Von der Studie zur Schlagzeile — wie beeinflusst Medienpräsenz den Diskurs?

Wenn Studien ins Rampenlicht geraten, hat dies auch Konsequenzen für die wissenschaftliche Reputation der Autor*innen. Wie das komplexe Zusammenspiel von externer und interner Wissenschaftskommunikation funktioniert, erklärt Isabella Peters, Professorin für Web Science, im Interview.

Isabella Peters ist Professorin für Web Science an der ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft und der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU). Ihre Forschungsgruppe ist am Institut für Informatik der Universität Kiel angesiedelt. Sie beschäftigt sich unter anderem damit, wie sich Social Media-Inhalte auf die wissenschaftliche Kommunikation auswirken und ob nutzergenerierte Beschreibungen von Webinhalten in Bibliothekskontexten und für die Wissenschaftsevaluation nützlich sind.

Können Forschende beeinflussen, ob ihre Studie in der Tagesschau landet?

Ja, sie können das beeinflussen, aber nur mit sehr viel Vorarbeit. Die Doktorand*innen von nebenan würden das nicht unbedingt schaffen. Aber dadurch, dass es heute viele Kommunikationskanäle gibt, über die man als Wissenschaftler*in direkt an die Öffentlichkeit gehen kann, ist es schon möglich.

Mit einem entsprechenden Netzwerk, guter Reichweite und geschicktem Wording kann es gelingen, dass die Studie aufgegriffen wird. In unserem neuen Open-Access-Buch reflektieren wir kritisch, ob sich die Wissenschaft zu sehr an journalistischen Kriterien orientiert, um Aufmerksamkeit zu generieren.

Die Medialisierungshypothese besagt, dass sich Wissenschaft zunehmend der Logik der Medien unterwirft. Haben Sie empirische Belege für diese These gefunden?

Dafür haben Markus Lehmkuhl und sein Team am Karlsruhe Institut für Technologie keine Evidenz gefunden. Nur ein Bruchteil von veröffentlichten Studienergebnissen wird von mehr als einem journalistischen Medium aufbereitet. Es findet also keine Fokussierung der öffentlichen Aufmerksamkeit in so einem Ausmaß statt, dass sich das wissenschaftliche System entsprechend anpassen würde.

„Nur ein Bruchteil von veröffentlichten Studienergebnissen wird von mehr als einem journalistischen Medium aufbereitet.” Isabella Peters

Andere Ergebnisse des Sammelbandes wiederum zeigen, dass sich Medien, Wissenschaftskommunikation und Wissenschaft ein Stück weit angenähert haben. Ob der Einfluss aber so stark und schädlich ist, wie es die Medialisierungsthese suggeriert, ist eine offene Frage. Um die zu ergründen braucht es den Austausch zwischen den Disziplinen, also zwischen quantitativer Wissenschaftsforschung, Wissenschaftskommunikationsforschung und Journalismusforschung.

Nach welchen Qualitätskriterien entscheiden Forscherinnen und Forscher, ob sie eine Studie, über die in der Tagesschau berichtet wurde, nachschlagen?

Dazu habe ich mit meinen Kolleg*innen ein Experiment durchgeführt. Anhand von fiktiven Zeitungsartikeln haben wir untersucht, welche Faktoren eine Rolle spielen, ob eine Studie zur Kenntnis genommen wird oder nicht. In diesen fiktiven Nachrichten war zum Beispiel die Rede von „es war eine repräsentative Studie” oder „es war eine Studie, die von allen anderen Fachkolleg*innen als besonders hochwertig eingeschätzt wurde”.

Solche Marker haben wir in verschiedenen Abstufungen getestet. Besonders gut wirkt das Qualitätsurteil von Kolleg*innen. Wenn schon fünf andere Fachkolleg*innen gesagt haben, das ist doch eine bemerkenswerte Studie, dann schaut man sie sich eher an. Hier zeigt sich auch, welche Wirkung die journalistische Aufbereitung von Studien haben kann: Sie steuert die Rezeption.

Interessant, dass dieses soziale Kriterium so eine starke Rolle spielt.

„Wissenschaftler*innen sind auch nur Menschen, die ein privates Informationsverhalten haben und nicht immer nur Fachzeitschriften lesen.” Isabella Peters
Ja, aber darauf beruht letztlich das gesamte wissenschaftliche Publikationswesen. Wir vertrauen auf Peer Review. Und der gleiche Mechanismus wird auch bei Facebook oder X eine Rolle spielen. Es ist ein Kommunikationssystem, man verbindet sich, man redet über die Ergebnisse und die sozialen Medien erleichtern diesen Austausch. Es gibt so viele wissenschaftliche Studien zu lesen. Da brauche ich Wegweiser, die mir sagen: „Hey, investiere hier deine Zeit.” Wissenschaftler*innen sind auch nur Menschen, die ein privates Informationsverhalten haben und nicht immer nur Fachzeitschriften lesen.

