Foto: Matthew Waring

Scicomm-Support bietet Hilfe bei Angriffen

Der Scicomm-Support hat seinen Dienst aufgenommen und bietet Wissenschaftler*innen und Kommunikator*innen Unterstützung bei Angriffen. Wie der Support funktioniert und warum er notwendig ist, darüber diskutierten die Projektbeteiligten, Elisabeth Hoffmann, Pia Lamberty, Kristin Küter und Julia Wandt bei einem digitalen Lunchtalk.

„Der Scicomm-Support soll Wissenschaftler*innen und Wissenschaftskommunikator*innen Unterstützung geben, wenn sie sich im Rahmen ihrer Wissenschaftskommunikation auf irgendeine Weise unwohl fühlen“, fasst Julia Wandt* vom Bundesverband Hochschulkommunikation* die Aufgabe des neuen, von der VolkswagenStiftung geförderten Scicomm-Supports zusammen. Am 20. Juli wurde das gemeinsame Unterstützungsangebot des Bundesverband Hochschulkommunikation* und Wissenschaft im Dialog* bei einem digitalen Lunchtalk per Youtube-Stream vorgestellt. Partner des Supports sind die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Hochschulrektorenkonferenz. Per Chat konnten Zuhörer*innen Fragen direkt an die Projektbeteiligten stellen.

Der Service biete bei einfachen Fällen von Beleidigungen bis hin zu persönlichen Angriffen und Todesdrohungen Unterstützung, erklärt Wandt. Der Support ist telefonisch erreichbar. Auf der Webseite  finden Betroffene zudem Informationen und Ressourcen, unter anderem in Form von Leitfäden oder Artikeln zum Thema Wissenschaftsfeindlichkeit und Hassrede. Betroffene können an 365 Tagen im Jahr von 7 bis 22 Uhr telefonisch Beratung erhalten und bei Bedarf werde auch juristische oder psychologische Unterstützung vermittelt.

Die knapp 30 Berater*innen arbeiten ehrenamtlich und wurden von der Initiative HateAid geschult. „Es geht von einem ersten Zuhören und einer sachlichen, professionellen Einschätzung der Situation bis hin zu einer über Wochen, Monate oder vielleicht auch Jahre andauernden Begleitung“, erklärt Wandt, die selbst auch als Beraterin beim Support tätig ist. „Alle Beratungen werden natürlich vertraulich behandelt“. Zudem werde die Beratung auch für Österreich und der Schweiz zur Verfügung stehen. Wenn die Person es wünscht, könne die Beratung auch anonym erfolgen, ergänzt Kristin Küter von Wissenschaft im Dialog.

„Niemand wird sagen: Das ist doch nicht schlimm! Es geht immer um das subjektive Empfinden“ Julia Wandt

Mehrfach wird betont, dass sich Betroffene bei Unsicherheiten frühzeitig melden sollen, „auch, wenn man erst noch abwiegelt und denkt: Ach, das ist ja noch nicht so schlimm“, sagt Küter, denn Situationen könnten sich dynamisch entwickeln und „wenn man die Situation noch einschätzen kann und sie einen noch nicht überrollt, kann unsere Beratung frühzeitig ansetzen“. „Niemand wird sagen: Das ist doch nicht schlimm! Es geht immer um das subjektive Empfinden“, ergänzt Wandt.

Projekt wird wissenschaftlich begleitet

Ob es wirklich so sei, dass unsachliche Konflikte in der Wissenschaftskommunikation zunehmen, möchte Elisabeth Hoffmann, Chief Communication Officer der Universität zu Köln und selbst Beraterin beim Scicomm-Support, von Pia Lamberty wissen. Diese Frage sei wegen der schlechten Datenlage nicht so einfach zu beantworten, antwortet die Sozialpsychologin. Ihr persönlicher Eindruck sei jedoch, dass besonders Menschen aus der Virologie oder pandemienahen Wissenschaften Attacken ausgesetzt waren. Lamberty forscht am Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS) zu Verschwörungserzählungen. Die Aktivitäten des Supports werden wissenschaftlich durch das Projekt CAPAZ (Kapazitäten und Kompetenzen im Umgang mit Hassrede und Wissenschaftsfeindlichkeit) erfasst. Durch diese wissenschaftliche Begleitung auch Zahlen zu erhalten, um zu verstehen, wie groß und umfassend das Problem ist, sei eine weitere Stärke des Projektes, sagt Lamberty, „was bedeutet es, wenn ich in der Öffentlichkeit zu Themen wie Klima, Geschlecht oder Migration kommuniziere? Worauf muss ich mich gefasst machen?“ Laut einer Umfrage von Nature, die Klimawissenschaftler*innen zu erlebten Bedrohungen und Angriffen befragte, antworteten 50 Prozent, dass sie Ängste hätten. Ebenfalls so viele fürchteten einen Reputationsschaden und sagten, sie hätten ihre Produktivität verloren. Wenn Wissenschaftler*innen weniger bereit sind, über ihre Forschung zu sprechen, sei dies ein individueller, aber auch ein gesamtgesellschaftlicher Schaden, deswegen komme der Scicomm-Support genau zur richtigen Zeit.

