Foto: Scott Rodgerson

„Wir untersuchen die ganze Kette der Wettervorhersage“

Wie können Wetter- und Extremwetterereignisse gut kommuniziert werden? Wie reagieren welche Menschen auf welche Art der Information? Welche Rolle spielt dabei der Faktor Unsicherheit? Mit diesen Fragen beschäftigt sich das interdisziplinäre Forschungsprojekt WEXIKOM des Deutschen Wetterdienstes.

Frau Schulze, Herr Göber, Herr Kox, im Projekt WEXIKOM beschäftigen Sie sich mit der Kommunikation von Wetter- und Extremwetterereignissen. Worum geht es genau?

Martin Göber ist promovierter Meteorologe und ist abgeordnet vom Deutschen Wetterdienst (DWD) an das Institut für Meteorologie der Freien Universität Berlin. Er ist Forschungsbereichsleiter für „Optimale Nutzung von Wetterinformationen aus Wettervorhersage und Klimamonitoring für die Gesellschaft“ beim Projekt WEXIKOM. Foto: privat

Martin Göber: WEXIKOM ist ein interdisziplinäres Projekt des Hans-Ertel-Zentrums für Wetterforschung, das vor zehn Jahren vom Deutschen Wetterdienst initiiert wurde, um mit Forschungsinstitutionen in Deutschland gemeinsam den Bereich den Wettervorhersage in Forschung und Lehre voranzutreiben. Klima war in der Forschung schon länger vertreten, aber Wetter war als Thema etwas vernachlässigt. Wie wichtig es ist, haben wir in den letzten Wochen bei den Überschwemmungen im Juli im Westen Deutschlands gesehen.

Thomas Kox: Wir untersuchen die ganze Kette der Wettervorhersage. Vom Wetterdienst geht eine Information raus und auf der anderen Seite stehen Leute, die etwas damit anfangen müssen. Dabei unterscheiden wir grob zwischen zwei Arten von Nutzer*innen: Einerseits Bürger*innen, die Wetterinformationen über verschiedenste Kanäle empfangen, und andererseits professionelle Anwender*innen, die beruflich mit Wetterinformationen zu tun haben. Schwerpunktmäßig haben wir uns dabei mit dem Katastrophenschutz beschäftigt, insbesondere mit der Feuerwehr.

 Thomas Kox ist Co-Antragsteller im Projekt WEXIKOM. Er war zwischen 2011 und 2019 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und arbeitet jetzt in der Lehr- und Forschungseinheit Mensch-Umwelt-Beziehungen am Department für Geographie der Ludwig-Maximilians-Universität München. Kox hat Geographie in Bonn studiert und an der Universität Potsdam in Geographie und Naturrisikenforschung promoviert.
Thomas Kox ist Co-Antragsteller im Projekt WEXIKOM. Er war zwischen 2011 und 2019 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und arbeitet jetzt in der Lehr- und Forschungseinheit Mensch-Umwelt-Beziehungen am Department für Geographie der Ludwig-Maximilians-Universität München. Kox hat Geographie in Bonn studiert und an der Universität Potsdam in Geographie und Naturrisikenforschung promoviert. Foto: Thomas Kox

Martin Göber: Wir schauen uns das Wetter an sich an, aber auch dessen Auswirkungen. Die beteiligten Meteorolog*innen arbeiten an quantitativen Risiko-Modellierungen, um Wetterauswirkungen vorherzusagen. Im zweiten Schritt geht es um die psychologische Perspektive: Wie werden Warnungen konstruiert und herausgegeben? Wie werden sie empfangen und wahrgenommen? Da sind unsere sozial- und verhaltenswissenschaftlichen Institutionen gefragt: das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, die AG interdisziplinäre Sicherheitsforschung der Freien Universität Berlin und die Katastrophenforschungsstelle der FU.

Welche Herausforderungen gibt es bei der Kommunikation von Wetterereignissen? 

Göber: Eine Herausforderung ist die Unsicherheit von Vorhersagen über die gesamte Zeitskala – von jetzt bis zur nächsten Stunde, zur nächsten Woche und über die ganze Saison. Unser Hauptfortschritt ist, dass wir ganz gute neue Methoden haben, diese Unsicherheit mittels Ensemblevorhersagen und Künstlicher Intelligenz – zu quantifizieren. Wir sagen also zum Beispiel, dass mit 20 Prozent Wahrscheinlichkeit morgen Nachmittag Gewitter auftreten können. Das bedeutet, dass an 20 Prozent der Tage, für die wir diese Vorhersage gemacht haben, Gewitter auftreten werden. Jeder kann dann zum Beispiel für seine Grillparty nach eigenen Umständen planen, ob man das Risiko in Kauf nimmt oder lieber auf der sicheren Seite agiert.

Katja Schulze ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Katastrophenforschungsstelle des Instituts für Sozial- und Kulturanthropologie der Freien Universität Berlin im Projekt WEXIKOM. Die promovierte Psychologin forscht insbesondere zu menschlichem Verhalten in Extremsituationen, zur Kommunikation von Wetterwarnungen, und zu vulnerablen Personengruppen.

