Foto: Tobias Maier

„Ein eigenständiges Angebot mit eigener Daseinsberechtigung“

Die Coronakrise zwingt auch Organisationen, die Schulungen und Seminare für Wissenschaftskommunikation anbieten, zum Umdenken. Tobias Maier, Dozent und inhaltlicher Leiter des Nationalen Instituts für Wissenschaftskommunikation, berichtet im Interview von seinen Erfahrungen mit der Virtualisierung.

Herr Maier, Sie leiten die inhaltliche Entwicklung der Seminare, die das Nationale Institut für Wissenschaftskommunikation (NaWik)* anbietet. Wie haben Sie die Umstellung auf virtuelle Angebote in der Coronazeit erlebt?

Das war schon ein tiefer Einschnitt – letztes Jahr haben wir insgesamt 137 Seminartage gehalten und für 2020 sah es nach einer deutlichen Steigerung aus. Im März fiel es dann von einem Tag auf den anderen auf Null. Unsere Geschäftsführerin Beatrice Lugger hat dann aber unmittelbar entschieden: Wir versuchen das jetzt nicht auszusitzen, sondern entwickeln schleunigst virtuelle Formate. Deshalb haben wir uns direkt im März noch an die Arbeit gemacht und konnten schon Mitte April die ersten Online-Seminare anbieten.

Tobias Maier ist inhaltlicher Leiter des Nationalen Instituts für Wissenschaftskommunikation (NaWik). Der promovierte Biologe hat über zehn Jahre Forschungserfahrung an international führenden Instituten. Seine wissenschaftlichen Fachartikel wurden unter anderem in Science und Cell publiziert. Er hat mehrere Jahre Erfahrung als selbstständiger Trainer für Kurse für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und ist seit 2015 Dozent am NaWik. Seit 2008 schreibt er das Wissenschaftsblog „WeiterGen“. Foto: Tim Wegner / NaWik

War das Neuland für Sie?

Wir hatten bereits vor Corona eine Plattform für klassisches E-Learning mit Fokus auf populärwissenschaftlichem Schreiben. Unser Hauptgeschäft waren aber immer die Präsenzseminare. Deren Charakter und Inhalte auf ein Online-Format umzustellen, war eine Herausforderung.

Wie unterscheidet sich das virtuelle Angebot von den Präsenzseminaren?

Ganz wichtig für unser Konzept ist, dass die Workshops interaktiv sind: zum einen gibt es immer praktische Übungen, zum anderen soll der Dozent oder die Dozentin während der Veranstaltung herausfinden, was die Teilnehmenden genau in ihrem Alltag brauchen und darauf eingehen. Auch in unseren virtuellen Formaten sollten daher Dialog und Feedback eine zentrale Rolle spielen und wichtige Übungen erhalten bleiben. Um das zu erreichen, haben wir nun zwei Dozierende statt wie sonst einen. Außerdem haben wir die Dauer der Seminare verkürzt. Statt zwei vollen Tagen dauern sie nun zwei Vormittage, jeweils dreieinhalb Stunden inklusive einer halbstündigen Kaffeepause. In einer Hausaufgabe zwischen den beiden Terminen erarbeiten die Teilnehmenden weitere Inhalte.

Warum haben Sie die Seminare verkürzt?

Unseren Erfahrungen nach ist eine längere Dauer für virtuelle Formate zu anstrengend, sowohl für die Dozierenden als auch für die Teilnehmenden. Online arbeiten wir dichter getaktet, das Lernen ist intensiver. Das liegt unter anderem daran, dass man sich disziplinierter an den Zeitplan halten muss. Ein Beispiel: Wenn man den Teilnehmenden eine Aufgabe stellt wie „Schreibt in zehn Minuten eine Kernbotschaft zu eurer Forschung“, dann brauchen manche dafür sieben Minuten, andere dreizehn. Im Präsenzseminar wissen Teilnehmende mit ein paar Minuten Leerlauf etwas anzufangen – sie holen sich einen Kaffee oder checken ihre E-Mails. Wenn alle vor dem Bildschirm sitzen, kann man nicht so viel Leerlauf lassen. Daher machen wir solche Übungen jetzt immer vor der Pause. Wer früher fertig ist, hat länger Pause, wer länger braucht, schreibt noch in die Pause rein.

„Online arbeiten wir dichter getaktet, das Lernen ist intensiver. Das liegt unter anderem daran, dass man sich disziplinierter an den Zeitplan halten muss.“ Tobias Maier
Wie funktioniert das gemeinsame Bearbeiten einer Übungsaufgabe in einem virtuellen Seminar?

Wir haben uns für Zoom als Anbieter entschieden. Dort gibt es sogenannte Breakout-Rooms, in denen man Kleingruppen bilden kann. Die Dozierenden können dann wie bei einer Vor-Ort-Veranstaltung von Gruppe zu Gruppe gehen, Feedback geben oder die Leute arbeiten lassen. Das zweite Standbein ist ein geteiltes Google-Dokument, in dem sowohl Dozierende als auch Teilnehmende Schreibrechte haben. Daraus entsteht im Laufe des Seminars auch direkt die Dokumentation des Seminars. Die Teilnehmenden können dort zum Beispiel zu Beginn der Veranstaltungen ihre Erwartungen formulieren. Auch bei Gruppenarbeiten schreiben alle ihre Texte direkt in das Dokument.

