Foto: Tine Ivanič

Kommunikations­schranke Elfenbeinturm

Die Wissenschaft und die Forschung haben noch nie in einem Elfenbeinturm gewohnt. Doch die Formulierung und die damit verbundenen evozierten Bilder und Vorstellungen halten sich. Sie führen die Wissenschaft in eine gefährliche Defensivhaltung – doch genau die gilt es zu überwinden. Franz Ossing im Gastkommentar.

Es gibt Sprachhülsen mit extrem hoher Persistenz. Ebenso unausrottbar wie der Begriff „Warnboje“ bei Berichten über Tsunamifrühwarnsysteme ist offenbar das Wort „Elfenbeinturm“, wenn es um Wissenschaft geht. Selbst kritische Geister vermuten diesen Turm in der Realität. „(K)ein Hoch auf den Elfenbeinturm“, bloggt lesenswert Jan Steffen vom FWK18, während der ubiquitäre Josef König ebendort fragte: „Wir haben doch schon Elfenbeintürme abgerissen, warum redet ihr immer noch davon?“ Und Alexander Mäder setzt sich, ebenfalls die Existenz dieses Bauwerks selbstverständlich unterstellend, mit der Forderung von Patrick Imhasly in der NZZ „Forscher, zurück in den Elfenbeinturm!“ auseinander.

Man könnte sich zwar darüber ärgern und dann achselzuckend resignieren, weil diese in die Floskelwolke gehörende Gedankenlosigkeit offenbar auch und gerade von Kolleginnen und Kollegen aus der Wissenschaftskommunikation verwendet wird  ̶  wenn dahinter nicht ein Problem steckte.

„Man könnte sich zwar darüber ärgern und dann achselzuckend resignieren (...), wenn dahinter nicht ein Problem steckte.“ Franz Ossing

Nämlich das Klischee von der sphärisch-überirdischen Unverständlichkeit der Wissenschaft. Natürlich ist wissenschaftliche Forschung nicht unbedingt mit dem Alltagsbewusstsein der meisten Menschen in diesem Land kompatibel. Aber das ist die Tätigkeit eines Logistikverantwortlichen einer großen Kaufhauskette oder die Investitionsplanung der Sparkasse auch nicht; die sind mindestens so unverständlich für Nicht-Fachleute wie die Forschung. Woher kommt also die Besonderheit bei der Wissenschaft? Natürlich aus ihrer Grundlagenfunktion für das Gemeinwesen.

Bisher nur schlechte und verlogene Wissenschaftskommunikation?

Die Unterstellung eines aus Elfenbein geschnitzten Turms als Wohnsitz von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unterstellt hingegen bereits, dass die Bewohnerinnen und Bewohner dieses Gebäudes weltentrückt vor sich hinforschen – wer erinnert sich nicht an das herabminderne Wort von „Orchideenfächern“ an der Uni?

Aus dieser Sichtweise erwächst logischerweise eine Defensivhaltung der Wissenschaft und ihrer Organisationen: Wenn man schon so seltsame Sachen erforscht, dann muss man das doch rechtfertigen? Die Feststellung: „Wir müssen den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern erklären, warum wir Geld erhalten und wofür“, ist ein Ausdruck dieser Haltung und die aktuelle Initiative der Bundesforschungsministerin zur Förderung der Wissenschaftskommunikation geht genau in diese Richtung. Frau Karliczek freue sich auf „ehrliche, gute Wissenschaftskommunikation“ und keiner der Anwesenden fragte unmittelbar zurück, ob sie bzw. ihre Redenschreiberin oder ihr Redenschreiber damit meint, dass wir bisher nur schlechte und verlogene Wissenschaftskommunikation betrieben hätten.

Natürlich ist es eine eigentlich nicht erwähnenswerte ethische Selbstverständlichkeit, dass die Steuerzahlenden erfahren, wofür das Geld in Forschung und Wissenschaft ausgegeben wird. Aber das gilt auch für jede andere staatliche Geldausgabe, nur ist es offenbar bei jeder Ministerialbeamtin und jedem Ministerialbeamten hypnotisch im Hirn verankert, dass das Ministerium das Geld gibt (!) und dass speziell die Wissenschaft sich für die ihr zukommende Wohltat zu rechtfertigen hat. Und es ist wohl ebenso eine Systemkonstante, dass die Verantwortlichen in den großen Wissenschaftsorganisationen sich das bieten lassen.

Raus aus der Defensivhaltung

Die Wissenschaft ist Geldempfänger? Nein, die Wissenschaft liefert tagtäglich in Form von Daten, Observatoriumsleistungen, Beratungstätigkeit, Normen- und Richtlinienerstellung, Ausbildungsvorgaben, Statistiken, …, mehr an (geldwerten) Leistungen in die Gesellschaft, als sie netto erhält. Zu diesem Wissenstransfer in die Gesellschaft addiert sich der in Patenten, Produkten und Verfahren messbare Technologietransfer aus den Forschungseinrichtungen in die Wirtschaft.

Wer also von einem Elfenbeinturm redet oder gar die Rückkehr der Wissenschaft dorthin fordert, übersieht das Faktum, dass Wissenschaft und Forschung dort nie ihren Aufenthaltsort hatten. Seit ihrer Befreiung von höfischen und kirchlichen Fesseln im 17. Jahrhundert, spätestens aber seit der industriellen Revolution sind Wissenschaft und Forschung ein konstitutiver Bestandteil entwicklungsfähiger Gesellschaften. Dazu gehört auch die selbstverständliche Grundhaltung der Wissenschaft, sich nicht (nur) ums Tagesgeschäft zu kümmern, sondern auch grundlegend und nicht anwendungsbezogen nachzudenken und auch dem Zufall sein Feld zu lassen. Das Penicillin und die Entdeckung der Röntgenstrahlung waren Zufallsprodukte und die materiellen Anwendungsmöglichkeiten der Relativitätstheorie ergaben sich erst Jahre nach ihrer Formulierung. Aber ohne sie möchten und könnten wir nicht mehr leben. 

„Das Gerede von einem Elfenbeinturm resultiert aus einer Defensivhaltung, die der Wissenschaft nicht angemessen ist und die es dringend zu überwinden gilt.“ Franz Ossing

Das Gerede von einem Elfenbeinturm resultiert aus einer Defensivhaltung, die der Wissenschaft nicht angemessen ist und die es dringend zu überwinden gilt. Das eigentliche Signal des March for Science 2017 war, dass die Wissenschaft dieses zu begreifen beginnt. Im Kampf gegen populistische Behauptungen ist es ihre Kommunikationsaufgabe, deutlicher die grundlegende Funktion von Forschung und Wissenschaft für die Gesellschaft herauszustellen. Die Wissenschaftskommunikation muss wohl erst noch bei diesem Gedanken ankommen: Eine Diskussion über „Kommunikationsschranken für Forschende“ wiederholt nur die schwatzhaften Provokationen von Marcinkowski von 2014 und ist in einer Welt mit Social Media so richtungsweisend wie Intelligent Design.

 

Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.