Foto: Petri Heiskanen

Kurz vorgestellt: Neues aus der Forschung im März 2023

Welche Ereignisse und Bilder erregen auf Twitter besonders viel Aufmerksamkeit für die Klimakrise? Wie bezieht sich Extinction Rebellion auf die Wissenschaft? In der März-Ausgabe des Forschungsrückblicks dreht sich alles um Studien zur Klimawandel-Kommunikation. 

In unserem monatlichen Forschungsrückblick besprechen wir aktuelle Studien zum Thema Wissenschaftskommunikation. Diese Themen erwarten Sie in der aktuellen Ausgabe:

  • Extinction Rebellion fordert, die „Wahrheit“ zu sagen. Was ist damit gemeint und welche Rolle spielt dabei die Wissenschaft? Hamburger Forscherinnen haben Pressemitteilungen der Klimabewegung analysiert und Interviews mit Aktivist*innen geführt.
  • Welche Themen, Ereignisse und Akteur*innen erregen auf Twitter Aufmerksamkeit für den Klimawandel? Das hat ein Forschungsteam aus Hamburg untersucht.
  • Was für Bilder werden auf Twitter zum Thema Klimawandel verwendet? Und welche Rolle spielen Bots? Forscher*innen aus Deutschland, den USA und Schweden haben eine Studie zu visueller Klimawandel-Kommunikation auf der Plattform durchgeführt.
  • In der Rubrik „Mehr Aktuelles aus der Forschung“ geht es unter anderem um Storytelling in der Wissenschaftskommunikation sowie Science-Fiction und Genom-Editierung.

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Extinction Rebellion und die Entpolitisierung des Diskurses

Die 2018 gegründete Klimabewegung Extinction Rebellion (XR) ist für Aktionen des zivilen Ungehorsams bekannt, mit denen sie auf das Massenaussterben von Lebewesen auf der Erde aufmerksam macht. Historisch gesehen beziehen sich Umweltschützer*innen in ihrer Kommunikation stark auf wissenschaftliches Wissen. Wie verhält sich das bei Extinction Rebellion? Ella Karnik Hinks und Simone Rödder von der Universität Hamburg haben am Beispiel von XR United Kingdom untersucht, welche Rolle Wissenschaft in den Narrativen der Bewegung spielt und wie sich das in der Konstruktion von Zukunftsszenarien widerspiegelt.

Methode: Die Forscherinnen kombinieren eine narrative Analyse von Pressemitteilungen mit problemzentrierten Interviews. Narrative Analysen werden genutzt, um die Konstruktion von Sinn bei sozialen Bewegungen zu untersuchen. Narrative können beispielsweise dazu dienen, Begründungen für Engagement und Mobilisierung zu liefern. Untersucht wurden 207 online veröffentlichte Pressemitteilungen von XR United Kingdom aus dem Jahre 2019, in dem die ersten Massenmobilisierungen der Gruppe stattfanden. Dadurch wollten die Forscherinnen Einblicke in deren selbstformulierte Konzepte und Grundsätze bekommen.
Bei der 26. Klimakonferenz der Vereinten Nationen (COP26) im schottischen Glasgow führten die Forscherinnen teilnehmende Beobachtungen bei Aktivitäten wie Demonstrationen, Workshops, Musikveranstaltungen und Podiumsdiskussionen durch. Zusätzlich führten sie Interviews mit 15 Personen, die sich für XR engagierten.

Ergebnisse: Jeweils am Ende der untersuchten Pressemitteilungen stehen drei grundlegende Forderungen von XR. Erstens soll die Regierung „die Wahrheit sagen“, was den ökologischen Notstand betrifft. Zweitens wird das Erreichen von Netto-Null-Emissionen im Jahr 2025 gefordert und drittens soll eine Bürger*innen-Versammlung einberufen werden, die Entscheidungen zur Klimawende trifft. Der Ausdruck „die Wahrheit sagen“ ist ein integraler Bestandteil der Rhetorik von XR. Demnach gibt es eine „Wahrheit“, die die Klimawissenschaft liefert, aber bisher verborgen ist und ignoriert wird. Extinction Rebellion fungiert in dieser Hinsicht als „Wahrheitsverkünder“.
Es gibt in den Pressemitteilungen also einen zentralen Bezug zur Wissenschaft, trotzdem waren explizite Erwähnungen wissenschaftlicher Beweise, Zitate von Wissenschaftler*innen oder Verweise auf den IPCC nur selten darin zu finden. Detaillierten Aufschluss über den Bezug zur Wissenschaft geben Interviews mit XR-Aktivist*innen. Die Forscherinnen kategorisieren die Antworten in drei, zum Teil widersprüchliche Positionen.

