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Im Profil: Sibylle Anderl

Glückliche Zufälle und unruhige Nächte prägten Sibylle Anderls Weg in die Wissenschaftskommunikation. Welchen Herausforderungen sich die promovierte Astrophysikerin nun als Redakteurin bei der FAZ stellt und warum Wissenschaftsjournalismus das Vertrauen in die Wissenschaft stärken kann, erzählt sie im Jobprofil.

Karriereleiter, Karrieresprungbrett oder Karrierekarussell – Wie war Ihr Weg in den Wissenschaftsjournalismus?

 Er war vor allem durch viele glückliche Zufälle geprägt. Ich habe Philosophie und Physik studiert und hatte dabei immer das Ziel, Professorin zu werden — weil ich diesen Beruf damit gleichsetzte, unglaublich viel zu wissen und große Zusammenhänge verstehen zu können. Nach meiner Diplomarbeit im Fach Astrophysik wechselte ich von Berlin zur Promotion nach Bonn. Die konzentrierte, kleinteilige und mit vielen Frustrationen verbundene Arbeit, mit der ich daraufhin meine Zeit verbrachte, machte es mir immer schwerer, mich für meine Forschungsfragen wirklich zu begeistern. 

 2010 war ich als Nachwuchswissenschaftlerin zur Lindauer Nobelpreisträgertagung eingeladen und hatte die recht spontane Eingebung, diese Gelegenheit für eine Initiativbewerbung zu nutzen. Ich schickte einer kleinen Auswahl von Zeitungen das Angebot, vom Bodensee einen Bericht aus Teilnehmersicht zu schreiben. Die FAZ gab mir den Zuschlag und beschäftigte mich danach weiterhin als freie Autorin. Durch das Schreiben gelang es mir relativ unerwartet, meine Begeisterung für mein Fach und meine Forschung wieder zum Leben zu erwecken. Obwohl mein Doktorvater diese Nebenaktivität zunächst mit Sorge sah, war sie für den Erfolg meiner Doktorarbeit als externe Motivationsquelle letztendlich wohl nicht unerheblich. Nach einem Postdoc in Grenoble wollte ich 2017 einen weiteren in München antreten. Zu diesem Zeitpunkt wurde aber eine Redakteursstelle bei der FAZ frei. Die schwierige Entscheidung zwischen der akademischen Karriere und dem Journalismus fiel nach einigen unruhigen Nächten zugunsten der FAZ aus — eine Entscheidung, die ich nie bereut habe, auch weil dieser Beruf genau diesen Wissenshorizont voraussetzt, den ich ursprünglich vor allem im akademischen Kontext vermutet hatte.

Was sind die größten Herausforderungen in Ihrem Job und warum lohnt es sich trotzdem jeden Tag?

Die größten Herausforderungen in meinem Job als Wissenschaftsredakteurin bei der FAZ sind, den Überblick über die aktuellen gesellschaftlichen Fragen mit Wissenschaftsbezug  zu behalten und gleichzeitig auch über die Entwicklungen in der Forschung auf dem Laufenden zu sein. Aus Beidem muss das wirklich Relevante ausgewählt und auf die richtige Art kommuniziert werden. Dabei gilt es, dass den Leser*innen genau das richtige Maß an Komplexität zwischen Verständlichkeit und fachlicher Korrektheit zugemutet wird. In einer Tageszeitung muss all dies zudem jeden Tag unter großem Zeitdruck geschehen. 

Wie wichtig all das ist, hat sich spätestens in der Pandemie gezeigt: Für das Funktionieren der Demokratie ist es eine wichtige und relevante Aufgabe, der Öffentlichkeit — wo nötig auch mit der nötigen kritischen Distanz zum Forschungsbetrieb — das Wissen verfügbar zu machen, das sie braucht, um aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen zutreffend beurteilen zu können. Dazu gehört auch die Vermittlung der Funktionsweisen der Wissenschaft: Wie gehen Forscher vor, wenn sie bestimmte Fragen beantworten wollen? Welche Annahmen gehen dabei ein, wo stecken Unsicherheiten, wie werden diese Unsicherheiten beherrschbar gemacht? Die Wichtigkeit dieser Aufgabe ist bereits eine große Motivation. Dazu kommt, dass man in diesem Beruf jeden Tag Neues lernt und man außerdem sehr kurzfristig etwas bewirken kann. Im besten Fall ein Nachdenken beim Leser.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft des Wissenschaftsjournalismus?

