Foto: Bundesinstitut für Risikobewertung

„Die Fähigkeit, innerhalb von Krisen gut kommunizieren zu können, ist von enormer Bedeutung.“

MIRKKOMM steht für Optimierung der Risiko- und Krisenkommunikation von Regierungen, Behörden und Organisationen der Gesundheitssicherung. Mit einer Vielzahl an Praxispartner*innen untersucht das Projekt, wie Informationen von Bürger*innen, Journalist*innen oder auch Blogger*innen aufgenommen, verarbeitet und bewertet werden. Projektleiterin Annett Schulze gibt in diesem Interview Einblicke ins Projekt.


Das Ziel von MIRKKOMM ist unter anderem, die Erfahrungen der Pandemie aufzuarbeiten und wissenschaftlich fundierte Empfehlungen zur Verbesserung der Risiko- und Krisenkommunikation von Behörden und Organisationen der Gesundheitssicherung abzuleiten. Wie kam es zu dem Projekt?

Annett Schulze ist promovierte Kommunikationswissenschaftlerin und seit 2018 am Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in der Abteilung Risikokommunikation. Zusammen mit ihrer Kollegin Severine Koch leitet sie mittlerweile seit gut einem Jahr das neu gegründete Studienzentrum Sozialwissenschaftliche Risikokommunikationsforschung mit den Schwerpunkten Psychologie und Kommunikationswissenschaft. Foto: BfR

Als ich am Bundesinstitut für Risikobewertung angefangen habe, war einer meiner Arbeitsschwerpunkte die Gesundheitskommunikation, die eng verbunden ist mit der Risiko- und Krisenkommunikation und eben auch mit der Wissenschaftskommunikation. In einer Krisensituation gibt es verstärkt Unsicherheiten – wissenschaftlicher, aber auch anderer Art. Sie müssen angegangen werden, um die „Krise” in den Griff zu bekommen. Ich habe ein gutes Netzwerk aus unterschiedlichen Disziplinen, weil ich immer interdisziplinär orientiert war. Und innerhalb dieses Netzwerkes wurde deutlich, dass die Risiko- und Krisenkommunikation im digitalen Wandel interessante Forschungsgebiete bereithält. Zum Beispiel die Multimodalität.

Der Begriff Multimodalität tritt im Projekt MIRKKOMM in den Vordergrund. Könnten Sie vielleicht kurz erläutern, was genau mit Multimodalität gemeint ist?

Multimodalität beschäftigt sich mit der Frage, mit welchen Kommunikationsmodi kommuniziert wird, also ob Bilder, Text, Ton, Grafiken et cetera verwendet werden. Hier ist es wichtig, sich die Interaktion dieser Modi untereinander anzuschauen. Ist das, was wir im Ton hören und das, was wir im Text lesen, oder was wir im Bild sehen, tatsächlich kongruent? Sind es ähnliche Botschaften, oder widersprechen sie sich? Was sagt da die Rezeptionsforschung? Das ist besonders wichtig, wenn man bedenkt, welchen Anforderungen sich Behörden und Organisationen der Gesundheitssicherung aufgrund des digitalen Wandels stellen müssen. Die Digitalisierung öffentlicher Kommunikation findet auch in Krisen ihren Ausdruck und fordert unterschiedliche Akteur*innen heraus. So stellt sich die Frage, wenn ich als Behörde oder Ressortforschungseinrichtung auf Twitter, Instagram oder YouTube kommuniziere, wie muss die Botschaft aussehen, um Akzeptanz, Vertrauen, Verständlichkeit, Eindeutigkeit und Effizienz zu sichern? Für die Risiko- und Krisenkommunikation liegen erste Studien vor, die multimodale Kommunikationskonzepte als Erweiterung der etablierten monomodalen textbasierten Vermittlungsformen vorschlagen. Zu dieser Forschungslücke arbeitet unser Projekt.

Das Forschungsprojekt beschäftigt sich primär mit der COVID-19-Pandemie. Aber wie sieht es mit anderen Katastrophen aus? Denken Sie, dass sich die Erkenntnisse, die Sie durch das Projekt zur Risiko- und Krisenkommunikation von Behörden und Organisationen erhalten, auf andere Katastrophen übertragen lassen?

„Soziale Medien sind dialogorientierte Plattformen, die bedient werden müssen.“ Annett Schulze
Ich glaube, dass die Erkenntnisse nur bedingt übertragbar sind. Wir haben in diesem Fall eine langanhaltende Krise mit mehreren Phasen der An- und Entspannung, in denen unterschiedliche Ansprüche seitens der Bevölkerung an die kommunizierenden Behörden gerichtet worden sind. Wir können allerdings sehr gut Maßstäbe zur Kommunikation in den sozialen Medien ableiten. Soziale Medien sind dialogorientierte Plattformen, die bedient werden müssen. Diejenigen, die solch‘ eine Plattform nutzen und bestimmte Zielgruppen darüber erreichen wollen, müssen sich bewusst sein, dass dieser Dialog nicht abbrechen darf, dass Fragen zu beantworten und Inhalte zu moderieren sind. Zudem gilt: Jede Plattform hat mit Blick auf die Zusammensetzung der Kommunikationsmodi unterschiedliche Schwerpunkte. Hier gilt zu prüfen, wie der Content aufzubereiten ist, um die Plattformlogik adäquat zu bedienen. Das haben wir in den ersten Daten, die wir ausgewertet haben, sehr deutlich gesehen. Das lässt sich auf jede Krise übertragen, weil das mit dem gewählten Medium zusammenhängt.

