Foto: Wissenschaft im Dialog

„Kennenlernen, Ausprobieren und Mitforschen“

Citizen-Science-Projekte nachhaltig in Städten und Kommunen verankern – wie der Wettbewerb „Auf die Plätze! Citizen Science in deiner Stadt“ dies erreichen möchte, verraten die Projektleiterin Florence Mühlenbein und die wissenschaftliche Koordinatorin Julia Lorenz im Interview.

Frau Mühlenbein, letzte Woche startete die Bewerbungsphase für den Wettbewerb „Auf die Plätze! Citizen Science in deiner Stadt“. Worum geht es dabei?

Florence Mühlenbein ist Projektleiterin für „Auf die Plätze! Citizen Science in deiner Stadt“ bei Wissenschaft im Dialog* und war zuvor Projektmanagerin bei „Bürger schaffen Wissen“. Sie hat European Studies mit Schwerpunkt Politik studiert und einen deutsch-türkischen Abschluss an der Viadrina Universität Frankfurt/Oder und der Istanbul Bilgi University. Foto: Michael Siegel/Wissenschaft im Dialog.

Florence Mühlenbein: Mit dem Wettbewerb möchten wir Citizen Science im wahrsten Sinne des Wortes „auf die Plätze!“ bringen. Dazu laden wir lokale Akteur*innen aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft, kommunaler Verwaltung und Wirtschaft ein, Citizen-Science-Ideen einzureichen, die sie in ihrer Stadt oder Kommune beschäftigen und an denen sie gemeinsam mit Bürger*innen vor Ort forschen möchten. Im Fokus stehen dabei partizipative Aktionen zum Mitforschen sowie Ideen für Impulse, die Citizen Science nachhaltig im lokalen Kontext verankern.

Sie geben kein spezielles Thema vor. Warum haben Sie sich für dieses offene Konzept entschieden?

Mühlenbein: Eine Veröffentlichung unserer Kollegin Nicola Moczek, die unter anderem auf einer Umfrage unter den Citizen-Science-Projekten auf der Plattform „Bürger schaffen Wissen“  im Jahr 2020 beruht, zeigte, dass einerseits die Zusammensetzung der Bürgerforscher*innen noch Potential für mehr Diversität hat und  andererseits die naturwissenschaftlichen Citizen-Science-Projekte aktuell noch überwiegen. Mit dem Wettbewerb möchten wir hier noch mehr Offenheit zeigen und alle Fachrichtungen zur Ideeneinreichung einladen. Zudem vermuten wir, dass viele Bürger*innen Citizen Science als Ansatz vielleicht gar nicht kennen.

Julia Lorenz ist wissenschaftliche Koordinatorin im Projekt „Auf die Plätze! Citizen Science in deiner Stadt“ am Museum für Naturkunde Berlin. Zuvor war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt Wissensfluss und wissenschaftliche Koordinatorin bei „Bürger schaffen Wissen“. Die studierte Biologin mit dem Fokus auf urbane Biodiversität engagiert sich für Frauen in der Wissenschaft bei SoapboxScience Berlin. Foto: Privat

Julia Lorenz: Daher wollten wir, dass der Wettbewerb sehr offen ist und sich möglichst viele Menschen angesprochen fühlen. Wir wollen keine Richtungen vorgeben, sondern die Bühne den lokalen Fragestellungen überlassen. Wir wünschen uns, dass Menschen Ideen einreichen, die sie direkt vor ihrer Haustür interessieren. Vielleicht gibt es Themen in der Gemeinde, mit denen sie sich schon lange auseinandersetzen oder sie möchten ein Thema neu ergründen, weil dieses besonders wichtig für sie und ihre Umgebung ist.

Wer hoffen Sie wird sich bewerben?

Mühlenbein: Aus der Umfrage 2020 unter den Citizen-Science-Projekten wissen wir, dass ein Großteil der Projekte von einer Institution alleine ins Leben gerufen wurde und allgemein vor allem Universitäten, Hochschulen sowie Forschungseinrichtungen unter den Akteur*innen vertreten sind. Es gibt aber viel mehr Wissen bei den unterschiedlichsten Akteur*innen vor Ort – sei es bei Freiwilligenagenturen, Vereinen oder bei den Büros für Bürgerbeteiligung. Wir wünschen uns, dass sich mit dem Impuls des Wettbewerbs engagierte Initiativen und Institutionen zusammentun und gemeinsam eine Idee einreichen – und freuen uns hier insbesondere über Akteur*innen, die noch nicht so stark im Bereich Citizen Science vertreten sind. Im besten Fall bringt jede*r Partner*in die eigene Stärke und Wissen mit in die Ideenskizze ein.

Auf die Plätze! Citizen Science in deiner Stadt

Der Wettbewerb wird von Wissenschaft im Dialog* und dem Museum für Naturkunde Berlin in enger Zusammenarbeit mit der Citizen-Science-Plattform „Bürger schaffen Wissen“ umgesetzt. Gefördert wird er vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)**.

Wie kann man sich bewerben?

Mühlenbein: Auf unserer Webseite verlinken wir ein Formular in das Bewerber*innen ihre Ideen eintragen können. Uns ist wichtig, dass die Bewerbung sehr niedrigschwellig möglich ist und in der ersten Bewerbungsphase kein umfangreiches Konzept erforderlich ist. Somit möchten wir auch Akteur*innen motivieren Ideen einzureichen, die vielleicht noch wenig Erfahrung mit Förderanträgen haben. Insgesamt fördern wir mit dem Wettbewerb Ideen aus sechs Städten und Kommunen. Am Ende der ersten Bewerbungsrunde erhalten insgesamt fünf Finalist*innen 5.000 Euro, um ihre Idee zu einem Konzept zu konkretisieren. In einer weiteren Bewerbungsrunde stellen sie dieses Konzept vor. Aus diesen wählt die 13-köpfige Wettbewerbsjury dann die drei Konzepte aus, die wir mit jeweils 50.000 Euro prämieren. Mit dem Preisgeld können die Preisträger*innen, ihre Ideen für und mit den Bürger*innen umsetzen. In 2023 planen wir dann eine weitere Wettbewerbsrunde.

