Foto: Science March Berlin Presse, CC BY 2.0

Impulse des March for Science nutzen – auch für die Wissenschaftskommunikation

Wie haben die Medien über den March for Science berichtet und hat die Wissenschaftskommunikation passend reagiert? Franz Ossing, war Leiter der Kommunikation des Deutschen Geoforschungszentrum und Mitorganisator des Berliner March for Science – hier wirft er einen Blick zurück auf die Geschehnisse.

Es war ein im Wortsinn historisches Ereignis: auf allen Kontinenten gingen Wissenschaftler auf die Straße. Das große und im überwiegenden Fall positive Medienecho zum March for Science (M4S) hält das Faktum fest, dass der M4S ein globales Ereignis war – zudem gibt es digital und analog reichliche Bestandsaufnahmen zum M4S, auch an dieser Stelle. Die naheliegenden Fragen, wieso und aus welchen Beweggründen die Wissenschaft weltweit demonstrierte, wurden allerdings bisher in den verschiedenen Bereichen der Wissenschaftskommunikation sehr stiefmütterlich behandelt. Einige der Kommunikationsakteure gerade in den Medien und der Bloggerszene zeichneten sich dadurch aus, dass sie das eigentlich Neue am M4S gar nicht thematisierten oder lieber bereits fertige Urteile verkündeten.

Zwei wesentliche, neue Aspekte prägten den M4S. Erstens war er ein weltumspannendes Ereignis, „the largest global event in support of science in history“. Es war geschichtlich einzigartig, dass auf allen Kontinenten die Wissenschaft auf die Straße ging, um der Gesellschaft die Relevanz von Forschung, Wissenschaft und Innovation bewusst zu machen. Zweitens war es die Wissenschaft selbst, die aufrief und nicht die Politik, die Medien oder gar die Wissenschafts-PR („Wissenschafts-Öffentlichkeitsarbeit“).

Weltumspannend

Nachvollziehbare Methoden zählten über 1 Mio. Menschen, die weltweit für die Wissenschaft demonstrierten. Für Deutschland ergaben sich rund 37.000 Personen, davon allein in Berlin 11.000 (nach abgesicherter Zählung). Das wird aber erst zu einer Information, wenn man differenziert: der Großteil der Aktionen und Teilnehmer (~400.000) fanden sich in den USA. Es ist naheliegend, dass hier der Protest gegen die republikanische Regierung eine erhebliche Rolle spielte („Anti-Trump“). Vergleicht man nämlich die Zusammensetzung der Demos, kamen in toto 24 % der Teilnehmer aus der Wissenschaft. In Deutschland hingegen war es nach der (nicht repräsentativen) Umfrage von Könneker/Niemann überwiegend eine Angelegenheit der Wissenschaft, es gehörten lediglich „etwa 4 von 10 Befragten aktuell nicht im engeren Sinne dem Wissenschaftssystem“ an.

Anders ausgedrückt: bereinigt man die Zahlen um spezifisch US-politische Aspekte, war es eben doch eher ein „Marsch der Wissenschaft“. Das ist für sich durchaus ein positiver Aspekt, denn hier artikulierte sich die Wissenschaft selbst, zeigte ihre gesellschaftliche Relevanz und strafte alle diejenigen Lügen, die immer noch dachten, der in der Romantik des vorvorigen Jahrhundert erdachte Elfenbeinturm sei ein realer Aufenthaltsort der Forscher. Selbst wenn es in den USA vor allem „Anti-Trump“ gewesen sein sollte: die Marschierenden in den anderen Ländern hatten offenbar andere Beweggründe. Das bringt uns zum zweiten neuen Aspekt des M4S.

„Wissenschaft ist keine Ansichtssache!“

Die Wissenschaft ging auf die Straße. Auch hier empfiehlt es sich, die spezielle Situation in den USA zunächst auszublenden, denn die offene Wissenschaftsfeindlichkeit der republikanischen Regierung spielte in den übrigen Ländern der Welt nicht die große Rolle. In Deutschland „standen bei einer großen Mehrheit der Studienteilnehmer/innen zwar sehr wohl auch politische Motive im Vordergrund für die eigene Beteiligung am Marsch für die Wissenschaft, nicht jedoch eine dezidierte Kritik an der Trump-Administration.“ (Könneker/Niemann, a.a.O.)

Offenbar musste es andere Gründe geben, welche die Forscherinnen und Wissenschaftler so sehr beunruhigten, dass sie für evidenzbasiertes Wissen und gegen „alternative Fakten“ demonstrierten. Mit dem Kürzel „alternative facts“ erhielt die Unwahrheit global ein griffiges Motto und ein Gesicht. Selten brachte es ein Slogan weltweit in so kurzer Zeit zu solcher Durchschlagskraft, wobei er zudem keinen Spielraum für Missverständnisse lässt.