Wie hat sich die Nachfrage entwickelt? Gab es auch bei den Teilnehmenden eine Art Orientierungsphase, bevor sie sich auf virtuelle Angebote eingelassen haben?

Die Nachfrage ist seit dem Start des Angebots stark gestiegen. Was uns aufgefallen ist: Auch die Kompetenz der Teilnehmenden in der Nutzung ist gestiegen. In den ersten virtuellen Seminaren war es teilweise noch ein bisschen schwierig: wer hat gerade seine Kamera oder sein Mikro nicht an und so weiter. Inzwischen mussten sich eigentlich alle Forschenden in Videocalls einarbeiten und so verbringen auch die Dozierenden weniger Zeit mit technischen Erklärungen.

„Inzwischen mussten sich eigentlich alle Forschenden in Videocalls einarbeiten und so verbringen auch die Dozierenden weniger Zeit mit technischen Erklärungen.“ Tobias Maier
Was gefällt Ihnen als Dozent besser, digitale oder analoge Seminare?

Das sind zwei ganz unterschiedliche Typen von Veranstaltungen. An den Präsenzseminaren finde ich besser, dass man vor Ort gemeinsam an Sachen arbeitet. Da ist der Austausch untereinander intensiver. Man ist außerdem inhaltlich noch flexibler, die Diskussionen können sich stärker an den Wünschen der Gruppe orientieren. Online ist der Inhalt tendenziell starrer und dichter gepackt. Aber dafür hat man organisatorisch mehr Flexibilität: Die Dozierenden müssen nicht anreisen, die Teilnehmenden sich keine zwei vollen Tage im Kalender blocken. Was besser ist, ist sicherlich eine Typfrage. Der eine schätzt den geringeren organisatorischen Aufwand bei Online-Veranstaltungen, der andere wünscht sich mehr persönliche Interaktion und einen Plausch mit anderen Teilnehmenden in der Kaffeepause.

Was hat beim Umstieg gut funktioniert und was weniger?

Am wichtigsten für Online-Seminare ist die Stabilität der Software. Nichts ist nerviger als ständige Verbindungsabbrüche. Wir hatten mal den Fall, dass das komplette Internet bei einer Dozentin ausgefallen ist – da war es natürlich sehr gut, dass wir die virtuellen Seminare immer zu zweit halten, denn so konnte der andere Kollege das auffangen. Und für uns sind wie gesagt die Breakout-Rooms wichtig, also die Möglichkeit, kleinere Gruppen zu bilden. Wir haben außerdem gelernt: Als Dozent oder Dozentin ist man gerade bei einem Online-Seminar geneigt, zu viel Input geben zu wollen. Aber es ist sehr wichtig, die Teilnehmenden einzubinden und Zeit für Fragen und Diskussionen einzuplanen.

Wann werden Sie wieder Präsenzseminare anbieten?

Wir haben schon wieder damit angefangen. Wie es weitergeht, ist natürlich von der Entwicklung der Corona-Einschränkungen abhängig. Aber auch nach der Pandemie werden wir die virtuellen Seminare in jedem Fall beibehalten, es ist ein eigenständiges Angebot mit eigener Daseinsberechtigung. Manche Themen eignen sich allerdings deutlich besser für persönliche Treffen, etwa Präsentationstrainings. Wir wollen außerdem unsere schon bestehende E-Learning-Plattform ausbauen, und wir haben gerade ein ganz neues Angebot kostenfrei für alle auf unsere Website gestellt, das „kleine Einmaleins der Wissenschaftskommunkation“.

Wie sehen Sie generell die Entwicklung der Wissenschaftskommunikation in der Coronazeit?

Natürlich hat die Situation insgesamt, und auch die Popularität von Christian Drosten, dem Thema Auftrieb gegeben. Aber schon vorher war die Wissenschaftskommunikation durch Forschende auf der Agenda nach oben gerückt, etwa mit dem Strategiepaper der Forschungsministerin im vergangenen November. Ich sage den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die sich für das Thema nicht so richtig interessieren, immer: Leute, ihr verbringt Monate, oft Jahre damit, Daten zu sammeln und  auszuwerten, ein Paper zu schreiben und das Review-Verfahren zu durchlaufen, bis eure Forschung schließlich publiziert wird. Dann nehmt euch doch noch ein oder zwei Tage Zeit, um die Ergebnisse für die Pressestelle allgemeinverständlich aufzuschreiben oder direkt selbst über soziale Medien zu kommunizieren. Ein – verglichen mit allem, was man sonst in der Forschung macht – sehr geringer Aufwand kann hier einen großen Effekt haben.

 

* Das Nationale Institut für Wissenschaftskommunikation ist einer der drei Träger des Portals Wissenschaftskommunikation.de