Kox: Nun stellt sich die Frage, wie wir mit diesen Schätzungen von Unsicherheit in der Kommunikation umgehen. Sollte ich auf Grundlage von bestimmten Wahrscheinlichkeiten, was den Eintritt eines Ereignisses betrifft, eine Warnung herausgeben? Wenn ich dabei eine Angabe zur Wahrscheinlichkeit des Ereignisses mache, kann ich schon früher Aussagen machen, als wenn ich warte, bis ich mir sicher bin, dass etwas tatsächlich passiert. Ich gewinne also etwas Vorlaufzeit und die Anwender*innen können hoffentlich die richtigen Handlungen durchführen.

Am Anfang des Projekts waren wir uns nicht ganz sicher: Kann man mit diesen unsicheren Informationen wirklich früher was anfangen? Wie in Forschungsprojekten üblich, geht man noch mal zwei Schritte zurück und guckt sich an: Was machen Anwender*innen mit diesen Informationen? Wir haben uns angeschaut: Was machen Feuerwehren, wenn sie Wetterwarnungen bekommen? Wie lange brauchen sie, um bestimmte Maßnahmen vorzubereiten? Das ist sehr unterschiedlich und kommt ein bisschen auf die Lage in der Stadt oder auf dem Land und die Ausstattung der Feuerwehr an.

Wie sieht es mit privaten Nutzer*innen von Wetterinformationen aus?

Katja Schulze: Dazu haben wir zunächst untersucht, wie Bürger*innen überhaupt mit Wetterwarnungen und -informationen umgehen, wie sie Wettervorhersagen bewerten, wie oft sie Wettervorhersagen konsumieren. Empfinden sie Wetterwarnungen persönlich als relevant? Setzen sie diese in bestimmte Handlungen um?

Dabei ist wichtig, die Heterogenität der Bevölkerung zu betrachten: Welche Umstände und sozialen Konstellationen beeinflussen, wie Wetterwarnungen wahrgenommen und umgesetzt werden? Dabei spielen die Lebensbedingungen eine Rolle. Im nächsten Schritt haben wir gefragt: Wie kann man Wetterwarnungen für die einzelnen Gruppen, die wir versuchen zu identifizieren, so optimieren, dass mehr Schutzhandlungen ausgeführt werden? Zusammen mit dem Max-Planck-Institut für Bildungsforschung schauen wir: Wie gehen Leute im Kontext von Wetter mit Unsicherheitsinformationen um? Wir sind gerade dabei, für diese Frage ein Experimentaldesign zu entwickeln.

WEXIKOM

WEXIKOM (Wetterwarnungen: von der EXtremereignis-Information zu KOMmunikation und Handlung) ist ein vom Deutschen Wetterdienst im Rahmen des Hans-Ertel-Zentrums für Wetterforschung gefördertes, interdisziplinäres Forschungsprojekt der Freien Universität Berlin und des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung zur Verbesserung der Nutzung von Wettervorhersagen für die Gesellschaft. Im Vordergrund steht dabei der Bereich der Warnung vor Extremwetter, die auf eine für die jeweiligen Empfänger*innen geeignete Art kommuniziert werden muss. Dabei wird besonderes Augenmerk auf die Kommunikation der Unsicherheiten der Vorhersagen sowie der Wetterauswirkungen bei verschiedenen Vorlaufzeiten gelegt.

Kox: Zum Thema Unsicherheit und Wahrscheinlichkeit haben wir vor einiger Zeit auch professionelle Nutzer*innen befragt. Hintergrund ist, dass der Wetterdienst bestimmte Begriffe für die jeweilige Wahrscheinlichkeit verwendet, ob ein Ereignis eintreten wird: „möglicherweise“, „wahrscheinlich“ und „sehr wahrscheinlich“. Wir haben gefragt, welche prozentualen Wahrscheinlichkeiten diese Nutzergruppe mit den jeweiligen Begriffen assoziiert. Das war sehr interessant. Es gibt Leute, die nennen sehr niedrige Zahlen für den Begriff „möglich“ und es gibt welche, die nennen sehr hohe Zahlen. Für den Begriff „möglich“ waren es zum Beispiel im Schnitt 36 Prozent. Aber es fängt an bei zehn und geht bis über 80. Es herrscht also eine hohe Uneindeutigkeit. Man kann erkennen, dass in der Kommunikation von Unsicherheit wiederum Unsicherheit steckt. Wir müssen fragen, wie wir so korrekt kommunizieren, dass die Aussagen nicht so unterschiedlich interpretiert werden. Sonst bleibt der eine zu Hause, der andere geht trotzdem raus.

Frau Schulze, Sie haben gesagt, dass Menschen je nach ihrer Lebenssituation unterschiedlich mit Wetterinformationen umgehen. Können Sie dafür Beispiele geben?