  • Wissenschaft als Problemdefinition: Aktivist*innen betonten, dass der Klimawandel real sei und wissenschaftliche Erkenntnisse die Grundlage dafür liefern, Bewusstsein für das Thema zu entwickeln. Wissenschaftler*innen wurden als Einheit dargestellt, die einen Konsens vertritt. In den Pressemitteilungen heißt es, dass Wissenschaftler*innen das Massenaussterben als unvermeidlich ansehen, wenn nicht schnell gehandelt wird. Wissenschaft dient hier als unhinterfragbare Autorität zur Definition des Problems. Trotz der vereinfachten Darstellung zeigten die Aktivist*innen laut der Forscherinnen während der teilnehmenden Beobachtung und der Interviews ein beachtliches Maß an Verständnis für komplexe Aspekte der Klimawissenschaft.
  • Wissenschaft als Problembewältigung: Das Interviewmaterial zeigt, dass sich die Kommunikation häufig auf ein Wissensdefizit-Modell stützt. Demnach wird davon ausgegangen, dass sich politisches Handeln ändern werde, wenn man Stimmen von Wissenschaftler*innen mehr Gewicht verleiht und Faktenwissen vermittelt. Auch wird Hoffnung in die Entwicklung von neuen Technologien gelegt, um Lösungen im Kampf gegen die Klimakrise zu finden.
  • Ambivalenz und Misstrauen gegenüber der Wissenschaft: Der dritte, weniger stark vertretene Standpunkt versteht Wissenschaft als heterogen und komplex. Sie steht mit anderen sozialen und politischen Machtstrukturen in Verbindung. Es wird Misstrauen gegenüber den Motiven von Wissenschaftler*innen geäußert. Außerdem äußerten Aktivist*innen die Befürchtung, dass bei der Suche nach technischen Lösungen Fragen der sozialen Gerechtigkeit vernachlässigt würden.

Die Gespräche mit den Aktivist*innen zeigen die Heterogenität der Gruppe. In Bezug auf Zukunftsszenarien sticht jedoch im Allgemeinen die Verwendung einer apokalyptischen Sprache und die Bedeutung von Deadlines hervor – wie beispielsweise das Ziel, die Kohlenstoffemissionen bis 2025 auf netto null zu reduzieren. Statt auf Produktionsprozesse, Industrien und Infrastrukturen einzugehen, werden laut der Forscherinnen eher auf individueller Ebene Veränderungen angestrebt, wie das viel zitierte Bild von den sich aufopfernden Aktivist*innen zeige.

Die Ergebnisse zeigen, dass XR Wissenschaft und wissenschaftliches Wissen nutzt, um Behauptungen Legitimität zu verleihen und eigenes Handeln zu rechtfertigen.
Durch Begriffe wie Klimakrise und ökologischer Notfall werde ein Gefühl von Dringlichkeit verstärkt. Extreme, apokalyptische Zukunftsvisionen mit Milliarden von Toten werden evoziert. Oft werde das Bild verwendet, dass Menschen schlafwandelnd in die Katastrophe laufen.

Schlussfolgerungen: Die Ergebnisse zeigen, dass XR Wissenschaft und wissenschaftliches Wissen nutzt, um Behauptungen Legitimität zu verleihen und eigenes Handeln zu rechtfertigen. Die Wissenschaft wird als homogener und konsensfähiger Block dargestellt. Die Aktivist*innen von XR verkünden eine Wahrheit, nach der gehandelt werden soll. Extinction Rebellion nutze den Begriff als nicht genau definierte und weit gefasste Forderung, die sich nicht notwendigerweise auf wissenschaftliche Fakten bezieht, sondern auch auf unehrliches Handeln, das Politik und Medien vorgeworfen wird. Die Mehrdeutigkeit ermögliche es, dass der Begriff universell einsetzbar sei – so wie es auch in Verschwörungserzählungen gemacht werde.
Die Argumentation von XR stütze sich auf ein Wissensdefizit-Modell, schreiben die Autorinnen. Demnach führe die Vermittlung des richtigen Wissens dazu, dass Menschen ihr Handeln ändern. Wissenschaft könne nur ein Ausgangspunkt für politische Fragen sein, schreiben die Forscherinnen. In der Erzählung von XR aber werde wissenschaftliches Wissen als oberste Autorität postuliert, die von anderen Strukturen wie der Politik unabhängig ist. Es gibt scheinbar keine andere Option, als die von XR angebotene Wahrheit zu akzeptieren. Politische und moralische Dimensionen würden auf diese Weise unsichtbar gemacht, der Diskurs entpolitisiert. Die Bewegung vertrete ein Selbstverständnis „jenseits der Politik“ und übe keine sinnvolle Kritik am Wirtschaftswachstum und neoliberalen Strukturen, die die Klimapolitik mitbestimmen.

