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„Gemeinsam mit allen Interessierten Geschichte machen“

Der Verein „Open History e. V.“ setzt sich „für eine aktive und öffentliche Geschichtswissenschaft“ ein. Wie dies in der Praxis aussieht und welche vielseitigen Projekte – online wie offline – der Verein dazu realisiert, erzählt die Vereinsvorsitzende Karoline Döring im Interview.

Frau Döring, was ist der Open History e.V.?

Der Verein heißt mit vollem Namen eigentlich „Open History e.V. – Verein für eine aktive und öffentliche Geschichtswissenschaft“ und wurde 2015 in Bonn gegründet. Er ist gemeinnützig und einer der zahlreichen Geschichtsvereine in Deutschland. Vertreten wird er durch den Vorstand, der aus sechs gewählten Mitgliedern besteht. Es ist ein sehr schöner Umstand, dass ich seit der Gründung den Vorsitz führen darf.

Vor welchem Hintergrund wurde der Verein gegründet?

Karoline Döring hat Mittelalterliche, Neuere und Neueste Geschichte und Englische Literaturwissenschaft an der LMU München studiert und 2012 in Mittelalterlicher, Neuerer und Neuester Geschichte promoviert. Es folgten mehrere Lehr- und Forschungstätigkeiten, u. a. am Centro Tedesco di Studi Veneziani in Venedig, an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck sowie der Humboldt-Universität zu Berlin. Seit Oktober 2018 ist sie wissenschaftliche Koordinatorin des DFG-Projekts „AMAD – Archivum Medii Aevi Digitale. Mediävistisches Fachrepositorium und Wissenschaftsblog“ an der LMU München. Sie ist Vorsitzende des Vereins „Open History e. V.“ und Mitbegründerin des Blogs „Mittelalter. Interdisziplinäre Forschung und Rezeptionsgeschichte“ Foto: Marit Kleinmanns.

Wir wollten das Barcampformat ausprobieren, weil wir alle ermüdet waren von unseren Fachkonferenzen. Mein Initialerlebnis war das „StARTcamp“, ein Barcamp für Kunst, Kultur und Wissenschaft in München. Mir gefiel das aktive, partizipative Element und ich habe mir vorgestellt, wie das bei Historikern und Historikerinnen, die traditionelle Konferenzen gewöhnt waren, ankäme.1

Schnell wurde klar, dass nicht nur ich ein Barcamp für Geschichte ausprobieren wollte. Damit unsere Gruppe als Veranstalter und Veranstalterinnen des „histocamps“ auftreten konnten, brauchten wir eine Rechtsform und so war die Idee der Vereinsgründung geboren.2 Währenddessen lief schon die ganze Zeit die Organisation des ersten „histocamps“. Viel wurde improvisiert, mit heißer Nadel gestrickt, ausprobiert, verworfen. Es war chaotisch, aber auch befreiend und schön, weil alle so begeistert mitmachten. Dass wir als Verein Ziele, einen Zweck und Strukturen brauchten, war uns klar, aber dafür war erst einmal gar keine Zeit. „histocamp“ stand im Vordergrund und band alle Kräfte.

In unserer Satzung haben wir formuliert: „Zweck des Vereins ist die Förderung der historischen Wissenschaften und deren offene Vermittlung sowie die Vernetzung von Wissenschaftler*innen und historisch Interessierten.“ Diese Offenheit ist uns sehr wichtig und wir verfolgen unseren Satzungszweck, indem wir Veranstaltungen und Projekte zu Themen der Geschichtswissenschaft für Leute durchführen, die aus möglichst vielen unterschiedlichen Bereichen – Schulen, Museen, Archive, Bibliotheken, Universitäten, Geschichtsvereine und so weiter – zusammenkommen.

Wer sind die Mitglieder des Vereins?

