Foto: Jess Watters, CC0

„Ich finde es sehr sinnvoll, mich in Debatten einzumischen“

Die Doktorandin Jennifer Lambrecht bloggt über Erziehungswissenschaften, Philosophie und Forschungsmethoden. Dafür wurde sie mit dem pearls-Preis für Wissenschaftskommunikation des Potsdam Research Networks ausgezeichnet. Ein Gespräch über Anerkennung unter Kollegen und den Sinn und Zweck, Wissenschaft zu kommunizieren.

Frau Lambrecht, Sie haben gerade als Erste den neuen pearls-Preis für Wissenschaftskommunikation des Potsdam Research Networks erhalten. Was bedeutet Ihnen das?

Für mich ist es eine schöne Art der formalen Anerkennung im Wissenschaftsbereich. Wenn man im Internet einen Blog betreibt, schreibt man zwar, bekommt dafür aber recht wenig direktes Feedback. Dass ich jetzt diesen Preis bekommen habe, zeigt mir aber, dass meine Arbeit gesehen wird und vielleicht doch besser mit meinem wissenschaftlichen Ich zu vereinbaren ist, als ich bisher angenommen hatte.

Das klingt, als hätten Sie zunächst bezweifelt, dass Ihre Forschungstätigkeit und das Bloggen zusammenpassen. Weshalb?

<b>Jennifer Lambrecht</b> ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am <a href="https://www.uni-potsdam.de/de/psych-grundschulpaed/mitarbeiter-innen/jennifer-lambrecht.html" target="_blank">Lehrstuhl für psychologische Grundschulpädagogik der Universität Potsdam</a>. Sie bloggt unter dem Titel <a href="https://elfenbeinhochhaus.wordpress.com/" target="_blank" rel="noopener"><br /> Essays aus dem Elfenbeinhochhaus</a> über Erziehungswissenschaften, Philosophie und Forschungsmethoden.
Jennifer Lambrecht ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für psychologische Grundschulpädagogik der Universität Potsdam. Sie bloggt unter dem Titel
Essays aus dem Elfenbeinhochhaus
über Erziehungswissenschaften, Philosophie und Forschungsmethoden.

Ein wenig, ja. Deshalb habe ich den Blog auch anonym gestartet, weil mir nicht so klar war, wie die wissenschaftliche Community darauf reagieren würde. Ich muss ja – um die Artikel interessant zu machen –  sehr von den wissenschaftlichen Formalia abweichen, Dinge vereinfachen, manchmal polemisieren oder einen Standpunkt beziehen. Das scheint mir in der sozialwissenschaftlichen Forschung nicht unbedingt gerne gesehen.

Warum?

Gerade beim Thema Inklusion höre ich immer wieder, dass die Forschung möglichst neutral sein sollte. Dementsprechend mischt man sich auch nicht in Debatten ein.

Was hat sie motiviert, trotzdem im Blog über die Inklusionsforschung zu schreiben?

Ich finde es sehr sinnvoll, mich als Wissenschaftlerin in Debatten einzumischen. Ich habe das Gefühl, dass die Diskussion um Inklusion oft sehr emotional geführt wird. Fast alle haben eine Meinung dazu und fast alle glauben auch, mitreden zu können, weil sie mal in der Schule waren. Aus wissenschaftlicher Sicht sind aber ganz andere Aspekte wichtig als die, die in den Medien groß diskutiert werden. Deshalb denke ich, dass die Wissenschaft sich dazu äußern muss.

Können Sie hier ein Beispiel nennen?

Man findet in Zeitungsartikeln oft den Aufhänger, dass sich ein Kind in der Klasse daneben benommen hat und die Lehrer damit überfordert sind. Das Fazit ist dann häufig: Inklusion ist zum Scheitern verurteilt. Aus wissenschaftlicher Sicht ist aber viel interessanter, wie Inklusion umgesetzt wird, was mögliche Schwierigkeiten sind und wie man diesen begegnen könnte. Oder anders ausgedrückt: Das einzelne Kind ist gar nicht so relevant für das Prinzip Inklusion, interessanter ist die Art und Weise, wie verschiedene Faktoren, zum Beispiel das Klassenklima und die Einstellungen der Lehrkräfte zusammenwirken. Ich würde mir daher eine unaufgeregte und weniger pauschalisierende Debatte wünschen, die sich weniger auf Einzelschicksale fokussiert. Es ist ja auch für die porträtierten Kinder nicht schön, dass sie ein Aufhänger für so eine Geschichte werden. Da würde ich mir von Journalistinnen und Journalisten einen eher systemisch-politischen Blick wünschen.