Durch die Rhetorik des „Schlafwandelns“ werde eine Überlegenheitsmentalität gegenüber der Bevölkerung vermittelt.
Bürger*innen würden in dem Narrativ als rationale Wesen behandelt, obwohl auch soziale Strukturen bei der Akzeptanz von Wissen eine Rolle spielten. Durch die Rhetorik des „Schlafwandelns“ werde eine Überlegenheitsmentalität gegenüber der Bevölkerung vermittelt. Die Entpolitisierung des Diskurses in Kombination mit der Bedeutung apokalyptischer Bilder und Deadlines verhindere laut der Forscherinnen die sinnvolle Auseinandersetzung mit Klimagerechtigkeit und die Entwicklung alternativer Zukunftsszenarien. Dadurch könnten Menschen entmutigt werden, sich politisch zu engagieren.

Einschränkungen: Die Forscherinnen haben die Pressemitteilungen eines bestimmten Jahres analysiert. Möglicherweise haben sich der Bezug zur Wissenschaft und die Narrative der offiziellen Kommunikation bisher verändert. Aufschlussreich könnte sein, auch mit Verfasser*innen der Mitteilungen darüber zu sprechen, welche Überlegungen und Strategien hinter der untersuchten Klimawandel-Rhetorik stecken.

Karnik Hinks, E., Rödder, S. (2023) The role of scientific knowledge in Extinction Rebellion’s communication of climate futures. Front. Commun. 8:1007543. https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fcomm.2023.1007543/full

Wie der Klimawandel auf Twitter Aufmerksamkeit erregt

Wie viel Aufmerksamkeit ein Thema im öffentlichen Diskurs bekommt, kann sich auch auf politische Entscheidungen auswirken. Wie sieht das beispielsweise bei Debatten rund um den Klimawandel aus? Hendrik Meyer, Amelia Katelin Peach, Lars Guenther, Hadas Emma Kedar und Michael Brüggemann von der Universität Hamburg haben den Twitter-Diskurs zum Thema untersucht. Sie wollten herausfinden, welche Arten von Themen, Ereignissen, Diskursen und Akteur*innen die Aufmerksamkeit auf Twitter auf den Klimawandel lenken und aufrechterhalten.

Methode: Die Forscher*innen identifizierten im ersten Schritt 25 Spitzentage in den Jahren 2017 bis 2021, an denen die Aktivität auf Twitter zum Thema Klimawandel besonders hoch war. Auf diese Weise wollten sie einen Überblick bekommen, welche Typen von Ereignissen (z. B. Wahlen/Kampagnen, extreme Wetterereignisse, Veröffentlichungen von wissenschaftlichen Berichten) zu Höhepunkten bei der Aufmerksamkeit führten. Außerdem wollten sie herausfinden, welche Themen (z. B. Natur, Politik, Zivilgesellschaft), wertende Diskurse (z. B. Klimawandel als Schwindel, Aufrufe zum Handeln, negative Zukunftsszenarien) und Nutzer*innen an den Spitzentagen am präsentesten waren. Dazu führten sie eine quantitative Inhaltsanalyse der 100 am häufigsten retweeteten Posts pro Spitzentag durch.

Ereignistypen, die am häufigsten an Spitzentagen verhandelt werden, sind nicht unbedingt diejenigen, die insgesamt am meisten Aufmerksamkeit auf Twitter bekommen.
Eine weitere Frage der Forscher*innen lautete, Welche Cluster von Ereignissen, Diskursen und Akteur*innen während der Spitzentage für Aufmerksamkeit sorgten. Um das herauszufinden, führten sie eine automatisierte Netzwerkanalyse von etwa 17.000.000 Posts durch. Anschließend untersuchten sie, wie sich gegensätzliche ideologische Öffentlichkeiten auf Twitter zueinander verhalten. Außerdem führten sie eine Reihe von automatisierten Analysen von Erwähnungen und Retweets durch, um die relevantesten Akteur*innen zu identifizieren.