Wir haben erst kürzlich unser 100. Mitglied gewonnen und sind demnach ein noch kleiner Verein. Die Mitglieder kommen aus allen Teilen Deutschlands, manche sogar aus der Schweiz. Viele der ca. 30 aktiven Mitglieder haben einen akademischen Hintergrund. Für sie ist das Engagement im Verein eine Alternative zur Arbeit in der klassischen Geschichtswissenschaft und Geschichtsarbeit. Sie arbeiten gerne und meist ehrenamtlich mit. Die Mehrheit der Mitglieder sind passive Mitglieder, die unser Anliegen gut finden und uns daher mit dem Mitgliedsbeitrag unterstützen. Eine kleinere Gruppe ist „halbaktiv“. Sie beteiligt sich in unregelmäßigen Abständen an ausgewählten Diskussionen und Themen im Verein, gestaltet aber nicht aktiv die Vereinsbelange.

„Wir wollen gemeinsam mit allen Interessierten Geschichte machen – egal aus welcher Statusgruppe, mit welchem beruflichen Hintergrund, mit welchen Themen die Leute zu uns kommen.“ Karoline Döring
Früher war übrigens noch öfter die Rede davon, dass der Verein für diejenigen ist, die „Geschichte von unten“ machen wollen, aber das hören wir nicht mehr gern, denn das zementiert Hierarchien und lässt uns wie Rebellinnen und Rebellen aussehen. Das wollen wir aber gar nicht sein. Wir wollen vielmehr gemeinsam mit allen Interessierten Geschichte machen – egal aus welcher Statusgruppe, mit welchem beruflichen Hintergrund, mit welchen Themen die Leute zu uns kommen.

Wie arbeitet der Verein? Welche Projekte gibt es?

Der Verein ist gemeinnützig tätig und wir haben eine ganz traditionelle Vereinsstruktur mit einem Vorstand. Es gibt regelmäßige Mitgliedervollversammlungen und Mitgliederinformationen. Der Vorstand ist ehrenamtlich tätig, genau wie die „histocamp“-Organisatoren und -Organisatorinnen.

Als dezentraler Verein nutzen wir für den Austausch die Kommunikationsplattform „Slack“. Darüber diskutieren wir Ideen, informieren über Vereinsbelange, organisieren das „histocamp“, planen andere Projekte. Wir sehen uns selten persönlich, sehr viel läuft bei uns über digitale Kanäle. Ich „spreche“ auf ihnen mit den aktiven Vereinskollegen und -kolleginnen häufiger als mit meinem Freundeskreis oder den Arbeitskollegen und -kolleginnen, wie mir erst letztens aufgefallen ist.

Aktuell verfolgen wir drei Projekte: „histocamp“, „schnupperhistocamp“ und „GeschichtsCheck“. Das „histocamp“ fand von 2015 bis 2017 jedes Jahr statt. 2018 haben wir es als kleiner Verein, dessen Arbeit in der Hauptsache von Ehrenamtlichen getragen wird, einfach nicht mehr stemmen können. Stattdessen haben wir zum ersten Mal das organisatorisch und finanziell besser zu bewältigende „schnupperhistocamp“ auf dem „Historiker*innentag“ in Münster angeboten. Das war eigentlich ein Kompromiss. Wir fanden auch die Idee reizvoll, einer unserer Zielgruppen, nämlich den universitären Historikern und Historikerinnen, ein Reinschnuppern in das Format zu ermöglichen. Das „schnupperhistocamp“ fand nur an einem Nachmittag statt und hing an der Gesamtorganisation des „Historiker*innentags“, enthielt aber alle „histocamp“-Elemente. Am Ende war es so erfolgreich, dass wir beschlossen haben, das Format häufiger anzubieten. 2020 konnten wir uns dazu erneut mit dem Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands zusammentun, so dass das „schnupperhistocamp“ 2020 wieder beim „Historiker*innentag“ in München stattfinden wird. 2021 wird es wieder das „echte“ „histocamp“ geben.

Im Sommer 2016 hatten wir uns außerdem mit dem Projekt „GeschichtsCheck. Historiker*innen gegen Hassrede“ auf eine Ausschreibung der Bundeszentrale für politische Bildung beworben und eine Förderung bewilligt bekommen, mit der ein Projektteam einen digitalen Werkzeugkasten erarbeiten und Workshops an Schulen und anderen Bildungs- und Kultureinrichtungen abhalten konnte.

An wen richtet sich das „histocamp“ und wie muss ich mir ein Geschichts-Barcamp vorstellen?

