Lampenladen im Bundestag Foto: Yannes Liefer

Ad-hoc Politikberatung, aber ohne politischen Diskurs

Seit dem Frühjahr 2020 lädt die Helmholtz-Gemeinschaft regelmäßig politische Akteur*innen zu virtuellen Gesprächsrunden rund um die Corona-Pandemie ein. Oliver Scheele, Referent für politische Kommunikation, spricht im Interview darüber, warum das Format für ihn erfolgreich ist und was man daraus für die Politikberatung in der Zukunft lernen kann.

Herr Scheele, was genau passiert im digitalen Corona-Informationsformat für die Politik der Helmholtz-Gemeinschaft?

Kurz gesagt bringen wir in unserem „Corona-Update“ Abgeordnete aus dem Bundestag und deren Mitarbeiter*innen mit Wissenschaftler*innen in einem virtuellen Raum zusammen. Wir organisieren dafür rund alle zwei Wochen eine Videokonferenz, in der zwei Expert*innen zu einem bestimmten Aspekt der Corona-Pandemie Impulse geben. Das sind ganz kurze Vorträge ohne Folien. Danach öffnen wir die Runde für Fragen und Diskussion. Es ist also ein Informationsangebot, das auf einer persönlichen Ebene Austausch zwischen Wissenschaft und Politik ermöglicht.

Wen laden Sie dazu genau ein?

Oliver Scheele ist Referent für Politische Kommunikation und Wissenschaftspolitik bei der Helmholtz-Gemeinschaft deutscher Forschungszentren. Bevor er 2017 zu Helmholtz kam, war er einige Jahre bei verschiedenen Bundestagsabgeordneten tätig. Er hat Politikwissenschaften an der Freien Universität Berlin studiert. Foto: Helmholtz/David Ausserhofer

Bundestagsabgeordnete aus den relevanten Fachausschüssen, die sich mit den Themen rund um Forschung zur Corona-Pandemie beschäftigen und deren Mitarbeiter*innen. Dazu gehören neben dem Gesundheitsausschuss auch die Ausschüsse für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung; Wirtschaft und Energie sowie der Haushaltsausschuss. Die Mitglieder der genannten Ausschüsse laden wir aktiv ein. Gleichzeitig geben wir auch die Möglichkeit, die Einladung weiterzuleiten. Es ist also in dem Sinne kein exklusives Format. Alle Bundestagsabgeordneten sind willkommen und wir sind gerne für sie ansprechbar.

Warum liegt der Fokus hier auf der Bundesebene, wenn die Coronapolitik doch auch in den Ländern ausgestaltet wird?

Dieses Angebot ergänzt unsere bewährten Informationsangebote. Die einzelnen Helmholtz-Zentren haben bereits vielfältige Austauschformate oder Angebote der Politikberatung, auch auf Länderebene, und wir wollen nichts ersetzen, das es schon gibt. Das Parlament informiert sich ja zunächst einmal im Rahmen von Anhörungen und Gesprächen mit Fachleuten. Da gibt es also bereits bestehende Formate und auch unsere Expert*innen werden dazu eingeladen.

„Im Gegenteil, wir versuchen, politischen Diskurs explizit rauszuhalten, um einen rein sachlichen Austausch zu wissenschaftlichen Erkenntnissen zu ermöglichen.“ Oliver Scheele
Wir haben im März 2020 festgestellt, dass Abgeordnete einen großen Bedarf haben, sich mit Wissenschaftler*innen in einem geschützten Raum zu Aspekten der Corona-Pandemie auszutauschen. Deswegen haben wir dieses Format neu entwickelt. Hier geht es nicht sofort um politische Debatten. Im Gegenteil, wir versuchen, politischen Diskurs explizit rauszuhalten, um einen rein sachlichen Austausch zu wissenschaftlichen Erkenntnissen zu ermöglichen.

Wie wählen Sie die Wissenschaftler*innen aus, die dabei sind?

Als wir das Format konzipiert haben, war klar, dass wir kurzfristig auf die Bedarfe der Abgeordneten eingehen wollen. Deshalb besetzen wir diese Runden immer recht kurzfristig. Diese Flexibilität haben wir beibehalten und machen damit gute Erfahrungen. Es gibt bereits vielfältige Informationsangebote rund um das Virus und auch zu epidemiologischen Fragen. Jede*r Abgeordnete beschäftigt sich in dieser Zeit täglich mit der Corona-Pandemie. Das Thema allgemein ist also sehr präsent. Die Frage ist deshalb immer: Was sind Themen, die für die Politik aktuell interessant und dringend sind? Welche Informationsbedarfe gibt es derzeit? Haben wir die richtige Expertise innerhalb von Helmholtz oder laden wir Expert*innen anderer Organisationen ein?

Um welche Themen ging es bisher konkret?