Ergebnisse: Sieben Arten von Ereignissen scheinen auf Twitter am meisten Aufmerksamkeit auf das Thema Klimawandel zu lenken: 1) Regierungshandeln (z. B. das Weiße Haus löscht Informationen über den Klimawandel von seiner Website), 2) extreme Wetterereignisse (z. B. Buschbrände in Australien), 3) Veröffentlichungen wissenschaftlicher Berichte (z. B. IPCC), 4) Kampagnen/Wahlen, 5) Proteste, 6) Kulturveranstaltungen (z. B. Oscars) und 7) Klimakonferenzen (z. B. COPs). Ab 2018 beziehen sich die meisten Posts an Spitzentagen auf mehrere Ereignistypen. Die Forscher*innen vermuten, dass die Diskurse seitdem vielfältiger geworden sind und häufiger mehrere Ereignisse miteinander verknüpft werden.
Ereignistypen, die am häufigsten an Spitzentagen verhandelt werden, sind nicht unbedingt diejenigen, die insgesamt am meisten Aufmerksamkeit auf Twitter bekommen. Internationale Klimakonferenzen waren beispielsweise relativ selten Auslöser für Aufmerksamkeits-Spitzen, insgesamt aber sind sie im Untersuchungszeitraum das am zweithäufigsten angesprochene Thema in Tweets und Retweets zum Klimawandel. Kampagnen und Wahlen hingegen werden relativ häufig mit Spitzenereignissen in Verbindung gebracht, tauchen aber insgesamt nicht so häufig auf. Gleiches gilt für extreme Wettereignisse.

Bei den Themenfeldern war „nationale Politik“ das präsenteste, danach kamen „Natur“, „Medien“ und „Wissenschaft“. Bei den wertenden Diskursen waren Äußerungen zum Klimawandel, Regierungskritik und Aufrufe zum Handeln gegen die Folgen des Klimawandels am häufigsten. Der größte Teil der Tweets wurde von Politiker*innen und Journalist*innen gepostet. Es zeigt sich, dass potenziell polarisierende Akteure wie Donald Trump häufig in Tweets erwähnt wurden, ihre eigenen Tweets aber bei den diskursiven Höhepunkten keine große Rolle spielen. Andere (politische) Akteur*innen wie Alexandria Ocasio‐Cortez und Bernie Sanders, in deren politischer Agenda der Klimawandel eine Rolle spielt, tauchen weit häufiger auf.

Bei der Analyse von übergreifenden Mustern identifizierten die Forscher*innen sechs Cluster von Diskursen zum Klimawandel, die Aufmerksamkeit erzeugten, darunter 1) „Universelle Aufrufe zur Veränderung“ (19 Prozent der Tweets). Charakterisiert wird das Cluster unter anderem durch Protestereignissen, Handlungsaufforderungen und Verweise auf die Rolle von Unternehmen und Wirtschaftsstrukturen. Im zweiten Cluster „Wissenschaftlicher Ruf nach Veränderung“ (12 Prozent der Tweets) spielen Wissenschaft und wissenschaftliche Akteur*innen eine große Rolle. Posts hängen oft mit der Veröffentlichung wissenschaftlicher Berichte zusammen. Das dritte Cluster „Leugnungsnarrative“ (14 Prozent der Tweets) ist durch das Themenfeld Politik sowie klimaskeptische und leugnende Diskurse geprägt.

Klimawandelleugnung und Falschmeldungen sind in oppositionellen Netzwerken immer noch weit verbreitet – unabhängig von der Art des Ereignisses.
Bei ihren Analysen stellten die Forscher*innen fest, dass verschiedene Twitter-Öffentlichkeiten gegensätzlichen Positionen verstärkten: An den meisten untersuchten Spitzentagen waren die Netzwerkstrukturen polarisiert und trennten sich in eine Mainstream-Debatte und eine relativ kleine Gegenöffentlichkeit, die z.B. den Klimawandel leugnende Inhalte retweetete.

