Wie hoch ist das Vertrauen der Bevölkerung in Wissenschaft und Forschung? Die Wissenschaftsbarometer 2022 aus der Schweiz und Deutschland liefern dazu Daten und Fakten. Im Interview ziehen Julia Metag und Niels Mede vom Schweizer Barometer einen Vergleich zwischen beiden Ländern und ordnen die Ergebnisse ein.
„Das öffentliche Vertrauen in Wissenschaft ist in Deutschland und der Schweiz hoch“
Drei Jahre sind seit dem letzten Wissenschaftsbarometer Schweiz vergangen. Was sind wichtige Ergebnisse und welche Themen sind neu beim Schweizer Wissenschaftsbarometer 2022?
Julia Metag: Generell sehen wir, ähnlich wie beim deutschen Wissenschaftsbarometer, eine hohe Stabilität und ein Einpendeln auf das vor-Corona Niveau. Das gilt insbesondere mit Blick auf das Vertrauen in sowie das Interesse für Wissenschaft. Mit Blick auf die Informations- und Mediennutzung ist das Internet auch in der Schweiz die wichtigste Informationsquelle für Wissenschaft. YouTube ist zwar noch auf einem relativ geringen Niveau, nimmt aber, ähnlich wie Messenger, zunehmend an Bedeutung zu. Das spiegelt das allgemeine Informationsverhalten aus den letzten Jahren wider. Neu in der diesjährigen Umfrage ist, dass wir uns erstmals auch die Nutzung alternativer Medien angeschaut haben, zu denen allgemeine Internetrecherchen wie YouTube und Wikipedia gehören, zum Teil werden aber auch Facebook und Telegram genannt. 17 Prozent gaben an, häufig oder sehr häufig über alternative Medien mit Wissenschaft in Kontakt zu kommen.
Niels Mede: Ebenfalls neu ist: Wir haben diejenigen, die hin und wieder unsicher über den Wahrheitsgehalt einer wissenschaftlichen Information sind, gefragt, wie häufig sie diese Information dann für irreführend halten. Das heißt, wir haben gezielt den Kontakt mit Desinformationen gemessen. Dabei haben nur 15 Prozent angegeben, nie mit solchen Informationen in Kontakt zu kommen. Wohingegen die anderen 85 Prozent mindestens gelegentlich den Eindruck hatten, Informationen zu begegnen, die sie gezielt täuschen sollten. Zum Umgang mit Desinformationen ist auffallend, dass ungefähr zwei Drittel diese Informationen mit anderen teilen. Dennoch informiert die große Mehrheit andere Personen darüber, dass diese Informationen falsch sind. Die absolute Mehrheit war im Nachhinein skeptischer gegenüber der Quelle dieser Desinformationen.
Wie entscheiden Sie, welche Fragen in die Umfrage kommen und welche Schwerpunkte gesetzt werden?
Metag: Wir setzen die Schwerpunkte dort, wo es uns wichtig ist, einen langzeitlichen Trend zu erkennen. Wir sind jetzt im dritten Durchlauf, das heißt im diesjährigen Schweizer Wissenschaftsbarometer konnten wir erstmals eine Entwicklung im Antwortverhalten aufzeigen. Zu unserem inhaltlichen Kern gehören die zentralen Einstellungsvariablen zu Wissenschaft, wie etwa das Interesse an und Vertrauen in sie, die Frage nach ihrer Funktion in einer Gesellschaft und das Verhältnis von Wissenschaft zu Politik. Die Abfrage zur Nutzung von Onlineangeboten hat durchaus an Differenziertheit gewonnen, da sich die Nutzung in den letzten Jahren verändert hat.
Mede: Wir haben neben dem fixen Kerngerüst immer auch Platz für einen variablen Teil. Da entscheiden wir auf Basis dessen, was zurzeit viel diskutiert wird und gesellschaftlich relevant ist, wie in diesem Jahr Desinformationen. Auf der anderen Seite berücksichtigen wir akademische Publikationen und schauen, was wir für Konstrukte und Phänomene messen können. So ist zu erklären, dass wir ein Thema wie alternative Mediennutzung abfragen, was nah an unseren Forschungsinteressen liegt.
Welche Gemeinsamkeiten gibt es zwischen den deutschen und Schweizer Ergebnissen?
Mede: Nach wie vor ist das öffentliche Vertrauen in Wissenschaft in Deutschland und der Schweiz hoch. 59 Prozent der Schweizer Befragten gaben an, ein hohes oder sehr hohes Vertrauen in Wissenschaft zu haben. Das ist ungefähr das Niveau von vor der Pandemie. Zu der Hochphase der Pandemie war das Vertrauen stärker, vor allem das Vertrauen derer, die zuvor nur ein moderates Vertrauen in Wissenschaft hatten. Sehr ähnlich ist es beim Interesse an Wissenschaft und Forschung. Sowohl die Prozentsätze derjenigen, die hohes Interesse haben, als auch der Verlauf über die letzten Jahre, sehen in Deutschland und der Schweiz relativ ähnlich aus. In der Schweiz haben 55 Prozent der Befragten ein hohes oder sehr hohes Interesse an Wissenschaft – dem gegenüber stehen 54 Prozent der Befragten in Deutschland. Da gibt es kaum Unterschiede.
Metag: Im deutschen Wissenschaftsbarometer gab es diesmal einen Fokus auf die Bildungsunterschiede der Befragten. Die grundsätzliche Tendenz, dass Höhergebildete ein höheres Vertrauen und Interesse haben, sieht man auch an den Umfrageergebnissen in der Schweiz.
