Foto: Fernanda Fierro

„Was können wir aus der Wissenschaft zum Friedensprozess in Kolumbien beitragen?“

Das Friedensinstitut CAPAZ wurde für sein Kommunikationskonzept mit dem Förderpreis für Bildungs- und Wissenschaftsdiplomatie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) ausgezeichnet. Institutsleiter Stefan Peters spricht im Interview über Zielgruppen und Formate, Influencer*innen und ehemalige Guerillakämpfer*innen mit Universitätsabschluss.

Herr Peters, was ist das Instituto Colombo-Alemán para la Paz (CAPAZ)? 

Das CAPAZ ist ein Exzellenzzentrum in Forschung und Lehre des Deutschen Akademischen Austauschdienstes gefördert mit Mitteln des Auswärtigen Amtes. Wir widmen uns der wissenschaftlichen Begleitung des kolumbianischen Friedensprozesses in Forschung, Lehre, Wissenstransfer und Politikberatung.

Wann und warum wurde CAPAZ gegründet? 

Stefan Peters ist studierter Politikwissenschaftler und hat eine Professur für Friedensforschung an der Justus-Liebig-Universität Gießen inne. Seit 2018 leitet er das Instituto Colombo-Alemán para la Paz (CAPAZ) – das Deutsch-Kolumbianische Friedensinstitut mit Sitz in Bogotá, Kolumbien. Foto: Foto: JLU / Rolf K. Wegst

Nach rund fünf Jahrzehnten gewaltsamer Konflikte mit über neun Millionen Opfern wurde 2016 in Kolumbien ein Friedensvertrag geschlossen. Zehn Institutionen aus Deutschland und Kolumbien haben sich zusammengeschlossen, um die Ursachen und Folgen des Konflikts zu untersuchen und vor allem den Friedensprozess wissenschaftlich zu begleiten. Wir haben die spezielle Situation, dass der Friedensvertrag in Kolumbien ein sehr stark polarisiertes Thema ist. Zugespitzt könnte man sagen: 50 Prozent der Bevölkerung sind dafür, 50 Prozent dagegen. Ein wichtiges Ziel des Konsortiums ist es nun, die große Zustimmung zum Friedensprozess auf internationaler Ebene und in der Wissenschaft auch in der Gesellschaft zu diskutieren. Denn der Frieden hat nur eine Chance, wenn er von der kolumbianischen Bevölkerung getragen wird.

Für Ihr Projekt „Frieden_Kolumbien – Science Diplomacy zur Stärkung wissenschaftlicher Erkenntnisse im kolumbianischen Friedensprozess“ haben Sie gerade den Preis für Bildungs- und Wissenschaftsdiplomatie des BMBF bekommen. Unter anderem für Ihre Transferarbeit. Was hat „Frieden_Kolumbien“ mit Wissenschaftskommunikation zu tun?

„Dabei haben wir verschiedene Zielgruppen im Blick, mit denen wir in den Dialog treten wollen. Denn die Kommunikation in einem Friedensprozess kann nicht einseitig sein.“ Stefan Peters
Bestimmte Aspekte des Friedensprozesses sind kompliziert – selbst für Menschen, die sich wissenschaftlich mit Friedensforschung beschäftigen. Wir stellen uns die Fragen: Was können wir aus der Wissenschaft zum Friedensprozess in Kolumbien beitragen? Welche Aspekte braucht es für Frieden? Welche Maßnahmen können erfolgreich sein? Wo sehen wir aber auch Probleme? Unsere Erkenntnisse wollen wir kommunizieren und zwar in einer klar verständlichen Sprache. Dabei haben wir verschiedene Zielgruppen im Blick, mit denen wir in den Dialog treten wollen. Denn die Kommunikation in einem Friedensprozess kann nicht einseitig sein. Wir müssen versuchen, so viele unterschiedliche Gruppen in der kolumbianischen Gesellschaft zu erreichen wie nur möglich.

Welche Zielgruppen haben Sie und wie erreichen Sie diese mit Frieden_Kolumbien? 

Wir haben unterschiedliche Zielgruppen definiert. Erstens: die Entscheidungsträger*innen. Diese erreichen wir beispielsweise mit Onepagern, also knapp aufbereiteten schriftlichen Übersichten, aber auch Hintergrundgesprächen und Delegationsreisen etwa in stark betroffene Regionen in Kolumbien. Wir müssen dahin gehen, wo es wehtut. Die zweite Zielgruppe sind Medien und Medienvertreter*innen. Wir schreiben zum Beispiel Gastbeiträge in Tageszeitungen oder versorgen sie mit Informationen. Gerade in abgelegenen Regionen wollen wir mit den lokalen Radios zusammenarbeiten. Dort wo andere Signale häufig nicht ankommen, wo ein Internetanschluss nicht vorausgesetzt werden kann. Drittens möchten wir ein vielschichtiges Publikum erreichen. Das gelingt uns vor allem über Veranstaltungen, mit denen wir aus den Universitäten rausgehen. Wir stellen Fragen wie: Was wollten Sie schon immer über den Frieden wissen? Wir arbeiten mit Wissenschaftler*innen vor Ort zusammen und befragen von der Direktorin der Bank über den Schuhputzer, die Taxifahrerin und den Bauarbeiter so viele Menschen wie möglich. Unsere vierte Zielgruppe sind Jugendliche oder ein junges Publikum. Wir wollen sie unter anderem mit Formaten auf Social Media erreichen. Die jungen Menschen sollen in einem intimen Rahmen auch tabuisierte Themen ansprechen können. Dabei wollen wir auch mit Influencer*innen zusammenarbeiten. Mit ihnen können wir die junge Zielgruppe ganz anders erreichen, als wir es selbst könnten.