Klimawandelleugnung und Falschmeldungen sind in oppositionellen Netzwerken immer noch weit verbreitet – unabhängig von der Art des Ereignisses. Die Netzwerkanalyse zeigt jedoch, dass die Aufmerksamkeit selten auf Communities mit gegenteiliger Meinung überschwappt. Die Mainstream-Gemeinschaften beziehen sich vorzugsweise auf sich selbst. Die Daten zeigen aber, dass Gegenöffentlichkeiten, in denen der Klimawandel geleugnet wird, häufig mit gegnerischen Communities in Kontakt treten. Eine Ausnahme bilden Aufmerksamkeit-Höhepunkte mit Bezug zur Veröffentlichung wissenschaftlicher Berichte. Dann kommuniziert die Gegenöffentlichkeit bevorzugt mit sich selbst, was laut der Forscher*innen auf den Versuch hindeuten könnte, skeptische Überzeugungen zu bekräftigen, die nicht mit den wissenschaftlichen Beweisen vereinbar sind.

Schlussfolgerungen: Die Ergebnisse stützen laut der Forscher*innen Befunde, dass neuere Klimadebatten stärker politisiert sind und häufig zum Handeln auffordern. Politik ist der relevanteste Bereich der Diskussionen und staatliche Maßnahmen der relevanteste Ereignistyp.

Aufmerksamkeit auf den Klimawandel zeigt sich oft in kurzlebigen Höhepunkten. Dennoch fanden die Forscher*innen auch wiederkehrende diskursive Muster, die über bestimmte Ereignistypen hinausgingen. Es wurde deutlich, dass meist nicht nur ein Thema oder Ereignis die Debatte entzündete. Vielmehr scheinen Kombinationen – zum Beispiel ein Klimagipfel mit Klimaprotesten und der Berichterstattung darüber – Aufmerksamkeitsauslöser zu sein. Generell zeigt sich, dass Aufmerksamkeit für den Klimawandel auf Twitter mit Politisierung und Konflikten assoziiert wird. Negative Zukunftsszenarien, die keine politischen Botschaften oder Handlungsaufforderungen vermittelten, wurden jedoch selten geteilt.

Auch wird deutlich, dass häufig geteilte Inhalte zum Klimawandel nicht gleichmäßig die gesamte Twittersphäre durchdringen, sondern in Strukturen ideologisch gegensätzlicher (Gegen-)Öffentlichkeiten reproduziert werden. Das bedeutet: Auch wenn umstrittene Debatten wie Diskussionen über extreme Wetterereignisse oder politische Entscheidungen die Aufmerksamkeit auf den Klimawandel lenken können, diskutieren dabei verschiedene, zueinander in Opposition stehende Teilöffentlichkeiten nicht unbedingt miteinander.

Die Forscher*innen stellen deshalb die Frage, ob ein Dialog zwischen Andersdenkenden wünschenswert wäre und wie dieser angeregt werden könnte. Bei wissenschaftlichen Veröffentlichungen scheint es beispielsweise viel weniger zum Austausch zu kommen als bei anderen Ereignissen. Zukünftige Forschung könnte sich stärker darauf fokussieren, welche Faktoren den Dialog zwischen den verschiedenen Gruppen unterstützen können.

Einschränkungen: Die Forscher*innen haben nur die Kommunikation auf einer Plattform untersucht, können also nur einen Aspekt und nicht die ganze Bandbreite des Diskurses zum Klimawandel abbilden. Es muss beachtet werden, dass sich nur bestimmte gesellschaftliche Teile in Twitter-Diskursen engagieren.

Meyer, H., Peach, A., Guenther, L., Kedar, H., & Brüggemann, M. (2023) Between Calls for Action and Narratives of Denial: Climate Change Attention Structures on Twitter. Media and Communication, 11(1), 278-292, https://doi.org/10.17645/mac.v11i1.6111

Klimawandel-Bilder auf Twitter

Bilder spielen in der Kommunikation zum Klimawandel eine wichtige Rolle, gerade auf Social-Media-Kanälen. Wie Themen visuell dargestellt werden, kann sich darauf auswirken, wie Menschen ein Thema wahrnehmen und welche Bedeutung sie ihm beimessen. Welche Arten von Bildern auf Twitter mit dem Hashtag #climatechange verwendet werden, haben Angelina Mooseder und Jürgen Pfeffer von der Technischen Universität München zusammen mit Cornelia Brantner von der schwedischen Karlstad University und Rodrigo Zamith von der University of Massachusetts Amherst untersucht. Sie wollten unter anderem wissen, welche Typen von Bildern von welchen Interessengruppen veröffentlicht werden, wie stark Nutzer*innen mit den Tweets interagieren und welche Auswirkungen der Einsatz von Bots hat.