Mede: Wobei man an der Stelle feststellen kann, dass in der Schweiz auch formell niedriger Gebildete tendenziell ein hohes Vertrauen in Wissenschaft haben, anders als in Deutschland.
Beide Umfragen setzten einen Fokus auf das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Politik. Wie sollte dieses aus Sicht beider Bevölkerungen aussehen?
Mede: In beiden Umfragen wurde die Frage gestellt, ob politische Entscheidungen auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen sollten. Da fand ich interessant, dass die Zustimmung zu dieser Frage in Deutschland höher ist als in der Schweiz. In Deutschland stimmen 69 Prozent dieser Aussage voll oder eher zu. In der Schweiz nur 54 Prozent.
Metag: Zu dieser Frage gab es in Deutschland einen deutlichen Zuwachs. Der Wert ist in der Schweiz relativ konstant geblieben, 56 Prozent Zustimmung im Jahr 2019, 54 Prozent im Jahr 2022. Grundsätzlich unterstützt die Mehrheit diese Aussage, in Deutschland könnte es sich um einen Trend handeln. Allerdings gibt es im deutschen Barometer das Item: „Es ist nicht Aufgabe von Forschenden, sich in Politik einzumischen“ – auch hier gab es einen hohen Anstieg, insgesamt 50 Prozent stimmten dieser Aussage zu. Während der Corona-Pandemie gab es eine Menge Informationen zum Wechselspiel zwischen Wissenschaft und Politik, die zu einer gewissen Übersättigung geführt haben können. Allerdings muss man einschränkend festhalten, dass der Anstieg auch an der leicht unterschiedlichen Fragenformulierung der letzten Jahre liegen kann. Die Aussage war mal auf Fridays for Future, mal auf Corona bezogen, dieses Mal war sie nicht themenspezifisch. Das kann das Antwortverhalten beeinflussen. Von daher muss man weiter beobachten, wie sich das entwickelt.
Welche Ergebnisse aus beiden Umfragen sind für Sie besonders spannend für die Wissenschaftskommunikation und Wissenschaftspolitik?
Mede: Laut den deutschen Ergebnissen wünschen sich viele Menschen nicht nur, dass Wissenschaftler*innen zu ihrer eigenen Forschung kommunizieren. Fast genauso viele wünschen sich, dass sich Forschende auch zu Ergebnissen anderer Wissenschaftler*innen äußern. Ebenfalls eine Mehrheit möchte, dass sich Forscher*innen zu den Aussagen und Entscheidungen von Politiker*innen äußern, wenn sich diese auf wissenschaftliche Erkenntnisse berufen. Daraus lese ich, dass ein großer Teil der deutschen Öffentlichkeit von Wissenschaftler*innen nicht nur die Publikation von wissenschaftlichen Erkenntnissen erwartet, sondern auch deren Einordnung.
Metag: Ich habe dieses Ergebnis etwas anders interpretiert. Zu den Ergebnissen anderer Wissenschaftler*innen zu kommunizieren enthält die Einschränkung, dass es zum eigenen Forschungsschwerpunkt sein muss. Aus meiner Sicht haben diese drei Items einen sehr starken Wunsch nach Fokussierung in der Kommunikation auf das eigene Spezialgebiet widergespiegelt. Der Wunsch nach Einordnung stand im Vergleich etwas hinten an, wobei immer noch ein großer Teil dem zugestimmt hat. Mit Blick auf die Schweizer Ergebnisse sollte man nicht unterschätzen, dass viele Leute mit Falschinformationen in Kontakt kommen und einige sich über alternative Medien informieren. Letztendlich ist auch die Frage, wie wir die wenig Interessierten und Personen mit wenig Vertrauen in Wissenschaft erreichen, noch nicht vollends geklärt.
Was wünschen Sie sich für die künftigen Wissenschaftsbarometer in Deutschland und der Schweiz?
Metag: Ich wünsche mir, dass beide Barometer weiterlaufen können und entsprechende Ressourcen bereitgestellt werden. Sollte das der Fall sein, wünsche ich mir, dass der inhaltliche Kern der Barometer beibehalten wird. Es ist unglaublich wichtig, über noch längere Zeitverläufe vergleichbare Daten über Aussagen und Einstellungen zu Wissenschaft zu erhalten. Beide Barometer haben ihre individuellen Stärken. Bei uns ist die kommunikationswissenschaftliche Perspektive stark und auch in Zukunft wird uns die Messung von Informationsnutzung weiter beschäftigen.
Mede: Dem habe ich nicht viel hinzufügen. Einerseits ist der Langzeitvergleich in beiden Ländern wichtig, andererseits ist es auch wichtig, dass der Vergleich zwischen beiden Barometern immer wieder möglich sein wird. Wir müssen schauen, wie wir in Zukunft auch weiterhin verlässliche und hochqualitative Daten erheben können. Da ist die Telefonumfrage in Zukunft sicher nicht mehr das einzige Mittel. Hier können beispielsweise Online-Umfragen hinzukommen. Zuletzt wünsche ich mir, dass wir auch in Zukunft flexibel sind, um gesellschaftlich relevante Themen wie Desinformationen, den Klimawandel, oder das Thema Energieversorgungssicherheit abzufragen.
Alle Ergebnisse und Daten des deutschen Wissenschaftsbarometers 2022 finden Sie hier. Die Ergebnisse und Daten des WissensCHaftsbarometers 2022 können Sie unter diesem Link einsehen.