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„Es ist notwendig, dass sich Forschende in öffentliche Debatten einbringen“

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat heute ein Grundsatzpapier zur Wissenschaftskommunikation veröffentlicht. Ministerin Anja Karliczek spricht im Interview darüber, wie die vorgestellten Maßnahmen umgesetzt werden sollen und wie sie die Rolle der Forschenden in der Wissenschaftskommunikation sieht.

Frau Karliczek, welche hauptsächlichen Ziele sollen mit dem heute vorgestellten Grundsatzpapier zur Wissenschaftskommunikation erreicht werden?

Die im Grundsatzpapier genannten Handlungsschwerpunkte verfolgen mehrere Ziele: Erstens, wir wollen den in den Wissenschaftseinrichtungen und Hochschulen begonnenen Kulturwandel weiter vorantreiben. Wir wollen Forschende ermutigen und befähigen, sich noch deutlicher in den öffentlichen Diskurs einzubringen und dafür sorgen, dass die Kommunikation in der Wissenschaft mehr Anerkennung findet. Insbesondere bei jungen Nachwuchswissenschaftlern und Nachwuchswissenschaftlerinnen. Zweitens wollen wir die Rahmenbedingungen zur Förderung der Wissenschaftskommunikation ändern und so strukturell und nachhaltig ihre Weiterentwicklung gestalten. Mit der grundständigen Verankerung in der Forschungsförderung setzen wir ein Zeichen: Wir ermöglichen und fordern mehr und bessere Wissenschaftskommunikation im Forschungsalltag. Und drittens soll das Grundsatzpapier weitere Gespräche dazu anstoßen, wie wir gemeinsam gesellschaftliches Vertrauen in die Wissenschaft stärken können: innerhalb der Wissenschaft, in Wissenschaftskommunikation, Wissenschaftsjournalismus und in der Wissenschaftspolitik.

Portraitfoto Anja Karliczek
Anja Karliczek ist seit 2018 Bundesministerin für Bildung und Forschung und seit 2013 Mitglied des Deutschen Bundestages. Vor ihrer Karriere in der Bundespolitik hat sie zwei Berufsausbildungen absolviert, Betriebswirtschaftslehre studiert und in der Tourismusbranche gearbeitet. Ein erklärtes Anliegen ihrer Arbeit als Ministerin ist es, den Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft zu fördern. Foto: BMBF / Laurence Chaperon

An wen richtet sich das Papier? Und was genau ist der Anlass dafür?

Das Papier ist auf der Grundlage eines externen und internen Konsultationsprozesses entstanden. Es richtet sich zugleich an die Wissenschaft, die Wissenschaftspolitik, Wissenschaftsförderer, den Wissenschaftsjournalismus und die Community der Wissenschaftskommunikatorinnen und -kommunikatoren. Ich habe zu Beginn meiner Amtszeit die Wissenschaftskommunikation als einen meiner Schwerpunkte definiert. Daher war es zunächst notwendig, unser Verständnis von Wissenschaftskommunikation darzulegen. Zunehmende Zweifel an wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Klimawandel oder dem Nutzen von Impfungen verdeutlichen, dass wir handeln müssen. Es ist notwendig, dass sich Forschende in öffentliche Debatten einbringen. Mit dem Grundsatzpapier möchte ich sie ermutigen, dies in Zukunft noch öfter zu tun.

Welche Auswirkungen wird das Papier für die Arbeit des BMBF haben?

Die Verankerung der Wissenschaftskommunikation in der Forschungsförderung meines Hauses ist ein wichtiges Signal. In Zukunft wird bei jeder Förderbekanntmachung aus dem BMBF darauf geachtet, dass Wissenschaftskommunikation Bestandteil zum Beispiel eines Projektes wird. In vielen Fällen ist das schon so, jetzt wird es zur Regel. Um sicherzustellen, dass die Förderung der Wissenschaftskommunikation in die richtige Richtung geht und wir gute Kommunikation fördern – also keine überflüssigen Broschüren und Webseiten der Selbstvermarktung, die ihre Zielgruppen nicht erreichen – werden wir in den nächsten Monaten Qualitätsstandards definieren.

„Neben der Verankerung in der Forschungsförderung geht es uns um die bessere Evaluierung der Wissenschaftskommunikation.“ Anja Karliczek
Wird es nach diesem vierseitigen Grundsatzpapier bald noch mehr und detailliertere Informationen zu konkreten Aktivitäten geben?