„Ich habe viele solcher Erfahrungen selbst gemacht und mich damit im Wissenschaftskontext allein gefühlt“ Pia Lamberty

Auf die Frage von Hoffmann, ob sie sich selbst in ihrer Karriere schon einmal solch einen Support gewünscht hätte, antwortet Lamberty: „Ich habe viele solcher Erfahrungen selbst gemacht und mich damit im Wissenschaftskontext allein gefühlt“. Sie hätte zwar viel Unterstützung von Institutsseite erhalten, wie etwa bei der Anzeigenstellung, aber sie fand „die Wissenschaftscommunity recht still“. Es fehlten „die Strukturen, um das irgendwie aufzufangen“. Ein auch nicht zu unterschätzender Punkt sei, dass Angriffe im Netz auch Ressourcen binden. „Es gab Zeiten, da hätte ich 100 Prozent meiner Zeit damit verbringen können, Anzeigen zu stellen“, sagt Lamberty.

Hilfe auch bei Angriffen aus der eigenen Einrichtung

Der Scicomm-Support verstehe sich als Ergänzung zu der Beratung der Kommunikationsabteilungen in den Hochschulen und universitären Einrichtungen, sagt Wandt. Daher werde auch immer das Einverständnis für eine Zusammenarbeit mit den Kolleg*innen eingeholt. „Möchten Betroffene den Vorfall nur in kleinem Kreis behandeln, ist dies auch völlig in Ordnung“. Hoffmann fragt, ob man sich zuerst an die Kommunikationsabteilungen des eigenen Institutes oder den Scicomm-Support wenden sollte. Dies sei von Fall zu Fall unterschiedlich und müsse die betroffene Person selbst entscheiden, antwortet Küter.

Wandt betont, dass der Scicomm-Support auch bei Konflikten mit der eigenen Einrichtung berät, etwa wenn Kommunikator*innen oder Wissenschaftler*innen Konflikte mit der eigenen Einrichtung haben oder vielleicht sogar aus der eigenen Einrichtung heraus angegriffen werden. In diesen Fällen könne der Scicomm-Support als unabhängige und vertrauliche Einrichtung hinzugezogen werden. „Ich glaube, diese Unabhängigkeit ist enorm wichtig“, sagt Lamberty, da dieses Vertrauensverhältnis an der eigenen Einrichtung nicht immer gegeben sei. Eine Angst vor Reputationsverlust könne dazu führen, dass man sich bei Problemen gar nicht mehr traut, an die eigene Hochschule zu wenden, aus Angst, dass einem die eigenen Kommunikationsaktivitäten verwehrt werden.

Ein Teilnehmender fragt im Chat, ob die Unterstützung des Scicomm-Supportes nur bei digitalen Angriffen greift oder ob es auch Unterstützung bei beispielsweise Bürger*innen-Veranstaltungen gibt, wo kontroverse Themen vorgetragen und diskutiert werden. Der Scicomm-Support sei für „jegliche Formen von Angriffen in Medien, Kommunikations- oder auch sonstigen gesellschaftlichen Situationen zuständig“, erklärt Wandt.

Wer sind die Menschen, die Wissenschaftler*innen angreifen?

Hoffmann resümiert, dass bisher viel über „unsere Perspektive und die Perspektive der Wissenschaftler*innen“ diskutiert wurde und fragt, wer die Leute sind, „die im Netz schimpfen, unsachlich werden, unter der Gürtellinie kommentieren oder tatsächlich drohen?“ Es müsse unterschieden werden zwischen Leuten, die etwas im Affekt ohne eine politische Haltung dahinter schreiben, und politischen Akteuren, sagt Lamberty. „Leute, die im echten Leben unfreundlich sind, sind das online häufig auch, nur dann noch verstärkt, weil gewisse soziale Normen entfallen“. Politische Akteure, ideologisierte Personen oder Rechtsextreme würden solche Attacken auch häufig planen. Lamberty selbst wurde Opfer solch einer Attacke, berichtet sie, als ihre persönliche E-Mail-Adresse von Akteuren der rechtsextremen Szene veröffentlicht wurde und sie daraufhin mit Hassmails überflutet wurde. „Es gibt also diese Gemengelage aus Leuten, die die politische Agenda verfolgen, Wissenschaft zum Verstummen zu bringen, und den Personen, die ihren Impulsen nachgehen, verärgert sind und ihrem Ärger Luft machen“. Dies sei auch der Unterschied zum Analogen, etwa einem Vortag, wo vielleicht eine Person ihren Unmut äußert. In den sozialen Medien werde dies auf das Vielfache aufgebläht. Bei dieser Vielzahl bestehe die Schwierigkeit zu unterscheiden: „Was ist eine legitime Kritik und wo fängt Hass und Hetze an?“ Auch in solchen Fällen helfe der Support gerne bei der Einordnung, wirft Wandt ein.

