Foto: Universum Bremen

„Wir wollen klarmachen, für welches Vorgehen die Wissenschaft steht“

Die Ausstellung „Real not Fake – wie Wissenschaft funktioniert“ im Universum Bremen stellt die Methode des wissenschaftlichen Arbeitens in den Mittelpunkt. Ausstellungsleiterin Kerstin Haller erklärt, warum die Wahl auf dieses Thema fiel und was das Publikum dabei lernen kann.

Frau Haller, die neueste Ausstellung im Universum Bremen setzt sich damit auseinander, wie Wissenschaft funktioniert und welche Qualitätskriterien es in der Forschung gibt. Warum behandeln Sie gerade jetzt dieses Thema?

Wir haben schon länger darüber nachgedacht, die wissenschaftliche Methode in den Mittelpunkt einer Ausstellung zu stellen. Meistens geht es ja eher um Inhalte, aber nicht darum, wie Forschende eigentlich zu ihren Erkenntnissen kommen. Wir beobachten eine gesellschaftliche Veränderung, nämlich, dass bestimmte wissenschaftliche Ergebnisse von immer mehr Menschen in Frage gestellt werden. In der aktuellen Mediengesellschaft benötigen daher alle Menschen eine neue Art von „Scientific Literacy“, um die Fülle an Informationsquellen sortieren und bewerten zu können: weniger Faktenwissen und stattdessen ein Gespür dafür, welche Arbeiten methodisch belastbar sind. Dazu wollen wir beitragen, indem wir klarmachen, für welches Vorgehen die Wissenschaft steht.

Kerstin Haller leitet im Universum Bremen den Bereich Ausstellung und Didaktik. Zuvor hat sie Physik studiert, in Didaktik der Physik promoviert und ein Volontariat am Deutschen Museum in München absolviert.

Welche „Qualitätskriterien für empirische Wissenschaft“ werden denn in der Ausstellung vorgestellt – und wie vermitteln Sie diese?

Wir haben verschiedene Themenbereiche: „Experimente planen und durchführen“, „Ergebnisse beobachten und dokumentieren“, „Statistiken erfassen und interpretieren“ und schließlich „Wissenschaft vertrauen und danach handeln“. In den drei ersten Bereichen haben wir jeweils verschiedene Mitmach-Experimente, denen man sich auf ganz unterschiedlichen Ebenen nähern kann. Wie immer bei uns gehört dazu, dass man die Exponate anfassen und etwas daran ausprobieren kann. Wir setzen auf einen Aha-Effekt oder wenigstens ein Schmunzeln – etwas, was man am Abend im Freundeskreis erzählt.

Wie sieht das bei diesem eher abstrakten Thema konkret aus?

Im Bereich über das Planen und Durchführen von Experimenten gibt es etwa das Exponat „Flugkurve“. Hier können die Besucherinnen und Besucher einen Golfball durch die Luft fliegen lassen, indem sie ihn eine Rampe herunterrollen lassen, an deren Ende man verschiedene Neigungswinkel einstellen kann. Es gibt außerdem Ringe, die in der Höhe verstellbar sind; durch sie soll der Golfball hindurchfliegen. Die Besucherinnen und Besucher müssen also die Flugbahn des Balls vorhersagen und die Ringe so einstellen, dass der Ball ihrer Meinung nach durchfliegen würde. Anschließend können sie überprüfen, ob ihr Aufbau korrekt war. Nach zwei- oder dreimal Nachjustieren schaffen es die meisten und es beschert ihnen ein Erfolgserlebnis. Und sie lernen: Um ein Experiment zu planen, braucht es einiges an Vorwissen – in diesem Fall eine Vorstellung davon, welche Flugbahn der Ball nehmen wird. Das lässt sich auf Experimente in der Physik übertragen, in denen man zum Beispiel wissen muss, auf welche Wellenlänge man einen Detektor einstellen muss, um ein bestimmtes Phänomen überhaupt erst erforschen zu können.

Was gibt es im Bereich „Ergebnisse beobachten und dokumentieren“ zu erleben?

Erstaunte Gesichter haben viele Besucherinnen und Besucher beispielsweise bei unserem Exponat „Farbvergleich“. Es besteht aus einer Lichtquelle mit einem vorgegebenen, engen Farbspektrum und einer weiteren Lampe, deren Farbton man aus zwei verschiedenen Lichtquellen selbst mit einem Regler zusammenmischen kann. Die Aufgabe lautet, bei der zweiten Lichtquelle dieselbe Farbe einzustellen wie bei der ersten. Hier sieht man schnell, dass die Besucherinnen und Besucher die Farbe ganz unterschiedlich einregeln, weil die Farbwahrnehmung individuell verschieden ist. Dieses Exponat soll zeigen: Menschen sind von Natur aus nicht die besten Beobachter, ihre individuelle Wahrnehmung spielt eine große Rolle. Es ist daher ein Qualitätskriterium naturwissenschaftlichen Arbeitens, Daten möglichst unabhängig von den beobachtenden Personen zu erfassen.

Welche Flugbahn nimmt der Golfball? Anhand dieses „Analogie-Exponats“ sollen die Besucherinnen und Besucher lernen, dass es für erfolgreiche wissenschaftliche Experimente oft eine Menge an Vorwissen seitens der Experimentierenden braucht. Foto: Universum Bremen

Spielen auch kritische Themen wie wissenschaftliches Fehlverhalten eine Rolle?