„Das „histocamp“ richtet sich an alle, die Geschichte begeistert. Alle Epochen und Themen sind willkommen.“ Karoline Döring
Das „histocamp“ richtet sich an alle, die Geschichte begeistert. Alle Epochen und Themen sind willkommen.3
Im Ablauf ist es ein Barcamp mit ein paar Besonderheiten. Wir beginnen üblicherweise mit der Vorstellungsrunde, in der sich alle in drei Hashtags selbst beschreiben. 2017 hatten wir diesen Anfang mit der Twitteraktion #histodings vorbereitet, bei der man ein historisches „Lieblingsdings“ fotografieren und posten sollte. Die Fotos haben wir ausgedruckt und aufgehängt. Manche hatten ihr #histodings sogar dabei und es gab viel Gesprächsstoff, um sich unkompliziert kennenzulernen. Nach der Vorstellungsrunde geht es in die Sessionplanung, in der das Programm von allen gemeinsam zusammengestellt wird. Wer eine Session anbieten will, muss das Thema in circa zwei Minuten pitchen. Das Publikum stimmt dann darüber ab, ob die Session stattfinden soll und wir erstellen das Programm. Anschließend gehen alle dorthin, wo sie möchten. Innerhalb der Sessions sind die Präsentationsformen ganz unterschiedlich – Stuhlkreis, Workshop, Impulsreferat, Arbeitsgruppe – es ist alles möglich. Nur abgelesene Manuskripte und Frontalvorträge wollen wir nicht. Das „histocamp“ soll eine Alternative zu den klassischen geschichtswissenschaftlichen Konferenzen sein. Das #histobingo, das beim ersten „histocamp“ als Session angeboten wurde, hat sich mittlerweile als traditioneller Abschluss etabliert. Das macht sehr viel Spaß und wir gehen mit guter Laune in die Feedbackrunde. Begleitet wird das „histocamp“ außerdem auf verschiedenen Social-Media-Kanälen, um auch eine digitale Partizipation zu ermöglichen.

Das Barcamp fand dieses Jahr gerade erst zum vierten Mal statt. Wie ist es gelaufen?

Wir konnten dieses Jahr die Öffentlichkeitsarbeit auf ein noch professionelleres Niveau heben und auch die Teams, die sich um das Sponsoring und die Kooperationen gekümmert haben, haben sehr erfolgreich gearbeitet. Der Ticketverkauf war dieses Jahr phänomenal. Wir waren das erste Mal ausverkauft und das in kürzester Zeit. Wir haben sogar eine Warteliste aufgemacht, weil wir nicht mehr als 200 Teilnehmende mit Tickets versorgen konnten. Am Ende haben 183 Leute in Berlin gecampt und ich habe die gute und produktive Stimmung über Twitter verfolgen können, da ich dieses Jahr leider nicht vor Ort sein konnte.

Gemeinsames arbeiten auf dem „histocamp“. Foto: Marit Kleinmanns

Welche Themen wurden bearbeitet?

Gerade arbeiten wir an der Nachbereitung. Mir scheint, dass dieses Jahr die Zeitgeschichte sehr stark vertreten war. Und scheinbar waren Podcasts „a thing“. Beides fiel mir besonders auf, weil wir bisher oft auch viele Mittelalterthemen und Mittelalterinteressierte dabei hatten, von denen ich dieses Mal nichts mitbekommen habe und weil 2015 ein Teilnehmer ein Podcast-Studio angeboten hatte, das damals ein eher trauriges Dasein fristete.

Spielen denn innerhalb des Vereins bestimmte Themen oder Epochen eine besonders hervorgehobene Rolle?

Der Verein ist offen für alle Themen und Epochen. Viele der Mitglieder, die ich persönlich kenne, haben einen zeitgeschichtlichen Schwerpunkt und widmen sich aktuellen Geschichts- und Politikthemen. Es ist daher nicht verwunderlich für mich gewesen, dass „GeschichtsCheck“ unser erstes Projekt neben dem „histocamp“ wurde. Etwas spärlich besetzt ist die Alte Geschichte, glaube ich. Das Mittelalter ist dagegen sogar im Vorstand durch Johannes Waldschütz und mich vertreten. In „Slack“ diskutieren wir viele verschiedene tagespolitische und geschichtliche Themen. Auch das „histocamp“ ist jedes Mal eine Wundertüte an Themen. Ich finde es sehr wichtig, dass wir gerade nicht besonderen Themen oder Epochen einen Vorrang einräumen, sondern sich die Diskussionen, Veranstaltungen, Projekte aus den verschiedenen Interessen der Mitglieder heraus entwickeln.