Zurück zu den klassischen Kanälen der Wissenschaftskommunikation: Wie wählen Pressestellen wissenschaftlicher Institute aus, über welche Studien sie berichten?

Ich kann hier nur anekdotisch berichten. Vieles geschieht auf Zuruf. Das heißt, der Anstoß kommt aus der Arbeitsgruppe selbst. Es gibt aber auch Pressestellen, die immer wieder aktiv nachfragen. Manchmal ist es für die Forschenden schwierig einzuschätzen, ob der schrittweise Erkenntnisgewinn einer einzelnen Studie genug Nachrichtenwert hat. Hier hilft ein guter und enger Kontakt zur Kommunikationsabteilung. Sie kann beurteilen, was nach journalistischen Kriterien interessant ist.

Ich weiß auch, dass es immer wieder eine Diskussion darüber gibt, ob wir als Forschende überhaupt noch Wissenschaftskommunikator*innen brauchen. Ich denke schon, gerade weil sie die unterschiedlichen Logiken von Medien und Wissenschaft kennen. Es gibt sicherlich Forschende, die selbst sehr gute Wissenschaftskommunikator*innen sind, wenn man zum Beispiel an Christian Drosten denkt. Solche Leute sind vielleicht Naturtalente und haben auch Spaß daran. Aber es gibt auch viele, die das nicht können oder nicht wollen. Und da ist Kooperation sehr wichtig.

„Die öffentliche Aufmerksamkeit für wissenschaftliche Studien durch Massenmedien und Social Media führt zu mehr Zitationen. ” Isabella Peters

Ihr Sammelband beleuchtet Schnittstellen zwischen interner und externer Wissenschaftskommunikation. Welche Auswirkungen hat die öffentliche Kommunikation von Forschungsergebnissen auf den wissenschaftlichen Diskurs?

Die öffentliche Aufmerksamkeit für wissenschaftliche Studien durch Massenmedien und Social Media führt zu mehr Zitationen. Das klingt zunächst vielleicht überraschend, weil nicht primär Wissenschaftler*innen, sondern eher fachfremde Personen von diesen Medien angesprochen werden. Interne und externe Wissenschaftskommunikation hängen aber sehr eng zusammen. Das ist ein Thema, mit dem sich die Wissenschaft auseinandersetzen muss, weil sie wissen muss, dass es diese Einflussfaktoren gibt und dass das vielleicht ein Problem für sie ist.

Denn das wissenschaftliche Reputationssystem basiert nach wie vor auf der Anzahl der erhaltenen Zitationen und dem Renommee der Fachzeitschriften, in denen man publiziert hat. Wenn diese beiden Indikatoren stärker von der Medienpräsenz als von der wissenschaftlichen Qualität beeinflusst werden, stellt sich die Frage, welchen Nutzen sie noch für die Bewertung der Wissenschaft haben.

Haben Sie Empfehlungen für Wissenschaftler*innen, um eine effektive Zusammenarbeit mit den Medien zu fördern?

Ich glaube, dass wir zu wenig voneinander wissen. Bei Presseanfragen habe ich oft das Gefühl, eine Art Blackbox vor mir zu haben. Was wollen wir eigentlich voneinander und welche Ziele verfolgen die Journalist*innen? Aus Sicht der Forschenden wäre es wahrscheinlich gut, die Journalist*innen auch mal mit Fragen zu löchern, um zu erfahren, was sie interessiert, damit man die Anfrage besser einschätzen kann.

Problematisch ist auch, wenn Forschende fälschlicherweise davon ausgehen, dass es sich bei dem aus einem Interview resultierenden Artikel um ein gemeinsames Projekt handelt. Das kann am Ende zu Frustration führen, wenn der Artikel nicht so wird, wie man sich das vorgestellt hat. Es ist nicht schlimm, wenn die Wissenschaftler*innen nur die O-Töne sein sollen, aber es wäre besser, wenn das bei der Anfrage klar wäre. Best Practice wäre also, Transparenz darüber zu schaffen, was man voneinander will und was man erwarten kann.


Zum Weiterlesen

Broer, Irene, Lemke, Steffen, Mazarakis, Athanasios, Peters, Isabella and Zinke-Wehlmann, Christian. The Science-Media Interface: On the Relation Between Internal and External Science Communication, Berlin, Boston: De Gruyter Saur, 2023. https://doi.org/10.1515/9783110776546 (Open Access).