Konkrete nächste Schritte sind ja bereits im Grundsatzpapier benannt. Neben der Verankerung in der Forschungsförderung geht es uns um die bessere Evaluierung der Wissenschaftskommunikation und der grundsätzlichen Wirkweise von Wissenschaftskommunikation. Wissenschaft im Dialog wird ja mit Förderung des BMBF eine Plattform zur Evaluation und Wirkungsmessung umsetzen, die Datengrundlagen schaffen soll. Wir wünschen Ihren Kolleginnen und Kollegen dabei ein gutes Gelingen! Und das Papier ist ja erst der Anfang. Weitere Impulse erwarten wir uns von dem Austausch und von dem Input der hochrangigen Denkfabrik „#FactoryWisskomm“, die wir nächstes Jahr einrichten. Bis Ende 2020 sollen Empfehlungen an die Politik sowie Selbstverpflichtungen der Wissenschaft erarbeitet werden und Wissenschaftskommunikation endlich zur Chefsache gemacht werden.

Werden zur Umsetzung der Aktivitäten und zur Stärkung der Wissenschaftskommunikation auch zusätzliche Ressourcen im BMBF bereitgestellt?

Das muss man differenziert betrachten. Für die nachhaltige Weiterentwicklung der Bürgerwissenschaften, die strategisch ganz eng mit der Wissenschaftskommunikation verbunden ist, stellen wir im Rahmen einer Förderrichtlinie mehr als acht Millionen Euro über vier Jahre zur Verfügung. Für eine Begleitforschung zu dieser Förderrichtlinie und für die Entwicklung einer Evaluationspraxis in der Wissenschaftskommunikation gibt es ebenfalls zusätzliche Ressourcen zur Verfügung. Ich verstehe Wissenschaftskommunikation generell nicht als Zusatzleistung der Wissenschaft, sondern als integralen Bestandteil ihrer Arbeit. Und keine Angst, die Forschung kommt hier nicht zu kurz. Sie ist natürlich nach wie vor das Wichtigste. Perspektivisch – und das sehen meine Kolleginnen und Kollegen im Parlament ja auch so – geht es natürlich auch um erhöhte Mittelansätze für das Forschungsfeld Wissenschaftskommunikation.

„Ich glaube, dass Social Media einen niedrigschwelligen Einstieg in Forschungsthemen ermöglichen.“ Anja Karliczek
Wie werden Sie sicherstellen, dass die verschiedenen Aktivitäten, die ja sehr viele verschiedene Bereiche im BMBF betreffen, insgesamt dieselben Ziele verfolgen?

Keine Sorge, mein Haus steht hinter dem Papier und den darin formulierten Zielen. Wir kriegen das hin.

Es ist von „Dialog- und Beteiligungsformaten“ die Rede, aber im Grundsatzpapier findet sich nichts über die Chancen und Herausforderungen von Wissenschaftskommunikation im Netz, vor allem in sozialen Medien. Welche Rolle spielt die Online-Kommunikation über Forschung für das BMBF und wie gedenken Sie die Rolle von seriöser Wissenschaftskommunikation in sozialen Netzwerken zu stärken?

Es gibt hier keine einfachen Antworten. Wir wissen alle, dass die Digitalisierung Chancen und Risiken für die Kommunikation und die Gesellschaft mit sich bringt. Ich glaube, dass zum Beispiel Soziale Medien einen niedrigschwelligen Einstieg in Forschungsthemen ermöglichen und durch direkte Interaktionen mit Forschenden auch die Möglichkeiten eröffnen, neue Zielgruppen für die Wissenschaft zu erschließen. Die Ausgestaltung neuer digitaler Kommunikationswege wird auch Gegenstand der „#FactoryWisskomm“ sein.

Welche Rolle spielen aus Sicht des BMBF die Kommunikations- und Presseabteilungen von Hochschulen und wissenschaftlichen Einrichtungen in der Vermittlung zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit?

Die Kommunikationsabteilungen der Hochschulen und Forschungseinrichtungen spielen eine ganz entscheidende Rolle. Sie sind es gewesen, die die Wissenschaftskommunikation soweit vorangebracht haben und uns im Konsultationsprozess eng begleitet haben. Was wir mit dem Grundsatzpapier erreichen möchten, ist, dass die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler selber besser kommunizieren und gemeinsam mit den Kommunikationsexpertinnen und -experten ihrer Einrichtungen ihre Forschung transparent machen. Das Grundsatzpapier zahlt daher auf alle Beteiligten ein. Nur im Verbund von Wissenschaft und Vermittlern und mit neuen Wegen der Vermittlung, insbesondere online, wird daraus eine runde Sache.

„Die Wissenschaftskommunikation alleine, zumindest wie wir sie jetzt verstehen, kann nicht den gesamten Bildungsweg gestalten.“ Anja Karliczek
Welche Rolle spielt es für das BMBF, „schwierig erreichbare“ Zielgruppen zu erreichen?