Methode: Die Forscher*innen sammelten alle Tweets mit dem Hashtag #climatechange, die zwischen August 2011 bis Juni 2021 auf Twitter gepostet wurden und ein Bild enthielten. Daraus entstand ein Datensatz mit 2.516.251 Bildern. Zuerst wurden die Bilder bestimmten Kategorien zugeordnet, von denen die Forscher*innen erwarteten, dass sie eine Rolle spielen würden. Außerdem fügten weitere Kategorien hinzu, die häufig auftauchten – beispielsweise „Text/Zitat“. Denn sie stellten fest, dass Textinhalte wie Screenshots von Tweets auf Twitter verbreitet sind. Mithilfe eines künstlichen neuronalen Netzwerkes wurden daraufhin Bildmerkmale identifiziert und die Bilder auf Grundlage dieser Merkmale unterschiedlichen Clustern zugewiesen. Manuell ordneten die Forscher*innen dann die Cluster einer inhaltlichen Kategorie (z. B. „Tiere“) zu und fassten diese dann einem Satz von acht übergeordneten Kategorien zusammen.

Die häufigste Art von Bild war mit großem Abstand die „Visualisierung“ – zum Beispiel Memes, Zitate und Screenshots von Tweets.
Um herauszufinden, welche Akteur*innen am meisten Bilder zum Klimawandel verbreiten, wurden alle Accounts gesammelt, die mehr als 100 mit dem #climatechange verknüpfte Bilder gepostet haben. Die rund 2.000 Konten sortieren die Forscher*innen basierend auf ihrer Profilbeschreibung, ihren neuesten Tweets und Informationen beispielsweise von ihren Websites, verschiedenen Interessengruppen zu: Advocacy-Akteur*innen (z. B. NGOs), Bots (d. h. Konten, die automatisiertes Verhalten zeigen wie das wiederholte Veröffentlichen desselben Tweets), Wirtschafts-Akteur*innen (z. B. Unternehmen), journalistische Akteur*innen, politische Akteur*innen, wissenschaftliche Akteur*innen und Privatpersonen.

Ergebnisse: Die häufigste Art von Bild war mit großem Abstand die „Visualisierung“ – zum Beispiel Memes, Zitate und Screenshots von Tweets. Die zweithäufigste Kategorie waren „Menschen“ (z.B. Prominente und Politiker*innen) und die dritthäufigste „Natur und Tiere“ (z.B. gefährdete Arten und unberührte Umgebungen). Die vierthäufigste Kategorie war „Konferenz/Workshop“. Weniger stark vertreten waren „Technologien“, „Protest“ und „Klimafolgen“. Die Forscher*innen fanden Hinweise darauf, dass Bilder vom Klimawandel auf Twitter in zyklischen Mustern auftauchen – mit Spitzen bei Ereignissen wie der Klimakonferenz der Vereinten Nationen (COP).

Die Ergebnisse zeigen, dass Bilder zu einem wichtigen Medium für die Kommunikation zum Klimawandel geworden sind. Der Anteil der #climatechange-Tweets, die ein Bild enthalten, stieg mit der Einführung der Bildfunktion im Jahr 2011 und blieb seit 2015 relativ stabil. Auch Verwendung von Bildtypen blieb im Laufe der Zeit proportional ziemlich stabil – mit der Ausnahme von „Visualisierungen“, die Mitte 2014 an Bedeutung gewannen und zum häufigste Bildtyp wurden. Anfang 2020 ging die Anzahl an Bildern zum Klimawandel zurück, was darauf hindeutet, dass das Thema möglicherweise durch Covid-19 und den Machtwechsel in den USA verdrängt wurde.

