Foto: Mike Auerbach/UFZ

Partizipation möglich machen: die Citizen-Science-Strategie 2030

Ein Weißbuch liefert 94 konkrete Handlungsempfehlungen, um Bürger*innenforschung in Deutschland weiterzuentwickeln. Im Gastbeitrag beschreibt Wiebke Brink, Mitglied der AG Weißbuch und des Lenkungskreises, die Ergebnisse des zweijährigen Prozess.

Es braucht neue Formen der Zusammenarbeit, der Wissensvermittlung und der gemeinsamen Wissensproduktion, um solidarische, informierte und zukunftsorientierte Wege im Umgang mit gesellschaftlichen Herausforderungen zu finden. Das zeigen aktuelle Herausforderungen wie die Coronapandemie und die Klimakrise. Citizen Science kann dazu einen Beitrag leisten, wenn ihr Potenzial voll ausgeschöpft werden kann. Dazu braucht es jedoch unterstützende Rahmenbedingungen auf verschiedenen Ebenen. Teilweise fehlt es um das Wissen über die bestmögliche Umsetzung, zum Beispiel um neben den Forschungs- auch die gewünschten Wirkungsziele zu erreichen – wie ein Zugewinn an Wissen oder die Veränderung von Einstellungen und Verhalten aller Beteiligten im Prozess. Wie diese Rahmenbedingungen geschaffen und verbessert werden können und welche Forschungslücken über Citizen Science gefüllt werden müssen, zeigt die Citizen-Science-Strategie 2030 für Deutschland detailliert auf.

Von der Ambition zur Aktion
In zwei Jahren sind in einem partizipativen Prozess 94 konkrete Handlungsempfehlungen entstanden, um Bürger*innenforschung in Deutschland weiterzuentwickeln und dauerhaft in Wissenschaft, Gesellschaft und Politik zu verankern. Insgesamt haben 219 Personen aus 136 Organisationen daran mitgewirkt. Die Empfehlungen beziehen sich auf 15 verschiedene Handlungsfelder, durch die sich einige Kernpunkte ziehen: In den Fokus rückt eine stärkere lokale Verzahnung von (potenziellen) Citizen-Science-Aktiven und Akteur*innen, aufbauend auf bereits bestehenden Strukturen und möglichen neuen Partnern aus der Zivilgesellschaft. Daneben gilt es neue Strukturen zu schaffen. Der Aufbau, die Weiterentwicklung und das Zurverfügungstellen von Kompetenzen und Ressourcen sind ein weiteres zentrales Element, welches sich in vielen Empfehlungen wiederfindet – sei es zum Beispiel in Bezug auf Wissenschaftskommunikation, Datenmanagement oder den Einsatz künstlicher Intelligenz. Das umfasst beispielsweise Beratungsstellen, die Nutzbarmachung von Citizen–Science-Daten für politische Entscheidungsprozesse und die Reputation innerhalb der Wissenschaft durch Integration in die universitäre Ausbildung. Wichtige Grundlage dafür ist die Bereitstellung entsprechender finanzieller Mittel und ein Mainstreaming von Citizen Science innerhalb der Förderprogramme.

Vom Grünbuch zum Weißbuch
Die Citizen-Science-Strategie 2030 baut auf dem Grünbuch Citizen Science auf, das 2016 veröffentlicht wurde. Dort wurde erstmals die Entwicklung der Citizen-Science-Landschaft in Deutschland systematisch analysiert und entsprechende Maßnahmen zur Weiterentwicklung vorgeschlagen – mit dem Zeithorizont 2020. Die AG Weißbuch wurde im Frühjahr 2020 auf Initiative von Aletta Bonn vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung gegründet, um die Ziele des Grünbuchs zu evaluieren und auf neue Anforderungen und Bedarfe in den Bürger*innenwissenschaften zu reagieren.

Den Kern der Arbeitsgruppe bildeten Expert*innen aus rund 40 Organisationen aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft, die über zwei Jahre lang in zweiwöchentlichen Arbeitsgruppentreffen digital an der Strategie mitwirkten. Den Prozess koordinierte ein Lenkungskreis aus Vertreter*innen der Helmholtz-Gemeinschaft, der Leibniz-Gemeinschaft sowie für die Plattform „Bürger schaffen Wissen“ Vertreter*innen vom Museum für Naturkunde Berlin und Wissenschaft im Dialog*.

Der Strategieprozess fußte auf mehreren Bausteinen: Eine Umfrage im Jahr 20201 erfasste den aktuellen Stand der Umsetzung der Empfehlungen des Grünbuchs Citizen Science. Die Erkenntnisse dienten als Grundlage für die Analyse der einzelnen Themenfelder. Die Arbeit wurde durch zwei Dialogforen mit Expert*innen und Interessierten begleitet. In zwei Schreibwerkstätten im Frühjahr 2021 entstanden aus den Thesenpapieren die Handlungsempfehlungen, die in einer öffentlichen Onlinekonsultation im Spätsommer 2021 diskutiert, kommentiert und ergänzt wurden. Flankiert wurde die Onlinekonsultation durch fünf digitale Abendveranstaltungen, die verschiedene Themen wie zum Beispiel Citizen Science als Innovation in der Gesundheitsforschung oder die Frage, wie Partizipation in Forschung mit Citizen Science gelingen kann, aufgriffen und diskutierten. Parallel zur Onlinekonsultation konnten Organisationen aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft Positionspapiere einreichen. Das gebündelte Feedback floss in die Texte der Strategie ein.