Wie können Bürger*innen zum Mitmachen motiviert werden?

Mühlenbein: Ein wichtiger Aspekt aus meiner Sicht ist das Thema Wertschätzung. Aber das ist auch das, was das Format Citizen Science ausmacht. Es geht nicht darum, dass Bürger*innen geben und die Wissenschaftler*innen nehmen, sondern wir alle haben ein gemeinsames Ziel. Aus Gesprächen mit Projektinitiator*innen und der  Motivationssforschung  wissen wir zudem, dass Leute gerne mitmachen, wenn sie ein Thema interessiert oder sie durch ihr Engagement das Gefühl haben, etwas Sinnstiftendes beitragen zu können. Wir möchten mit dem Wettbewerb erste Berührungspunkte mit Citizen Science schaffen. Bürger*innen müssen dafür nicht an einem ganzen Projekt für längere Zeit teilnehmen, sondern können dieses niederschwellige Angebot zum Kennenlernen, Ausprobieren und Mitforschen nutzen.

„Ein wichtiger Aspekt aus meiner Sicht ist das Thema Wertschätzung." Florence Mühlenbein

Lorenz: Das Schöne bei Citizen-Science-Projekten ist, dass es nicht nur eine Methode gibt. Bürger*innen können entscheiden: Sammle ich Datenpunkte? Tracke ich etwas mit dem Handy? Fotografiere ich etwas? Nehme ich Stimmen oder Geräusche auf? Oder lasse ich mich vielleicht sogar auf ein einen ko-kreativen Prozess mit Wissenschaftler*innen ein, in welchem ich Fragen stelle und richtig in die Forschung eingebunden werde? Diese verschiedenen Level bieten gestalterischen Freiraum. Wichtig ist, die Menschen dabei nicht mit Aufgaben zu überladen. Jede*r sollte für sich selbst entscheiden, wie viel Zeit er oder sie zur Verfügung stellen kann.

Wie unterstützen Sie Personen, die eine Idee für den Wettbewerb einreichen möchten, aber noch nicht viel Erfahrung mit Citizen-Science-Projekten haben?

Mühlenbein:. Durch Bürger Schaffen Wissen im Hintergrund haben wir viele Materialien und Publikationen zum Thema Citizen Science, die wir den Interessierten zur Verfügung stellen können. Zudem begleiten wir die Bewerber*innen telefonisch, via E-Mail und bieten Info-Veranstaltungen sowie digitale Impulse an. Gerne unterstützen wir auch dabei, die richtigen Kooperationspartner*innen zu finden: Dies können Wissenschaftsläden sein, die sich mit dem Thema schon auskennen, oder auch Hochschulen, die bereits Citizen-Science-Projekte umsetzen. Später, wenn die Finalist*innen und Preisträger*innen feststehen, werden wir sie noch engmaschiger, beispielsweise in Form von Vernetzungsworkshops und Trainings, betreuen.

Lorenz: Zudem ist die Citizen-Science-Community stark vernetzt. Nicht nur deutschlandweit, auch auf europäischer Ebene passiert sehr viel. In diesem Rahmen gibt es diverse Fortbildungs- und Weiterbildungsangebote, die wir auch selbst wahrnehmen.

„Wir möchten möglichst viele Menschen außerhalb des akademischen Milieus erreichen." Julia Lorenz

Frau Lorenz, Sie möchten das Projekt wissenschaftlich begleiten. Welche Fragestellungen interessieren Sie?

Lorenz: Wir schauen, wer sich überhaupt bewirbt. Haben sich die Leute beworben, die wir als Zielgruppe definiert haben? Kommen viele Ideen aus der Zivilgesellschaft? Daraus möchten wir für uns eine Strategie entwickeln, wie wir die Zielgruppenansprache in Zukunft am besten umsetzen können. Gut ist, dass wir zwei Bewerbungsrunden haben. So können wir in der ersten Runde schauen, wen wir erreicht haben. Was kriegen wir an Resonanz zurück? Dieses Wissen können wir dann für den Start der zweiten Bewerbungsrunde nutzen und unsere Zielgruppenansprache gegebenenfalls verbessern. Ich hoffe, dass wir so aus den größeren Städten in die kleineren Ortschaften vordringen können. Wir möchten möglichst viele Menschen außerhalb des akademischen Milieus erreichen.

Was wünschen Sie sich, das der Wettbewerb für die Bürger*innenforschung bewirkt?

Lorenz: Ich wünsche mir, dass bekannt wird, dass Citizen Science viele Ebenen hat. Das bedeutet, dass Bürger*innen nicht nur dafür da sind, um Daten zu sammeln. Die Wissenschaft und die Zivilgesellschaft können stark kooperieren und es gibt tolle Ideen aus der Zivilgesellschaft, von denen die Wissenschaft profitieren kann. Dieser gegenseitige Austausch kann auf Ebenen passieren, die nicht festgeschrieben sein müssen.

 

*Wissenschaft im Dialog ist einer der drei Träger des Portals Wissenschaftskommunikation.de.

** Das BMBF ist Förderer des Portals Wissenschaftskommunikation.de