„Ich glaube, das ist vor allem erfolgreich, weil wir mit unseren Informationen keine politische Message senden wollen.“ Oliver Scheele
Wir versuchen, einen Blick auf die Pandemie von vielen Seiten zu ermöglichen, in denen wir eine Expertise haben. Es ging dabei beispielsweise um die aktuellsten Erkenntnisse zum Virus selbst, zum Impfen oder den Mutationen. Wir haben außerdem über individuelles Verhalten und psychische Belastung gesprochen. Weitere Themen waren digitale Tools zur Bewältigung der Pandemie, etwa die Corona-Warn-App oder die Digitalisierung der Gesundheitsämter. Ich glaube, das ist vor allem erfolgreich, weil wir mit unseren Informationen keine politische Message senden wollen. Es geht uns um den direkten Austausch zwischen den Fachleuten bei uns und den Fachleuten in der Politik. Das ist ganz wichtig für dieses Format.

Wann ist das Format für Sie erfolgreich?

Wir führen das Format bereits zum vierzehnten Mal durch und das Interesse ist immer noch groß. Die Abgeordneten stellen viele Fragen und wir haben immer eine gute Diskussion. Ich würde den Erfolg in so einem Projekt nie quantitativ definieren. Wir haben hier das Ziel, diejenigen zu erreichen, die bestimmte Informationen haben möchten. Solange die dabei sind, mir nicht nach einer halben Stunde die Fragen ausgehen und ich danach im besten Fall das Feedback bekomme, dass es sie weitergebracht hat, dann kann ich das als Erfolg verbuchen. Egal ob ich drei, fünfzehn oder fünfzig Personen erreicht habe.

Welches Feedback haben Sie bisher bekommen?

„Von den Wissenschaftler*innen bekomme ich oft zu hören, wie überrascht sie sind, dass die Fragen sehr spezifisch und die Teilnehmer*innen sehr informiert sind.“ Oliver Scheele
Von den Abgeordneten bekommen wir die Rückmeldung, dass sie es gut finden, Fragen stellen zu können und dass das Format partizipativ ist. Von den Wissenschaftler*innen bekomme ich oft zu hören, wie überrascht sie sind, dass die Fragen sehr spezifisch und die Teilnehmer*innen sehr informiert sind. Das ist durchaus eine wichtige Erkenntnis für diese Gruppe. Ich erlebe immer mal wieder, dass Wissenschaftler*innen eine gewisse Scheu vor dem Austausch mit der Politik haben. Das Format ist ein gutes Beispiel dafür, dass der Austausch mit der Politik unkompliziert, fachlich intensiv und erkenntnisreich für alle sein kann.

Welche Erfahrungen nehmen Sie für andere Themenbereiche mit?

Aus der Corona-Pandemie kann man eine ganze Menge lernen für die politische Kommunikation. Dazu gehört, dass die ganze Welt jetzt an Videokonferenzen gewöhnt ist. Unsere Expertise, nicht nur bei Helmholtz, ist über die ganze Republik verteilt. Was wir gelernt haben, gerade bei aktuellen Themen, ist: Wir brauchen nicht immer eine umfassende, monatelange Vorplanung, sondern wir können mit den digitalen Meetingtools sehr viel schneller Formate konzipieren, die Expertise mit Politik zusammenbringen. Wenn die richtigen Leute zusammenkommen, man die richtigen Impulsgeber*innen hat und die richtige Zeit auswählt, kann man konstruktiven Austausch niederschwellig ermöglichen. Vielleicht haben wir eine Chance, mit diesen Instrumenten auch in Zukunft Ad-hoc Menschen zusammenzubringen. Wenn es bei Corona funktioniert, warum sollte es dann nicht bei Themen wie Mobilität auch funktionieren? Ein Knackpunkt wird sein, den richtigen Zeitpunkt für solche Formate zu wählen.

Wann ist ein guter Zeitpunkt für solche Formate der Politikberatung?

„Stattdessen sind im Augenblick die Wahlkreiswochen besser geeignet für unser Format.“ Oliver Scheele
Früher war ein Frühstücksevent vor dem Plenum für uns am erfolgreichsten. Also beispielsweise um acht Uhr morgens in der Sitzungswoche des Bundestages. Das funktioniert aktuell und als Videokonferenzformat aber nicht so gut. Stattdessen sind im Augenblick die Wahlkreiswochen besser geeignet für unser Format. Normalerweise sind die Abgeordneten in dieser Zeit in ihren Wahlkreisen, um mit Bürger*innen ins Gespräch zu kommen und Besuche in Betrieben, bei Festveranstaltungen oder bei Vereinen zu machen. Da das wegen der Pandemiebestimmungen leider zurzeit aber entweder gar nicht oder nur eingeschränkt geht, ist die Logik in Pandemiezeiten genau andersherum. Wie das in Zukunft aussehen wird, kann ich nicht sagen. Da müssen wir schauen, wie sich die Abläufe nach Corona einspielen. Wir werden aber vermutlich weniger an die Präsenzwochen in Berlin gebunden sein, als wir es bisher waren.

Wie geht es weiter mit dem Format?

Solange der Informationsbedarf da ist, wir positives Feedback bekommen und uns die Themen nicht ausgehen, machen wir weiter. Wir freuen uns aber auch, wenn der Informationsbedarf zu Corona nicht mehr so hoch ist, weil die Pandemie ausläuft. Irgendwann kommt dann hoffentlich der Punkt, an dem wieder andere Themen im Vordergrund stehen.