„Man kann erkennen, dass in der Kommunikation von Unsicherheit wiederum Unsicherheit steckt.“ Thomas Kox
Schulze: Das fängt damit an, wie man Wetterwarnungen konsumiert. Die Leute, die jeden Morgen Nachrichten hören, bekommen in der Regel Warnungen nebenbei mit. Dann gibt es Leute, die sich täglich mehrmals ganz bewusst Wettervorhersagen anschauen. Die sind natürlich ganz anders informiert als Leute, die sagen, dass sie Wetter überhaupt nicht interessiert und Vorhersagen höchstens über Freund*innen mitbekommen. Dann haben wir auch Leute, die bestimmten sportliche Aktivitäten wie Segeln, Fahrradfahren, Joggen oder Fußballspielen nachgehen und ganz anders mit Wetterinformationen umgehen. Auch der Wohnort spielt eine Rolle: Großstädter*innen haben eine ganz andere Einstellung zum Wetter im Alltag als Menschen auf dem Land. Auch hängt es davon ab, wie man sich fortbewegt: Benutzt man das Fahrrad, das Auto oder öffentliche Verkehrsmittel? Arbeitet man drin oder draußen?

Warum ist es wichtig, dass Menschen mit Wetterwarnungen umgehen können und Risiko-Kompetenz entwickeln? 

Kox: Wenn wir bei den Bürger*innen bleiben, braucht es gar keine so dramatischen Beispiele wie die Überschwemmungen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Ein Klassiker ist etwa, dass in Senken unter Unterführungen bei Starkregen schnell Wasser steht. Es gibt viele Leute, die dann denken, ihr Auto sei gut genug ausgerüstet, um da durchfahren zu können. Das führt dazu, dass das Auto in der Unterführung steckenbleibt. Es mag ärgerlich sein, wenn dadurch das Auto kaputtgeht. Bei Extremwetterereignissen kann es aber tatsächlich lebensgefährlich werden, wenn jemand auf die Idee kommt, da mit dem Auto noch schnell durchfahren zu wollen. Das sind so Situationen, bei denen wir merken, wie wichtig das Einschätzen von Risiken ist.

„Wenn Menschen Wetterinformationen schon im Alltag nicht verstehen, fällt es ihnen auch schwerer, Extremwetterereignisse einzuschätzen.“ Katja Schulze
Schulze: Wenn Menschen Wetterinformationen schon im Alltag nicht verstehen, fällt es ihnen auch schwerer, Extremwetterereignisse einzuschätzen. Wenn Windgeschwindigkeiten von 80 Kilometer pro Stunde angesagt sind: Was heißt das für mich zu Hause? Muss ich Dinge vom Balkon reinholen oder noch schnell den Baumschnitt vornehmen?

Einer Ihrer Vorschläge, um die Kommunikation von Wettereignissen zu verbessern, sind Impaktvorhersagen. Was bedeutet das?  

Kox: Im Prinzip geht es dabei nicht mehr um die Frage, wie das Wetter wird, sondern was das Wetter macht. Angesichts der Heterogenität der Anwender*innen in der Bevölkerung muss man dabei sagen: Auswirkungen sind nicht gleich Auswirkungen. Sie haben für verschiedene Gruppen unterschiedliche Bedeutungen. Es kann sein, dass ich mein Fußballtraining oder eine Hochzeitsfeier absagen muss. Es kann aber auch sein, dass Gebäude beschädigt werden oder dass Gefahr für Leib und Leben besteht.

„Um ein Modellierungssystem für Impaktvorhersagen zu entwickeln, gucken wir uns seit einer Weile die Wetterauswirkungen auf Verkehrsunfälle an.“ Martin Göber
Göber: Um ein Modellierungssystem für Impaktvorhersagen zu entwickeln, gucken wir uns seit einer Weile die Wetterauswirkungen auf Verkehrsunfälle an. Die Wetterdaten sind dabei nur das i-Tüpfelchen. Denn der Verkehr, der sich über den Tag verändert, ist der wichtigste Faktor dafür, dass es Unfälle gibt. Solche Art der Vorhersagen zu verarbeiten ist eine große Herausforderung. Hinzu kommt, dass die Wahrscheinlichkeit dafür, dass etwas passiert, meist nicht besonders groß ist. Aber die Auswirkungen sind unter Umständen lebensbedrohend. Da stellt sich die Frage: Was mache ich mit Ereignissen, die wenig wahrscheinlich sind, aber große Auswirkungen haben? Dabei müssen wir letztendlich mit Nutzer*innen testen, welche Informationsformate und -zeiträume sinnvoll sind.

Schulze: Dazu machen wir verschiedene Befragungen und Experimente. Vereinfacht gesagt geben wir Menschen verschiedene Warntexte und Warnformate und schauen, wie sie wirken. Nehmen sie eine Bedrohung wahr? Verstehen sie, was sie da sehen? Sind diese Informationen hilfreich? Würden sie dadurch ihr Verhalten ändern? Das testen wir auch im Zusammenhang mit Unsicherheit. Welche verbalen oder numerischen Beschreibungen bringen am ehesten ein Verständnis bei der Bevölkerung von dem, was wir kommunizieren wollen? Reicht es bei Impaktvorhersagen, wenn wir sagen: Bäume könnten entwurzelt werden? Oder müssen wir konkreter werden? Das sind Fragen, auf die wir Antworten suchen.