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Deshalb sollte Wissenschafts­kommunikation diverser werden

Solange das Stereotyp eines Forschenden ein weißer Mann ist, kommen auch weniger Frauen als Expertinnen in den Medien vor – und andersherum. Warum das ein Problem ist, erklärt Kommunikationswissenschaftlerin Christine Linke.

Wenn im Fernsehen ein Beitrag über Wissenschaft läuft und ein Experte oder eine Expertin darin spricht, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es sich um einen Mann handelt. Fast 80 Prozent der TV-Expertinnen und Experten sind einer Untersuchung zufolge männlich, obwohl die wissenschaftlichen Felder selbst teilweise viel ausgeglichener besetzt sind. Aber selbst wenn in einem Bereich viele Frauen forschen, sind es meist eher die Männer, die darüber sprechen.

Christine Linke vertritt eine Professur für Kommunikationsdesign und Medien an der Hochschule Wismar. Sie forscht unter anderem zur Mediatisierung sozialer Beziehungen, Diversität und Geschlecht in/von digitalen und audiovisuellen Medien und Onlinediskursen und vernetzter Medienkultur. Foto: Tom Wagner

Mehr Diversität unter den kommunizierenden Forschenden ist aus vielen Gründen wichtig, um auch mehr Diversität in der Wissenschaft selbst zu erreichen. Wen wir in bestimmten Rollen sehen, beeinflusst, welche Stereotype wir haben. Aktuell sind Forschende stereotypisch immer noch eher männlich, weiß, mittelalt, im Laborkittel. Das hat Einfluss darauf, wer in der Gesellschaft eher als Teil der Wissenschaft angesehen wird. So schickten in einer Studie fiktive angehende Promotionsstudierende Anfragen an Forschende, um an einem Forschungsprojekt mitzuarbeiten. Kam die Anfrage von Studierenden, deren Name weiß und männlich klang, reagierten Forschenden signifikant häufiger darauf, vor allem in besser bezahlten Disziplinen.

„Eigentlich sollten wir als Gesellschaft den Anspruch haben, dass allen alle Möglichkeiten offenstehen“, sagt die Kommunikationswissenschaftlerin Christine Linke, die an der Hochschule Wismar forscht. „Davon sind wir weit entfernt, obwohl es schon besser geworden ist. Ich bin optimistisch, wenn ich sehe, wie viele Entwicklungen und Initiativen es mittlerweile gibt.“

Repräsentation und der Scully-Effekt

Ein Beispiel, wie Repräsentation Studienbewerbungen beeinflussen kann, ist der sogenannte Scully-Effekt, benannt nach der FBI-Agentin und Forensikerin Dana Scully aus der Serie „Akte X“ (dargestellt von Gillian Anderson). In den Neunzigern und Anfang der 2000er-Jahre war die Serie sehr populär, und einer Studie zufolge beeinflusste sie junge Frauen, eher ein Studium in den MINT-Fächern zu beginnen und die MINT-Themen insgesamt auch höher einzuschätzen.

„Dabei könnte mehr Diversität ein Schlüssel sein, eine Hochschule attraktiver zu machen“ Christine Linke
Trotzdem studieren immer noch deutlich weniger Frauen als Männer MINT-Fächer. Im Jahr 2019 waren 31 Prozent der MINT-Studierenden weiblich, 69 Prozent männlich. „Dabei könnte mehr Diversität ein Schlüssel sein, eine Hochschule attraktiver zu machen“, sagt Forscherin Linke. „Ich gehe davon aus, dass in Zukunft immer stärker um Bewerber und Bewerberinnen konkurriert wird. Schon aus einer ökonomischen Sicht ergibt es Sinn, sich um Diversität zu kümmern.“

Aber eine diversere Wissenschaftskommunikation würde nicht einfach nur mehr Frauen in MINT-Fächer und letztlich auch MINT-Berufe locken. Sie ist auch wichtig, um Menschen mit wissenschaftlichen Themen zu erreichen, die sich davon bisher ausgeschlossen fühlen. Wenn hauptsächlich weiße Männer über Wissenschaft sprechen, bekommen postmigrantische junge Frauen eher nicht das Gefühl, dass das Angebot auch an sie gerichtet ist, wie diese Studie von Christian Humm, Philipp Schrögel und Annette Leßmöllmann* beschreibt. Aber in einem demokratischen Diskurs sollten alle die Chance haben, ein Teil davon zu werden – und sich nicht von vorn herein davon ausgeschlossen fühlen.