Natürlich kann man jetzt geistvoll über Fakten, vorläufiges Wissen, Popper und Wittgenstein räsonieren. Man könnte aber auch darüber nachdenken, wieso „alternative Fakten“ als Bedrohung empfunden werden (müssen). Nicht das Weiße Haus ist der wichtigste Absender von fake news, sondern das überall und jederzeit verfügbare Internet. Hier entsteht der Gegensatz von Kopf und Bauch: Für jeden Unsinn lässt sich im WWW ein Beleg finden, der genau diesen Unsinn bestätigt. Verstärkt wird dieser selbstreferenzielle Prozess noch durch die mit „filter bubble“ nur unzureichend beschriebenen numerischen Algorithmen, die vollautomatisch dafür sorgen, dass anderes Wissen weggefiltert wird. Beliebig generierte Information steht so scheinbar gleichberechtigt neben verlässlichen, evidenzbasierten Erkenntnissen.

Damit wird wissenschaftliches Wissen entwertet. Dass Wissenschaftlerinnen und Forscher dabei nervös werden, versteht sich aus ihrem Berufsverständnis heraus quasi von selbst. Hier muss wohl die spontane und weltweite Motivation für den M4S verortet werden.

Wo war denn da die Wissenschaftskommunikation?

Für die nicht-wissenschaftlichen Akteursgruppen in der Wissenschaftskommunikation sollte der M4S ein Grund zu vertieftem Nachdenken sein: Journalismus, Wissenschafts-PR und „Sonstige Aktive“ (z.B. freie Blogger) betrachteten den 22. April sehr distanziert, weil sich hier die Wissenschaft selbst auf den Weg machte. Man machte es sich bequem im Social Media-Nest und in den Wissenschaftsredaktionen, und man konnte vor allem besserwisserisch feststellen, was die Demonstrierenden alles vergessen hatten: die prekäre Lage des wissenschaftlichen Nachwuchs wurde nicht erwähnt, konkrete Vorschläge zum Kampf gegen Populismus wurden nicht formuliert, man hat sich nicht gegen die Vereinnahmung durch die Politik gewehrt, Wissenschaft schafft keine Fakten,… Als ob die Marschierenden (Wissenschaftler!) daran nicht selbst gedacht hätten.

Lakonisch die Antwort der Wissenschaft auf die Überheblichkeit dieser Beobachter: „Ist ja alles richtig, aber vielleicht war das hier gar nicht Thema?“ Genau, die Texte der verschiedenen Webauftritte weltweit hatten einen Grundkonsens: es ging um die Glaubwürdigkeit und den Stellenwert von Wissenschaft und Forschung und nicht vorrangig um (sicher auch wichtige) Stellenpläne und mehr Kohle. Und die Bewegung entstand bottom up aus der Wissenschaft selbst, die großen Forschungsorganisationen klinkten sich erst später ein. Wir in der Wissenschaftskommunikation mit all ihren Facetten1 müssen uns nun fragen, ob wir eigentlich adäquat auf diese Revolte der Wissenschaft reagiert haben. Es führt nichts daran vorbei: Hier haben wir hinterher geguckt und mussten feststellen, dass die Wissenschaft die Gefahren selbst aktiv benannt hat, die durch die neuen digitalen Informations- und Kommunikationskanäle für das Gemeinwesen entstehen. Und sie hat eigenständig darauf reagiert.

Nicht mehr Werkzeuge, sondern neue Ansätze

Forschung und Wissenschaft transferieren seit jeher ihr Wissen in die Gesellschaft: Sie helfen bei der Entwicklung von Industrie-Normen, entwickeln Katastrophenfrühwarnsysteme, erstellen demoskopische Grundlagen für die Politik, … . Das alles ist selbstverständlicher Alltagsbetrieb in unserer Gesellschaft. Aber, erstens, wieviel weiß die Gesellschaft davon? Und, zweitens, wie kann die Gesellschaft dieses erarbeitete und evidenzbasierte Wissen von Bauchgefühl-Wahrheiten im WWW unterscheiden? Den realen Wissenstransfer2 in die Gesellschaft in das Bewusstsein zu heben, ist unsere Aufgabe als Wissenschaftskommunikation. Angesichts der Digitalen Revolution reicht es nicht aus, auf Social Media mit weiteren, zusätzlichen Social Media zu antworten. Unsere Arbeitsebene ist eine Flugfläche höher – es geht nicht um mehr Werkzeuge, sondern um neue Konzepte und Strukturen in der Wissenschaftskommunikation.

Die Kommunikation der Resultate von Wissenschaft und Forschung ist heute in Deutschland, nach anderthalb Dekaden PUSH, eine Selbstverständlichkeit und damit eine Erfolgsgeschichte. Aber wie stellt sich die Wissenschaftskommunikation den Verwerfungen in Information und Kommunikation durch die Digitale Revolution? Wie kann in Medien, Wissenschafts-PR, in Science Centern und auf Wissenschafts-Stadtfesten die qualitätsgesicherte Information sichergestellt werden? Und wie kommt das Signal trotz des digitalen Rauschens bei den Menschen an? Wissenschaftskommunikation 4.03 ist eine Zielstellung und findet gegenwärtig noch nicht statt, das haben uns die marschierenden Forscher gezeigt. Wird Zeit, dass wir den Anschluss gewinnen.

Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung unserer Redaktion wider.