Von den Konten, die Bilder zum Klimawandel posteten, gehörten die meisten Privatpersonen, gefolgt von Interessenvertretern, Wirtschaftsakteur*innen, journalistischen Akteur*innen, wissenschaftlichen Akteur*innen, politischen Akteur*innen, Bots und anderen Akteur*innen. Obwohl Bots nur fünf Prozent der Konten ausmachten, waren sie für 41 Prozent der Bilder in der Stichprobe verantwortlich. Bot-Konten verbreiteten überwiegend Visualisierungen (88 Prozent ihrer Bilder), darunter insbesondere Bilder, die Text und Zitate in Form von Screenshots von Tweets, Zitaten und Memes enthielten. Die Forscher*innen schlussfolgern daraus, dass Bots instrumentalisiert werden, um bestimmte Botschaften zu verbreiten. Auch wissenschaftliche Akteur*innen bevorzugten Visualisierungen, aber am ehesten Grafiken und Diagramme. Journalistische Akteur*innen nutzen am seltensten Visualisierungen. Politische Akteur*innen verbreiteten relativ häufig Bilder von Personen sowie Bilder von „Konferenzen/Workshops“.

Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass die Kommunikation zum Klimawandel auf Social-Media-Plattformen in Zukunft immer mehr von nichtmenschlichen Akteur*innen dominiert werde könnte.
„Protestbilder“ stammten am wahrscheinlichsten von journalistischen Akteur*innen und Advocacy-Akteur*innen. Diese wurden nicht häufig genutzt, führten aber zu den meisten Interaktionen. Im Gegensatz dazu führten Visualisierungen als häufigster Bildtyp meist nur zu geringem Engagement. Der zweithäufigste Bildtyp, „Menschen“, führte zu vielen Interaktionen, während der dritte, „Natur und Tiere“, eine hohe Anzahl von Retweets auslöste.

Schlussfolgerungen: Die Dominanz von Visualisierungen, insbesondere von Zitaten, steht im Gegensatz zu früheren Arbeiten, die Bilder von Folgen des Klimawandels und prominenten Personen als vorherrschend identifiziert haben – zumindest in traditionellen Medien. Hier zeigt sich laut der Forscher*innen einen Unterschied zwischen der Klimawandel-Kommunikation in sozialen Medien und in traditionellen Medien wie etwa Zeitungen. Ein weiterer Unterschied ist, dass sich auf Twitter sehr unterschiedliche Interessengruppen zum Thema äußern, wie die Analyse der Akteur*innen zeigt. Es finden sich jedoch auch Ähnlichkeiten – beispielsweise in den zyklischen Mustern, die das Auftreten von Bildern rund um bedeutsame Ereignissen charakterisieren.

Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass die Kommunikation zum Klimawandel auf Social-Media-Plattformen in Zukunft immer mehr von nichtmenschlichen Akteur*innen dominiert werde könnte, schreiben die Forscher*innen. Einerseits können Bots instrumentalisiert werden, um polarisierende Botschaften zu verbreiten. Die von ihnen am meisten genutzten Bildtypen – „Visualisierungen/Zitate“ – führen zwar nicht zu so vielen Interaktionen wie andere Bildtypen, aber sie sind einfacher zu erstellen und können durch ihr massenhaftes Auftreten von den Beiträgen anderer Akteur*innen wie Wissenschaftler*innen oder Journalist*innen ablenken.

Journalistischen Akteur*innen verbreiten am ehesten Bilder von Menschen und Protesten – und sind damit laut der Forscher*innen möglicherweise diejenigen Akteur*innen, die sich auch auf Twitter am ehesten an eine traditionelle Medienlogik halten. Bemerkenswert sei laut der Forscher*innen, dass „Protestbilder“ die meisten Interaktionen hervorriefen. Frühere Arbeiten zum Thema hätten das in Zweifel gezogen und die Befürchtung geäußert, dass solche Bilder nur bei Menschen gut ankommen, die sich bereits gegen den Klimawandel engagieren. Bei Skeptiker*innen des Klimawandels hingegen könnten sie hingegen Abwehrreaktionen auslösen, so die Befürchtung. Zukünftige Forschung könnte untersuchen, in welchen Communities in welcher Form auf solche Bilder reagiert wird.

Einschränkungen: Die Forscher*innen haben bei ihrer Suche nur einen Hashtag (#climatechange) verwendet. Somit bilden die untersuchten Tweets nicht die gesamten Diskussionen um den Klimawandel ab. Sie stammen wahrscheinlich vor allem von Akteur*innen, die durch die Verwendung des Hashtags eine größere Reichweite anstreben. Bei der Interpretation der Ergebnisse muss auch beachtet werden, dass bei der automatischen Bilderkennung Fehler in der Zuordnung passieren können.