Wir widmen uns unter anderem der Problematik, selektiv Daten zu verwenden, beziehungsweise genereller: selektiv Information weiterzugeben. Wir präsentieren dazu die Website DHMO.de, die eindringlich vor dem Stoff Dihydrogenmonoxid warnt. Es wird darauf hingewiesen, dass diese Substanz ein wesentlicher Bestandteil von vielen Giftstoffen sei, dass sie Umweltkatastrophen verursache und bei Inhalation zum Tod führen könne. Trotzdem werde sie nicht reguliert und sei weiterhin in fast allen Nahrungsmitteln und Kosmetika zu finden. Die Besucherinnen und Besucher sollen dann darüber abstimmen, ob man Dihydrogenmonoxid verbieten sollte oder nicht. Der Clou ist: Alle diese Informationen sind richtig, aber Dihydrogenmonoxid ist nichts anderes als eine sehr ungebräuchliche Bezeichnung für H2O, also Wasser. Der abschreckend klingende Name wurde bereits mehrfach in Satireaktionen verwendet, um die irrationale Angst vor „Chemikalien“ auf die Schippe zu nehmen. Bei uns dient es der Erfahrung, dass man auch mit faktisch richtigen Informationen auf die falsche Fährte gelockt werden kann.

Für den Bereich „Wissenschaft vertrauen und danach handeln“ haben wir Videointerviews durchgeführt und dafür Fragen aus dem Wissenschaftsbarometer verwendet. Menschen auf der Straße, Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten sowie Forschende der Universität Bremen sollten uns darin mitteilen, wie sehr sie der Wissenschaft vertrauen, warum sie das tun und wann man skeptisch sein sollte. Unser Publikum kann sich die Antworten ansehen und anschließend selbst über diese Fragen abstimmen.

Wird wissenschaftliche Methodik denn Ihrer Meinung nach ausreichend in der Schule gelehrt?

Der naturwissenschaftliche Unterricht hat sich in den letzten Jahrzehnten durchaus verändert. Methoden spielen eine größere Rolle als früher, etwa was den Unterschied zwischen Beobachten und Interpretieren angeht. In unserer Zusammenarbeit mit Schulen merken wir auch, dass die Lehrerinnen und Lehrer gerne Methoden in den Mittelpunkt stellen. Unsere Ausstellung soll daher den aktuellen Schulunterricht nicht ersetzen, sondern eine Ergänzung sein. Wir haben auch ein spezielles Angebot für Schulklassen entwickelt, bei dem es darum geht, den Inhalt einer „Black Box“ zu ermitteln, ohne sie zu öffnen. Dabei müssen verschiedene Lösungsansätze und Methoden kombiniert werden. Aber natürlich richtet sich die Ausstellung auch an Menschen, deren Schullaufbahn schon etwas länger her ist und bei denen solche Themen damals noch nicht vorkamen.

Besucherinnen der Ausstellung „Real not Fake“ lauschen Videointerviews mit Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten, die erklären, aus welchen Gründen sie der Forschung vertrauen und wann es gilt, skeptisch zu sein. Foto: Universum Bremen

Das Thema wirkt ja zunächst eher trocken. War es besonders schwierig, diese Inhalte attraktiv umzusetzen?

Jede Ausstellung ist eine neue Herausforderung. Hier kam uns natürlich unsere langjährige Erfahrung zugute, bereits die verschiedensten naturwissenschaftlichen Phänomene in Exponaten umgesetzt zu haben. Dabei haben wir auch früher schon einige sogenannte „Analogie-Exponate“ entworfen. Sie zeigen nicht ein Phänomen an sich, sondern etwas, das nach einem ähnlichen Prinzip funktioniert, um so den Erkenntnisprozess zu fördern – wie etwa auch beim Exponat mit dem Golfball und der Flugkurve. Vor allem diese Art von Exponaten zeigen wir in der aktuellen Ausstellung. Nun wird es für uns sehr spannend sein zu sehen, wie die Besucherinnen und Besucher mit den Exponaten umgehen und welche Gespräche sie darüber mit uns suchen.

Glauben Sie, dass die Ausstellung tatsächlich Personen erreicht, die der Wissenschaft kritisch gegenüberstehen oder gar wissenschaftlichen Verschwörungstheorien anhängen?

Ich bin da realistisch und denke, dass eine solche Ausstellung hartgesottene Verschwörungstheoretikerinnen und -theoretiker nicht überzeugen wird. Doch sie kann vielleicht Irritation erzeugen und alle anderen zum Nachdenken anregen und sie dazu bringen, die richtigen Fragen zu stellen.

Wie ließe sich das Wissen über Qualitätskriterien in der Wissenschaft weiter fördern, auch außerhalb dieser Ausstellung?

Ich glaube, dass letztlich alle Formate der Wissenschaftskommunikation einen Beitrag dazu leisten, dass die Gesellschaft die Wissenschaft besser versteht, von Pubquiz über Youtube-Videos bis hin zu Citizen-Science-Projekten, bei denen Bürgerinnen und Bürger mitforschen und dabei Qualitätskriterien des wissenschaftlichen Arbeitens aus erster Hand kennenlernen können. In Bremen finden in diesem Jahr unter dem Motto „Phänomenal 2020“ zum Beispiel zahlreiche Veranstaltungen statt, die den hiesigen Wissenschaftsstandort nahbarer und transparenter machen sollen. Unsere Ausstellung bildet den Auftakt zu diesem Themenjahr. All diese Formate und natürlich auch der Wissenschaftsjournalismus tragen meiner Meinung nach dazu bei, dass Menschen mehr über Wissenschaft lernen – auch wenn die Methodik dabei oft nur am Rande thematisiert wird.

 

Die Ausstellung „Real not Fake – wie Wissenschaft funktioniert“ ist noch bis zum 3. Mai 2020 im Universum Bremen zu sehen. Anschließend werden einige Exponate in die Dauerausstellung übernommen.