Ich tue mich schwer mit dem Begriff „schwierig erreichbare Zielgruppen“. Was heißt das eigentlich? Jetzt mal im Ernst, natürlich wollen wir alle mitnehmen. Das geht aber nicht für alle mit den gleichen Ansätzen, wie Sie wissen. In den Wissenschaftsjahren erproben wir erfolgreich verschiedene Formate und Kanäle, die Zielgruppen erreichen sollen, die sich bisher vielleicht weniger mit Wissenschaft beschäftigt haben. Die Wissenschaftskommunikation alleine, zumindest wie wir sie jetzt verstehen, kann aber nicht den gesamten Bildungsweg gestalten. Für eine wissenschaftsmündige Gesellschaft müssen wir noch ganz andere Hebel in Bewegung setzen.

In den Vorgesprächen wurde mehrfach gesagt, dass Wissenschaftskommunikation bereits in der Schule anfängt. Wie soll dies genau aussehen und welche Konzepte gibt es, um wissenschaftliche Werte und Methoden in den Schulen zu vermitteln?

Das knüpft ja an die letzte Frage an. Der Ausblick unseres Grundsatzpapiers verweist genau darauf. Wissenschaftliche Bildung beginnt in der frühen Kindheit. Es gilt, Wissenschaftskommunikation in Zukunft stärker entlang der gesamten Bildungskette zu denken. Es beginnt mit unserem Haus der kleinen Forscher, das sich gezielt an Kinder im Vorschul- und Schulalter richtet. Der Wandel im Bildungssystem braucht jedoch Zeit. Aber die Schülerinnen und Schüler sind ja durchaus aktiv, wie man auch bei den Jugendlichen sieht, die sich bei Fridays-for-Future engagieren. Deren Wissen zum Klimawandel stammt auch aus der Schule. Der Transfer von Wissenschaft in der Schule in die Gesellschaft kann gelingen. 

Es wurde mal von der wissenschaftsmündigen Gesellschaft gesprochen, die informierte Entscheidungen auf privater und gesellschaftlicher Ebene treffen kann – ist das die Vision, die damit verfolgt werden soll?

Ja, eine Gesellschaft, die im Austausch mit der Wissenschaft ist, ist unsere Vision und unsere Mission.

„Gerade junge Forschende brauchen mehr Anerkennung und Freiräume für ihre Leistungen.“ Anja Karliczek
 Laut dem Papier soll die Entwicklung von Kompetenzen in der Wissenschaftskommunikation gefördert werden. Aber Forschende selbst sagen, sie bräuchten vor allem mehr Zeit und Ressourcen dafür, um im Rahmen ihrer wissenschaftlichen Arbeit zu kommunizieren. Mit einem bloßen „Kulturwandel“ wäre es demnach nicht getan. Welche konkreten Ideen gibt es dazu – auch im Hinblick auf die Wissenschaftsorganisationen, die sie ja im Papier konkret in die Verantwortung ziehen?

Das Grundsatzpapier ist erst der Beginn eines Arbeitsprozesses mit den Leitungsebenen der Wissenschaftsorganisationen, der Forschungsförderung – darunter natürlich auch die DFG – und Vertreterinnen und Vertretern aus Bildungs- und Forschungspolitik sowie dem Wissenschaftsjournalismus. Die Ergebnisse dieses Prozesses kann ich nicht vorwegnehmen. Aber so viel sei vorab schon gesagt: Wir sehen hier Handlungsbedarf, denn gerade jungen Forschenden, für die es schon selbstverständlicher ist, mit der Gesellschaft zu kommunizieren, wird es oft nicht leicht gemacht. Sie brauchen in der Tat mehr Anerkennung und Freiräume für ihre Leistungen.

Sie sprechen davon, dass die Wissenschaftskommunikation vor allem für Forschungsbereiche mit besonderer gesellschaftlicher Relevanz integraler Bestandteil werden soll. Oft erweist sich ja aber erst im Nachhinein, welche Forschung am Ende von hoher gesellschaftlicher Relevanz ist. Was verstehen Sie unter solchen Bereichen, gibt es konkrete Beispiele?

Natürlich können wir nicht in die Zukunft schauen. Aber wir wissen ja jetzt schon, welche Themenfelder uns unmittelbar bewegen und bei denen die Gesellschaft zu Recht mitgenommen und beteiligt werden möchte, zum Beispiel beim Klimaschutz, den Auswirkungen der Künstlichen Intelligenz, der medizinischen Forschung und der Biotechnologie.

Wie soll der im Papier genannte Austausch mit internationalen Akteuren konkret gestaltet werden? 

Wir wollen uns im nächsten Jahr im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft zu zentralen Themen mit europäischen Partnern austauschen. Dazu zählen Standards in der Evaluation und Wirkungsmessung von Wissenschaftskommunikation oder die Frage, wie der Wissenschaftsjournalismus in Zeiten der Digitalisierung gestärkt werden kann.