „Hier könnte man den Aspekt der Gesundheit hervorheben und die Sorge kommunizieren, dass in Zukunft Menschen unter mehr Hitzewellen leiden werden“, sagt De Silva-Schmidt. Wichtig sei es daher, viel über die Interessen und das Weltbild des Gegenübers zu erfahren, bevor man in das Gespräch reingehe.

Was tun bei Menschen, die sehr verfestigte Ansichten haben?

Manche Menschen haben so verfestigte Ansichten, dass kein Gespräch und kein Argument zu helfen scheint. In ihrem „Debunking Handbook“ raten die Autoren, sich eher auf die unentschlossene Mehrheit zu konzentrieren als auf die nicht oder kaum erreichbare Minderheit.

Einen „hoffnungslosen“ Fall hat De Silva-Schmidt schon erlebt. Sie schildert ihn im Blogbeitrag „How misinformation persuaded my neighbor, and why I chose not to ‚educate‘ him“: Ihr Nachbar, ein Arzt, sei ein Leugner des Klimawandels. Anfangs schickt sie ihm Informationen zum Klimawandel und versucht, mit ihm darüber zu reden – erfolglos. Dann erkennt sie an: Obwohl er den Klimawandel negiert, handelt er im Alltag durchaus umweltbewusst. Er ist Vegetarier, trennt seinen Müll und fährt ein Hybridauto. „Although all these actions were motivated by interests other than saving the climate – i.e. saving money – I reasoned there is no need to ‚educate‘ him on the topic“, schreibt sie und zieht den Schluss, dass in manchen Fällen das korrekte Wissen oder die Einstellung gar nicht so entscheidend sei. Menschen handelten aus anderen Motiven trotzdem umweltfreundlich – woran man anknüpfen könne.

Fazit

Mehr über die Beweggründe des Gegenübers erfahren und aus dem Gespräch viel Denkstoff mitnehmen.

„Letzten Endes kann ein Gespräch trotzdem bereichernd sein, obwohl nach den ersten Minuten klar ist, dass die Positionen sehr weit auseinandergehen und ein Konsens nicht möglich ist“, findet De Silva-Schmidt. Nämlich, indem man respektvoll miteinander diskutiert, mehr über die Beweggründe des Gegenübers erfährt und aus dem Gespräch viel Denkstoff mitnimmt. Wer weiß, vielleicht wartet beim kommenden Familiendinner, beim Alumnitreffen oder bei „Deutschland Spricht“ 2020 schon das nächste Gespräch.