Was einfach klingt, bedeutet in der Umsetzung eine kleinteilige Abstimmung und Kommunikation. So fanden zum Beispiel insgesamt rund 50 AG-Treffen statt, um die entsprechenden Schritte zu konzipieren, vorzubereiten, durchzuführen und die Ergebnisse dann wiederum zusammenzuführen. Die Arbeit mündete in den Launch der Citizen-Science-Strategie am vergangenen Freitag im Botanischen Garten Berlin. Rund 180 Gäste, darunter viele Autor*innen der Strategie, nahmen an der Veranstaltung teil. Ziel des Events war es, die Citizen-Science-Strategie 2030 vorzustellen und einen aktivierenden Impuls zu geben für die Umsetzung der Handlungsempfehlungen. Darum ging es in einer Podiumsdiskussion sowie an sieben Thementischen, an denen erste Schritte sowie zentrale Akteur*innen für die Umsetzung diskutiert wurden.

Die Bedeutung für die Wissenschaftskommunikation
Wissenschaftskommunikation in Citizen-Science-Projekten ist komplex und erfüllt viele Funktionen. Sie reicht vom Erstellen eines Tutorials für die Datenauswertung über die Konzipierung einer Kampagne für einen Aktionstag bis zur Umsetzung eines Workshops, um ein gemeinsames Projektverständnis zu entwickeln. Unterschätzt wird häufig die soziale Dimension der Kommunikation, die viel persönliches Engagement von den Projektbeteiligten fordert. Gleichzeitig stehen für diese Aufgabe laut Umfrage oftmals keine finanzierten Stellen zur Verfügung, sondern die Arbeit wird auf die meist wenigen Schultern verteilt.

Welche Kommunikationskompetenzen sind in partizipativen Forschungsprojekten notwendig und wie können diese Kompetenzen im Projektteam gestärkt werden? Welche Werte leiten die Kommunikation innerhalb des Projektes, nach außen im Sinne von (dialogischer) Öffentlichkeitsarbeit und in die Wissenschaft hinein? Wie gestaltet sich die Kommunikation entsprechend? Diese Fragen bleiben trotz des großen Schwungs, den Wissenschaftskommunikation und Citizen Science in den letzten Jahren bekommen haben, weiter aktuell. Die Handlungsempfehlungen im Bereich der Synergien mit der Wissenschaftskommunikation greifen diese auf: Neben der besseren Ausstattung mit Mitteln, um diesen Kommunikationsauftrag gut erfüllen zu können, spielt der Aspekt von Wissensaufbau und -weitergabe eine große Rolle. Dabei sind Ressourcen wie Leitfäden sowie Trainings ein wichtiger Bestandteil. Das Gute ist, dass die Citizen-Science-Community nicht bei Null anfangen muss, sondern auf viele Erkenntnisse zurückgreifen kann: aus der Wissenschaftskommunikation, aus der Praxis der vielen Citizen-Science-Projekte sowie auf die langjährigen Erfahrungswerte zur Gestaltung von (Wissenschafts)-Kommunikation in partizipativen Prozessen aus Bereichen wie der transdisziplinären Forschung, politischen Bürger*innenbeteiligung und Freiwilligenmanagement. Auch die aktuellen Entwicklungen in der Wissenschaftskommunikation wie die vermehrte Evaluation von Formaten und entsprechende Tools, die Diskussionen um partizipative Wissenschaftskommunikation und ihre Herausforderungen gerade unter dem Aspekt von Inklusion und das transformative Potenzial von Wissenschaftskommunikation sind Prozesse, die wichtige Erkenntnisse für die Kommunikation in Citizen-Science-Projekten liefern und umgekehrt. Vernetzung und Austausch der Communitys auf der Ebene von Praxis und Begleitforschung sind hier also zentral sowie vor allem die Zusammenführung in praxisorientierte Ressourcen.

Den Empfehlungen Taten folgen lassen
Den Wert von Citizen Science in Bezug auf Teilhabe und demokratischer Wissensproduktion haben die Podiumsgäste beim Launch hervorgehoben. Jetzt heißt es, den „Handlungsauftrag“ anzunehmen und Taten folgen zu lassen. Die Citizen-Science-Strategie 2030 richtet sich an verschiedene Zielgruppen: an politische Entscheidungsträger*innen und Förderer, an die Praktiker*innen im Feld, an die Zivilgesellschaft und an Bildungseinrichtungen. Über alle Strukturen, Bereiche und Ebenen hinweg gibt es Optionen, sich aktiv für die Umsetzung einzusetzen oder als Fürsprecher*in oder Multiplikator*in für bestimmte Empfehlungen aufzutreten. Der vorläufige Schlusspunkt, die Veröffentlichung der Citizen-Science-Strategie 2030, soll damit zu einem neuen Startpunkt werden: für konkrete Handlungen, für die Weiterentwicklung und die Implementierung der Empfehlungen.

Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung unserer Redaktion wider.

*Wissenschaft im Dialog ist einer der drei Träger des Portals Wissenschaftskommunikation.de.


Weitere Beiträge zum Thema

  • Gemeinsam zu einer neuen Partizipationsstrategie“ – Anna Soßdorf, Mitglied der AG „Weißbuch“ und des Lenkungskreises,  spricht im Interview über die Online-Konsultation und den Prozess hin zur Citizen-Science-Strategie 2030.