Mit welchen Formaten haben Sie gute Erfahrungen gemacht?

„Was auch gut funktioniert, sind Formate, wo wir Menschen zusammenbringen: Professor*innen, Studierende, Menschen aus staatlichen Institutionen oder aus zivilgesellschaftlichen Gruppen.“ Stefan Peters
Wir haben einen Fotowettbewerb zum Thema „Friedenspolaroids“ gemacht und unter das Motto „Was bedeutet Frieden im Alltag?“ gestellt. Ein ehemaliger Guerillakämpfer hat ein Foto eingereicht, auf dem man sieht, wie er seinen Universitätshut in die Luft wirft. Das scheint Frieden für ihn zu sein. Ich habe die Waffe gegen den Kugelschreiber eingetauscht. Eine starke Botschaft. Die Aktion hat viel Resonanz in den Sozialen Medien hervorgerufen. Was auch gut funktioniert, sind Formate, wo wir Menschen zusammenbringen: Professor*innen, Studierende, Menschen aus staatlichen Institutionen oder aus zivilgesellschaftlichen Gruppen. Vielleicht auch aus dem Militär und ehemalige Guerillakämpfer*innen. Dabei haben wir uns – offen gesagt – zunächst gefragt: Funktioniert das, wenn ehemalige Feinde im selben Klassenraum sitzen? Was dabei herauskam, ist sehr spannend, aber fast schon ernüchternd für die Akademie: Promovierende fanden beispielsweise die wissenschaftlichen Inhalte hilfreich, die wir im Rahmen dieser Veranstaltungen thematisiert haben. Beim gemeinsamen Abendessen und Gesprächen zwischen ehemaligen Guerillakämpfern und Militärs hätten sie aber noch deutlich mehr gelernt, war das Feedback. Das ist informelles Lernen und genau diese Räume brauchen wir. Was wir aber auch gelernt haben, ist, dass Menschen, die vorher noch nie in einer Universität waren, in solchen Formaten das Gefühl bekommen, auch Teil des Systems werden zu können. Das sind Punkte, bei denen wir sehen: Der Frieden wird nicht allein im Elfenbeinturm der Wissenschaft gemacht. Der Frieden muss erfahrbar sein. Ich glaube das ist etwas, wozu wir im Rahmen unserer Möglichkeiten beitragen können.

Im Hinblick auf die aktuellen Unruhen in Kolumbien: Was sind aktuell die größten Herausforderungen für die CAPAZ?

Die aktuellen Proteste zeigen sehr deutlich, dass der Friedensprozess weiterhin fragil ist. Ich vergleiche das immer mit einem Dampfkessel. Das Feuer wurde zunehmend erhöht bzw. die Temperatur, aber es gab kein Ventil. Jetzt ist er explodiert und das zeigt sich in den Protesten. Wir sind sehr besorgt. Über die Gewalt, die sich im Kontext der Proteste äußert. Insbesondere die der Sicherheitskräfte, die massiv gegen die Protestierenden vorgehen. Wir brauchen sehr viel mehr Deeskalationsstrategien und Schutz von Menschenrechten innerhalb von Kolumbiens. Das sind Themen, die noch stärker auf unsere Agenda gestellt werden müssen. Wir können Erfahrungen aus anderen Ländern ansehen und die hier mit Kolleginnen und Kollegen diskutieren. Was können wir davon aufnehmen und was nicht? Wie müsste man anpassen? Was funktioniert nicht? Wir können auch vom Scheitern lernen.

Was macht Ihnen trotz der Proteste und der Gewalt Hoffnung auf Frieden? 

„Wir werden immer Unzufriedenheit in der Gesellschaft haben. Die muss sich artikulieren können. Das ist Teil der Demokratie.“ Stefan Peters
Die Proteste würde ich nicht als problematisch für den Frieden sehen. Wir werden immer Unzufriedenheit in der Gesellschaft haben. Die muss sich artikulieren können. Das ist Teil der Demokratie. Dass so etwas stattfinden kann, ist wahrscheinlich eher unter Friedensbedingungen möglich. Was stimmt mich optimistisch? Dass es vermehrt Unterstützung für den Friedensprozess in Kolumbien gibt, gerade seitens der jungen Menschen. Am meisten freue ich mich auf die innovativen Formate. Auf Projekte, bei denen wir uns auch irren können. Die wir vielleicht toll finden, aber nicht unbedingt bei den geplanten Zielgruppen ankommen. Etwas Neues ausprobieren zu können und neue Wege zu gehen darauf freue ich mich besonders. Denn ich glaube dort werden wir viel lernen.

Mit dem Preis des BMBF kommt auch ein Preisgeld, das unter anderem für die Kommunikation in ihrem Projekt gedacht ist. Was sind ihre Pläne dafür?

Die 75.000 Euro nutzen wir einerseits, um eine Stelle zu finanzieren. Kommunikation braucht Personal und zeitliche Kapazitäten. Darüber hinaus sind andere Maßnahmen geplant, die wir bisher nicht finanzieren konnten. Etwa eine Delegationsreise zur Frage der politischen Bildung, Podcasts, innovative Formate und Kurzvideos. Aber teilweise geht es auch darum, Informationsmaterialien für die Politik zu finanzieren. Sie müssen designt werden und eine professionelle Redaktion bekommen. Das sind Punkte, die Ressourcen in Anspruch nehmen.