Unbewusster Bias

„Diese Prozesse sitzen tief, das beginnt schon bei der Kindererziehung.“ Christine Linke
Ein Weg zu mehr Repräsentation wäre, diversere Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen in den Medien abzubilden. „Ein Problem hierbei ist ein unbewusster Bias, mit dem wir aufwachsen“, erklärt Linke. Da gehöre zum Beispiel dazu, dass wir automatisch an einen männlichen Nerd denken, wenn es um IT-Themen geht, sagt sie. „Diese Prozesse sitzen tief, das beginnt schon bei der Kindererziehung. Durch gegendertes Spielzeug oder auch Sachbücher, die für Mädchen oder Jungs geschrieben sind.“  Schon deshalb kommen häufig Stereotype in den Medien vor – weil auch Journalisten und Journalistinnen diese unbewusst eher für Interviews anfragen.

Hinzu komme eine Art Teufelskreis, der nicht leicht zu durchbrechen sei, so Christine Linke. Sie habe die Erfahrung gemacht, dass Frauen oft größere Hemmungen hätten, Interviews anzunehmen und im Fernsehen aufzutreten, als ihre männlichen, weißen Kollegen. Ein Grund dafür: Insgesamt kommen weniger weibliche Expertinnen im Fernsehen vor. „Dann ist die Hürde, diesen Schritt zu gehen, einfach sehr groß“, sagt Linke. „Hier könnten beispielsweise Interviewtrainings für Nachwuchsforschende helfen.“

Außerdem seien marginalisierte Personen in der Öffentlichkeit häufiger Angriffen ausgesetzt, etwa Hate Speech im Internet. Die Angst davor kann ebenfalls hemmen, in den Medien aufzutreten. Schon vor dem Interview sollte man sich bewusst machen, dass Hate Speech eine mögliche Reaktion sein könnte – und sich Strategien zurechtlegen, damit umzugehen. Beispielsweise Hasskommentare an die eigene Forschungseinrichtung weiterleiten, die möglicherweise auch bei juristischen Schritten hilft.

Mehr Hate Speech gegen Frauen, die über Wissenschaft sprechen

Außerdem sind Frauen, die auf Youtube über Wissenschaft sprechen, deutlich mehr Hate Speech ausgesetzt als männliche Youtuber.
Diese unterschiedliche Wahrnehmung von Männern und Frauen wird auch auf Youtube sichtbar – mit allen Problemen, die dies auch in anderen Bereichen zur Folge hat. Forscherin Linke hat in einer Studie untersucht, welche Themen Frauen dort bedienen. Das Ergebnis: hauptsächlich Beauty, Ernährung, Beziehungen, Haushalt und Mode. Wissenschaft oder andere eher männlich besetzte Themen wie Gaming kommen nur sehr selten in den Charts vor. Denn für diese Themen erhalten Frauen nur selten Produktplatzierungen, mit denen sie ihre Kanäle finanzieren können. Außerdem sind Frauen, die auf Youtube über Wissenschaft sprechen, deutlich mehr Hate Speech ausgesetzt als männliche Youtuber.

Die Hoffnung für die Wissenschaft und die Wissenschaftskommunikation ist aber: So, wie dieser Teufelskreis verhindert, dass sich mehr Frauen in die Öffentlichkeit wagen, könnte er sich auch schnell umkehren. Je mehr Frauen im Fernsehen als Wissenschaftlerinnen sichtbar sind, desto mehr trauen sich auch ihre Kolleginnen. Je mehr Wissenschaftskanäle auf Youtube von Frauen moderiert werden – wie maiLab von Chemikerin Mai Thi Nguyen-Kim – desto mehr könnten nachkommen.

*Annette Leßmöllmann ist Teil der Redaktion von Wissenschaftskommunikation.de.