Mooseder, A., Brantner, C., Zamith, R., & Pfeffer, J. (2023). (Social) Media Logics and Visualizing Climate Change: 10 Years of #climatechange Images on Twitter. Social Media + Society, 9(1). https://doi.org/10.1177/20563051231164310

Mehr Aktuelles aus der Forschung

📚 Science-Fiction zeichnet ein lebendiges Bild von Wissenschaft, das die Wahrnehmung neuer Technologien beeinflussen kann – selbst wenn diese fiktionalisiert dargestellt werden. Ein Forschungsteam um April A. Eichmeier von der University of St. Thomas in St. Paul in Minnesota hat untersucht, wie die Aufmerksamkeit für Science-Fiction mit der öffentlichen Meinung über Genom-Editierung beim Menschen (Human Genome Editing) zusammenhängt. Die Ergebnisse einer USA-weiten Umfrage zeigen, dass die Aufmerksamkeit für Science-Fiction positiv mit der Risiko- und Nutzenwahrnehmung der Technologie verbunden ist. Deutlich wird auch, dass bei einer größeren Aufmerksamkeit die Ansichten von Liberalen und Konservativen näher beieinander liegen.

📚 Worauf kommt es beim Storytelling in der Wissenschaftskommunikation an? Masoud Irani und Emma Weitkamp von der University of the West of England in Bristol betonen in einem Essay, dass die Qualität von Geschichten häufig zu wenig Beachtung findet. Sie argumentieren, dass dies ein bedeutsamer Aspekt für alle sein sollte, die im Bereich der Wissenschaftskommunikation mit dem Genre arbeiten wollen, und stellen Kriterien für gut gemachte Kurzgeschichten auf.

📚 In den letzten Jahren wuchs in der öffentlichen Debatte die Besorgnis über visuelle Desinformationen – insbesondere Deepfakes. Um herauszufinden, wie dieser Herausforderung begegnet wird, haben Teresa Weikmann und Sophie Lecheler von der Universität Wien Interviews mit Faktenchecker*innen geführt. Es zeigt sich, dass Deepfakes deren Arbeit bisher nur in begrenztem Maße beeinflussen und eher als zukünftige Herausforderung betrachtet werden. Als problematischer werden falsche und irreführende Bilder sowie aus dem Zusammenhang gerissene Videos begriffen.

📚 Tragen Wissenschaftler*innen zur Verbreitung von Verschwörungsmythen bei, indem sie in Fragebögen verschwörerische Behauptungen reproduzieren? Das haben Scott Clifford und Brian W. Sullivan von der University of Houston in einem Experiment getestet. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Menschen, die in Fragebögen mit verschwörerischen Aussagen konfrontiert werden, diese eine Woche später mit höherer Wahrscheinlichkeit befürworten. Das passiert jedoch nicht, wenn der Fragebogen eine alternative, nicht verschwörerische Deutung anbietet. Die Wissenschaftler empfehlen daher Frageformate, bei den die Teilnehmer*innen zwischen unterschiedlichen Erklärungen wählen können.

📚 Wie kann visuelle Wissenschaftskommunikation in Pandemiezeiten aussehen? Das zeigt die Zusammenarbeit der Mikrobiologin Siouxsie Wiles und des Cartoonisten Toby Morris. Im März 2020 entstand ihr erstes gemeinsames animiertes GIF unter dem Titel „Flatten the Curve“. Inzwischen haben sie mehr als 70 gemeinsame Grafiken entwickelt, von denen viele übersetzt und international verbreitet wurden. In einem Artikel dokumentieren Wiles und Morris mit Rebecca Priestley von der University of Wellington ihre Zusammenarbeit und berichten über Herausforderungen wie die Unsicherheit von Wissen. Anfang Februar 2021 haben sie begonnen, die Grafiken zu datieren und einen Hinweis anzubringen, dass sich der aktuelle Wissensstand ändern kann.

📚 Wie beeinflussen Kommentare von Leser*innen die Wahrnehmung von medizinisch-wissenschaftlichen Nachrichten? Amanda Hinnant und Yoorim Hong von der University of Missouri haben dazu mit Sisi Huh von der University of Arkansas und Rachel Young von der University of Iowa ein Experiment zu einem weniger kontroversen Thema durchgeführt. Es zeigte sich, dass die Kommentare Auswirkungen auf die Wahrnehmung von Relevanz, Unsicherheit und Risiko hatten. Kommentare können einen negativen Einfluss auf die Rezeption von journalistischen Berichten und wissenschaftlichen Themen haben, schlussfolgern die Autor*innen.