Woran es liegen könnte, dass mehr Wissenschaftler*innen angegriffen werden, fragt eine zuhörende Person im Chat. „Die Beantwortung solcher Fragen ist immer spekulativ, weil die Datenlage nicht gut ist“, antwortet Lamberty, „seit Pandemiebeginn lässt sich aber eine gewisse Verrohung beobachten.“ In der Pandemie sei das Faktische mehr politisiert worden und Wissenschaftler*innen wurden für die Corona-Maßnahmen verantwortlich gemacht. Dies sei nun in der Klimakrise ähnlich. Für viele Wissenschaftler*innen sei es ein Schockmoment, wenn sie für Fakten angegriffen werden. Dies sind Erfahrungen, „wo es wichtig ist, Umgangsstrategien zu erlernen“.

„Wissenschaftler*innen machen keine Politik, sondern kommunizieren Ergebnisse“ Kristin Küter

„Die Methodik von Wissenschaft setzt viel Wissen voraus“, findet Küter. Zudem findet sie problematisch, wenn nicht klar genug abgegrenzt wird, dass die Funktion der Wissenschaft eine beratende und keine politische ist. „Wissenschaftler*innen machen keine Politik, sondern kommunizieren Ergebnisse“. Dies sei besonders während der Pandemie oft vermischt worden. Dass Wissenschaftler*innen keine Politik machen, sei vielleicht im Idealfall so, faktisch sei es aber doch anders, entgegnet Hoffmann. Denn oft hätten Wissenschaftler*innen auch politische Ämter.

In diesem Zusammenhang spricht Hoffmann potenzielle Konfliktfelder an, wenn sich etwa umstrittene Wissenschaftler*innen bei der Hotline melden, die gezielt mit Aussagen polarisieren, die kein wissenschaftlicher Konsens sind. „Wie gehen wir damit um?“ „Es gibt zunächst kein Ratsuchen von einer falschen Seite“, antwortet Wandt. „Wir werden auch in keiner Weise die Wissenschaft der Person beurteilen“. Allerdings würden keine Leute beraten, die ihrerseits Personen angreifen. Sollten Personen beratungsresistent sein und die Aktivitäten nicht den Qualitätskriterien guter Wissenschaftskommunikation entsprechen, „behalten wir uns selbstverständlich vor, die Beratung abzubrechen“.

„Wenn wir uns in einem Jahr wieder treffen, was müsste passieren, damit wir sagen: Der Scicomm-Support ist gut gelaufen?“, fragt Hoffmann abschließend. Dies sei in einem Beratungsfeld nicht so einfach festzustellen, denn „hat man Erfolg, wenn sich viele Menschen melden, oder hat man Erfolg, wenn sich wenige Menschen melden?“, merkt Lamberty an. „Wenn Menschen sich gut aufgehoben fühlen, wenn sie Parteilichkeit erleben, das Gefühl haben, gestärkt aus der Beratung heraus zu gehen und das kommunizieren können, was ihnen am Herzen liegt“, dann sei der Support erfolgreich.

„Eine gute Bilanz ist natürlich, wenn wir an unserer eigenen Abschaffung arbeiten. Aber das ist unrealistisch“, sagt Küter. Ein Erfolg wäre, wenn Wissenschaftler*innen und Kommunikator*innen sagen: „Ich mache weiter Wissenschaftskommunikation oder ich fange damit an, weil ich weiß, ich bin nicht alleine, es gibt Unterstützung und Solidarität.“

 

Anmerkung der Redaktion:

* Wissenschaft im Dialog ist einer der drei Träger der Plattform Wissenschaftskommunikation.de

*Der Bundesverband Hochschulkommunikation ist Partner der Plattform Wissenschaftskommuniaktion.de und Julia Wandt Beiratsmitglied