Ich wünsche mir, dass der Wissenschaftsjournalismus weiterhin möglichst viele Menschen erreicht. Die Pandemie ist dabei einerseits eine große Chance, denn sie hat der Wissenschaft große Sichtbarkeit verliehen. Die Wichtigkeit ihrer zielgruppengerechten und fachlich kompetenten Kommunikation wird mehr denn je gesehen. Gleichzeitig ist die Herausforderung groß, denn in gewissen Gesellschaftsgruppen ist, wohl auch als Nebeneffekt einer zunehmenden Elitenskepsis, eine wachsende Skepsis gegenüber der Wissenschaft zu beobachten. 

Der Wissenschaftsjournalismus kann Vertrauen in die Wissenschaft dadurch stärken, indem er — je nach Zielgruppe — Methodik erklärt, also vermittelt, warum die Wissenschaft eine so erfolgreiche Methode zur Erzeugung zuverlässigen Wissens ist. Ich wünsche mir, dass dieses Verständnis wissenschaftlichen Denkens und Vorgehens durch einen sorgfältigen Wissenschaftsjournalismus weiterhin und vielleicht sogar in noch stärkerem Maße als bisher breit vermittelt werden kann — ich wünsche mir aber auch, dass es selbst angewendet wird: Das bedeutet unter anderem, dass man sich selbst immer wieder kritisch hinterfragt: An welchen Stellen lasse ich mich von eigenen Voreinstellungen beeinflussen? Gibt es Fragen, die ich leichtfertig für ungerechtfertigt halte? Wo liegen die eigenen Bias-Probleme? Gerade für den Wissenschaftsjournalismus ist es meiner Meinung nach wichtig, sich immer kritisch auf eigene Eitelkeiten und Vorurteile zu überprüfen.

Bonusfrage: Ihre wichtigsten Tipps für den Wechsel von Forschung in die Wisskomm sind…?

 Mir hat es sehr geholfen, zunächst mit dem Bloggen zu beginnen. Dadurch habe ich ein erstes Gefühl dafür bekommen, welche Texte und Themen bei den Leser*innen wie ankommen. Den passenden Komplexitätsgrad habe ich lange anhand meiner Eltern geprüft, die als Leser*innen einerseits motiviert sind, aber andererseits zu meinen Themen nicht sehr viel Vorwissen besitzen. Wenn man aus der Wissenschaft kommt, neigt man vielleicht dazu, sich in fachliche Details zu verlieben, die letztendlich aber irrelevant für den Artikel sind. Hier ist es wichtig, immer wieder distanziert auf den Text zu schauen und sich zu überlegen, welche Message, will ich wie transportieren? Gegebenenfalls müssen kurzzeitig lieb gewonnene Textteile schnell wieder losgelassen werden. Dazu gehört auch, zu lernen, bewusst Dinge deutlich zu vereinfachen, ohne Angst zu haben, dass einem das als fehlende Kompetenz ausgelegt werden könnte. Meistens neigt man dazu, die Leser*innen in ihrem Vorwissen zu überschätzen. Außerdem musste ich erst lernen, dass es tatsächlich Situationen gibt, in denen Wissenschaftsjournalist*innen besser einschätzen können, welcher Titel und welcher Teaser die richtige Balance aus Korrektheit und Leser*innenansprache treffen. Manchmal sind Verkürzungen in Ordnung, und die Welt geht nicht gleich unter, wenn eine Überschrift den korrekten Fachterminus zugunsten einer flapsigen Umschreibung vermeidet. In der Forschung ist es wichtig, dass alles überall möglichst präzise und korrekt ist. Im Wissenschaftsjournalismus ist das zwar auch ein Ideal — aber man darf die Leser*innen dabei nicht verlieren.


Foto: B.Hoffmann

Sibylle Anderl absolvierte ein Doppelstudium in den Fächern Physik und Philosophie und promovierte in der Astrophysik. Sie forschte zu Fragen der Sternentstehung sowie zu Themen der Wissenschaftsphilosophie. Seit 2017 ist sie Wissenschaftsredakteurin im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Im Hanser Verlag erschien 2017 ihr populärwissenschaftliches Sachbuch “Das Universum und ich: Die Philosophie der Astrophysik”. Seit 2021 ist sie Mitherausgeberin der Kulturzeitschrift Kursbuch. Zudem moderiert sie auf ARD-alpha verschiedene Wissensformate.