Wie kann man so etwas erreichen?

Ein wichtiger Schritt wäre es, wenn bei den Geschichten berücksichtigt würde, dass es sich bei dem Thema Inklusion um ein wissenschaftlich bearbeitetes Feld handelt. Journalisten sollten sich dementsprechend für die Berichterstattung eine Fachmeinung einholen.

In anderen Forschungsbereichen ist das normal. Wenn es einen Bericht über die Mission der ISS geben soll, holt der Autor oder die Autorin sich einen Experten dazu. Hier wird ja auch nicht die Familie des Astronauten um Einschätzung gebeten, ob die Mission gelingen kann und wie. Wenn man hier ansetzt, wären wir einen Schritt weiter.

Sie sagen, sie wollen sich aktiv einmischen. Reagieren Sie entsprechend in Ihrem Blog auf aktuelle Berichterstattungen?

Ja, zum Beispiel hat der Spiegel über eine große Längsschnittstudie der Universität Bielefeld zu Kindern in inklusiven und exklusiven Lernsettings1 berichtet. Die Schlagzeile war dabei: „Kinder lernen an Förderschulen genauso gut wie an Regelschulen”. Wenn man dann in die Studie reinguckt, stellt man aber fest, dass das gar nicht die Kernaussage der Studie ist. Damit habe ich mich dann in einem Blogbeitrag beschäftigt.

Wen möchten Sie mit Ihren Blogbeiträgen erreichen?

In diesem Fall gerne die Journalisten, die sich mit dem Thema beschäftigen. Oder auch Personen, die die entsprechenden Artikel lesen. Ich möchte ihnen zeigen, dass es dazu auch eine andere Sichtweise gibt. Das ist aber sehr schwierig. Eine weitere Zielgruppe sind Studierende oder auch generell am Bildungssystem oder auch an Forschung interessierte Menschen. Das ist nämlich mein zweites großes Thema: Wie funktioniert eigentlich Forschung, welche Qualitätsmerkmale muss sie haben und wie kommen wir hier an unsere Ergebnisse.

Können Sie nachvollziehen, wer und wie viele Personen Ihren Blog dann lesen?

Nicht so wirklich. Ich weiß zwar, wie viele Personen am Tag einen Beitrag anklicken und da kommen dann auch immer mal ein paar mehr Klicks, wenn ich etwas Neues veröffentlicht habe. Aber wer das ist, weiß ich nicht.

Bekommen Sie Feedback aus dem Kollegenkreis?

Bevor ich den Preis bekommen habe eher nicht. Aber in dem Rahmen haben mir einige dazu gratuliert und sich auch mit mir darüber gefreut. Von einer Kollegin weiß ich, dass sie manchmal meine Beiträge auf Twitter liked und teilt.

In Ihrer Blogbeschreibung schreiben Sie: „Von den knall-puff-peng-Wissenschaften hört man auch außerhalb der Hochschule.“ Was meinen Sie damit genau?

Das ist meine provokativ-neidische, aber liebevoll gemeinte Bezeichnung für die Naturwissenschaften. Irgendwie ist da für jeden klar, dass das eine Wissenschaft ist, dass wissenschaftliche Methoden angewendet werden und dass es Forscherinnen und Forscher gibt, die sich mit diesen Phänomenen auseinandersetzen. Auch die Ergebnisse werden in den Medien stärker aufbereitet, als das zum Beispiel bei der Schulforschung der Fall ist. Schulthemen werden eben eher aus einem Alltagsverständnis heraus interpretiert und selten auf einer wissenschaftlichen Ebene. Ich habe noch nie ein Wissenschaftsformat im Fernsehen gesehen, in dem es mal um eine Bildungsforscherin ging. Da sind die Sozialwissenschaften oft unterrepräsentiert. Die Naturwissenschaften sind aber auch unheimlich spannend, keine Frage. Während es hier eben auch mal knallt, haben wir meistens nur Texte.

Aber in den Forschungsmethoden gibt es große Überschneidungen. Wenn zum Beispiel in den PISA-Studien vom Zusammenhang zwischen Herkunft und Bildungserfolg berichtet wird, dann liegen dieser Aussage ähnlich komplexe statistische Modelle zu Grunde wie Erkenntnissen aus den Naturwissenschaften.

Was wünschen Sie sich hier von der Öffentlichkeitsarbeit für den Bereich der Sozialwissenschaften?

Dass es eine gibt! Sowohl an der Uni als auch in unserem Fachbereich passiert da einfach nicht so viel.