Foto: Kari Shea (edit)

„Den Diskurs sichtbar machen“

Einen Raum schaffen für fachlichen Austausch und frei verfügbares Wissen, das möchte das Mittelalterblog. Wie diese Vernetzung innerhalb der Mediävistik funktioniert und was das Blog von anderen Open-Access-Plattformen unterscheidet, erzählt Björn Gebert, Gründer und Herausgeber.

Herr Gebert, was genau hat es mit dem Mittelalterblog auf sich?

Die Grundidee des Mittelalterblogs ist, einerseits die Fachcommunity mit relevanten Informationen zu versorgen und andererseits Forschungsergebnisse zu unterschiedlichsten Themen rund ums Mittelalter frei verfügbar zu machen. Das Ziel des Portals ist es, Forscherinnen und Forscher in diesem Bereich eine Plattform zu bieten, auf der sie kostenfrei und mit großer Reichweite publizieren können. Die Bandbreite reicht dabei von kurzen Projektvorstellungen über Miszellen bis hin zu langen Aufsätzen und Editionen. Seit letztem Jahr gibt es sogar eine Reihe, in der wir Sammelbände dynamisch veröffentlichen – also etwa Tagungsbände, deren einzelne Artikel nacheinander erscheinen und am Ende zusammengefasst und mit Titelblatt etc. versehen werden.

Wer ist die Zielgruppe der Beiträge?

Björn Gebert hat Geschichte und Religions­wissenschaft sowie Bibliotheks- und Informations­wissenschaft in Berlin studiert und ein Referendariat für den Höheren Dienst an Wissen­schaft­lichen Bibliotheken in Darmstadt absolviert. Nach beruflichen Stationen in Frankfurt am Main, Darmstadt und Weimar arbeitet er seit 2018 als wissen­schaft­licher Bibliothekar in Münster. Er ist einer der Gründer und Herausgeber des seit Ende 2012 bestehenden Wissen­schafts­blogs „Mittelalter. Inter­disziplinäre Forschung und Rezeptions­geschichte“ (= Mittelalterblog). Foto: privat

Das ist ein bisschen eine Gratwanderung. Da wir in erster Linie eine alternative Publikationsmöglichkeit für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler anbieten, richten sich viele der Artikel schon in erster Linie an die wissenschaftliche Community. Mediävistinnen und Mediävisten sind sicherlich unsere primäre Zielgruppe. Es gibt aber auch Formate, die aktiv versuchen, ein breiteres Publikum anzusprechen. Allerdings ist die Verständlichkeit für Laiinnen und Laien nicht das primäre Kriterium, um bei uns etwas zu publizieren.

Was unterscheidet Ihre Plattform von anderen Open-Access-Journals?

In erster Linie die Geschwindigkeit und die Reichweite. Auf einem Blog kann ich schneller und leichter Leute erreichen als mit einem Journal, selbst wenn es sich um ein Online Journal handelt. Auf einem Blog kann jeder Beitrag ad hoc erscheinen, wenn er fertig ist. In einem Journal werden dagegen meist mehrere Artikel auf einmal periodisch veröffentlicht, also gesammelt in einer oder mehreren Ausgaben pro Jahr, die mehr oder weniger regelmäßig erscheinen – und im schlimmsten Fall erst dann, wenn alle für ein Heft vorgesehenen Artikel redigiert sind. Darüber hinaus geben wir den Leuten auch die Möglichkeit, Feedback zu ihren Beiträgen zu bekommen. Man kann bei uns beispielsweise provokante Thesen veröffentlichen und die Community um Feedback bitten. Das geht bei einem Journal kaum oder wenn, dann nur sehr viel langsamer. Wir schaffen so einen Ort, an dem Mediävistinnen und Mediävisten sich untereinander vernetzen und miteinander in den Diskurs treten können. Eines der Ziele ist es dabei auch, diesen Diskurs sichtbar zu machen und nach außen zu transportieren. Insofern ist das Blog auch ein Beitrag zur Wissenschaftskommunikation.

Wer schreibt im Mittelalterblog?