Die Ausstellung #Krisenalltag – Kommunikation in der Pandemie im Berliner Museum für Kommunikation zeigt erste Erkenntnisse des Forschungsprojektes MIRKKOMM. Foto: Bundesinstitut für Risikobewertung

Sie sehen sich mit dem Projekt unter anderem an, was in der Krisenkommunikation speziell auf die COVID-19-Pandemie hätte besser laufen können. Können Sie kurz erläutern, welche Erkenntnisse Sie bisher gesammelt haben?

Wir haben bereits erste Erkenntnisse, zum Beispiel mit Blick auf die Kommunikator*innen.
Das Team vom KIT hat eine Eye-Tracking-Studie durchgeführt und sich angeschaut, welches Kommunikationsmaterial es gab und wie sich dieses klassifizieren lässt. Dann wurden Kommunikationsformate ausgewählt und den Teilnehmenden gezeigt. Eine spannende Erkenntnis war die Antwort auf die Frage nach Humor. Viele der Befragten hatten vor dem Experiment gesagt, dass Humor auch in einer Krise wie der COVID-19-Pandemie genutzt werden könne. Tatsächlich kam aber dann heraus, dass humoristische Stücke nur bedingt funktioniert haben. Jetzt kann man natürlich anmerken, dass retrospektiv gemessen wird, das muss man als eine mögliche Verzerrung der Daten miteinbeziehen. Dennoch ist es spannend, dass der Einsatz von Humor durchaus ambivalent in seiner Wirkung bleibt.

Unsere multimodale Diskursanalyse zeigt, dass speziell die Bundes- und Landesebene viel stärker durch Kommentare in den sozialen Medien herausgefordert wurden als die kommunale Ebene. Hier zeigte sich, dass es um mehr als die nachvollziehbare Aufbereitung von Daten geht: Es geht auch um das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Werte. Dass die kommunale Ebene besonderen Belastungen ausgesetzt war, lässt sich wiederum anhand der Interviewdaten im Teilvorhaben an der Technischen Universität Ilmenau sehr deutlich erkennen. Hier schloss eine Online-Befragung an, um die Bedarfe der Kommunen in einem föderalen System wie Deutschland stärker zu konturieren.

Am 13. Juli 2023 wurde die begleitende Ausstellung zum Projekt im Museum für Kommunikation in Berlin eröffnet. Warum wurde sich dazu entschieden, die ersten Zwischenergebnisse schon jetzt während der Laufzeit des Projektes in einer Ausstellung darzustellen und nicht erst am Ende?

Insbesondere Prof. Dr. Michael Beuthner (SRH) und mir war es bereits in der Antragsphase wichtig, dass wir rechtzeitig erste Erkenntnisse jenseits der Wissenschaftsgemeinschaft zeigen können. Die COVID-19-Pandemie hat schlicht alle Menschen auf die eine oder andere Art und Weise betroffen. Jetzt lässt sich aus der Forschung dazu, aus den Evaluationsdaten etc. lernen. Das zeigt die Ausstellung: Sie bietet einen Gesamtüberblick über die Geschehnisse und die Herausforderungen auf unterschiedlichen Ebenen in der Kommunikation. Über verschiedene partizipative Elemente der Ausstellung haben wir versucht, die Inhalte zielgruppengerecht und verständlich aufzubereiten. Das Begleitprogramm bietet eine zusätzliche Chance, zum Beispiel über den KinderKulturMonat, Meet the Journalist oder den parlamentarischen Abend zielgruppenspezifische Fragestellungen detaillierter anzuschauen.

Das Projekt läuft ja noch bis zum September 2024. Also noch ein gutes Jahr. Wie möchten Sie abschließend Ihre Ergebnisse in die Öffentlichkeit bringen?