Das „histocamp“-Team von Open History bedankt sich für ein gut gelaufenes Barcamp 2019. Foto: Marit Kleinmanns und Nora Hespers

Teil Ihrer Vereinssatzung ist auch Wissenschaftskommunikation, doch wie ist es um externe Kommunikation in der Geschichtswissenschaft allgemein Ihrer Meinung nach bestellt?

Beim Thema Wissenschaftskommunikation in der Geschichtswissenschaft ist noch viel Luft nach oben, finde ich. Auf de.hypotheses, dem Blogportal für die deutschsprachigen Geistes- und Sozialwissenschaften, werden zwar mittlerweile viele geschichtswissenschaftliche Blogs betrieben, darunter „Mittelalter, Interdisziplinäre Forschung und Rezeptionsgeschichte“, dessen Mitgründerin ich bin. Auch auf Twitter tauschen sich immer mehr Kollegen und Kolleginnen aus, aber es bestehen immer noch große Vorbehalte gegenüber neuen Formen und Medien der Wissenschaftskommunikation. Gerade hat das BMBF Pläne vorgestellt, zukünftig Wissenschaftskommunikation besser zu fördern. Nicht bei allen Forschenden kommt das gut an. Ich glaube, die neue Vielfalt an Medien – Blogs, Twitter, Facebook, Youtube – wird nicht unbedingt von allen als Chance begriffen, die eigene Forschung auf eine andere, niederschwelligere und auch selbstbestimmtere Weise zu kommunizieren, sondern verunsichert viele Forschende. Die traditionellen Wege über Wissenschaftsverlage, Tagungsbesuche und Presseabteilungen sind bekannt. Eine wissenschaftliche Publikation herauszubringen, einen Vortrag zu halten oder die Presseabteilung über eigene Projekte zu informieren, gehört für viele zum Arbeitsalltag und sie bekommen entsprechende Unterstützung von Dienstleistern und Stabsstellen. Hohe Arbeitsbelastung, technische Berührungsängste und fachliche Konventionen führen dazu, dass die neuen Wege der Wissenschaftskommunikation als Zeitfresser ohne klaren Nutzen angesehen werden.

„Die neue Vielfalt an Medien wird nicht von allen als Chance begriffen.“ Karoline Döring

Mir gefällt es deswegen besonders gut, dass unseren Mitgliedern die neuen Formen der Wissenschaftskommunikation sehr wichtig sind. Da fühle ich mich unter Gleichgesinnten, was mich sehr motiviert, mich für den Verein zu engagieren! Unsere Veranstaltungen sind Formen von Wissenschaftskommunikation und mit unseren Projekten arbeiten wir an der Schnittstelle von Wissenschaft und Öffentlichkeit, genau wie es unser Satzungszweck vorsieht. Viele unserer Mitglieder widmen sich beruflich der Wissenschaftskommunikation oder bloggen und twittern auch privat, was ich sehr schön und unterstützenswert finde.

Welche Pläne gibt es für die kommenden Jahren?

Im Frühjahr haben einige Mitglieder beim Förderwettbewerb von „Das NETZZ“ zur Stärkung der positiven Debattenkultur mitgemacht. Sie haben sich mit einer Idee zur Neuaufstellung unseres Projekts „GeschichtsCheck“ beworben und den zweiten Platz belegt. Mit dem Preisgeld erproben wir diese Neuausrichtung gerade. Auch auf dem „histocamp“ haben wir eine Session zur Zukunft von „GeschichtsCheck“ angeboten. Das Thema „Hassrede im Netz“ beschäftigt uns nach wie vor. Daneben laufen die Planungen für das „schnupperhistocamp“ und natürlich wollen wir 2021 wieder ein großes „histocamp“ veranstalten. Wie der Schuster bleiben wir also bei unseren Leisten, es wird aber doch die eine oder andere Veränderung geben.