„Je mehr Blogbeiträge als ,echte‘ Publikationen an Anerkennung gewinnen, desto mehr werden wir uns etablieren.“ Björn Gebert
Prinzipiell dürfen alle bei uns veröffentlichen, die etwas beizutragen haben. Für eigene wissenschaftliche Publikationen im engeren Sinne ist ein fachlich einschlägiger Abschluss auf dem Niveau Master, Magister, Diplom oder Staatsexamen Voraussetzung. Solche Artikel werden von unserer Redaktion oder auch von externen Fachleuten etwa in Hinblick auf ihre Qualität und das Einhalten der Regeln guter wissenschaftlicher Praxis geprüft. Gegebenenfalls muss also von den Autorinnen oder Autoren nachgebessert werden und auch die endgültige Ablehnung eines Artikels ist nicht ausgeschlossen, war aber bislang nur sehr selten nötig. Aktuell sprechen wir vielfach noch Expertinnen und Experten selbst und direkt an, wenn wir sie beispielsweise auf Konferenzen sprechen gehört haben. Aber die Zahl der Beiträge, die uns ohne unsere vorherige Anfrage angeboten werden, steigt. Das Interesse wird immer größer und je mehr Blogbeiträge als ,echte‘ Publikationen an Anerkennung gewinnen, desto mehr werden wir uns etablieren. In einem aktuellen Papier der Deutschen Forschungsgemeinschaft werden Blogs beispielsweise ausdrücklich als Publikationsformat erwähnt und anerkannt. Das ist natürlich sehr erfreulich und dürfte langfristig auch dazu führen, dass immer mehr Leute bei uns veröffentlichen wollen.

Gibt es für Sie einen Unterschied zwischen Wissenschaftskommunikation in den Geisteswissenschaften im Vergleich zu anderen Fächern?

Ich habe ganz allgemein den Eindruck, dass es aus Sicht der Geisteswissenschaften mehr Barrieren gibt. Vor allem, wenn es um den Dialog in digitalen Medien oder um das Publizieren jenseits klassischer Formate und Medien geht, sind viele Geisteswissenschaftlerinnen und Geisteswissenschaftler noch zurückhaltend.

Was für Barrieren sind das?

Neben den bestehenden Reputationsmechanismen, die immer noch gedruckte Medien oder große Verlage bevorzugen, sehe ich einen der Gründe für die Zurückhaltung darin, dass viele sich die Frage stellen, wie lange bestimmte Dinge im digitalen Raum bestehen werden. Im Mittelalterblog lösen wir dies unter anderem, indem wir allen wissenschaftlichen Artikeln eine PDF-Version beigeben und diese von einer Bibliothek langzeitarchivieren lassen. Aber auch, indem wir dafür sorgen, dass einmal veröffentlichte Artikel im Nachhinein grundsätzlich nicht mehr bearbeitet werden können, also akademisch integer bleiben. Eine weitere Barriere scheint mir die Befürchtung zu sein, unter Kolleginnen und Kollegen seinen guten Ruf zu riskieren oder sich gar öffentlicher Kritik auszusetzen.

Wieso ist es denn trotzdem wichtig, dass Geisteswissenschaftlerinnen und Geisteswissenschaftler kommunizieren?

„Wir erleben vielfach eine Instrumentalisierung von Geschichte durch unterschiedlichste Akteurinnen und Akteure und Interessensgruppen.“ Björn Gebert
Wir erleben vielfach eine Instrumentalisierung von Geschichte durch unterschiedlichste Akteurinnen und Akteure und Interessensgruppen. Das ist gerade in Sozialen Medien der Fall. Da muss und sollte die Wissenschaft aus meiner Sicht eingreifen und Unwahrheiten oder wilden Behauptungen mit Fakten, validen Daten und Quellenkritik sachlich und doch entschieden entgegentreten. So entsteht ein gewisses Gegengewicht zu den falschen Informationen, die kursieren und so kann man den Diskurs aus wissenschaftlicher Sicht positiv beeinflussen. Dafür ist insbesondere Twitter sehr gut geeignet und deshalb sollten wir dort unbedingt noch aktiver sein, wobei wir schon ganz gut vertreten sind und die Community stetig wächst.