„Wir sollten die Chance nutzen, aus den drei Jahren und dieser Krise, welche die Weltgemeinschaft in einem großen Ausmaß belastet hat, zu lernen.“ Annett Schulze
Wir werden aus den Erkenntnissen Schulungsangebote für diejenigen entwickeln, die für den Schutz der Bevölkerung zuständig sind. Hier sind nicht nur Hinweise zu einer multimodalen Risiko- und Krisenkommunikation enthalten, sondern auch zu rechtssicherer Risiko- und Krisenkommunikation aus den Erkenntnissen des Teilprojektes an der Europa-Universität Viadrina. Unsere Ergebnisse werden außerdem in Studiengänge und berufsbegleitende Ausbildungen wie der BfR Summer Academy fließen. Das tun wir mit unseren assoziierten Partnern, dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), und dem Robert Koch-Institut (RKI). Wir planen, mit der Bundeszentrale für politische Bildung und dem Team des dpa-Faktenchecks ein Format zu entwickeln, das Influencer*innen ermöglicht, Verantwortung zu übernehmen, wenn sie Informationen an ihre Community weitergeben. Mit unserem Praxispartner mecom ist eine Anpassung des Modularen Warnsystems (MoWaS) geplant, wenn es um langanhaltende Krisen geht.

Warum denken Sie, ist die Ausstellung gerade jetzt wichtig?

Wir sollten die Chance nutzen, aus den drei Jahren und dieser Krise, welche die Weltgemeinschaft in einem großen Ausmaß belastet hat, zu lernen. Im Übrigen auch, um die Erkenntnisse zur Vorbereitung auf eine potenzielle nächste Gesundheitskrise zu nutzen. Dass Zoonosen, also die Übertragung eines Krankheitserregers vom Tier auf den Menschen, zukünftig wahrscheinlicher werden, wird naturwissenschaftlich breit diskutiert. Dass diese Erreger dann auch von Mensch zu Mensch weitergegeben werden können, zeigte die COVID-19-Pandemie.

Krisenkommunikation wird somit in Zukunft immer wichtiger. Inwieweit wäre es zukünftig aber wichtig, dass Wissenschaftler*innen schon früh dafür sensibilisiert werden?

„Die Bevölkerung muss, wir müssen lernen, damit umzugehen. Das heißt für uns als Wissenschaftler*innen, dass Unsicherheiten adäquat kommuniziert werden sollten.“ Annett Schulze
Das finde ich außerordentlich wichtig, ist aber noch ausbaufähig. Ich glaube, die Fähigkeit, Dialoge zu führen und innerhalb von Krisen zielgruppengerecht gut kommunizieren zu können, ist von enormer Bedeutung. Das hängt einerseits damit zusammen, dass es eben nicht nur darum geht, wie Wissen verständlich aufzubereiten ist. In der Auseinandersetzung um Standpunkte zu konfliktbehafteten Themen wie Freiheitseinschränkungen in der COVID-19-Pandemie zugunsten des Schutzes vulnerabler Gruppen treffen wir neben Wissenskonflikten auch auf Wertekonflikte. Diese gilt es zu adressieren. Andererseits arbeitet die Wissenschaft mit Unsicherheiten und relativen Wahrscheinlichkeiten. Die Bewertung dieser ist abhängig von neuen Daten und deren Einschätzung. Das ist ein kontinuierlicher Prozess. Neue Daten können zu neuen Erkenntnissen führen und dann können Aussagen revidiert werden. Die Bevölkerung muss, wir müssen lernen, damit umzugehen. D.h. für uns als Wissenschaftler*innen, dass Unsicherheiten adäquat kommuniziert werden sollten. Bereits in der Ausbildung zu lernen, wie Dialoge zwischen Wissenschaft und spezifischen Zielgruppen zu führen sind und wie Unsicherheiten in der wissenschaftlichen Bewertung selbstbewusst kommuniziert werden können, wäre mein großer Wunsch.


Weitere Informationen zum Projekt

Motivation: Durch die COVID-19-Pandemie wurde erneut deutlich, welche Bedeutung die Risiko- und Krisenkommunikation gesellschaftlich hat. Da verständlich kommunizierte Informationen zu Risiken maßgeblich zu einer Steigerung der Sicherheit der Bevölkerung führen, standen Behörden vor der Aufgabe, die zahlreichen Informationen und Daten zu überprüfen, zu verarbeiten und dann zielgruppengerecht zu kommunizieren. Das Kommunikationsverhalten in der COVID-19-Pandemie hat gezeigt, wie wichtig es ist, die Erfahrungen aus dieser Zeit in die Optimierung der Risikokommunikation fließen zu lassen.

Ziel: Durch die Aufarbeitung und Analyse der Erfahrungen und der stattgefundenen Kommunikation sowie Rechtsprechung in der COVID-19-Pandemie, wissenschaftlich fundierte Empfehlungen für eine Verbesserung der Krisen- und Risikokommunikation von Akteur*innen (Behörden und Organisationen) der Gesundheitssicherung abzuleiten. Der Schwerpunkt des Projektes ist die Risiko- und Krisenkommunikation von Behörden und Organisationen untereinander und mit der Bevölkerung. Der Fokus liegt dabei insbesondere auf der Kommunikation über soziale Medien.

Projektpartner*innen: Bundesinstitut für Risikobewertung, Karlsruher Institut für Technologie, Technische Universität Ilmenau, SRH Berlin University of Applied Sciences, Europa-Universität Viadrina, mecom Medien-Communikations-Gesellschaft mbH